Von Dr. Eduard Edwin Becker, Alsfeld (1905)
Bei der jetzigen Erneuerung des Kirchendachs unsrer Walpurgiskirche wurden abgesehen von Urkundenfunden, die nur zeitlich mit der Renovation zusammenfallen, zwei interessante Beiträge zur Baugeschichte der Kirche gefunden, der eine aus sehr früher Zeit, der andere nicht weit über 100 Jahre alt.
Bei dem Abbruch der Dächer über den Mittenschiffen kamen die früheren Außenmauern der alten Basilika zum Vorschein. Dass diese rot gewesen waren, wie sich nun deutlich zeigte, war bekannt. (Vgl. Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, Nr. 3, S. 8.)
Nun wurde aber auch unter dem schön profilierten Hauptgesims (Zeichnung 1)
ein Fries aufgefunden in dunkelgraublauer Farbe von folgender Gestalt:
In leuchtendem Hellrot und prangendem Blau erschien so bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts unsre Kirche den farbenfrohen Vätern.
Der zweite Fund war ein Blatt Papier, das in dem kupfernen Dachknopf über der Sakristei verborgen war. In rührender Ausführlichkeit erzählt es die Geschichte der letzten Erneuerung des Kirchendachs. Der folgende Abdruck soll es der Nachwelt aufbewahren. Die Rechtschreibung des Schriftstückes ist genau beibehalten, nur die großen und kleinen Buchstaben sind [Seite-2] nach neuerer Schreibart gesetzt. Die Klammerbemerkungen sind Zusätze, meist nach der „Genealogie der Familie Welcker, Berlin 1904“. Das Schriftstück lautet folgendermaßen:
„Anno 1779 zu Anfang dieses Jahrs wurde ich Endesbenanter, als ständiger Collector und Vorsteher der hiesigen Pietantien von einem hochfürstlichen Consistorio ernant und durch ein fürstliches Decreth angenommen, auch darauf zu Gießen verpflichdet. Bey meinem Antrit in diß Amt wahr es meine erste und vornehmste Sorge, das in sehr großen Verfall gerathene Kirchentach wieder in tüchtigen Stand zu setzen. Ich sahe wohl ein, daß hierzu eine ansehnliche Summe Geldes erfodert würde, weilen alle Canneln gäntzlich verfault, auch hierzu noch Bley erfordert würde, die Steine auf dem gantzen weitläufftigen Tach grosten Theils nichts nutzten und verfault wahren die sämtliche büchne Latten, worauf die Steine angenagelt wahren, keinen Nagel mehr hilten und ebenfals gantz verfault wahren, auch die Sparn am Tache, weilen sie unten faul geworden und von ihrem Lager gewichen, sich so verschoben, daß es in den Försten die gröste Offnungen gegeben, und das Tachwerk hierdurch in große Ungleichheith gerathen.
Da nun unser Kirchenkasten bey meiner Annahme nicht in dem besten Stande wahre und neben den ständigen Ausgaben an Besoldung etc. eine so große Ausgabe bestreiten konte, so entschloße ich mich, noch einige Jahre zu warten und unter dieser Zeith so viel möglich zu spahren, damit diese heilsame Tachbauerey in Gottes Nahmen angefangen werden känne. Hierzu hat auch der Allmächtige seinen Seegen gegeben, so daß schon im Jahre 1785 der Anfang gemacht wurde mit Beyschaffung nöthiger Schiefersteine. In diesem Jahr starb unser Steindecker Johan Henrich Rößner. Da man nun nicht gerne seinen Kindern den Verdinst entziehen wolte, und der älste Sohn in der Fremt und letzterer annoch in der Lehr wahr, so gaben wir dem Bruder vom Verstorbenen, der zu Grinberg wohnte, diese Arbeith mit dem Beding, daß er etwas hiervon der Witwe solte zufließen laßen, auch den jüngsten Sohn bey die Arbeith nehmen solte, um ihn wohl zu unterichten.
Diß geschahe auch anno 1786 und 1787 wurde fortgefahren. 1788 kahm der älste Sohn deß Verstorbenen gemeiner Zufridenheith über sich und machte in diesem [Seite-3] Jahr noch ein sehr ansehnliches Stück. Anno 1789 et Joh. Caßper Rößner und nahm diese Arbeith zu all 1790 wurde eingehalten, um von seiten deß Kastens und der Stadt wieder neue Kräfften zu sammlen. 1791 wurde wieder fortgefahren, und wurde in diesem Jahr so weith gebracht, daß nur noch was weniges nöthige übrig bliebe.
Indessen ist in den benanten Jahren 1785, 86, 87, 88 et 1791 an diesem Kirchentach biß hierher wenigstens 2000 fl verbauth worden, so die eine Helfft der Kasten, die andre Helfft die Stadt bezahlt hat. Die Ruthe Schiefersteine stunde uns zu dieser Zeith von Kladenbach [Gladenbach, Kreis Biedenkopf, Hessen-Nassau) hierher zu fahren 2 fl und im Ankauf 1 fl 10 kr. Daß eine große Menge Ruthen erforderlich geweßen, ist leicht zu erachten, da die alten meist verfault wahren. Hanauer Thielen [Dielen kostete das Stück 15 auch 16 kr. Dieser sind gewiß auch biß hierher bey 2000 Stück draufgangen.
Zu Mittbaumeister habe gehabt von seiten der Stadt den dazumahligen Stadtbaumeister Johannes Koch, geschückter Bauman und Schreinermeister, dann Georg Melchior Weylant, Wolletuchmacher, Ludwig Schrump, Huthmacher, der im Jahr drauf im Weinmeisteramt starb. Im Jahr 1791 bauthe mit Herr Baumeister Henrich Gottfried Hill, Schumacher. Burgemeister wahren in ersten Jahren Herr Jacob Koch, Becker, sodann Herr Joh. Gerg Hartman, Becker, und letztlich Herr Melchior Ploch, Löber, im 91igste Jahr.
Geistliche wahren dieser Zeith Herr Professor Henrich Gottlob Schwartz, welcher im Frujahr 1788 gestorben. Nach diesem kahm als Inspector hierher Herr Pastor Vietor von Großelinten. Zweyter Pfarrer wahr und ist Herr Christopf Schmidt. Erster Beamter wahr Herr Regirungsrath Licentiatus und Amtman Conrath Hallwachs, der auch 1790 gestorben, worauf sein Herr Sohn, Herr Hoffrath und nunmehriger Regirungsrath Georg Hallwachs seinem Herrn Vatter succedirte Sindicus wahr Herr Mingeroth, der zu Ende 1789 die Welt verließ. Hierauf folgte Herr Gerichtschreiber als nunmehriger Sindicus Reitz, deß hocherwürdigen Herrn Pfarrers zu Romroth älster Sohn.
Daß die Handwercksleuthe und also auch die Steindecker nicht um geringen Lohn arbeiten kännen, ist daraus abzunehmen, weilen zu der Zeith und schon [Seite-4] lange Jahre her eine sehr merckliche Theurung im gantzen Reich geherscht, so daß immer die Meste Korn 1 fl auch offt trüber gegolden, und so alle Lebensmüttel biß auf die geringste Bedürffnüße in hohem Preiß wahren.
Diese wenige Nachricht habe bey dem Vorfall, da dieser Knopf anno 1791 abgenommen werden muste und den 18ten juni 1791 wieder aufgesteckt wurde, unserer lieben Nachkommenschafft zurückzulaßen, vor Schuldigkeith gehalten. Gott, der allmächtige und immer güthige Vatter, Versorger und Erhalter der Menschen, gebe, daß wenn nach Jahrhundert dieses zum Vorschein komt und gelesen wird, unser liebe Nachkommenschafft alsdann in den herlichen Zeiten leben, die wir ihnen wünschen. Die gegenwertige sind mühseelig und fast fürchterlich für Warten der Dinge, die entstehen mächten, da es so sehr unruhig in fast allen Reichen aussiehet. Indeßen leben wir noch in unserem Landt unter der Regierung deß besten Fürsten, Ludwig deß Zehnten, in steder Ruhe. Gott seegne diß Fürstenhauß, das an Güthe und Milde nicht viel seines gleichen hat. Amen.
Alßfeldt, den 18ten juni 1791
Johan Christian Welcker, Fürstlicher Land-Commissarius und Pietantz-Vorsteher
Mein Vatter wahr Herr Otto Christopf Welcker, allhier Pfarrer [1683-1748; Pfarrer zu Alsfeld 1715]. Unsrer Geschwister wahren immer 8te bey Leben; aber itzo nur noch 4. Nemlich ein Schwester nahmens. Philipine [1722-1797], deß Pfarrer Möllers Witwe, gestanden in Landenhaußen, itzo lebt sie im Seegen bey ihrem Sohn, der Pfarrer in Biedingen ist. 2) Mein Bruder ist Pfarrer in Grebenau, heist Georg Casemir 1724-1800]. 3) Mein Bruder ist Pfarrer in Geminten an der Wohr [Gemünden an der Wohra bei Marburg], heist Friderich [1733-1799], und dann bin ich [1735 bis 1821]. Drey Brüder und eine Schwester sind gestorben; der älste [Heinrich Martin 1720-1779] wahr Marsch-Commissarius und Amt-Schultz in Butzbach, der eine [Conrad Eberhard 1728-1762] wahr Handelsman in Schotten, und der 3te [Ludwig 1729-1787] Pfarrer in Merlau und die Schwester [Christiane Marie Eleonore 1744–942] hatte den Pfarrer Amendt in Echzel. Ich habe 2 Kinder; der Sohn ist Rector in Grebenau [Seite-5] [Friedrich 1770-1841; zuletzt Pfarrer in Groß-Gerau), und die Tochter (Christiane geb. 1766] ist verheurath an Pfarrer Münch in Nieder-Geminten. So wie der allgüthige Vatter im Himmel die Verstorbene seine Herlichkeit genießen laßen wolle in vollem Mahs, so halte Er erdie noch Lebende in Seinem Seegen.“
(Zeichnungen von Regierungsbaumeister Fischer)
Erstveröffentlichung:
Dr. Eduard Edwin Becker, Aus der Baugeschichte der Walpurgiskirche zu Alsfeld, in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 1. Reihe, Nr. 8, 1905, S. 1-5.
[Stand: 17.04.2024]