Alsfelder Justiz im 18. Jahrhundert
Aus dem Gerichtsbuch von 1736–1747

Von Karl Dotter, Alsfeld (1931)

Der „Triller“, aufgestellt vor dem Alsfelder Beinhaus.
Ein mittelalterliches Instrument des Strafvollzugs.
© GFA (siehe Nachbemerkung)

Am 21. Oktober des Jahres 1740 lud die Gerichtsglocke vom hohen Kirchturme herab die Herren des löblichen Stadtgerichtes zu einer Sitzung auf dem Rathause ein. Im alten Gerichtszimmer versammelten sich die 12 Ratsschöffen der Stadt, unter denen der fürstliche Stadt- und Amtsschultheiß Georg Friedrich Meyer [01] den Vorsitz führte. Dieser eröffnete die Gerichtssitzung mit der von alters her gebräuchlichen Formel:

„Nachdem wir durch die Gnade Gottes das Michaelis-Ungebott abermals erlebet haben, so frage ich Euch, Herr Schöpf, ob es Zeit und an dem seye, dass man des Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Ludwigen, Landgrafen zu Hessen, Fürst zu Hersfeld, Graf zu Katzenelnbogen, Diez, Ziegenhain, Nidda, Hanau, Schaumburg, Isenburg und Büdingen, der Römisch Kaiserlichen auch zu Hungarn und Böheim Königlich Apostolischer Majestät bestellter General-Feldzeugmeister und Obrister [Seite-117] über ein Regiment zu Fuß, des Königlich Preußischen Schwarzen Adlerordens Ritter usw., unsers gnädigsten Fürsten und Herrn Ungebot [02] hege und halte.“

Hierauf antwortete der älteste Ratsschöffe folgendermaßen:

„Wann das Ungebott ordentlich ausgeschrieben und von meinen Mitbrüdern wohlbesetzt, so sage ich, dass es Tag und Zeit sei!“

Hierauf fuhr der Schultheiß fort:

„Wie und welcher gestalten wird dieses fürstliche Ungebott geheget und gehalten, es nicht allein dem Herkommen gemäß, sondern auch in denen Rechten Kraft und Bestand haben mag?“

Der älteste Gerichtsschöffe erwiderte:

„Demnach und hierauf will des Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn Ungebot hegen und halten, dabei dero gehegte Fischwasser, Krebs- und Grundelbäche, wie auch alle unrechte Wege und Stege, und insgemein alles dasjenige, was Unrecht ist, verbieten, was aber recht ist, erlauben. Es soll auch keiner mit bewehrter Hand vor Gericht gehen [03] und einer dem andern ohne Vergünstigung des Richters in seinen Rat gehen, bei gebührlicher Strafe. Es soll auch ein jeder seine Rüge wahr und klar machen, als nämlich: eine Hörensage vor eine Hörensage, eine wahre Tat vor eine wahrhafte Tat, eine Leumut vor eine Leumut, damit die Herrn Schöpfen in Erkenntnis der Rügen sich desto besser finden und sprechen können, und dieses vom ersten bis zum letzten.“

Der Schultheiß fuhr weiter:

„Das anheute angestellte Gericht will hiermit im Namen des Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Ludwigen, Landgrafen zu Hessen, Fürst zu Hersfeld, Graf zu Katzenelnbogen, Diez, Ziegenhain, Nidda, Hanau, Schaumburg, Isenburg und Büdingen, der Römisch Kaiserlichen auch zu Hungarn und Böheim Königlicher Apostolischer Majestät bestellter General-Feldzeugmeister und Obrister über ein Regiment zu Fuß, des Königlich Preußischen Schwarzen Adler-Ordens Ritter etc., unsers gnädigsten Fürsten und Herrn, wie auch gemeiner Stadt Alsfeld, hegen und halten, dabei männiglich bei den Eid und Pflichten, womit sie höchstermelt Seiner Hochfürstlichen Durchlaucht zugetan und verwandt sind, ernstlich erinnert haben, dass sie alles dasjenige, was bei letzterm Gericht straf- und rügbar sich zugetragen, gebührend angeben und nicht verschweigen. Sollte man aber einen und den andern überführen, so da etwa, was gnädigster Herrschaft rüg- und strafbar wäre, wissentlich verschweigen wird, derselbe solle solcher Verschwiegenheit halber mit harter Strafe angesehen werden, und dieses zum erstenmal.

Ich sage zum ersten- und andernmal: Daferne einer oder der andere etwas Rügbares verschweige und nicht behörig anbringen wird, derselbe solle solcher Verschwiegenheit halber mit harter Strafe angesehen werden, und dieses zum zweitenmal.

Ich sage zum ersten-, zweiten und drittenmal: Daferne einer oder der andere etwas Rügbares verschweige und nicht behörig, anbringen wird, derselbe solle solcher Verschwiegenheit halber mit doppelter Strafe angesehen werden, und dieses zum letztenmal.

Wer nun des Gerichts bedürftig, kann sich schriftlich oder mündlich, jedoch aber bescheidentlich anmelden und rechtliche Verfügung erwarten.“

Nach diesen einleitenden Worten des Gerichtes erhob sich der Bürger und Altbürgermeister, der zeitige Ratverwandte Justus Schmidt [04] als Ankläger und beschuldigte einen gewissen Johannes Zulauf [05] aus Alsfeld des Gartendiebstahls.

Der Kläger führte folgendes aus:

Am 18. Oktober habe ihm der Bürger Johann Heinrich Etling sen. sagen lassen, er solle Körbe und Säcke bringen, damit er die Birnen in seinem Garten am Romröder Weg auflesen und nach Hause bringe, es hätte sich in der Nacht vom Montag auf Dienstag einer eingefunden, der ihm die Herrnbirnen geschüttelt habe. [Seite-118]

Etling habe ihm auch gesagt, dass es Johannes Zulauf gewesen sei, welchen er unter Beihülfe seines Sohnes auf der Tat ergriffen habe. Der aber dabei gewesen, sei fortgelaufen; doch hätte ihn der Zulauf genannt.

Der Angeklagte leugnete alles und wollte von nichts wissen; er sei nicht in dem Garten gewesen und habe auch die Birnen nicht geschüttelt, auch habe er nicht mit Etling gesprochen, noch weniger jemanden genannt. –

Das Gericht trat in die Zeugenvernehmung ein. Als erster Zeuge wurde Johann Heinrich Etling sen., 50 Jahre alt, verhört. Dieser deponierte [06] an Eidesstatt folgendes:

Er sei in der Nacht zwischen Montag und Dienstag, um seine Notdurft zu verrichten, in Hemd und Hosen vor seine Haustüre gegangen. Da habe im gegenüberliegenden Garten „etwas gerappelt.“ Darauf habe er seinem Sohn gerufen, da er geglaubt habe, es seien Diebe an Herrn Schmidts Birnen. Da habe er gesehen, dass einer aus dem Garten fortgelaufen sei. Er hätte ihm nachlaufen wollen, aber sein Sohn habe gesehen, dass noch einer auf dem Baum sitze. Er habe ihn aufgefordert herunter zu steigen und mit Birnen nach ihm geworfen. Der habe nicht herunter gewollt, auch sich nicht zu erkennen gegeben, bis er seiner Frau gesagt habe, sie solle die Nachbarn herbeirufen. Als er gefragt, wer er sei, habe dieser geantwortet:  Wissenhänschen. Endlich sei er heruntergestiegen und habe gesagt, der bei ihm gewesen, sei Johann Heinrich Etlings Sohn gewesen. Er habe auch gebeten, ihn nicht zu verraten Als die Frau gekommen und gesagt habe, es kämen Nachbarsleute, sei er davon gesprungen. –

Der zweite Zeuge, Johannes Etling, des Vorigen Sohn, 21 Jahre alt, ledig, erzählte folgendes:

Sein Vater habe in der Nacht vom Montag auf Dienstag vor dem Hause seine Notdurft verrichten wollen. Er sei aber wieder in die Stube gekommen, eben als er, Deponent, den Abendsegen gebetet habe und am Vaterunser gewesen. Der Vater habe gesagt, dem Bürgermeister Schmidt würden seine Birnen geschüttelt, er sollte mitgehen. Hierauf habe er, Deponent, eine Schippe genommen und sei mit dem Vater nach dem Garten gegangen. Der Vater habe ihn gewarnt, sich in acht zu nehmen, es möchten etwa Knechte sein, so ihm einen heimlichen Schlag geben könnten. Als sie nun beide über den Gartenzaun gestiegen, habe er wahrgenommen, dass einer auf dem Birnbaum sitze, so auf ihr Ankommen in die Dolle gestiegen, auch so lange sitzen geblieben, bis sie mit Schießen gedrohet. Seine Mutter wäre auf Geheiß des Vaters weggegangen, um den David Creuder zu holen. Mittlerweile habe der auf dem Baum sich zu erkennen gegeben und gesagt, er wäre Wissenhänschen. Als sein Vater mit Birnen nach ihm geworfen, sei er heruntergestiegen und gebeten, ihn nicht zu verraten. „Herr Schmidt habe ja mehr Birnen als er.“ Darauf sei Johannes Zulauf mit ihm nach der Gartentür gegangen und habe gesagt, der ausgerissen, sei des Eulers Johann Heinrich Johannes gewesen. Als seine Mutter zurückgekommen und gesagt, David Creuder komme, sei Zulauf durchgegangen. –

Der dritte Zeuge, Johann David Creuder, Bürger [07] und Löher, 42 Jahre alt, sagte aus:

Etlings Frau sei an sein Kammerfenster gekommen und habe gesagt: „Nachbar, kommt, es sind Diebe an des Bürgermeisters Schmidten Birnen.“ Ihr Mann könne ihrer nicht mächtig werden. Weil er, Deponent, aber ein Übel an den Füßen gehabt und nicht aufstehen können, sei er zu Hause geblieben. –

Nachdem durch dieses Zeugenverhör die Sachlage im großen und ganzen genügend geklärt schien, schritt das Gericht zu seinem Urteil. Der Spruch lautete folgendermaßen:

„Gestalten Dingen und Umständen nach, da Johannes Zulauf auf der Tat ergriffen und des – wie rechtens – überwiesen worden, dass er Klägern des Nachts die Birnen in seinem beschlossenen Garten am Romröder Weg geschüttelt habe, als wird dem Beklagten wegen dieses Nacht- und Gartenfrevels vermöge fürstlicher Polizei-Ordnung die allhier hergebrachte Civilstrafe des Tröllers [Trillers; GFA] zuerkannt, dass er darinnen gesetzet werde, ihm zur wohlverdienten Strafe, andern aber zum Exempel und Abscheu, von Rechts wegen.“ – [Seite-119]

Weiter meldet das Gerichtsbuch: „Dem Beklagten wurde der bürgerliche Mantel abgenommen, mit der Wacht nach dem Tröller geführet und durch den Feldschützen eingesetzet und eine halbe Stunde getröllert, und solcher gestalten der Bescheid exequiret. Weilen aber Beklagter wegen Taumelung vor Gericht nicht wiederum erscheinen und den Mitschuldigen angeben können, als soll er nächstes Gericht wiederum vorgefordert und die Sache ferner untersucht werden.“ –

Der hier erwähnte „Tröller“ [08], ein drehbarer Käfig, befand sich in der Rathaushalle.

Über den weiteren Verlauf der Angelegenheit meldet uns das Gerichtsbuch nichts mehr. Vielleicht hat sich Johannes Zulauf mit seinem Helfershelfer durch die Flucht allen Weiterungen entzogen.

Fußnoten:

[01] Georg Friedrich Meyer, fürstlicher Stadt- und Amtsschultheiß zu Alsfeld, wurde am 10. September 1737 als solcher vorgestellt. Er amtierte bis 1745. Im Jahre 1743 verheiratete er sich mit Eleonora Senger aus Immichenhain.

[02] Die Gerichtstage, Ungebote genannt, wurden in der Regel dreimal im Jahre gehalten, auf Maria Lichtmess, Walpurgis und Michaelis. Vgl. „Mitteilungen“, 3. Reihe, Nr. 19/20. S. 151 f.

[03] Am 29. Juni 1740 war der Stadthauptmann Johann Dietrich Pertux mit Stock und Degen vor Gericht erschienen. An diesen Vorgang knüpften sich langwierige Unterhandlungen an.

[04] Justus Schmidt war von 1731-1736 Bürgermeister in Alsfeld.

[05] Johannes Zulauf von Billertshausen wurde am 30. März 1733 Bürger in Alsfeld.

[06] Der Zeuge hieß im damaligen Gerichtsverfahren „der Deponent“; der Kläger wurde „der Produzent“ genannt.

[07] Johann David Creuder wurde am 1. Mai 1726 Bürger in Alsfeld.

[08] Vgl. „Mitteilungen“, 3. Reihe, Nr. 24/25, Seite 200.

Nachbemerkung:

2016 bauten Schüler der Alsfelder Max Eyth-Schule unter Anleitung ihrer Lehrer Stefan Scholtes und Reiner Karn einen Triller, wie er im 18. Jahrhundert gebräuchlich war. Dabei handelt es sich um ein mittelalterliches Instrument des Strafvollzugs, ähnlich dem Halseisen (Pranger am Weinhaus) oder der Gaack (Ludwigsplatz). Übeltäter wurden, auch aus Gründen der Abschreckung, öffentlich zur Schau gestellt. Früher befand sich ein Triller in der Rathaushalle, heute [2024] ist das aus Eichenholz gebaute Werkstück der Max Eyth-Schule vor dem Beinhaus (Kirchplatz) aufgestellt. [GFA]

Erstveröffentlichung:

Karl Dotter, Alsfelder Justiz im 18. Jahrhundert. Aus dem Gerichtsbuch von 1736-1747, in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 6. Reihe, Nr. 14, 1931, S. 116-119.

[Stand: 11.04.2024]