Ersterwähnung Alsfelds

Von Dr. Herbert Jäkel, Alsfeld (1994)

Vor 925 Jahren wurde Alsfeld zum ersten Male in einer Urkunde unter der Bezeichnung „adelesfelt“ erwähnt.

Es handelt sich um ein Diplom des Königs und späteren Kaisers Heinrich IV., das in Mühlhausen im Jahre 1069 ausgestellt wurde, aber unvollständig blieb, weil das königliche Siegel sowie das Signum, das Monogramm mit dem Strich des Königs, fehlen.

Das Original, das in schlichten Urkundenminuskeln des 11. Jahrhunderts geschrieben worden ist, befindet sich im Hessischen Staatsarchiv Marburg und gehört zu den Fuldaer Kaiserurkunden. Es misst 50 mal 31 cm und zeigt größere freie Räume zwischen Kontext und Datierung und unterhalb dieser für Unterschriften und Siegel.

Die Urkunde von 1069

Das Diplom Kaiser Heinrichs IV. von 1069

Der Text der lateinisch geschriebenen Urkunde lautet in der Übersetzung:

„Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit. Bekannt sei allen Getreuen, den zukünftigen wie den jetzt lebenden, wie mit Gottes Hilfe der Streit beigelegt wurde, den die gerichtliche Untersuchung über die Zehnten zwischen dem Mainzer Erzbischof Siegfried und dem Fuldaer Abt Widerad hervorrief. Denn da der Erzbischof wie von den übrigen Bewohnern seines Sprengels auch von den Unfreien und Bauern des heiligen Bonifatius die Zehnten für sich beanspruchte, der Abt von Fulda aber versicherte, diese Zehnten seien durch Privilegien der römischen Päpste, die durch deren Bann bekräftigt seien, und durch Urkunden von Königen und Kaisern dem Kloster Fulda zugestanden worden, entstand über diese Zehnten zwischen ihnen ein nicht geringer Streit, indem der Erzbischof zwar den Zehnten verlangte, der Abt aber die Zahlung nicht zugestand. Da der Erzbischof und der Abt durch Verhandlungen von sich und ihren Leuten aus den Streit allein nicht beenden konnten, gefiel es den beiden und ihren Getreuen, um die Sache von einer höheren Gerichtsbarkeit behandeln zu lassen, sie vor dem König und den übrigen Fürsten sorgfältig zu untersuchen. Nachdem die Forderung des Erzbischofs und der Widerspruch des Abtes vor den Fürsten sorgfältig erörtert waren, wurde, um dauerhaften Frieden und Eintracht zwischen ihnen, ihren Nachfolgern und der jeweiligen Anhängerschaft (familia) herzustellen, gemäß dem Spruch König Heinrichs IV. und dem Rat vieler anderer von beiden bekräftigt, dass sie unter folgender Bedingung von jeder weiteren Zwietracht ablassen würden. Es wurde also festgelegt, dass von dem Lehen der Vasallen des Abtes in Thüringen dem Erzbischof der Zehnte bezahlt werden solle, dass aber diesen Vasallen von diesen Zehnten durch den Erzbischof so viel zurückgezahlt werden solle, wie ihnen schon früher von dem Ertrag der Zehnten gezahlt wurde. Auch wurde beschlossen und bekräftigt, dass an allen Orten, die dem heiligen Bonifatius innerhalb seiner Parochie zustehen, von Höfen, Kirchen, Ländereien, Rodungen, Dörfern, Gütern und Lehen von Klerikern und Ministerialen‚ von den Halbfreien, die drei Tage Frondienst leisten, von Freien, Hufenbauern und Slawen, und was es sonst noch gibt, ohne Widerspruch dem Abt der Zehnte verbleiben solle, und dass der Erzbischof und seine Geistlichen keine Macht haben sollen, bei diesen Leuten etwas zu fordern. Weiterhin ist festgelegt worden, dass zur Bekräftigung der Übereinkunft der genannte Erzbischof und seine Nachfolger weder in Adelesfelt, Rodoheim, Widenehart noch sonstwo in der gesamten Diözese die Verwalter des genannten Ortes (Fulda) durch irgendeine Forderung beunruhigen sollen.

Im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1069, 7. Indiktion, geschehen in Mühlhausen; und dies sind die Zeugen, die es sahen und hörten: König Heinrich IV., Erzbischof Anno von Köln, Bischof Burchart von Halberstadt, Bischof Ebbo von Zeitz, Bischof Benno von Osnabrück, Kanzler Bibo, Hiltibolt, Burchart, Herzog Otto von Bayern, Markgraf Deti und sein Sohn Deti, Graf Bernhart, Graf Dammo, Erkenbert, Adalbert, Bobbo, Diederih, Friderih.“

Zur Datierung

Bei dieser Urkunde handelt es sich also um eine Aufzeichnung, die die Beilegung des Zehntstreites zwischen dem Erzbischof Siegfried I. von Mainz (1060-1084) und dem Abt Wiederad von Fulda (1060-1075) betraf und im Beisein des Königs Heinrich IV. (1056-1106) in Mühlhausen im Jahre 1069 und zwar Ende April/Anfang Mai stattfand. Die Datierung ergibt sich aus dem Hinweis auf die 7. Indiktion und aus dem Itinerar Heinrichs IV..

Die Datierung nach der Indiktion verursacht allerdings insofern Schwierigkeiten, als es drei Arten gibt; seit 1019 hat sich zwar in Deutschland die Neujahrsindiktion durchgesetzt, die jedoch vom 25. Dezember oder vom 1. Januar ausgeht.

Das Itinerar der mittelalterlichen Herrscher, das nach den örtlichen und zeitlichen Angaben ihrer ausgestellten Urkunden festzustellen ist, lässt ihren Reiseweg und ihre Aufenthaltsorte erkennen. Das Weihnachtsfest hatte Heinrich IV. in Goslar, wo er am 3. Januar 1069 belegt ist, das Osterfest am 12. April bei seiner Schwester, der Äbtissin Adelheid in Quedlinburg begangen. Darauf kam er nach Thüringen, wo er in Mühlhausen als Vermittler und Schiedsrichter den hier genannten Verhandlungen beiwohnte, in denen es um die strittigen Zehnten zwischen Mainz und Fulda ging. Das Kloster Fulda wurde dabei im Umfang seines früher ausgeübten Zehntrechtes bestätigt, während weitergehende Ansprüche der Mainzer Kirche abgewiesen wurden. Nach diesen Verhandlungen zog Heinrich IV. nach Mainz, wo er das Pfingstfest feierte und am 1. Juni urkundete. Damit ist der Aufenthalt in Mühlhausen auf Ende April, Anfang Mai des Jahres 1069 einzuordnen.

Die Zeugen

Neben dem König traten als Zeugen auf: der Erzbischof Anno II. von Köln (1056-1075)‚ die Bischöfe Burchard II. von Halberstadt (1059-1088), Ebbo von Zeitz (1045-1079) und Benno II. von Osnabrück (1068-1088), der Kanzler Bibo, die vermutlichen Bischöfe Hiltebolt und Burchart, Herzog Otto von Bayern (1061-1070), Markgraf Dedi von Wettin und sein Sohn, die Grafen Bernhard von Hechlingen, Dammo, Erkenbert, Adalbert von Ballenstedt, Poppo von Henneberg, Dietrich von Katlenburg und Pfalzgraf Friedrich II. oder III. von Sachsen. Dies sind Personen, die oft in Begleitung des Königs und bei Beurkundungen als Zeugen auftraten. Eine Bekräftigung durch Zeugen bedurfte eine Königsurkunde eigentlich nicht. Erst während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. und als dieser der Obhut seiner Mutter entrissen war, wurde es üblich, alle angesehenen Fürsten, die zugegen waren, als Fürbitter und Berater des Königs aufzuführen, in der Absicht, die getroffene Entscheidung durch ihre Autorität zu unterstützen. Seit dem 12. Jahrhundert erscheint für sie ausdrücklich die Bezeichnung „testes“ (Zeugen). Sie werden am Ende des Textes aufgezählt und zu einem Merkmal einer feierlichen Handlung.

Die umstrittenen Zehnten

Der Zehnte war seit dem 6. Jahrhundert die wichtigste Abgabe der Laien an die Kirche, die den Zehnten aufgrund der mosaischen Gesetze verlangte und zur Unterhaltung des „parochus“ (Pfarrers) bestimmte. Hatte der Staat seit den Karolingern diesen Anspruch der Kirche unterstützt, so gab es wegen der Zehnten häufig Streitigkeiten.

War ein größerer Bezirk zehntpflichtig‚ nahm man an, dass damit auch jedes einzelne Grundstück zehntpflichtig sei. Während die Kirche darauf bestand, dass die Zehntfreiheit im einzelnen Fall nachzuweisen sei, verlangte der Staat, dass die Kirche ihr Zehntrecht nachweisen müsse. Die Zehnten, als Naturalabgabe meist kaum 10 Prozent betragend und als Reallast auf dem Grundbesitz lastend, wurden in erster Zeit vom Bischof, bald aber auch von Klöstern, Stiftungen, Domkapiteln erhoben. Daneben gab es Laienzehnten aufgrund von Belehnungen, durch Besitz einer Eigenkirche oder mit Hilfe von Usurpation.

Verwandte im Streit

Im Falle von Alsfeld ist der Streit um die Zehnten von besonderem Interesse. Erzbischof Siegfried von Mainz und Abt Widerad von Fulda, die sich wegen der Zehnten stritten, waren miteinander verwandt und über das Geschlecht des Grafen Gerhard sowohl mit dem Burggrafen von Mainz als auch mit den Vögten von Fulda verbunden. Beide behaupteten, Besitzrechte in Alsfeld zu haben, wobei sie ängstlich jede Auseinandersetzung vermieden und schließlich eine höhere Instanz zur Beurteilung anriefen. Das geschah, als der König in Mühlhausen weilte. Geradezu zur Bekräftigung der Übereinkunft in Mühlhausen 1069 legten sie fest, dass der Erzbischof und seine Nachfolger weder in Alsfeld, Rodheim an der Horloff bei Gießen und dem unbekannten Widenehart – den einzig benannten Orten in der Urkunde – noch sonstwo in der gesamten Diözese die Verwalter Fuldas durch irgendeine Forderung beunruhigen sollen.

Ist Alsfeld noch älter?

Hier ist zu fragen, ob die Zehnten von Anfang an Fulda als dem älteren Kirchenbezirk, in dem sie erhoben wurden, zustanden oder ob Fulda erst durch die Vergabe von Reichsgut in den Besitz dieser Rechte gekommen war. Immerhin ist es auffallend, dass sich gerade im Straßengebiet der „Kurzen Hessen“ mainzische, fuldische und hersfeldische Kirchengüter häufen, womit eine besondere Reichspolitik der Könige sichtbar wird, sich auf die Reichskirche zu stützen. Seit dem „Ottonischen Regierungssystem“ wurden große Schenkungen aus dem Königsgut an die Kirche vermacht. Wenn wir es in Alsfeld mit ehemaligem Reichsgut zu tun haben, das mit bestimmten Rechten an Fulda gefallen war, und wenn uns das Patrozinium der Alsfelder Stadtkirche, St. Walpurgis, Veranlassung gibt, hier konradinischen Besitz zu vermuten, dann liegt die Frage nahe, ob Alsfeld als Hofsitz der Karolinger schon von Karl dem Großen gegründet wurde. Mit den Grabungsbefunden in der Walpurgiskirche und an der „Burg“ sowie mit der Deutung des Namens „adelesfelt“, und zwar der Endsilbe in Verbindung mit einem Personennamen sind wir im 9., mit den merowingischen Scherben in der Steinborngasse mindestens im 8. Jahrhundert. Demnach gehört Alsfeld zu den Siedlungen, die in dem Prozess der Frankisierung des europäischen Kernraumes entstanden waren.

Quellen siehe:
Herbert Jäkel: Zur Frühgeschichte Alsfelds. Gedanken – Deutungen – Aufgaben, in: Geschichts- und Museumsverein Alsfeld: Festschrift zur 750-Jahr-Feier der Stadt Alsfeld, 1972, S. 23-40 u. dortige Quellenangaben.

Die Veröffentlichung der Texte des Autors im Rahmen des Internetprojekts
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Erstveröffentlichung

Herbert Jäkel: Vor 925 Jahren. Ersterwähnung Alsfelds, in: Heimat-Chronik, 11. Jahrgang, 1994, Heft 4, S. 1-2.

Vertiefungsliteratur

Spaar, Otto: Vom Dorf Alsfeld und seinem Raum, in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 10. Reihe, Nr. 12, 1966, S. 241-267, hier S. 243, 246, 260, 262.

Jäkel, Herbert: Zur Frühgeschichte Alsfelds. Gedanken – Deutungen – Aufgaben, in: GMV Alsfeld (Hrsg.): Festschrift zur 750-Jahr-Feier der Stadt Alsfeld, 1972, S. 23-40, hier: 22, 30, 34, 40.

Jäkel, Herbert: Alsfeld – Europäische Modellstadt, in: Hessische Heimat, 35. Jahrgang, 1985, Heft 2, S. 47-48, hier: S. 47.

Jäkel, Herbert: Die mittelalterlichen Befestigungsanlagen der Stadt Alsfeld. Entstehung – Zerstörung – Erhaltung, in: Mitteilungen des Geschichts- und Museumsvereins Alsfeld, 13. Reihe, Nr. 9/10, 1986, S. 129-190, hier: S. 131.

Jäkel, Herbert: Kleine illustrierte Geschichte der Stadt Alsfeld. Festgabe des Geschichts- und Museumsvereins Alsfeld aus Anlass seines 100-jährigen Bestehens 1897-1997, Alsfeld 1997, hier S. 10, 11, 12.

[Stand: 01.01.2024]