Die Belagerung und Einnahme der Stadt Alsfeld durch die Niederhessen im Jahre 1646

Von Archivrat Dr. Fritz Herrmann, Staatsarchivar in Darmstadt (1922)

Im Dreißigjährigen Kriege stand Hessen-Darmstadt, obwohl lutherisch, auf Seiten des Kaisers und der katholischen Liga, das reformierte Hessen-Kassel dagegen auf Seiten der protestantischen Union. Der anfängliche Sieg der kaiserlichen Waffen hatte zur Folge, dass die Entscheidung in dem langjährigen Streit der beiden Hessischen Linien um die sogenannte Marburger Erbschaft im Jahre 1623 dahin fiel, dass Landgraf Moritz von Kassel das Marburger Land an Ludwig V. von Darmstadt herausgeben und diesem außerdem eine ungeheure Summe als Entschädigung für entgangene Einkünfte zahlen musste, für deren Sicherheit der Freund des Kaisers mit dessen Genehmigung weiteres Kasseler Land besetzte. Im sogenannten Hauptakkord vom Jahre 1627 und dem Vergleich von 1636 bequemte sich Hessen-Kassel angesichts der Stärke des Darmstädters und der Erschöpfung des eigenen Landes zur endgültigen Anerkennung seiner Niederlage, nachdem Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt auf die erwähnte Entschädigungssumme verzichtet und die als Pfänder besetzten niederhessischen Ämter geräumt hatte. Moritzens Sohn Wilhelm V., nach dessen im Jahre 1636 erfolgtem Tode der genannte Vergleich geschlossen wurde, hatte durch den Anschluss an Schweden und Frankreich seine Lage nicht verbessern können. Trotzdem hielt seine tatkräftige Witwe Amalie Elisabeth als Regentin für den unmündigen Thronerben an der Politik ihres Gatten fest und verlangte bei den zu Münster und Osnabrück beginnenden Friedensverhandlungen, dass die Marburger Erbschaftssache hier mitverhandelt und die getroffenen Entscheidungen revidiert würden. Schließlich hat sie, um im Augenblick der endgültigen Regelung so stark wie möglich dazustehen und Unterpfänder in der Hand zu haben, im Jahre 1643 mit Zustimmung ihrer auswärtigen Verbündeten die Waffen gegen Hessen-Darmstadt ergriffen und zwei Jahre später den sogenannten Hessenkrieg begonnen, in dem sie im Ganzen siegreich blieb, während der vom Kaiser unterstützte Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt unterlag.

Belagerung der Stadt Alsfeld im Hessenkrieg 1646
Unbekannter Künstler – Foto: GFA

Die an das niederhessische Gebiet grenzende Stadt Alsfeld hatte unter dem Streite der beiden hessischen Linien naturgemäß ganz besonders zu leiden. [Seite-114] Am 5. November 1643 musste sie den Truppen des Kasselischen Generalwachtmeisters Johann Geiso, der von seinem Hauptquartier Kirchhain aus das darmstädtische Oberhessen brandschatzte, die Tore öffnen und eine starke feindliche Einquartierung aufnehmen, die über zwei Jahre unter dem Kommando des Oberstleutnants Albrecht von Rauchhaupt blieb. Wenn dieser persönlich auch ein gerechtdenkender und zur Milde geneigter Mann war – dem Kaplan Mag. Georg Eberhard Happel war er schon um seines Luthertums willen sympathisch [01] –, so musste er dem ohnehin ausgesogenen Landstrich doch die Verpflegung für seine eigenen Leute und die vom Hauptquartier aus angeforderten Lieferungen abpressen. Glimpflich gings bei diesen Requisitionen nicht zu, und vielfach zogen es die Bauern in Stadt und Land vor, den Acker unbestellt zu lassen und zu entweichen. Als besonders kränkend empfand man in Alsfeld das Schimpfen der niederhessischen Soldaten auf Landgraf Georg II., den sie den „Armstädter“ nannten und dem sie prophezeiten, dass er noch Besen machen müsse. Mag. Happel sieht darin „eine grausame Bitterkeit und Feindschaft, um die arme betrangte Leute nur desto mehr zu betrüben, zu ängstigen und zu quälen“ [02]. [Seite-115]

Erst als im Sommer 1646 dem Darmstädter Landgrafen kaiserliche Truppen unter Erzherzog Leopold Wilhelm von Österreich und den Generalen Hatzfeld, Geleen und Johann von Werth zu Hilfe gesandt wurden, bequemte sich die hessen-kasselische Besatzung zum Abzug aus der Stadt, der am 25. Juni erfolgte. Aber die Bürgerschaft merkte bald, dass sie nur aus dem Regen in die Traufe gekommen war: am gleichen Tage schon rückten Bayern an und verlangten Proviant, und dasselbe taten in den nächsten Wochen die Kaiserlichen ununterbrochen. Ja am 5. Juli erzwangen sich trotz des Widerstandes des hessischen Oberstleutnants Wagner vom Springsfeldischen [Seite-116] Regiment achtzig kaiserliche Dragoner mit Einschlagen des Fulder Tores den Eintritt in die Stadt und führten sämtliche Vorräte auf achtzig Marketenderwagen unter dem Jammern der Einwohner mit sich fort. Zu der erwarteten Schlacht zwischen dem schwedisch-niederhessischen und dem kaiserlich-darmstädtischen Heere kam es jedoch nicht, vielmehr zogen die Kaiserlichen nach einigen Scharmützeln, angeblich wegen Mangels an Lebensmitteln und wegen einer Pferdeseuche, in die Wetterau und von da an den Main zurück. Die Schweden und Niederhessen folgten ihnen, nachdem sie sich zuvor mit einem französischen Heere unter Turenne vereinigt hatten. Generalmajor Geiso aber trennte sich in Aschaffenburg von den Verbündeten und zog mit seinen Niederhessen in die Heimat zurück, um die Darmstädter in Schach zu halten. Doch wurde er am 18. August von dem hessen-darmstädtischen Oberbefehlshaber Generalleutnant Ernst Albrecht von Eberstein in der Nähe von Ziegenhain geschlagen und musste unter anderem die Stadt Kirchhain den Oberhessen überlassen. Sehr rasch aber gelang es ihm dann, seine Truppen wieder zusammenzufassen und am 2. September die verlorene Stadt zurückzuerobern und ihre Befestigung zu demolieren. Seine Absicht war nunmehr, sich auch Alsfelds wieder zu bemächtigen. [03]

Von der Gefahr, welche der Stadt drohte, hatte der Kommandant Oberstleutnant Paul Seidler vom Ebersteinschen Regiment den Oberstkommandierenden Generalleutnant von Eberstein bereits Ende August benachrichtigt und ihn darauf aufmerksam gemacht, dass die Niederhessen sich verstärkten und u.a. auch ihre in das Erzstift Köln abkommandiert gewesenen Truppen wieder an sich zögen. Wie sehr Eberstein diese Gefahr unterschätzte und wie er Seidler wegen seiner Warnung abkanzelte, zeigt sein bisher unbekanntes Schreiben aus Gießen vom 1. September. Hier heißt es [04]:

„Wie wohl ich ihme albereits gestern geschrieben, dass an den verflogenen zeitungen nichts sey, so schreibt er mir gleichwohl wiederumb ein ganzen brief voll, so mir dato zwar wohl behändigt, aber nicht das geringste daran ist, weil Rabenhaupt annoch über Rhein und kein schwedenmann lebt, welcher mit ihme herauf gehen kann oder wird; und ob er gleich ankäme, so hab ich ihn lang gekennet, dass er uns wohl lassen wird und nicht der geringste poste umb seiner ankunft willen unmanuteniret bleiben soll. darnach sich auch der herr mit Alsfeld richten und solches auf sein ehr und hals manuteniren soll, dann solcher ort manuteniret werden soll und muß. sofern wann ich nur möchte wissen, ob der herr obristlieutenant den platz seiner ehr und charge zu gering achtete, ich ihn stündlich wollte ablösen lassen: dann wann man sich an solche flogmehrige [05] avisen geben thut, welcher die Hessen vielmehr ertichten können, so wird man endlich selbst confundiret und hilft dazu, dass die soldaten und bürger den mut auch verlieren, als dann es endlich einmal gehet als wie zu [Seite-117] Blankenstein [06]. Ich darf des herrn obristlieutenants avisen ihrer fürstl. gnaden nicht vortragen, sondern muß mich schämen, weil an der parthey, so vor Kirchhain soll gewesen seyn, auch nichts ist. also wird der herr obristlieutenant künftig mit solchen avisen seiner selbst verschonen [07].“

Doch hielt es Eberstein nach dem Fall von Kirchhain für angebracht, seine Truppen näher an Alsfeld heranzuführen. Er erreichte am Abend des 9. September Romrod und brach am 10. von da nach Alsfeld auf, konnte jedoch wegen des eingetretenen schlechten Wetters sein Geschütz nicht weiter als bis nach Altenburg bringen, wo er vier Tage lang auf dem Schlosse der Herren von Schätzel zu Merzhausen Quartier nahm. Von hier aus besichtigte er die Stadt Alsfeld und ihre Befestigungen zusammen mit dem Ingenieurhauptmann Helfrich Müller, welcher erklärte, dass er den Platz fester machen könne als Gießen [08], und bis zum Ende des Monats eifrig an dem Ausbau und der Verstärkung der Stadtumwallung arbeiten ließ [09]. Auf Ebersteins Wunsch sandte der Landgraf aus dem Gießener Zeughaus einen Wagen voll Schaufeln und Spaten zu dieser Arbeit und überwies außerdem bestimmte noch ausständige Strafgelder der Baukasse [10]. Zu den Schanzarbeiten wurden nicht nur die Soldaten und die Bürger, sondern auch die Bauern aus den Ämtern Lauterbach und Grebenau herangezogen. Doch blieben diese, wie der Kommandant Seidler am Ende des Monats in einem Bericht an Eberstein klagt, aus und verhinderten so die rechtzeitige Fertigstellung des geplanten Werkes.

Zu einer größeren Aktion gegen die Niederhessen schien jetzt die Zeit gekommen zu sein, da der kurkölnische General Peter Melander, Reichsgraf von Holzappel, mit beinahe tausend Mann zu Fuß und Ross zur Unterstützung Landgraf Georgs II. heranrückte und sich am 14. September in Kirtorf mit den Truppen Ebersteins vereinigte. Doch hielt sich Geiso unter dem Schutz der Kanonen von Ziegenhain, so dass es nur zu einzelnen [Seite-118] Scharmützeln kam. Und da Holzappel bereits am 21. September von dem Kurfürsten von Köln zum Entsatz der von Rabenhaupt belagerten Festung Zons [11] wieder zurückgerufen wurde, weil man nicht „zwei Hasen auf einmal fangen“ könne [12], war schließlich für Hessen-Darmstadt weiter nichts erreicht worden, als dass Kirchhain wieder hatte besetzt werden können und nun von neuem als Stützpunkt ausgebaut wurde. Den Niederhessen aber stieg infolge des Abzugs Melanders der Mut, und der Anschlag auf Alsfeld wurde nun aus geführt. Eberstein tröstete den Oberstleutnant Seidler, der auf das Schlimmste gefasst war, in einem Schreiben aus Kirchhain am 29. September mit den Worten: „Weil dann der herr obristlieutenant gute mannschaft, gute officirer und eine gute bürgerschaft bey sich hat, so ist mir an allem kein zweifel, sie ihres feindes erwarten und sich als redliche leute präsentieren werden. falls dann der herr generalmajor Geyse sich underwinden wird, einen oder den andern unser posten zu attaquiren, so ist ein jeder des gewissen succurses versichert. dann wir innerhalb 48 stunden eine solche gesellschaft bey uns haben werden, damit wir dem feinde also zusprechen wollen, dass er verhoffentlich nicht wissen soll, wie er von dem ort abkommen möge“ [13]. Leider sollte diese Hoffnung nicht in Erfüllung gehen.

Am Nachmittag des 30. September, einem Mittwoch, erschien Generalmajor Geiso vor der Stadt und zwar, wie Mag. Happel in seiner Chronik berichtet, mit 12 Kartaunen und 2 Feuermörsern und lagerte sich im Nordwesten „von der Leimenkaute an bis an den Frauenberg“, welch letzterer mit dem ummauerten Friedhof sein natürlicher Stützpunkt wurde. In Homberg an der Ohm wollte man wissen und meldete dem Landgrafen nach Gießen, dass Geiso vor Alsfeld nur 600 Mann Infanterie und 15 Kompagnien Reiter habe und dass diese Truppen „in ziemlicher furchten stünden“ [14]; doch war bei letzterer Ansicht wohl mehr der Wunsch der Vater des Gedankens – jedenfalls haben sich die Niederhessen auch dadurch in ihrer Aktion nicht stören lassen, dass Eberstein „mit partheyen gegen den feind nicht gefeyert“ [15] hat. Die beiden ersten Tage wurden zur Aufstellung der Artillerie benutzt. Doch erwähnt Happel, dass der Gegner am 1. Oktober die Holzmühle, deren Lage ich nicht kenne, eingenommen habe, von dreißig Bürgern aber daraus wieder verjagt worden sei. Am 2. Oktober begann die Beschießung. Wenn Mag. Happel recht hätte, wären an diesem Tage nicht weniger als 352 Kanonenschüsse auf Mauern und Türme abgegeben und etwa 500 Brandkugeln in die Stadt geworfen worden, wodurch elf Gebäude in Feuer aufgingen. Dass diese Angaben übertrieben sind, geht aus der Meldung des Kommandanten Seidler an Generalleutnant von Eberstein hervor, die sich in dessen Bericht an den Landgrafen noch erhalten hat. Seidler schreibt noch am Abend des genannten Tages: „dass der [Seite-119] feind von 5 biß wieder 5 uhr continuirlich geschoßen und uber 50 cranaten eingeworfen, acht heußer und scheuern, viel frucht verbrandt, die breche hat er hinter dem alten renthof angefangen, aber von der mauer nichtes hinweg schießen können, sondern nur die brustwehr an etzlichen orten und den kleinen thurm hinter dem renthof, dardurch all sein kraut und cranaten verschoßen und umb 4 uhr 16 wagen, andere zu holen, naher Ziegenhain geschickt. würd also morgen die angefangene breche vollführen. habe mich zimblich gegen derselben verbauet, dass wir sambtlich gesinnet sein, seinen sturmb abzuwarten, auch mit der hülfe gottes abzuschlagen. allein die arme bürger fürchten sich des brandes wegen frucht und strohes, sie thun bey mir wie ehrliche leute mit wachen und arbeiten, wie die soldaten, wünsche sie nicht beßer, seind resolvirt leib und gut ufzusetzen“ [16]. Am Samstag dem 3. Oktober ließ Geiso das Geschütz näher an die Stadt heran in den Liedengarten bringen, und es gelang ihm, von hier aus durch sein Feuer die Bresche zwischen dem Luthertürmchen und dem Mainzertor so zu erweitern, dass er am Nachmittag zum Sturme schreiten konnte. Doch wurde dieser durch die Tapferkeit der Soldaten und der Bürger ohne jeden Verlust für diese blutig abgeschlagen. Happel vergisst nicht bei seinem Bericht über diesen Tag zu bemerken, dass während des Sturmes ein schöner Regenbogen über der Stadt gestanden und die Belagerten nicht wenig getröstet und ermutigt habe. Während des Sturmes waren über 100 Niederhessen durch die Bresche in den am Schneppenhain stehenden Alten Renthof eingedrungen, mussten ihn aber, da Oberstleutnant Seidler das Gebäude in Brand stecken ließ, unter Verlust etlicher Leute, die in dem Feuer umkamen, alsbald wieder räumen. Dass Landgraf Ernst von Hessen-Kassel, der jüngste noch lebende Bruder des Landgrafen Moritz, der sich bei den Truppen Geisos befand, bei dieser Gelegenheit verwundet und nach Ziegenhain gebracht worden sei, wie nach Gießen berichtet wurde, war bloßes Gerücht. Die Brandgranaten waren auch während des Stürmens weiter in die Stadt geschleudert worden; jetzt, nachdem der Sturm missglückt war, setzte die gesamte Artillerie mit erneuter Beschießung wieder ein und warf nach Mag. Happels Aufzeichnungen 80 Bomben und Granaten, deren eine im Gewicht von 160 Pfund in den Chor der Walpurgiskirche fiel, hier die gemalten Fenster, die Empore und die beiden Orgeln zerschmetterte und eine Frau samt ihrem Kinde so verletzte, dass beide starben. Auch die steinerne „Grundsäule“ im Chor, auf welcher das mannshohe Kruzifix stand, wurde, wie die Gilsa-Leußlersche Chronik berichtet [17], völlig zerschlagen, ohne dass jedoch das Kruzifix selbst gelitten hätte; ebenso wurde der „güldin schrank“, das Altarschnitzwerk, stark beschädigt. In der Nacht brannten 16 Gebäude zu gleicher Zeit. „Da ist großer Schrecken gewesen, und ist niemand sicher gewest fur den Granaden; jedermann hat sich vom übrigen wehrlosen Volk in die Kirch retiriret, haben sich daselbst des lieben Gebets befliesen“, schreibt Happel. [Seite-120]

Diesen schlimmen 3. Oktober [03.10.1646] wollte offenbar der unbekannte Maler der Votivtafel festhalten, die von einem gleichfalls Unbekannten wohl bald nach den hier erzählten Ereignissen in den Chor der Walpurgiskirche gestiftet wurde und sich bis auf unsere Tage erhalten hat. Wir geben das Bild unter Weglassung von Über- und Unterschrift in der Beilage wieder [18]. Es lässt die Haupt-Artilleriestellung am Liedengarten und die von da bis an den Fuß des Frauenberges postierten einzelnen Geschütze erkennen, auch die drei Mörser, deren einer gerade die verhängnisvolle Bombe auf das Chordach schleudert. Die Bresche zu beiden Seiten des stark zerschossenen Hundsturmes zeigt die Einbruchstelle der Niederhessen. Über der Stadt wölbt sich der Rettung verheißende Regenbogen. Auch einen Kometen hat der Künstler an den Himmel gesetzt, obwohl von der Erscheinung eines solchen in den Tagen der Belagerung sonst nichts verlautet [19]. Die allegorische Darstellung in den Wolken, das die Stadt [Seite-121] versinnbildlichende Schiff im Sturm, wird durch die Unterschrift des Tafelbildes erklärt: „Das Schifflein war sehr hart betrengt, doch ist es Gott lob unversenkt“.

In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober [04.10.1646] , den Sonntag, rückten die Feinde bis an die Stadtmauer heran, ohne dass man sie daran hindern konnte, weil die Munition ausgegangen war. Geiso benutzte den sonst ruhigen Tag zur Anlage einer Mine gegen das Mainzertor, da, wie Happel berichtet, „die Stadt sich zu keinem Accord verstehen wollte“. Der General scheint also zuvor die förmliche Aufforderung zur Übergabe an die Belagerten gerichtet zu haben, die diese jedoch trotz ihrer schlimmen Lage in der Hoffnung auf baldigen Entsatz ablehnten. dass sie sich um diesen auch durch Botschaften bemühten, deren Träger zur Nachtzeit über die Mauern herabgelassen wurden, zeigt das Schreiben eines ungenannten Beamten an den Generalleutnant von Eberstein vom 5. Oktober, welches von dem Anfang des niederhessischen Minierens berichtet und dann fortfährt: „deswegen mit der stadt höchstweinentlichen bitten, solches an ew. exz. herrn generallieutenant zu berichten, begehrt wird, wo möglich heint oder morgen beistand zu laisten. könnten sonsten die notleidente wegen allerhand mangels und trangsals nicht lenger ausdaurern, und dörfte allsdann, weilen die bürgerschaft ein groses mit jegenwehr sich vernehmen lassen, sehr übel und verderblich hergehen“.

Die ersehnte Hilfe blieb aus. Am Vormittag des 5. Oktobers [05.10.1646] ging die Mine auf – Seidlers Gegenminieren hatte dies nicht mehr verhindern können –, und der Mainzertor-Turm stürzte samt einem Stück der Stadtmauer ein. Der dann einsetzende Generalsturm brachte die Niederhessen zwar in den Besitz des Tores, aber nicht den der Stadt und kostete sie überdies zahlreiche Mannschaften und Offiziere, darunter einen Grafen von Kirchberg und zwei Majors; als verwundet nennt Happel den Oberstleutnant Stockheim und den Kapitän Sehr; aus unseren Akten ergibt sich weiter die Verwundung des Hauptmanns Bernard Schneider aus Stuttgart [20]. Als um die Mittagszeit die Niederhessen ihr Geschütz von dem eroberten Stadttor und der Bresche aus auf die Häuser der Bürgerschaft richteten, wurde dieser und der Besatzung die Nutzlosigkeit weiteren Widerstandes klar; der Mangel an Munition und das Schwinden der Hoffnung auf den Entsatz ließ ihnen keine andere Wahl als zu kapitulieren. In der Happelschen Chronik lesen wir darüber: „Weil aber keine Lunden, indem man aus den Scheurenseiler Lunden gemacht, kein Blei und der Herr Pfarrer M. Georg Eberhard Happel die bleierne Canalen vom Pfarrhaus schon hergegeben, auch nicht mehr, dan ein Eimer voll Pulver vorhanden, auch der Ebersteinische Entsatz ein falsch Merle war, so hat die Bürgerschaft sampt den Seitlerischen Soldaten, welche sonsten tapfer die Statt defendiret, sich und die Statt zur Ergebung einlassen müssen. Und weil [Seite-122] anfangs die Hessische der Bürgerschaft kein Quartier geben wolten, hat obgedachter Herr Pfarrer Happel, nachdem es zu einem Stillstand kommen, sich hinaus zum Feind gewagt, da ihm viel Schmach und Spott begegnet, auch etliche Stöße bekommen, ein Schreiben an Herrn Landgraf Ernsten übergeben, dadurch erhalten, dass den Bürger Quartier zugesagt worden, die Soldaten aber sich auf Gnad und Ungenad ergeben sollen. Hierauf ist nun der Accord beschlossen“. – Einen zweiten Bericht über die Kapitulation verdanken wir der Aussage des Alsfelders Urias Jungblut, der von dem niederhessischen Leutnant Nordeck als Bote aus der Stadt nach Kempen geschickt und unterwegs von darmstädtischen Soldaten abgefangen worden war. Er deponierte am 9. Oktober in Gießen, indem er auffälligerweise die Belagerung auf den 2.-7. Oktober und die Übergabe statt auf Montag den 5. auf Mittwoch den 7. Oktober verlegt, über den Unglückstag folgendes: „darnach hette es auf einen accord gestanden, auch alle pagage eingespannet und zum auszug fertig gewesen. es hette sich aber der accord – deponent weis aber nicht warum – zerschlagen, dass von beeden seiten stark wiederum aufeinander geschossen worden. hierauf sey es wieder zum accordiren kommen, welches die geistliche in der statt erbeten hetten, in maßen der obristleutnant Seydtler durchaus nicht accordiren wöllen. ehe und bevor nun etwas geschlossen, hetten die doraus wieder angefangen stark zu schießen, welches so lang gewehret, bis die geistliche zu wegen bracht, dass der obristleutnant uff gnad und ungnad abzuziehen versprochen. wobey deponent nochmal berichtet, dass der obristleutenant gar nicht daran gewollt, sondern gesagt: er wolte sich wehren und wann gleich die ganze statt im feuer sollte aufgehen. dargegen iedoch die geistlichen endlich so hoch gebeten, dass er sich darein ergeben“.

Wenn hier in dem für Landgraf Georg II. bestimmten Auszug aus den Mitteilungen des Jungblut die Initiative bei den Übergabeverhandlungen den beiden Stadtgeistlichen Inspektor Mag. Georg Eberhard Happel und Kaplan Andreas Schwartzenau zugeschrieben und der Widerstand des Kommandanten Seidler besonders betont wird, so ist dies einem Fürsten gegenüber, der wenige Monate zuvor nach der Übergabe von Marburg den dort kommandierenden Oberstleutnant Willich hatte enthaupten lassen, sehr verständlich. An und für sich aber scheint uns Seidler eine solche Entlastung nicht nötig zu haben; er ist von seinem Vorgesetzten v. Eberstein immer wieder vertröstet und noch unmittelbar vor Beginn der Belagerung dessen versichert worden, dass innerhalb 48 Stunden Entsatz käme, und erlebte nun, dass man ihn fünf Tage lang ohne Hilfe ließ, obwohl der Munitionsmangel in der belagerten Stadt dem Oberbefehlshaber bekannt sein musste. Dieser hat nun freilich gewiß nicht leichten Herzens den festen Platz Alsfeld, von dem er selbst geschrieben, dass er unter allen Umständen gehalten werden müsse, in Feindeshand fallen lassen. Aber die Widerstände, die er zu überwinden hatte, waren größer, als er selbst voraussehen konnte. Durch den Abzug Melanders war das Darmstädtische Heer so geschwächt, dass es allein gegen die Niederhessen vor Alsfeld nichts ausrichten konnte, der Succurs aber, um den fortwährend nach der Obergrafschaft, [Seite-123] den Reichsstädten Friedberg und Gelnhausen, an den Rhein und an die kaiserlichen Befehlshaber geschrieben wurde [21], traf nur langsam ein. Dazu waren die Soldaten Georgs im Unterschied von den Kasselern schlecht gekleidet und schlecht verpflegt. Von Eberstein klagt einmal, dass bei dem vor Alsfeld liegenden Feind „die reuter mit futter uf etliche tage und die knechte mit brod versehen […], dagegenüber unserseits höchlich zu beklagen, dass wir weder reuter noch knechten das brod gnugsamb schaffen können, die solcher maßen schmachten müssen und also darüber lamentiren, dass mans ohne höchsten wehemut nicht hören kann“ [22], und erwähnt auch, dass die Schanzarbeiten in Kirchhain von den dort liegenden Truppen, „die ohne das matt, nichts am leibe haben und barfuß gehen“ [23], nicht allein verrichtet werden könnten. Dazu aber kommt – und das wäre das einzige, was man ihm vorwerfen könnte – eine offensichtliche Unentschlossenheit und ein Zögern, das mit seinen etwas großsprecherischen Verheißungen an den Kommandanten Seidler stark kontrastiert. Als er mit seinen Vorbereitungen zum Entsatz der Stadt fertig war, hatte diese sich bereits ergeben. Am Tage nach dem Fall Alsfelds, der ihm damals noch nicht bekannt geworden war, bestellte er in der Hoffnung, dass ihm der erwartete Succurs am 7. Oktober zuzöge, auch die in Kirchhain stehenden Reiter auf den Morgen dieses Tages nach Grünberg, um von dort nach Alsfeld aufzubrechen. Und Landgraf Georg, der an diesem 7. Oktober gleichfalls von der Übergabe der Stadt noch nichts wusste, schreibt ihm von Gießen aus, dass er den Plan billige, fügt aber vorsichtig hinzu: „weil euch aber des feinds force und dass selbiger euch an mannschaft überlegen sein soll, bekannt, so werdet ihr mit guter behutsamkeit gehen und vor der zeit nichts hazardiren, in maßen wir solches alles euerer bekannten dexterität und gutfindenden disposition gn. anheim geben, von dem allmächtigen gott glück und heil darzu wünschen“ [24]. Aber die Zeit zu handeln war verpasst, und die Bürgerschaft nebst dem Kommandanten hätten es als einen bitteren Hohn empfinden müssen, wenn ihnen die Briefe noch zu Händen gekommen wären, die ihr Landesfürst am 5. Oktober, also dem Unglückstag der Übergabe, an sie abgeschickt hat. In dem Schreiben an die Stadt hieß es da: „Wir versichern euch hiermit gn., dass nicht allein das entsatz zu rechter zeit erfolgen wird, sondern wir auch euch solches genießen lassen und vor euer treu und standhaftigkeit euch und euern nachkommen neben dem, dass ihr vor dieselbe ohn das ein unsterblich lob davontragen werdet, mit erteilung ansehnlicher freyheit und privilegien solche gnad erzeigen wollen, davor ihr und die euerige uns künftig zu danken haben möget“. An den Kommandanten aber, dessen tapferes Aushalten er rühmte, schrieb der Landgraf: „Weil uns an conservation dieses postens sehr hoch und viel gelegen, [Seite-124] so werdet ihr euch noch fester halten, keinen gewalt oder schaden euch abschrecken lassen, sondern den platz aufs äußerst defendiren und behaubten, gestalt wir auf euch ein sonderbares gutes vertrauen gestellt. es soll auch das succurs zu rechter zeit ohnfehlbarlich folgen, und versichern wir euch, dass wir eure standhaftige treue dapferkeit gegen euch und die eurigen mit wirklichem dank und allen gnaden erkennen wollen“.

Wenn auch die Alsfelder Bürgerschaft den Ruhm, ihre Vaterstadt gehalten zu haben, nicht davontrug, so hat sie doch das Lob der Tapferkeit und der Treue gegen das angestammte Fürstenhaus reichlich verdient. Dass der Kommandant Seidler ihr Verhalten während der Belagerung rühmend anerkannte, ist bereits erwähnt worden. Zwei Männer waren es, die sich in diesen schlimmen Tagen der Not besonders hervorgetan haben: der Bürgermeister Conrad Haas und der Inspektor Mag. Georg Eberhard Happel. Von ersterem bezeugen die bei seiner Beerdigung im Jahre 1677 verlesenen Personalien [25], dass er „in währender Belagerung, bey Stürmen, Presch-Schießen und Feuer-Einwerfen allezeit vorangewesen, sich ernstlich und standhaftig an den Commandanten gehalten, dass mit dessen Hilfe und Rath aller Orten, wo es nöthig gewesen, großer Widerstand mit tapferen Gemüte und Anfrischung der lieben Bürgerschaft bezeugt worden“. Insbesondere wird dort erwähnt, dass er sich bei der Zurückwerfung der am 3. Oktober bereits durch die Bresche eingedrungenen Feinde ausgezeichnet und, während sein eigenes Haus abbrannte, die bleiernen Dachkändel vom Pfarrhause mit einer Axt, die ihm der Inspektor selbst reichte, abgerissen habe, damit man neue Kugeln gießen könne. Inspektor Happel aber, der seit 1632 als Kaplan in der Stadt wirkte und 1644 nach dem Tode des Inspektors Wilh. van Brink dessen Nachfolger geworden war, hatte schon von jeher in seinen Predigten kein Blatt vor den Mund genommen und ohne Scheu die Gemeinde zum Festhalten an ihrem lutherischen Glauben und an ihrer Landesherrschaft ermahnt. In dem bereits mehrfach angezogenen Schreiben an Hannibal von Rotsmann vom 13. Januar 1644 [26] sagt er darüber: „Die bernbrüder sagen, ich hab ein grob maul. ich hab aber darauf publice ihnen geantwortet: mein vatter und mutter seind nicht schuld daran, sondern gottes wort und der heilige geist haben mich so reden lehren. ists ihnen grob, so mögen sie Christum mit seinem wort hobeln — ich sorge aber, der hobel dörfte darüber viel zu stumpf werden und den stoß nicht aushalten“. Während der Belagerung aber hat er nicht nur den Bürgermeister bei der Beschaffung von Bleikugeln unterstützt, sondern ist auch, wie er selbst an der oben angeführten Stelle berichtet, vor dem Abschluss des Accords unter Lebensgefahr ins feindliche Lager gegangen, um durch Vermittelung des Landgrafen Ernst die Verschonung der Civilisten zu erlangen. Wie er auch später im Interesse der Stadt tätig war und die Demolierung der Befestigung verhindert hat, ist in seiner Chronik ausführlich zu lesen [27]. [Seite-125]

Das Schicksal der Bürgerschaft war trotz des Erfolges, den Happel bei Landgraf Ernst hatte, schlimm genug; sie wurde in das Rathaus zusammengetrieben und unterdessen ihre Habe von dem Einrücken der Niederhessen um 3 Uhr am Nachmittag des 5. Oktober an 24 Stunden lang den Siegern preisgegeben, die alles, was mitzunehmen war, raubten und auf bereitgehaltenen Wagen wegfahren ließen. Nur vor die sogenannten gefreiten Häuser, das heißt die Wohnungen der Beamten wurden zum Schutz Schildwachen gestellt; doch haben die Inhaber sich wohl mit schwerem Gelde von der Plünderung loskaufen müssen und mussten obendrein die Last der Einquartierung der Offiziere auf viele Wochen hinaus tragen. Die nach Kriegsbrauch der Artillerie des Siegers verfallenen Kirchenglocken rettete sich die Gemeinde durch Zahlung von 200 Reichsthalern, deren Aufbringung freilich sehr schwer fiel [28]. Die darmstädtische Besatzung wurde in die Walpurgiskirche gesperrt und die Soldaten – angeblich durch die Drohung, sie würden samt dem Gotteshause verbrannt werden – gezwungen, bei den Niederhessen sich „unterzustellen“. Die Offiziere verbrachte man in das Weinhaus. Doch bat der Inspektor, in dessen Haus Landgraf Ernst Quartier nahm, bei diesem den Oberstleutnant Seidler und den Major Pflug los und behielt sie bei sich, bis sie nach Kassel verbracht wurden; und dort hat sie ihr Landesherr „ranzioniert“.

Auffällig gering ist der Menschenverlust, den die Belagerung der Stadt auf hessen-darmstädtischer Seite veranlasste; es scheinen nur drei Männer unmittelbare Opfer des Kampfes geworden zu sein, nämlich Leutnant Jost Roth, Sohn des Schultheißen Wilh. Roth, Senator Johann Leusler und der Bürger Heinrich Decher, die das Beerdigungsregister in jenen Tagen verzeichnet. Der Brandschaden war sehr groß, und zumal vom Obertor bis an das Mainzertor war die Mehrzahl der Gebäude eingeäschert. Die Bresche haben die Niederhessen in ihrem eigenen Interesse sofort zu reparieren begonnen, doch ist der eigentliche Wiederaufbau erst im Jahre 1666 auf Kosten der Stadt vorgenommen worden [29]. Das Mainzertor wurde zunächst vermauert. Die Vorstädte haben die Sieger gänzlich niedergelegt und 160 Wohnhäuser und Scheuern dabei eingerissen. „Dazumal waren Holz und Ziegeln wohlfeil“, schreibt Happel, der uns in seiner Chronik diese Nachrichten aufbehalten hat.

Das Kommando über die hartgeprüfte Stadt erhielt der niederhessische Oberst Heinrich von Uffeln, der neben seinen eigenen vier Kompanien auch noch für zwei Regimenter Franzosen zu sorgen hatte und über die Schwierigkeit der Verpflegung in dem völlig ausgesogenen Lande klagt. Die Franzosen, die nach seinem Berichte an die Landgräfin Amalie Elisabeth vom 10. November „alles vor raub achten und keine ordre gewohnet sein“, wurden endlich verlegt und zogen am 5. Januar 1647 ab. Inzwischen waren aber seit Anfang November zwei Kompagnien Reiter vom Regiment des Landgrafen Ernst in der Stadt einquartiert worden, und es wurde Mai, [Seite-126] bis die niederhessischen Truppen, nachdem Alsfeld mit Zustimmung Landgraf Georgs und der Kasseler Landgräfin für neutral erklärt worden war, abrückten. Zum ersten Male hatten die Alsfelder, wie Happel schreibt, seit langer Zeit wieder eine „friedliche Ernte“. Doch brachte das Jahr 1648 der Stadt nochmals militärische Belegung und damit neue Lasten und Drangsale.

Als endlich der Friede geschlossen war, ging man an den Wiederaufbau. Mauern und Dächer waren bald wieder hergestellt, Bäume und Vieh wuchsen rasch nach. Aber lange hat es gedauert, bis die Gesittung der Menschen wieder auf den alten Stand gehoben war. Wir möchten annehmen, dass die Arbeit hieran, in die sich Regierung, Kirche und Schule zu teilen hatten, in unserer Stadt günstigere Vorbedingungen fand, wie vielfach anderwärts. Denn dass die Bewohner trotz der langen Kriegsleiden nicht gleichgültig, stumpf und ehrlos geworden waren, haben sie durch die tapfere Anteilnahme an der Verteidigung ihrer bedrohten Stadt im Jahre 1646 bewiesen. Der Wille zur Selbstbehauptung aber war zu allen Zeiten und ist auch heute noch eine Hauptgrundlage aller Gesittung.

Fußnoten:

[01] Er schreibt am 13. Januar 1644 an Hannibal von Rotsmann: „Der herr obrist leutenant, so kein bernbruder, sondern ein guter evangelischer Augspurgischer Confessionsverwandter frommer mann ist, handelt freundlich mit uns und gönnt uns guts, gott vergelt ihm“. Staatsarchiv Darmstadt, Marburger Succession, Conv. 78, Fasz. betr. die von den niederhessischen Officirern und Soldaten ausgestossene Schmehreden contra Serenissimum, 1644.

[02] Ebd. Als ein Zeugnis unter vielen für das, was die Bürgerschaft auszuhalten hatte, sei hier das Klagschreiben des Rentmeisters Johann Eberhard Sältzer aus den ersten Tagen des Januar 1645 mitgeteilt: „Under denen in Alsfeld logirenden niderhessischen völkern hat ein capitain namens Balthasar von Zastrow ohnlängsthin, als ihrer fürstl. gn. amptmann zu Romrod und ich in underschiedenen ihrer fürstl. gn. underthanen wegen uns angelegenen sachen beim selbigen commendanten obristlieutenant Rätschin uns befunden, eine und die andere zu streit gedeyende gelegenheit an mich gesucht und endlich vorgeben, ob hette über die fürstl. frauwen zu Cassel ich etzliche unverantwortliche wort fliehen lassen. weilen ich mir aber also wol bewust und mit denen darbey gewesenen bezeugen kan, daß dergleichen nichts von mir gehört worden, und dannenhero er, capitain, solches aus eitelem unzeitigem eifer auf mich zu treiben und sich gleichsam zu mir einzunötigen gedenket, so habe bis dahero ihme mit abbittlichen worten an hand zu gehen und er mich hirüber anzuklagen nicht ursach gehabt.

vorgestrigen abends, zu ausgang des alten jahrs in der nacht zwischen 9 und 10 uhren, als ich ohne einzige sorg ohngefehr eine halbe stund zu bett gewesen, kombt gemelder capitain Zastrow mit zweyen musquetirern, deren einer mit einer maurgewehr (ein morgenstern genand), der ander aber mit einem brügel versehen, vor ihrer fürstl. gn. haus, den renthof, schickt seinen knaben voran, sagend, der capitain wolle sich gern mit mir vertragen und darauf zum tisch des herrn gehen. dahero dan die thür alsobald von den meinigen eröffnet und mir sein begehren angedeutet worden. ehe nun mein knab die meinige antwort seinem diener eröffnet, dass nemlich ich zu bette wehre und nicht hoffete, dem capitain ursach gegeben zu haben, dass er meinetwegen mit gutem gewissen nicht zu dem tisch des herrn gehen könte, wolte morgen frühe bey ihm erscheinen und mit ihm, capitain, reden, tringt der capitain mit ermelten beiden musquetirern zum haus hienein, vermeinend ohn zweifel, ich rede selbst mit seinem diener, ruft wie ein wütender und rasender mensch aus vollen kräften zum oftern: schlagt drauf, schlagt drauf, schlagt drauf. als sie sehen, daß ich nicht da bin, laufen die musquetirer voran nach der stuben, ungestüm fragend: wo ist der rentmeister? Der capitain lauft hernach, rufend mit aller gewalt: schlagt zu, schlagt zu, schlagt auf den schelmen oder ich will euch die hälse selbst brechen. die musquetirer betrohen mein gesindlein, so aus übereilter forcht ganz erstarret, zu schlagen, oder solten ihnen meine schlafcammer zeigen, suchen mich in underschiedenen cammern, under dessen ruft der capitain mit großem geschrey: sucht den rentmeister, den keyserischen schelmen, und was er dergleichen ehrenrührige böse scheltwort ausgeben. endlich bericht sein diener, er wüste die schlafcammer, führet sie herbey, und weilen die cammer ausser dem hausbau in einer abseit, werde ich noch meine hausfrau dieses anstürmens ehe nicht gewahr, bis die musquctirer zur cammer hienein tringen. in deme springe ich (salvo honore) im hembd aus dem bett, nötige mich bey den musquetirern, so sich mit der mörderischen gewehr in der engen cammer nicht regen konten, zur cammerthür hinaus. der capitain, so an der thür meiner wartet, ingeminirt sein voriges unsinnig und ungestümes schreien: schlagt drauf, schlagt drauf, schlagt drauf, hebt auch selbst seinen stock auf, auf mich zu schlagen. als ich nun sehe, dass mir unmöglich, zu meinem gewehr zu kommen, erwische ich zwar seinen stock und halte ihn darmit an der cammerthür, nachdem aber die musquetirer mit gewalt zur thür heraus tringen, muß ich, da ich anderst mich nicht als einen hund zu boden schlagen lassen wollen, (salvo honore) im hembd entspringen und ohnangsehen der grimmigen kälte mich so gut möglich an ohngewohnlichem ort fast eine gute weil verborgen halten. inmittelst und als sie mich an underschiedenen orten, und zwar in ställen, uff dem heu und strohe mit lichtern – darbey dann, wann der liebe gott nicht seine vorsorge gethan, ein groß unglück und brand an unsers gnedigen fürsten und herrn haus und andern gebäuen leichtlich hette vortgehen können – gesucht, und meine hausfrau (salvo honore) gleichfalle im hembd aus dem bett gesprungen und sich verborgen gehalten, laufen sowol der capitain als beyde musquetirer auf sein begieriges antreiben nach meiner schlafcammer und suchen meine hausfrau im bett – zu was ende und was er an ihr als disfalls ganz unschuldigen vor eine leichtfertige böse verübung vorgehabt, stehet dahin. weil er nun weder mich als meine hausfrau finden noch sein mörderisches vorhaben allerdings vollenstrecken können, läst er nach verlierung vieler böser, zumahln ehrenrühriger wort nach, sagend zu meinem knaben: sage du dem rentmeister, er solle vor mir uff offener strassen nicht sicher sein, ich wolte ihn morgen vor der kirchen zu boden schlagen lassen.

des morgens, als auf den neuen jahrstag, läst er mir durch einen sergeanten andeuten: würde ich zu ihm kommen und ihme einen vertrag anbieten, wolle er sich versöhnen lassen und alles hindan stellen; wo aber nicht und falls ich mich nicht zu ihm thäte, solte ich keineswegs vor ihm sicher sein. ob ich nun wohl dem commendanten obristlieutenant Rätschin disen verlauf umbständig andeuten lassen und solches vom capitain gar hoch empfunden, gestalt er, commendant, mir ausdrücklich sagen lassen, er wolte mir schutz genug verschaffen und zwar den capitain in arrest ziehen, der excess wehre aber so wichtig, daß er mir damit nicht satisfaction zu thun wüste und mich gar nicht verdenken wolt, solches an gehörigem ort zu suchen, so trage ich aber underdessen, mich zu Alsfeld sehen zu lassen nicht ohnzeitig bedenken, weil der capitain solcher seiner verübung nach ein blutgiriger mensch und mir wol, ehe ich den commendanten umb schutz ersuchen könte, morderischer und voller weise eines versetzen und dadurch meine hausfrau und viele kindlein – denen dann an deme, dass ihm zwar seine belohnung wiberführe, ein geringes verholfen sein würde – in großes elend bringen möchte.“ Staatsarchiv Darmstadt, Marburger Succession Konv. 78, Fasz. Niederhessische Einquartierungs- und Verpflegungssachen 1644/1645, tom. IV.

[03] Vgl. die Happelsche Chronik in den Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, V. Reihe, 17f.

[04] Vgl. E. F. Frhr. v. Eberstein, Korrespondenz zwischen Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt und seinem General-Lieutenant Ernst Albrecht von Eberstein, 131.

[05] Flugmär = fliegendes Gerücht.

[06] Das Schloß war im Dezember 1645 von Geiso eingenommen worden und kam erst am 24. August 1646 nach nur zweitägiger Beschießung wieder in darmstädtischen Besitz; der hessen-kasselische Kommandant Kapitän Wider, der mit Accord abgezogen war, wurde sofort verhaftet, da man ihm vorwarf, er habe den Platz noch mindestens acht Tage halten können (Eberstein, a.a.O. 146 f.). Aus Ebersteins beiläufiger Bemerkung scheint hervorzugehen, dass Wider durch seine mutlos gewordenen Soldaten und die Bürgerschaft zur Übergabe veranlasst worden ist.

[07] Staatsarch. Marburg, Dreißigjähriger Krieg, tom. XIII, p. 2, 164. – Das Schreiben spricht von einer Beschwerde der Stadt über die Einquartierung. Eberstein schreibt zwar: „was die angemaste beschwerden der bürgerschaft zu Alsfeld betrifft, so will ich solche plakereyen durchaus nicht leiden, sondern es wird hiebey den herrn ihre assignation und repartition geschickt, wie auch die verpflegungsordonnanz zu pferd und fuß, darnach sich ein jedweder richten soll, und will ich im übertretungsfall keinen ansehen“; docht vergißt er nicht im Postskriptum zuzufügen: „was auf den generalstab assigniret ist, da wolle der obristlieutenant nicht underlassen in acht zu nehmen, damit solches vor allen dingen geliefert werden möge“.

[08] v. Eberstein, a.a.O. S. 153.

[09] Außer dem Ingenieur werden noch genannt: Wall Jost und der Wallmeister Jacob nebst seinem Sohn.

[10] Staatsarchiv Darmstadt, Abt. VIII, 1, Konv. 132. Wo im Folgenden keine andere Quelle genannt ist, sind die Angaben aus diesem Konvolut geschöpft.

[11] Vgl. W. Hofmann, Peter Melander, Reichsgraf zu Holzappel, 202 ff. und R. Schmidt, Ein Kalvinist als Kaiserlicher Feldmarschall im Dreißigjährigen Kriege, 58 ff.

[12] Vgl. v. Eberstein, 159

[13] Staatsarchiv Marburg. a.a.O.

[14] v. Eberstein, 163.

[15] Ebd. 161.

[16] Ebd. 162.

[17] Freundliche Mitteilung des Herrn Studienrat Prof. Dr. Becker in Offenbach.

[18] Die Überschrift der Tafel lautet: „Anno 1646 auf Michaeli ist Alsfeldt von den Niederhessischen Völkern belagert und mit 12 Stücken beschossen worden. Den 2. und 3. October als 150 große Granaten herein geworfen, dass 30 Bäu verbrand, auch ist eine von 160 Pfund in dieses Chor gefallen, Orgell u. alles ruiniret; den 5. Octbr., als noch der dritte Sturm abgeschlagen, hat sich die Stadt durch Accord ergeben, worauf alle Vorstädt geschleift u. in derselben 200 Häußer abgebrochen“. — Im Jahre 1846 hat G. Hölscher nach dem Bild einen Steindruck herstellen lassen, der sich noch heute in zahlreichen Alsfelder Familien befindet, dessen Wert jedoch durch allerlei Zutaten und Weglassungen des Zeichners vermindert ist.

[19] Mag. Happel, der den Regenbogen am 3. und einen weiteren am 5. Oktober in seiner Chronik erwähnt, hätte eine Kometenerscheinung gewiss nicht vergessen. Wie er mit seiner ganzen Zeit auf derartige Dinge achtete, beweist sein oben angeführter Brief an Hannibal von Rotsmann vom 13. Januar 1644, in welchem er eine ganze Reihe solcher Erscheinungen aufzählt: „1) Den 30. Oktober (1643) ist ein greulichs chasma am himmel gesehen worden gleich drei regenbogen, so dampf und feuerig stralen abscheulich gegen einander geschossen. 2) Kurz darvor hat die alte frau rentmeisterin Schützin einen brey in den garten ihrem gesind gebracht, da drei blutstropfen vom himmel in den brey gefallen; da sie solche mit schrecken abgethan, sind drei andere gefallen. 3) Den 3. November ist nach mitternacht der himmel dick und schwarz gewesen, hat etlich mal geplitzet, darauf eine feuerige kugel gleich dem mond mit einem langen schwanz aus der wolken gefahren und gegen mittag geflogen. 4) Den 4. (Dezember) ist abends nach 6 uhren der himmel ganz feurig geschienen, dass viel gemuthmasset, es seye ein brand vorhanden. bald aber ist ein sehr groser stern erschienen, so einen strahl von sich geben gleich einem türkischen sebel, ist die schneide gegen norden gestanden; er ist hernach noch etliche abend gesehen worden. 5) Den 8. Dezember ist abermal ein comet erschienen; morgens nach 3 uhr ist ein groser stern, gekrönt mit einem regenbogen, gesehen worden, der etlich mal sich herumngeworfen wie ein fisch im wasser. zween lange strahlen hat er gegen mittag geworfen; ist in einer stund verschwunden. 6) Den 24. (Dezember) haben die Soldaten einen kirschbaum gefunden bei Liderbach, so ganz voll geblüet, und einen ganzen arm voll blut dem obristleutenant gebracht. 7) Am h. cristag ist ein schöner regenbogen am himmel gestanden. 8) In der Stephansnacht hats etlich mal geplitzet, ist auch feuer gleich einem brennenden schaub aus den wolken gefahren und in etlichen orten feuer in die statt gefallen, so bald verschwunden. 9) Bey Burcken im Niderfürstentum ist ein deuch in blut verwandelt, davon zeiger berichten wird. 10) Zu Cassel sind greuliche chasmata erschienen und das Author von sich selbst aufgangen. 11) Den 5. hujus (Januar 1644) ist zu Billerßhausen ein spectacul gesehen worden, als were das ganze veld voll brennender londen, dass die bauern gedacht, er seyen etlich regiment fußvölker da im marchiren, so endlich uf einmal verschwunden“.

[20] In seiner Eingabe an Landgräfin Amalie Elisabeth, d. d. Lippstadt, 8. Dez. 1646, schreibt er, dass er im Sturm vor Alsfeld zwei gefährliche Schüsse erhalten habe und noch in der Kur liege. Die Bitte um Auszahlung seines Traktaments für das letzte Vierteljahr wird ihm bewilligt. – Staatsarchiv Marburg, a.a.O. 214 ff.

[21] v. Eberstein, 159 f. 136 ff.

[22] Ebd. 161.

[23] Ebd.

[24] Ebd. 164.

[25] Abgedruckt bei K. Dieffenbach, Geschichte der Stadt Alsfeld, 49 ff.

[26] Staatsarchiv Darmstadt, Marburger Succession, a.a.O.

[27] a.a.O. 21 f.

[28] Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, II. Reihe, 54 f.

[29] Ebd. 5, 38

[30] Staatsarchiv Marburg, a.a.O.

Erstveröffentlichung:

Dr. Fritz Herrmann, Die Belagerung und Einnahme der Stadt Alsfeld durch die Niederhessen im Jahre 1646, in: GAV Alsfeld (Hrsg.): Festschrift zur 700-Jahrfeier der Stadt Alsfeld, Alsfeld 1922, S. 113-126.

[Stand: 09.04.2024]