So kam es zur Gründung
100 Jahre Turnverein Alsfeld 1849 e.V.

Von Wolfgang Kneipp, Alsfeld (1949)

Man schrieb das Jahr 1849. In der Paulskirche zu Frankfurt a.M. hielten die Abgeordneten zündende Reden. Ausgezeichnete, geistige und schöpferische Kräfte bemühten sich ergebnislos um ein einheitliches einiges Deutsches Reich. Auch Turnvater Jahn war unter denen, die das Beste wollten. Sehr enttäuscht über den Ausgang der Nationalversammlung entschloss er sich, da er nun einmal in Frankfurt war, noch eine weitere Woche dort zu verbleiben, um die Werbetrommel der edlen deutschen Turnsache zu rühren. – Die Ideen Jahns wurden im Frankfurter Gebiet in die Tat umgesetzt, indem man in dieser Gegend viele Turnvereine gründete. – Gleichzeitig mit der Paulskirchenversammlung fand in der alten Mainstadt eine bedeutende Messe statt, bei der auch Alsfelder Kaufleute ihre Waren feilboten. Das, was Jahn in seinen Reden in der Öffentlichkeit sagte, gefiel ihnen und begeisterte sie. So kehrten die Alsfelder über die alte Vogelsbergstraße zurück, beseelt von dem Gedanken, in ihrer Heimatstadt gleichfalls einen Turnverein aus der Taufe zu heben. Es geschah denn auch.

Der Vorstand des TV Alsfeld im Jahr 1949
Foto: Turnverein Alsfeld

Am 18. April 1849 kamen im Gasthaus „Zur Krone“ 11 junge Alsfelder Bürger zusammen und gründeten den Turnverein Alsfeld. Derselbe zählte im ersten Jahr 61 Mitglieder. Von den damaligen Mitgliedern lebt keines mehr unter uns. Als letzter starb 1910 der in der frühesten Geschichte des Vereins eine Rolle spielende erste Sprecher Georg Knierim. Geturnt wurde im Jahre 1849 im Garten des ehemaligen Gasthauses Zur Krone am Ludwigsplatz. Von 1850 ab auf dem von der Stadtverwaltung zur Verfügung gestellten Platze unterhalb der „Concordia“. Am 23. Juni 1850 fand das erste Turnfest in Alsfeld statt. Das Protokollbuch, die alten Satzungen, Fahnen, ein Tambourstab und Akten geben Zeugnis von der Gründung und dem Leben des Vereins. Die reaktionäre Zeit der 1850er-Jahre brachte es mit sich, dass die meisten Turnvereine polizeilich aufgelöst wurden. Um dem zuvorzukommen, gab man stillschweigend den Turnbetrieb auf, in der Hoffnung auf spätere günstigere Zeiten. 1662 wurde der Turnbetrieb jedoch wieder von neuem belebt. Von dieser Zeit an hat derselbe eine gesund fortschreitende Entwicklung genommen. Die erste Generalversammlung wurde in dem Gasthaus zur Krone abgehalten und Georg Knierim zum 1. Sprecher gewählt. Damals turnte Jung und Alt im Garten des ehemaligen Brauhauses Wallach am Bahnhof. Im Jahre 1863 bildeten die Mitglieder des Turnvereins eine freiwillige Turner-Feuerwehr. Diese vereinigte sich im Jahre 1876 mit der städtischen Feuerwehr. Auf dem Marktplatz wurde am 2. Oktober 1864 dem Turnverein eine von den Frauen und Jungfrauen Alsfelds gestickte seidene Fahne durch Fräulein „Lina Sander“ feierlichst überreicht. Sehr verdient machte sich der Verein während des Feldzuges 1870/1871, in dem er im Sanitätswesen in unserer Stadt Hervorragendes leistete. Das Friedensfest wurde in Alsfeld am 18. Juni 1871 mit Pflanzung einer Friedenseiche am Ludwigsplatz gefeiert, woran sich auch der Turnverein beteiligte; hatten doch 6 Turner ihr Leben lassen müssen. Auf Diegels Wiese (heute steht hier die Möbelfabrik) am Bahnhof wurde am 16., 17. und 18. Juli das 4. Turnfest des Bezirkes Hessen gefeiert. Bis 1875 turnte man in der sogenannten „Darre“ (heute Werkstatt der Glaserei Lenth). Von dieser Zeit an benutzte man die von der Stadtverwaltung bereitwilligst zur Verfügung gestellte Fruchthalle im Hochzeitshaus. Um auch das Sommerturnen besser zu pflegen, wurde 1875 ein eigener Turnplatz an der Marburger Straße jenseits der Bahngleise gekauft. – Wie überall in Deutschland beging man am 20. Juli 1878 die 100. Wiederkehr des Geburtstages Jahns mit einem Wettturnen, nebst Volksfest. Im Jahre 1887 wurde das alte Turnlokal im Hochzeitshaus verlassen und von da ab in dem gut hergerichteten Turnsaale der Realschule geturnt. Aufs schönste verlief die Turnfahrt des Gaues Hessen, die für hier 1896 übernommen worden war. Das 50-jährige Stiftungsfest wurde am 22. April 1899 durch einen großen Festkommers und ein Preisturnen, denen sich ein Volksfest anschloss, gefeiert. Die neue Turnhalle des Vereins wurde am 18. August 1901 eingeweiht und als schönes, eigenes Heim bezogen. Im Jahre 1902 wurde unsere alte, vierzig Jahre in Ehren getragene Fahne dem Alsfelder Museum überwiesen und eine neue, von den Frauen und Jungfrauen gestiftete seidene Fahne durch Fräulein Amalie Klingelhöffer überreicht. Auf dem Turntag 1904 in Gießen wurde vom Turnverein Alsfeld das 32. Gauturnfest des Gaues Hessen für 1905 übernommen. Große Begeisterung und Freude löste diese Veranstaltung hier aus. Das Fest nahm unter Beteiligung der ganzen Bevölkerung einen glänzenden Verlauf. Im Jahre 1906 bildeten sich eine Singmannschaft und eine Frauenabteilung sowie eine Männerriege, und 1912 kam noch eine Fechtriege und eine Fußballriege hinzu. Als jüngstes Glied im Verein schlossen sich am 22. April 1912 45 Turner zu einer Sanitätskolonne zusammen. Am l. August 1914, bei Ausbruch des ersten Weltkrieges, wurden fast sämtliche aktiven Turner sowie beinahe die Hälfte aller Passiven zum Wehrdienst eingezogen. Da nur noch drei Vorstandsmitglieder nicht einberufen waren, teilten sich dieselben in die Geschäfte des Vereins. Der allen bekannte Rektor Rudolph wurde damals 1. Vorsitzender. Hermann Post versah die Stelle des Turnwarts. – Herzliche Begrüßungsworte widmete der 1. Sprecher Rudolph in einer Versammlung am 15. Februar 1919 den aus dem Weltkriege Heimgekehrten. Er gedachte ferner der im Kriege gefallenen 33 Turner in einem ehrenden Nachruf und zu deren bleibendem Gedächtnis eine Ehrentafel in der Turnhalle enthüllt wurde. – Eine Schülerriege trat im August 1920 mit insgesamt 60 Knaben ins Leben und erfreut sich noch heute allgemeinen Interesses und reger Beteiligung. Selbstverständlich gesellten sich zu den Schülern auch noch die munteren Schülerinnen. – Wie ein Märchen wird spätere Geschlechter die Tatsache anmuten, wie sich die Geldentwertung im Turnverein bei den Mitgliederbeiträgen geltend machte. Im Februar 1923 mussten schon vom Vorstand die vierteljährigen Beiträge auf 300 Mark festgesetzt werden, im Juli auf 5.000 Mark, im September auf 100.000 Mark, im November auf 3 Mill. Mark. – Gelegentlich der Weihnachtsfeier 1924 wurde die unter schweren Opfern erweiterte Turnhalle eingeweiht. – Unter Mitwirkung der Musterriege des Gaues Hessen am Deutschen Turnfest in Köln fand am 18. August 1928 überall die Feier der 150. Wiederkehr des Geburtstages Jahns statt.

(Alle Angaben sind authentisch und durch Carl Weitz im Jahre 1929 den Vereinschroniken entnommen und zusammengestellt worden.)

1929 zog das Gauturnfest, mit dessen Gestaltung und Durchführung der Turnverein Alsfeld bedacht worden war, eine Vielzahl bester hessischer Turner in die oberhessische Kreisstadt. Drei Tage lang prangten die alten Fachwerkhäuser im Flaggenschmuck. Schauturnen, herrliche Wettkämpfe und der noch heute unvergessliche Festzug gaben dem sauber durchgeführten Programm ein markantes Gepräge. Spürbar und von besonderem Nuten waren die Auswirkungen dieses Festes. Vier Jahre später, vom 1. bis zum 3. Juli 1933, musste Alsfeld noch einmal seinen Ruhm als Feststadt beweisen. Das 60. Gauturnfest war bis heute das letzte große turnerische Ereignis unserer Stadt. – Der politische Wirrwarr des Jahres 1933 erschütterte auch die turnerische Bewegung in ihren Grundfesten und kristallisierte nach Hitlers Machtergreifung ständig wachsende Gegensätze im deutschen Sport heraus. Trotz allem aber wurde innerhalb des Vereins eine gute Breitenarbeit geleistet. Das Jahr 1933 war reich an Erfolgen. Hans Thöt nahm als einziger Wettkämpfer des Turnvereins Alsfeld am Deutschen Turnfest in Stuttgart teil und konnte sich ausgezeichnet platzieren. Mit dem Sportverein 06 Alsfeld wurde vereinbart, einen volkstümlichen Wettkampf durchzuführen, der sich alle Jahre wiederholen und dazu beitragen soll, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Vereinen zu fördern. Den 1. Wettkampf konnte die Mannschaft des Turnvereins für sich entscheiden.

Die Vereinheitlichung und Schablonisierung des gesamten Turn- und Sportwesens in dem durch die damalige Regierung geschaffenen Reichsbund für Leibesübungen erfolgte 1935. Drei Jahre später, anlässlich des Turnfestes in Breslau, wurde dann restlos gleichgeschaltet und ausgerichtet. Trotz der immerhin im Turn- und Sportwesen spürbaren politischen Note, die überall mitzuklingen versuchte, sah man im Turnverein Alsfeld in erster Linie immer nur das ideelle, schöpferische und bildende Ziel der Leibesübungen. – Alle nennenswerten Wettkämpfe wurden damals vom Turnverein Alsfeld beschickt. In den Disziplinen des Hoherodskopfbergfestes und bei stärkster Konkurrenz auf der Wasserkuppe hat sich mancher junge und alte Kämpfer unseres Vereins seinen Eichenlaubkranz geholt. In dem mehrmals durchgeführten Turn-Städte-Wettkampf zwischen Treysa-Ziegenhain und Alsfeld blieb der TV-Alsfeld immer in klarer Führung. Jedes Jahr beteiligten sich die Sprinter des Vereins erfolgreich am Staffellauf „Rund um Alsfeld“. Bei dem Erwerb des Reichsjugend- und des Reichssportabzeichens gaben die Mitglieder des Turnvereins mit schönen Leistungen ein imposantes Beispiel für die gesamte Jugend ab. – Dass man aber nach jedem verflossenen Jahr eine stolze Bilanz ziehen konnte, daran waren alle Vorturner, Turnwarte, und viele andere namenlose Kräfte wesentlich beteiligt. Edmond Ebeling, unser 1. Vorsitzender, arbeitet noch heute mit Liebe und Energie an dem Auftrieb seines Vereins. Zu besonderem Dank verpflichtet sind wir den alten Getreuen, wie August Bastian, Georg Dickhaut, Konrad Bücking, Fritz Kehm, Hans Thöt, Paul Lausch †, Karl Fischer und Heinrich Post. Mit Beginn des zweiten großen Krieges bildeten sich beachtliche Lücken in Riegen und Abteilungen, und doch ging es mit frischem Geist an turnerische und volkstümliche Geräte. Unglückliche Umstände vertrieben dazu noch die kleine Turnerschar für lange Zeit aus der geliebten Turnhalle. Als in 1945 der zweite Weltkrieg seinen Abschluss fand, war auch das Leuchtfeuer der einst so starken und berühmten deutschen Sportwelt gänzlich ausgelöscht. Mehr denn 12 Monate lang lag der Staub auf Barrenholmen und Reckstangen. Dann zeigten sich wieder kleine freundliche Anfänge an dem noch recht dunklen Horizont. In der damaligen nach dem Kriege ins Leben gerufenen Alsfelder Sportgemeinschaft gründete sich auch wieder eine Turnabteilung. Erst nach der Zurückgewinnung der Turnhalle aus den Händen der Treuhänderschaft und nach der Neugründung des Vereins durften die jungen Turner und Turnerinnen, denen mittlerweile eine umfangreiche Handballabteilung zur Seite gekommen war, wieder froh und frei atmen. Schnell ging es wieder bergauf. Die Turnhalle wurde nach fast völliger Ausplünderung einigermaßen ausgestattet. Die Jugend unserer Heimatstadt fand wieder Begeisterung; die „Alten“ stellten sich merklich ergraut wieder zur Verfügung. Ein neuer Impuls wurde spürbar. Die ersten Nachkriegserfolge blieben nicht aus. Rudi Forster, aus der Heimat vertrieben, gesellte sich zu unserem Verein und brachte eine frische Brise und schöpferische Kraft mit in den Turnbetrieb. Turnerinnen und Turner holten sich unter seiner Leitung in Krofdorf bei Gießen den Titel des Bezirksmeisters 1949. – Die Handballabteilung des Vereins machte ständig wachsend immer mehr von sich reden. Besonders die 1. Damen- und Herrenmannschaft formten sich zu einem sympathischen spielstarken Mannschaftsgefüge.

Wenn heutzutage auch manchmal dunkle Wolken dem ideellen Kern des deutschen Sportes das klare befreiende Sonnenlicht zu nehmen versuchen und auch schon teilweise die so alten, olympischen Prinzipien verwässern konnten, so haben die Frauen und Männer des Turnvereins Alsfeld immer nur versucht, getreu ihrer Mission, einen Weg zu gehen, auf dem Fairness, Sauberkeit und Sportidealismus die Richtungsweiser sind.

Erstveröffentlichung:

Wolfgang Kneipp, So kam es zur Gründung. 100 Jahre Turnverein Alsfeld, in: Turnverein Alsfeld, 100 Jahre Turnverein Alsfeld (TVA). Festschrift und Programm des 30. und 31.07.1949, S. 9-13.

[Stand: 10.05.2024]