Das Collegium musicum zu Alsfeld
(Geschichte der Alsfelder Kirchenmusik)

Von Karl Dotter, Alsfeld (1907)

Über den Ruhm, den die Alsfelder Musik, sowohl die geistliche als auch die weltliche, in früheren Zeiten vor vielen anderen Städten des Hessenlandes genossen haben soll, ist bereits in Nr. 6 der Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 1904, Seiten 7 und 8 geschrieben worden. Nähere Auskunft über die „excellente Alsfelder Music“ geben uns die Akten in der Registratur der Alsfelder Bürgermeisterei, in dem Pfarrarchiv, dem Alsfelder Museum, dem Großherzoglichen Kreisamt Alsfeld, sowie die Urkunden des Großherzoglichen Haus- und Staatsarchivs und des Großherzoglichen Ober-Konsistoriums zu Darmstadt. Bei der außerordentlichen Fülle des noch vorhandenen Aktienmaterials lässt sich ein anschauliches Bild von dem Collegium musicum zu Alsfeld recht gut entwerfen.

Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die Entstehungsgeschichte der protestantischen Kirchenmusiken. Bereits in der vorreformatorischen Zeit gab es sogenannte „cantores“ oder Vorsänger, die die Aufgabe hatten, die kirchlichen Gesänge anzustimmen und zu führen. Der ausführende Gesangskörper im Gottesdienste war der mit priesterlichem Charakter ausgestattete Chor. Auch der Gemeinde stand an vielen Orten das [Seite-04] Recht zu, im Gottesdienste mitsingen zu dürfen [01]. Man kannte auch hier und da die Einrichtungen der sogenannten „Cantoreyen“, doch erstreckte sich die Pflege der Kirchenmusik vorzugsweise auf die Höfe der geistlichen und weltlichen Fürsten, sowie die Klöster und großen Städte. Mit der Einführung der Reformation aber wurde dem Gemeindegesang, wie der Kirchenmusik überhaupt, ein wichtiger Platz im Gottesdienste angewiesen. Friedrich der Weise, Luthers Freund und Beschützer, hatte seine eigene Kapelle, die dem musikliebenden Reformator zu kirchlichen Dienstleistungen zur Verfügung stand. Aber Friedrichs des Weisen Nachfolger, Johann der Beständige, löste im Jahre 1530 trotz Luthers Protest die Torgauer Hofmusik auf. Da traten etliche musikliebende Bürger zusammen und gründeten die „erste Torgauer Cantoreigesellschaft“, die sich zur Aufgabe machte, „freiwillig und unentgeltlich unter der Leitung des wackeren ‚Urkantors‘ der protestantischen Kirche, Johannes Walther, die kirchlichen Gesänge einzuüben. Ihrem Beispiel folgten bald die übrigen protestantischen Städte Deutschlands, und es entstanden allenthalben sogenannte „Chori musici“. Wir finden in späterer Zeit selbst an kleineren Orten, denen eine gewisse Bedeutung zukam, solche Institute; in Oberhessen: in Alsfeld, Grünberg, Allendorf, Nidda, Schotten, Friedberg u. a. O. Meist entstanden dieselben gleichzeitig mit den Neugründungen der Lateinschulen, und einer der Praeceptores übernahm die Leitung des „Chorus musicus“.

Ob mit der 1536 neu organisierten Alsfelder Lateinschule die Gründung einer Kantorei verbunden war, ist ungewiss; verschiedene Gründe sprechen dafür, dass sie vorhanden war. Das Alsfelder Collegium musicum erscheint urkundlich zum ersten Male 1586, von welchem Jahre uns Notenanschaffungen berichtet werden.

Das Kollegium bestand aus 12 Mitgliedern. Musikliebende Bürger und Bürgerssöhne vereinigten sich mit den Praeceptores an der Lateinschule zur Übung und [Seite-05] Pflege der geistlichen Musik. Der erste Lehrer, der Rektor, war Mitglied des Kollegiums; der zweite, der Konrektor, war Dirigent der Kirchenmusik, Director musices, und der Praeceptor tertius, falls er gleichzeitig Organist war, hatte den Generalbass zu spielen. Darunter verstand man die schwierige Kunst, auf Grund eines gegebenen Orgelbasses (Continuus) und der Melodie das übrige harmonische Stimmengewebe zu ergänzen. Rektor und Konrektor waren Theologen; auf der dritten Stelle finden sich bis 1644 auch studierte Schulmeister vor, später nur unstudierte. Die Mitglieder des Kollegiums hatten zunächst die Aufgabe, den Kirchengesang zu unterstützen; daneben sangen sie aber auch 4-8-stimmige Gesänge, a capella oder mit Instrumentalbegleitung. Ein Teil der Mitglieder sang die Männerstimmen, Bass und Tenor, und die übrigen musizierten auf ihren Instrumenten. Die Oberstimmen, Alt und Sopran, wurden von stimmbegabten Lateinschülern, den „Discantistenknaben“ gesungen. Wer Mitglied des Kollegiums werden wollte, musste geprüft sein. Der Konrektor und der Tertius mussten vor ihrer Annahme eine öffentliche Probe in der Kirche ablegen und konnten nur dann die Stelle erhalten, wenn sie auf Grund eines von den Mitgliedern ausgestellten Zeugnisses den Befähigungsnachweis erbracht hatten. Eine eigentliche Bezahlung bekamen die Kirchenmusikanten nicht; dagegen gab ihnen die Stadt jährlich eine bestimmte Summe, 18 fl. 52 kr., den sogenannten „Singwein“ als Geschenk, das sie alljährlich auf Johann Baptistentag gemeinsam, im städtischen Weinhaus „verzehrten“. 52 Kreuzer erhielt der Praezeptor, wofür er die Kohlen und Lichter bei der Musik zu stellen hatte. Später wurde jedem Mitglied ein gewisser Anteil von dem Singwein zugesprochen, und es stand frei, denselben an Wein oder Branntwein zu erheben oder in Geld sich auszahlen zu lassen. Mitunter wurden die Singweingelder auch zur Anschaffung neuer Noten verwandt. Noten und neue Instrumente wurden auch aus der „Musikantenbüchse“ bezahlt. Diese ging alle Sonntag unter den Musikanten und etwaigen Tribünenbesuchern herum. Den Schlüssel dazu bewahrte der Rektor, später der Oberkastenvorsteher. Dem Kirchendiener war es verboten, auf der Musikantenbühne mit dem Klingelbeutel zu sammeln. [Seite-06]

Um das Jahr 1600 scheint die Alsfelder Musik schon in einem gewissen Flor gestanden zu haben, was zunächst daraus hervorgeht, dass um 1615 die Erbauung eines besonderen Übungslokales, eines „Museums oder Stübleins zur Music“ an die damalige Schule notwendig wurde. Auch der „Alsfelder Stadtschulvisitationsabschied von 1638“ spricht ausdrücklich von dem „vorigen rühmlichen Schwang“ der Alsfelder Musik und dem Ansehen, das sie deswegen genoss. In Kirche und Schule hatten sich durch die Überhäufung der Praeceptores mit Pfarrgeschäften in der Mitte des 30-jährigen Krieges große Übelstände eingeschlichen, denen der Visitationsabschied abhelfen sollte. Dabei kam auch die Kirchenmusik zur Sprache, und die Lehrer wurden zu fleißiger Pflege derselben angehalten. „Da sonsten etliche Musikverständige unter der Bürgerschaft und ihren außer der Schul sich befindenden Söhnen oder unter anderen Einwohnern vorhanden wären, die sollen sie, wie sonst bisher geschehen, zur Musik bitt-, freund- und bescheidentlich einladen, damit unsere Stadt Alsfeld, welche auch wegen ihrer feinen Musik bisher ist gerühmet worden, in ihren vorigen Flor wieder komme.“

Noch im gleichen Jahre ließen die Mitglieder des Kollegiums auf ihre Kosten die große Tribüne in der Mitte des Chores der Walpurgiskirche vergrößern, wie aus folgender Inschrift auf einer Holzsäule unterhalb der Orgelbühne hervorgeht: „Anno 1638 d. 23. Augusti erexerunt me symphoniaci huius loci“ (Im Jahre 1638, d. 23. August haben mich die Symphoniaci [d.s. die Mitglieder des Kollegiums] dieser Stadt errichtet.) Die Orgel stand damals noch nicht auf dieser Bühne, sondern auf der linken Emporbühne und wurde erst 1720 durch den Orgelbauer Johannes Bien aus Blankenau dorthin versetzt, wo sie heute noch steht. Auch in dem Kirchlein auf dem Frauenberg ist „ein eigener Stand und Bühne, gerad über der H. Beampten und Raths Herren Bühne für die Schüler und Musicanten erbauet worden. Wozu dann die damalige H. Praeceptores und Musicanten etwas von ihrem Deputat, welches sie sonsten jährlich zum Singwein um Joh. Bapt. tag, von einem Ehrnvesten: Rath verehret bekommen, williglich gesteuret und überreichet haben“. (Chorographie) Dass das Kollegium von 1638 an tatsächlich einen Aufschwung nahm, beweist die überaus häufige [Seite-07] Anschaffung von Noten. Alle zwei bis drei Jahre erscheinen Neuanschaffungen. Ein interessanter „Catalogus derjenigen Musikalischen Stüken, welche Anno 1644 den 6ten Septembris uf der Sing-Stuben zu Alsfeldt in der Schulen sind gefunden worden“ enthält das Notenmaterial seit 1586 und ist bis 1674 fortgeführt. Es finden sich darunter vorzügliche Stücke, vier- bis achtstimmige geistliche Gesänge, Motetten, Konzerte usw. von Orlandus Lassus, Thomas Walliser, Hieronymus Praetorius, Melchior Vulpius, Hans Leo Hasler, Samuel Scheidt, Andr. Hammerschmidt, Heinrich Schütz, Joh. Crüger, Rud. Ahl, Gumpeltzheimer u.a. Die Noten wurden teils von den Musikanten erkauft oder von dem Konrektor mit seinen Schülern abgeschrieben, größtenteils aber von vornehmen Gönnern und Musikfreunden verehrt. Unter den Stiftern befinden sich: Der Bürgermeister Fink, der Stadtschreiber Henr. Pfaff, der Accisschreiber und Zöllner Bücking, der Apotheker Leonh. Beutel, der Organist Müller, der Rentmeister Lünker, der Obristleutnant des schwedischen Heeres Joachim Morgenstern, der Rentmeister von Burg-Gemünden, der Forstschreiber Dern zu Romrod, der Keller Wittich von Storndorf und viele andere angesehene Bürger aus Alsfeld und Umgebung. Diese Schenkungen lassen auf das Ansehen schließen, dessen sich das Collegium musicum weit und breit erfreute.

Leider ist von dem Notenmaterial des Kollegiums nur sehr wenig erhalten. Im Frühjahr 1905 fand Herr Pfarrer Dr. Eduard Edwin Becker eine bisher noch unbekannte Motette von Joh. Michael Bach, dem Onkel und Schwiegervater des großen Johann Sebastian. Sie besteht aus vier Teilen: 1. Sonata, (ein 10-taktiges Vorspiel für Streichquartett mit Orgel). 2. Duett für Bass (Jesus) und Tenor (der Königische). 3. Aria für Sopran. 4. Chor mit cantus firmus im Discant. Eine weitere Kirchenmusik aus späterer Zeit auf den Sonntag Invocavit ist noch erhalten: „Ach bitter Ungemach.“ Die Komposition macht den Eindruck einer minderwertigen Kantorenarbeit.

In welcher Weise das Kollegium im allsonntäglichen Gottesdienste mitwirkte, erzählt die Gilsa’sche Chronik. Nach Verlesung des Evangeliums wird „ein Stück durch die Praeceptores Scholae und ordinarios Musicos figuriret“; ebenso wird während der Austeilung des Abendmahles „ein Stück musiciret“. Auch bei [Seite-08] Trauerfeierlichkeiten wirkte das Kollegium mit. Als 1661 die Leiche Volkmars von Lauterbach hierher in die Kirche gebracht wurde, ist „eine Music gehalten“ worden. 1667 passierte der „Fürstliche Leichnamb der Fürstin von Homberg“, die Stadt. Die Leiche wurde abends in den „Stern“ gebracht und am andern Tag „furm Stern musicirt und darauf mit Gesang und Klang hinausgeführt. Auch bei der Einweihung der Dreifaltigkeitskirche im Jahr 1664 [02] war dem Kollegium eine Hauptaufgabe zugewiesen worden. Nicht weniger als 7 Mal musicierte dasselbe, verstärkt durch auswärtige Musikanten, auf „3 Chorn mit Trompetten und Pauken“. Bei freudigen Ereignissen anderer Art, z.B. Hochzeiten, trat das Kollegium auch in Aktion. „Wann eine vornehme Hochzeit ist“, so erzählt das Schulsaalbuch von 1682, „da wird der Direct. Music. sambt den Musicanten, umb eine Music in der Kirchen angesprochen, und bekommen pro labore einen Trunk, sambt einem Stück zu essen.“ Bei solchen Hochzeiten ging es oft recht toll her. Am 3. März 1671 sah man sich deshalb genötigt, eine Hochzeitsordnung zu erlassen. „Ist auch wegen Ordnung bey den Hochzeiten geredet und noch desselben Tages bey den Glokken [03] angezeiget worden, dass bey allen Hochzeiten sollten zu 9 Uhrn nach dem Geläute die Spielleute sich abschaffen und alles aufgehoben werden. Damit also den grausamen Nachtlermen die sonderlich bey Hochzeiten furgangen, möchte hierdurch gesteuert werden. Jt. weil alle Pastores klagen, dass ihre Zuhörer von den Dorffen Sambstags hereingehen, und mehrentheils die Nacht hier beym Sauffen sitzen bleiben, als ist bei der Glocken angezeigt, welcher Becker oder Bierwirth, wird einigen von den Dorffen herbergen, nach dem er sich vollgesoffen, der hernach morgens den Gottesdienst verseumen wird, der soll Straf geben 1 fl., der Gast aber ½ 2 fl. Der Director musices erhielt 1682 für die Leitung der Musik 10 fl., später 8 fl. 26 alb. An Leich-Akzidenzien ertrug es ihm, wenn er mit dem Rektor zusammenging und sang, 17 Alb. 4.

Wie wir bereits hörten, musste der Konrektor eine Probe in der Kirche ablegen, die über seine Annahme [Seite-09] als Director musices entschied. Vom Jahre 1675 liegt ein solches Zeugnis für den Kandidaten Georg Schott aus Schotten vor, 1703 ein solches für den Stud. Henr. Lieberwirth aus Kirchhain. Beide stimmen im Wortlaut ziemlich überein. Das Zeugnis von 1675 lautet: [04]

„Dnn. Lectoribus omnibus salutem et officia.

Wir zu End deß Chori Musici zue Alßfeld ergebene Mitglieder urkunten hirmit und in Crafft dießes, dass Vorzeiger dißes der Wohl Ehrnveste und wohlgelahrte Herr Georg Schott S. S. Theol. Stud. von Schotten, in Hofnung das hiesige ietzt vacirende Conrektorat und darzu gehöriges Directorium Musices zu erlangen, sich allhier eingefunden, dem Choro Musico beygewohnet, auch sich publice in einer beständigen guten Tenorstimm löblich hören lassen, also und dergestalt, dass es sich zur genüge heraußgesetzet, dass er eine rechte Harmoniam verstehe und demnach er sich auch mit einem und anderm unserer Mitglieder in discurs, was Theoriam anlangt, eingelassen, so der zeugen wir ebenmeßig mit Wahrheitsbestand, dass er sufficient die Juniores fundamentaliter zu informiren; dieweil wir dan ahn Ehrngedachtem Subjecto de substrata materia nichts im geringsten ferners zu desideriren wissen; alß haben wir Ihme solches Attestatum mitzutheilen der Wahrheit zu Steur nicht abzuschlagen vermocht; wollen auch von Hertzen wünschen, doch ohne Maßgebung, dass er dieses Zeugnuß würcklichen Genoß empfinden möchte.“

Sign. Alßfeld den 28ten Februar 1675.

Frantz Johan Blum
Jost Meißner
Jost Keck

Das Ansehen, das der Chorus musicus genoss, ging weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Selbst der Landgraf nahm an dem Collegium musicum Anteil. 1677 überschickte auf seinen Befehl der fürstliche Hofkapellmeister Wolfgang Briegel in Darmstadt 8 Exemplare selbstkomponierter Stücke, wogegen sich der Rat wenige Monate später mit „einigem honorario“ einstellt und den Herrn bittet, „mit beygelegtem [Seite-10] Ducätgen diesesmahl vor lieb und willen“ nehmen zu wollen. Weit wichtiger für das Kollegium aber war die von dem Landgrafen verliehene Personalfreiheit v. J. 1680, wonach „diejenige zwölff Unserer Untertanen in der Stadt Alßfeld, welche bey dem alldasigen Gottesdienst in der Music sich gebrauchen lassen, und dabey auswärtig seind, von dem Ausschuss, gleichwie hiebevor, also noch förters befreiet sein“. Unter der Ausschussfreiheit verstand man die Befreiung der Musikanten von den Torwachten und gemeinsamen Auszügen der Bürger.

Von dem Ruhm der Alsfelder Musikanten spricht auch der bekannte hessische Geschichtsschreiber Johann Just Winkelmann 1697. [05]

Eine besondere Kapelle für sich unterhielt auch der Stadtmusikus und Turmmann. Er gebrauchte dieselbe zum Blasen des allsonntäglichen Chorals vom Turme der Stadtkirche und bei anderen städtischen Feierlichkeiten. 1671 im November hielt „Meister Hans Henrich Statt-Musicus allhier umb Erlaubnuß an, bey jetzigen Hochzeiten mit seiner Music aufwarten“ zu dürfen. Seine Bitte wurde von dem Inspektor Happel bei der Obrigkeit befürwortet unter der Bedingung, dass er „nur mit musikalischen Stücken bey der Mahlzeit aufwartet, ohne einigen Tantz und Spiel über die Gassen, auch dass er praecise 9 Uhrn nach haus ginge“.

Der Stadtmusikus mit seiner Kapelle wurde von dem Collegium musicum zur Mitwirkung und Verstärkung der Musik herangezogen und war für seine Person ein „Membrum“ des Kollegiums. Da er aber oft willkürlich auf eigene Verantwortung musizierte, so gab es bald zwischen ihm und dem Kollegium Streitigkeiten wegen der gerechten Verteilung des Singweins. Um 1716 entstand zwischen beiden Parteien und dem Director Musices, Konrektor Creuder, nach einer Beerdigung ein heftiger Disput in der Schule, so dass der Rektor Schad von seiner Stube herbeieilte und dem Spektakel durch seine Vermittlung ein Ende machte. Dem Stadtmusikus Jeremias Rühfel und seinen „Musicantengesellen“ wurden zwei Portionen von dem Singwein zugesprochen, dem Rektor, Konrektor und [Seite-11] Tertius je eine Portion. Das Übrige sollte in zwölf Portionen unter die Mitglieder verteilt werden. Der genannte Konrektor Creuder war trotz seiner Untüchtigkeit als Lehrer und Prediger ein tüchtiger Musikus, der sich eifrig des Kollegiums annahm und z.B. für richtige Ergänzung des Notenbestandes eifrig sorgte. Im Jahre 1717 geschah in der Direktion der Musik eine wichtige Veränderung, die für die Folgezeit für den Bestand des Kollegiums verhängnisvoll werden sollte. Rektor Schad wurde als Pfarrer nach Homberg a. O. versetzt, und Creuder wurde zum Rektor ernannt. An seine Stelle trat der Konrektor Kayser, der unmusikalisch war und die Direktion nicht übernehmen konnte. Creuder übernahm daher das Musikdirektorium [06] und behielt es bis zu seinem Tode im Januar 1729. Kayser wurde 1728 Pfarrer in Ilbeshausen, und der Rat sah sich wieder nach einem musikalischen „subjectum“ um. Nach vieler Bemühung fand er den geeigneten Mann in der Person des Kandidaten Georg Karl Neuß aus Gießen. Als dieser 1736 starb, trat an seine Stelle Elias Ludovicus Kirschbaum aus Gießen. Obwohl er musikalisch war, hatte er doch wenig Freude an dem Direktorposten, der „für eine ledige Person gemüntzt ist.“ Ein Ereignis im Jahre 1738 verdarb ihm vollends alle Freude daran.

Man feierte in diesem Jahre das 50-jährige Regierungsjubiläum des Landgrafen Ernst Ludwig, und das Collegium musicum rüstete sich zur würdigen Begehung dieser Feier. Dabei kam es zu einem hochinteressanten Streit, der eines humoristischen Beigeschmackes nicht entbehrt. [07] Der Praezeptor Joh. Götz komponierte eine besondere Festmusik in D-Dur für Gesang, Orgel, Streichmusik, Trompeten und Pauken. Gleich in der ersten Probe kam es zu einem ergötzlichen Zwischenfall. Einer der Mitwirkenden, ein „Musicantengesell“ aus der Kapelle des Stadtmusikus, [08] der Bruder desselben, Justus [Seite-12] Conrad Rühfel, geriet mit dem Präzeptor in einen Streit wegen der Orchesterstimmen. Der Komponist lief in seinem Ärger zu dem Rat und verklagte Rühfel; dieser habe ihn beschuldigt, dass er „das musikalische Stück, die Composition von einem andern Stück genommen, und die vorgeschriebene Texte darunter gesetzt, auch die Stimme der Paucken und Repetier-Zeichen nicht kunstmäßig verfertigt“ hätte. Er habe sich zwar „niemahlen vor einen Componisten und Capellmeister ausgegeben“, habe aber doch aus anderen Kompositionen soviel gesehen, dass er leicht das Gegenteil beweisen könne. Schließlich habe Rühfel „so gar exoediret (!) mit Scoptischen (!) Gestibus, dass er seine Paruque abgezogen“, und nicht allein ihn, sondern auch „Herrn Conrectorem als Direct: Musicae, vor dem gantzen Collegio musico in gröstem Despect deshonoriret. Er bat den Rat, ihm „zulängliche Satisfaction zu verschaffen“ und dem Rühfel Befehl zugehen zu lassen, dass er das „eiffersichtige scoptisiren (!), wodurch nicht allein der Gottesdienst gestöhret, sondern auch die Liebe des Nächsten biß dahero misshandelt worden“ zu unterlassen habe, da andernfalls „die sowohl Gott als Menschen wohl-gefällige Kirchen-Music nicht allein in Verachtung komen, sondern wohl gar unterlassen werden dörffte. Rühfel, als Musikantengesell, [09] erhielt vom Rat einen Verweis und den Befehl, beim nächsten Ratsgebot sich zu verantworten. Nun reichte der Angeklagte seine Rechtfertigungsschrift ein. Hören wir, was er schreibt:

„Species Facti
Auf die Wahrheit gegrüntede Begebenheit so in der Schul vom Director Musices H. Kirschbaum, Hn. Götz und mir, in Beysein derer Hn. Adjuvanten geschehen.
Alffeld die 14. Mens: Februarii MDCCXXXVIII.

Ich werde beorderth nebst einem Musicantengesellen, in die Schule zu gehen, darauf frage ich Hn. [Seite-13] Director: sind die Hn. zusammen und was haben sie vor ein Stück. H. Dir: antwortet; wir haben ein Stück welches H. Götz componirt hat. Ich bitte vom Hn. Componisten Erlaubniss, solches zu sehen, dießer antwort, Ja! nach deme ich dießes wieder niederlege, so frage ich Hn. Götz, haben Sie dießes gemacht und geschrieben, er antw. Ja! Darauf sage ich; es ist unrecht geschrieben, und woraus müssen Paucken und Trompetten gehen. Hier konte mir der Herr nicht antworten, höhnete mich auß, ließe einen garstigen Zorn gegen mich schießen, tutzet die Pauck-Stimme zusammen, schlägt selbige ungebührlich auf den Tisch, mit den Worten Sacra: ich soll und muss mich immer cujoniren lassen, und ihr seid nur ein Gesell und habt nichts zu sagen. Deßgleichen mengete sich H. Director ein, und fallen so viel anzügliche Reden, dass ich, den Zorn beyder Herrn such zubrechen, und forderte vom Hn. Director etwas Schnupftoback, um den Herrn Direktor davon ab zuhalten. Weilen aber beyde Hn. ihre ungemeßene Hitz, starck auf mich feuerten, so machte dem Krieg ein Ende, zog meine perucge ab, (weilen kein Huth oder Haube auf hatte) mit dem wahren Wort, Ihr Herrn verstehets alle beyde nicht.“ Kurtz von mir

Justo Conrath Rühfeln abgefasset.

Um den Beweis für die Richtigkeit seiner Behauptung, dass die Stimmen der Trompeten (Clarinen) und Pauken unrichtig gesetzt seien, zu erbringen, holte Rühfel die Gutachten dreier Sachverständigen ein. Das erste Zeugnis ist von dem Gießener Musikdirektor Christoph Bieler ausgestellt. Auf „Begehren des berühmten und privilegirten Stadt-Musici Hn. Rühfel“ bescheinigt er, seiner „Christen- und Ambtspflicht gemäß dass die überschickte Stimme „irrelevant und unrecht eingerichtet ist“. Schärfer und deutlicher äußert sich der zweite Sachverständige Johannes Friderici, „organista et componista“ zu Fritzlar:

„Eine wunderseltzsame wie auch mir gantz unbekante Sach zu sagen, aber eine unbekante Composition hab ich von Hn. Rühfel von Alßfeldt [Seite-14] erhalten, welche mir zwaren im Anfang gantz pompös, weilen selbige mit Clarinen und Paucken gesetzt, vorkame, wie ich aber dieselbige recht durchsehen, fande ich, dass selbige so confus und unrecht gesetzt war, dass ich mich darüber verwundert, warumb ich aber obiges geschrieben, deswegen will ich meine Ursach geben; alß ich hab gefunden, dass die Clarinen und Paucken aus dem D. Fis gesetzt, welches ich mein Tag von keinem Authore weder gesehen noch gehört, und versichere, wann alle Componisten der gantzen Welt würden zusammen kommen, würde es gewiss keiner unter allen vor guth befinden, dann es kann ja keiner auf der Clarin nach der ordentlichen Application von unten auf etwas anders haben, alß C. E. G. C.“ – „Was aber anlangt die Paucken, so kann ich versichern, dass jederzeit die eine ins C., die andere aber in das G. gestimbt wird, und solches beliebe der Author andere Hrn. Pauckers zu fragen.“ Dem Gutachten des Organisten Friderici hat sich das ganze Musikkollegium zu Fritzlar angeschlossen und „mit täglich (!) seiner eigenen Hand unterschrieben, und attestieret, wie auch confirmirt, dass eine solche Composition unächt und verächtlich sey“.

Der dritte Sachverständige, Musicus Joh. Pfeifer aus Schlitz, schreibt, dass er sich „nicht gerne in dergleichen Controversen einlaße, sonderlich wenn man mit Ignoranten zu thun hat“, aber „aus Liebe zum Nechsten, und der edlen Music wegen“, habe er sich nicht entziehen und deshalb seinen „Sentement kürtzlich“ davon geben wollen.

Er wüßte nicht „was das vor vornehme Componisten seyn möchten, wodurch der ehrliche Herr Götze seine Composition beweisen“ wolle. Er hätte „wohl gethan, wenn er die große Mühe, die er sich ohne Zweiffel geben müssen, ehe er mit seiner Music fertig worden, gespahret hätte.“

Diese drei für Rühsel so außerordentlich günstigen Zeugnisse erhöhten seinen Mut gewaltig und veranlassten ihn, nun seinerseits klagend gegen den Praezeptor Götz vorzugehen. „Die Probier-Stundten“, so schreibt er, seien „zu dem Ende eingeführet worden, damit die zu der sonntägliche Kirchen-musique bestimte musicalische Stücker hierinnen geübel und besonders die in der Probe öffters vorkommente Fehler collegialiter [Seite-15] emendiret werden.“ Er habe übrigens seine Worte in der Schule „mit vieler Bescheidenheith freundschafftlich vorgebracht“, sich auch „bey des Organisten H. Götzens unnützen Raisonieren gantz gelassen bezeichet.“ Er hätte auch „gantz stillgeschwiegen, wenn nicht der von Hrn. Gegnern begangene Musique Fehler zu groß geweßen wäre, nun sei aber „niemand fähig und geschickt, eine Musique kunstmäßig zu componiren, welcher nicht einmahl die Stimmen und Repetir-Zeichen nach denen Regeln zu setzen“ wisse. Dass dem so sei, bewiesen seine drei eingeholten Gutachten. Rühfel bat den Rat, „den Organisten Hn. Götzen hinführo mit seinen nichtswürdigen Vorbringen abzuweißen, und ihn zu erinnern, dass er sich fleißiger in der Musique bezeigen, und nicht, wie leyder öffters geschehen, in Zukunfft dergleichen Fehler zum Nachtheil der hiesigen Musique begehen möge. Am 1. April 1738 fand die Entscheidung vor dem Rat unter Zuziehung der Geistlichkeit statt. Da Rühfel die Richtigkeit seiner Behauptung mit „unterschiedlichen Beylagen“, beweisen konnte, so wurde beschlossen, dass „beyde Eingangs benahmte cristlich sich vertragen, friedlich und ohne Passion mit einander leben und in der Musique guth harmoniren, den Directorem musices behörig respectiren, und jeder seines vorgelegten Stücks in posterum abwarthen soll, und falß eines Anstands dasselbige in behörigen respectueusen terminis sowohl dem Directori alß Colleg zu communiciren, widrigenfalls der autor rixae, und welcher weiter mit impliciret, nahmhafft bestraffet werden.“ Damit war der ergötzliche Streit aus der Welt geschafft.

Konrektor Kirschbaum war nun des Direktoriums überdrüssig und übertrug es auf Anraten des Superintendenten Rollius und ohne den Widerspruch des Rats noch im gleichen Jahre dem Justus Conrad Rühfel. Dieser wandte sich nun 1740 an die geistliche Behörde in Gießen mit der Bitte, ihn mit der „Würde und dem Salario eines Cantoris zu beschenken.“ Sein Wunsch wurde gewährt, und er wurde durch Dekret vom 12. Februar 1740 zum Kantor der Stadt Alsfeld ernannt. Der Konrektor blieb zwar dem Namen nach Director musices; eine bleibende Trennung [Seite-16] der Kirchenmusik von dem Konrektorat war keineswegs ausgesprochen. Später versuchten die Musikanten zwar eine solche daraus herzuleiten, allerdings ohne Erfolg. Rühfel musste die Musikdirektion zunächst unentgeltlich führen und in Kirche und Schule „die Jugendt fleißig, fidel et diligenter einen feinen Choral singen lernen.“ Auf Antrag des fürstlichen Amtmanns und des Inspektors wurde dem fleißigen Manne im Jahre 1742 eine Besoldung von 12 fl. auf drei Jahre zugesprochen. Der Rat erhob dagegen Einspruch, dass diese Summe aus dem Hospitals- und Oberkasten bezahlt werden sollte, hatte aber damit keinen Erfolg.

Unterdessen war Kirschbaum 1739 zum Rektor befördert worden, und an seine Stelle trat Ferdinand Bähr aus Ulrichstein. Da er unmusikalisch war und die Kirchenmusik nicht zu leiten vermochte, drängte sich der Tertius Götz an ihn heran, um die Stellvertretung im Collegium musicum zu erlangen. Bähr, der die Verhältnisse nicht kannte, übertrug sie ihm im Frühjahr 1740 auch ohne weiteres. Dagegen erhob Rühfel Protest bei dem Superintendenten Rollius in Gießen, und er erreichte auch, dass der Konrektor den Vertrag mit dem Tertius löste. Bähr selbst schreibt: „Da auch Herr Cantor Rühfel ein in der Music erfahrenes Subjectum ist, und überdem die Musik biß dato so geführet, dass weder ich noch Herr Bürger-Meister und Rath etwas desideriren; so sehe gar nicht für notwendig, warum einen andern praesentiren und diesen verstoßen solte; da alles so ordentlich gehet.

Bald aber schlug die freundliche Stimmung des Konrektors gegen den Kantor um. Im Februar 1741 finden wir Bähr und den Tertius Götz in heftigem Streit mit dem Kollegium und seinem Kantor. Die Musikanten verklagten beide, dass sie von ihnen bei einer Beerdigung an der Aufführung einer „Leichenarie“ gehindert worden seien; der Konrektor und der Tertius seien vor das Sterbehaus getreten und hätten einen Choral abgesungen, was doch „nie geschehen, wo eine Music zu machen verlanget und begehret wird.“ „Seindt auch in eine solche freye Verwegenheit gerathen, und haben auf offener lichter Straße vor der Schule mit Zorn und Unmuth protestiret, gegen Hn. Justus Conrad Rühfell.“ Die Kirchenmusikanten, die ihren tüchtigen Kantor außerordentlich hoch schätzten, verlangten, dass Konrektor und [Seite-17] Tertius in Zukunft ein solches Beginnen unterlassen sollten; außerdem wollten sie jedem Befehle des Konrektors, vor ihm zu erscheinen, den Gehorsam verweigern und über die Singweingelder nach ihrem eignen Gutdünken verfügen. Bähr schreibt auf ihre Anklage, dass er eigentlich keine Zeit und Lust habe, sich auf diese „schlecht stylisirte theils windigte, Einfalt schäumende Schrifft“ näher einzulassen, aber man könne die Bitten der Musikanten nicht erfüllen; denn das ehrwürdige Altertum habe das Direktorium unauflöslich mit dem Konrektorat verknüpft. Es sei ihm bis dahin noch keine Ehre gewesen, dass die Herren „Stadt-Sänger“ vor ihm hätten erscheinen müssen. Der Wunsch der Musikanten „freywillkührlich“ über die Austeilung der Singweingelder zu verfügen, könne ebenfalls nicht gewährt werden; denn erstens „kann dem Rectori, Conrectori und Praeceptori von denenjenigen Accidentien, die denenselbigen wegen der Music und aus dem Collegio zufallen, auch nicht ein Schärfgen“ entzogen werden. „Zum andern würde ihnen die Austheilung des Geldes nicht dienen als solchen, die die Oeconomie nicht verstehen; wovon sie letztverwichenen Char-Freytag eine Probe an den Tag gelegt; an welchem Tage sie nicht allein wieder alle Observance die Oster-Musique probiret, sondern auch über-dem ihre christliche Traurigkeit über den um unserer Sünde willen gestorbenen Jesu nicht mit Thränenwaßer, aber wohl mit 18 Maaß gekochten Gersten-Safft, die sie ausgetruncken, bezeuget. O tempora, o mores! Man laße es dahero bey der alten Anordnung, so wird es vielleicht gut gehen.“

Und dabei blieb es auch.

Leider traf den fleißigen, tüchtigen Kantor Rühfel im Jahre 1741 ein schwerer Schicksalsschlag, der den trefflichen Musiker an den Rand des Verderbens brachte. Zweimal brach er das Bein und musste beständig das Zimmer hüten, sodass er sich durch die von ihm erlernte Instrumentalmusik sein Brot nicht mehr verdienen konnte. Kümmerlich ernährte er sich durch „Unterweisung einiger Jugend im Christenthum.“ 1756 bat er den Superintendenten Rollius um eine Unterstützung, und durch eigenhändige Verfügung seines hohen Freundes und Gönners wurde ihm eine solche zugesprochen. Nach dem Kirchenbuch ist er 1767 gestorben. [Seite-18]

Geistliche und weltliche Behörden waren des endlosen Haders müde und beschlossen, durch eine feststehende Ordnung zukünftigen Streitigkeiten vorzubeugen. Am 14. Juni 1742 wurde daher eine Musikantenordnung erlassen, die in 12 Paragraphen die Rechte und Pflichten der Mitglieder des Kollegiums festsetzte. Die wichtigsten Punkte seien hier kurz mitgeteilt: „Das Collegium Musicum soll allen Streit und Zank, es geschehe solcher mit Wort, oder Werken, höhnischen, spitzfindigen, anzüglichen Reden, und Minen, von sich entfernt seyn laßen und in collegialischer Freundschaft auf alle Weiße harmoniren.“ Dem Director musices soll aller gebührender Gehorsam und Respekt erwiesen werden, und falls dieser einen Stellvertreter für sich annimmt, so „verbleibet doch bey ihme Conrectori alle und jede von der Direction abhangende Gerechtsame.“ Freuden- und Trauermusik sollen bei ihm bestellt, der Singwein von ihm bescheinigt und nach dem oben angegebenen Verhältnis geteilt werden. Musikalien und Schriftstücke sollen von ihm aufbewahrt werden. Wenn ein neues Mitglied in das Kollegium einzutreten wünscht, so soll es in der Kirche eine öffentliche Probe ablegen und gratis ein unparteiisches Zeugnis erhalten. Wer von Jugend auf bei der Musik gewesen ist, der soll als Einstandsgeld 1 Taler und dem Direktor 1 Maß Wein geben; später eintretende „Bergers Söhne“ sollen 2 Reichstaler und dem Direktor 1 Maß Wein stiften. „Frembte, Ausländische“ aber sollen 4 Reichstaler und 2 Maß Wein entrichten. Der Stadtmusikus erhält außer seinen zwei Singweinportionen aus der Musikantenbüchse ½ Taler, sog. „Seiten-Geld“; die Diskantistenknaben sollen ebenfalls daraus ½ Taler empfangen. Die Probierstunden sollen nicht in Privathäusern, sondern in der Schule abgehalten werden; jeder Musikant soll 8 Tage vor der Probe seine Stimme zum Üben erhalten. Die Musik soll „in der Probier-Stunde freundlich und collegialisch probiret, keine schwere Stücker, sogleich introduciret“ werden, und „fals nun in ein oder anderem was zu erinnern und verbessern wäre, soll es modeste geschehen“, und so „ein Membrum in das besondter in praesentia der Schul Jugend“ etwas nicht „carpiret“, so sollen keine „höhnische, unschickliche Reden“ [Seite-19] gehalten, „ja wohlgar unanständige Minen“ gemacht oder „das selbig völlig schamroth gemachet“ werden. Schließlich wurde noch einmal allen Ernstes zur Eintracht und Friedfertigkeit ermahnt, den Übertretern aber schwere Strafen in Aussicht gestellt.

Tatsächlich herrschte nun auch einige Jahre Ruhe und Frieden unter den Kirchenmusikanten. Eine Bitte des Bürgers und Musikus Joh. Heinr. Craß wegen rückständiger Singweingelder wurde auf friedlichem Wege erledigt. Craß wurde später Kantor in Laubach, ein Beweis, dass das Kollegium tüchtige Männer in seinen Reihen hatte.

Mit der Alsfelder Lateinschule war es um diese Zeit übel bestellt. Als im Jahr 1745 die Konrektoratsstelle durch den Kandidaten Friedrich Soldan besetzt wurde, erhielt derselbe neue Instruktionen. Bezüglich des Gesangsunterrichts wurde ihm zur Pflicht gemacht, die Singstunden besser als bisher geschehen zu halten, damit, „weil biß dahero das Gesäng beynahe in Abgang gekommen, die Kinder nun mehro wieder in Kirchen und Schulen, besonders wan wir zur Leiche gehen, einen beßeren Choral singen lernen, dass wir uns nicht vor den Frembden, so etwa zugegen wären, zu schämen Ursach haben, dass hier so ein schlechtes Gesäng seye. Dass sich die Kinder fein beyzeiten in dem jenigen üben lernen, was dort, wenn sie in die Gesellschaft der H. Engel und Auserwehlten versetzet sind, in jener Ewigkeit ihr eintziges Hauptgeschäffte seyn wird, nehml. dem 3 mahl H. Gott von einer Ewigkeit zur Ewigkeit ein Lob- und Danklied nach dem andern anzustimmen.“

1747 und 1748 ließ der Director musices, Soldan, zwei Jahrgänge musikalischer Stücke von Telemann anschaffen; es war auf Jahrzehnte hinaus die letzte Notenanschaffung. 1748 verklagten die Diskantistenknaben den Konrektor Soldan bei dem Rat wegen angeblich nicht ausbezahlter Gelder, die ihnen nach §7 der Musikantenordnung zustanden. Soldan erklärte, dass die Knaben, weil sie die Musik „abandonniret“ nichts zu fordern hätten; die übrigen hätten ihr Geld empfangen, was aber noch übrig sei, werde unter die würdigsten Knaben verteilt. Als Soldan 1752 Rektor wurde, trat an seine Stelle der Konrektor Joh. Chr. Hahn. Er war der letzte Konrektor, der die Musik noch persönlich dirigierte. Unter seinen Nachfolgern [Seite-20] fand sich keiner mehr, der Fähigkeit oder Lust gehabt hätte, das dem Konrektorat „anglebende“ Musikdirektorium zu übernehmen. Als Hahn im Jahre 1756 versetzt wurde, trat an seine Stelle der Konrektor Christ. Wilhelm Schmidt aus Alsfeld. Da er unmusikalisch war, schloss sein Vater, der Altbürgermeister Justus Schmidt, einen Separatvertrag mit dem Tertius Götz. Dieser stellte vor der Übernahme folgende Bedingungen:

„1. dass die Musikdirektion dem Praeceptorat, so lange ich solches verwalthe, einverleibet werde,

2. die Musik-Stunden Dienstags und Freytags von 12 bis 1 Uhr in der 3. Klasse gehalten, und welche aus der ersten und zweiten Klasse die Musik erlernen wollen, daselbst erscheinen müssen, und

3. mir alle Quartal von der Konrektorats-Besoldung 5 fl. davon bezahlet werden.“

Zu dem ersten Punkte verweigerte der Rat die Zustimmung, „weilen dardurch dem Stadtrath Gesetze vorgeschrieben, und nach etwa erfolgendtem Abgang deß zukünfftigen Conrectori Schmitten dem Stadt-Rath die Hände gebunden werden“. Dieser Punkt sollte daher dahin abgeändert werden, dass Götz das Musikdirektorium solange behalten sollte, als Schmidt die Konrektoratsstelle verwalten würde. Auch sollte dieser nicht berechtigt sein, unter irgend einem Vorwande den Vertrag mit Götz rückgängig zu machen. Den zweiten Punkt wollte der Stadtrat auch nicht genehmigen. „Es soll und muss allerdings vor Anerziehung junger Musikanten gesorgt werden, doch solches ohne Nachtheil deß Herrn Praeceptoris eigener Schulinformation. Durch den aufgesetzten Punkt aber wird die Information von 12 biß 1 Uhr in der unteren Stuben gehemmet.“ Mit dem 3. Punkt war der Stadtvorstand einverstanden. Der Altbürgermeister wurde zur nochmaligen Verhandlung mit Götz aufgefordert. Dieser sollte aber auch erklären, dass er „auch vor das Choral-Gesänge überhaupt, besonders in der Kirche und bey Leichen das möglichste vor Herrn Conrector besorgen will, auch hierdurch seiner Organisten-Stelle keinen Einhalt thun, sondern vor ein tüchtiges Subjectum zu Spielung der Orgell stehen und sich verbindlich machen will“.

Über diese Zumutungen ärgerlich, schrieb Götz: „Um einen Organisten hat sich niemand zu bekümmern [Seite-21] sondern was ich annehme, werde ich auch wohl wissen zu bestreiten. Den 2. und 3. Punkt betr., so können solche auf meiner Seiten nicht die geringste Änderung leiden.“ – „Wegen des Chorals kan ich wegen meines Amts mich nicht verbindlich machen, sehe es auch vor gantz unnöthig an; weilen ich gewiss glaube, dass Herr Schmitt sich im Stande findet, den Choral eben so gut zu führen, als wie er bisher geführet worden. So wird es wohl auch keine Kunst sein, ohne Buch auf den Berg [10] zu gehen und nach Gefallen mit zu brummeln, wie mancher gethan hat, von dem doch noch ein gros Wesen gemacht worden, dennoch hat das Gesänge seinen Gang gegangen.“ Dass diese Anspielung seinem damals noch lebenden Widersacher, dem Kantor Just. Konr. Rühfel galt, unterliegt wohl keinem Zweifel.

Am 7. Dezember 1756 schickte Konrektor Schmidt seinen in 7 Punkten abgefassten Vertrag mit dem Tertius ein [11]. Den zweiten Wunsch des Präzeptors wegen der Musikstunden in der 3. Klasse gewährte man. Götz behielt die Direktion der Musik bis zu seinem Tode im Jahre 1763. An seine Stelle trat der Präzeptor Nikolaus Betzenberger; dieser übernahm ebenfalls an des Konrektors Stelle die Musikdirektion.

1764 gerieten die Kirchenmusikanten in große Aufregung, weil der Opfermann des Sonntags mit dem Seckel auf der Musikantenbühne erschien und sammelte. Sie beschwerten sich daher bei dem Rate der Stadt. „Am verwichenen Sonntag“, schreiben sie, „hat der Kirchendiener Johann Heinrich Kurtz bey Herumtragung des Klingell Beutels als eine Neuerung auf der sogenannten Schüler-Bühne herum getragen, welches uns in große Alteration gebracht.“ Von undenklichen Jahren her hätten die Musikanten das alleinige Recht besessen, hier mit der Büchse zu sammeln, und dieses Herkommen sei ihnen noch niemals disputierlich gemacht worden. „Anjetzo aber gewinnt es das Ansehen, als ob eine gantz neue Reforme oder Methode in der Kirchen gemacht, und die alten hergebrachten guten Ordnungen gäntzlich über den [Seite-22] Hauffen geworffen werden solten. Was die Erneuerung so uns betrifft anlangt, so ist selbige uns sehr empfindlich und ein Wehe der Ärgernuß, welches keine Andacht bey uns stiften wird.“ Sie baten daher, dem Opfermann solches zu untersagen, damit sie ihren Dienst „mit Freuden und nicht mit Seuffzen und Ärgernuß thun mögten“. Ihre Bitte wurde erfüllt.

1777 verklagten der Rektor Mog und der Konrektor Girsch den Praezeptor Betzenberger und das Kollegium, dass sie ihnen ordnungswidrig schon seit Jahren ihren Anteil am Singwein vorenthalten hätten, angeblich weil beide noch einen Einstand bei dem Kolgium schuldig seien. Der Stadtrat forderte die Musikanten zur Erklärung auf und überschickte sie dem Rektor, nahm sich aber sonst der Sache nicht weiter an. Da klagte Mog bei dem fürstlichen Konsistorium in Gießen und erwähnte, dass dem Stadtrat zu Alsfeld keine Gerichtsbarkeit über den Rektor und Konrektor zustände. Dieser Auffassung schloss sich das Konsistorium an und verurteilte jedes Mitglied des Rates wegen „unbefugter Anmaßung einer Jurisdiction in geistlichen Sachen“ zu 2 fl. herrschaftlicher Strafe, die jeder „ex sacco, ohne hierunter das aerarium commune zu beschweren“, erlegen sollte. Diese Strafe war den Stadtvätern höchst empfindlich, und sie wandten sich an das Konsistorium mit der Bitte um Erlass derselben, da sie doch in vielen Fällen schon Entscheidung getroffen hätten und niemals darüber bestraft worden wären. Ihre Bitte wurde nicht erhört; auch ein Gnadengesuch an den Landgrafen hatte keinen Erfolg. Der Praezeptor Betzenberger aber erhielt einen Verweis. Zu der Klage des „unruhigen Rektors Mog“ kam auch noch eine Beschwerde des Konrektors Münch im Jahre 1779. Dieser weigerte sich 20 fl. von seiner Besoldung für die Stellvertretung bei dem Musikdirektorium abzugeben und wollte nur die in der Konrektoratsbesoldung enthaltenen 8 fl. 26 alb. entrichten. Seine Beschwerde bei dem Konsistorium hatte den gewünschten Erfolg.

Betzenberger war unterdessen „alt und baufällig“ geworden und sehnte sich nach einem Gehilfen im Schulamt. 1778, am 6. Mai, schreibt er daher an den Rat: „Mein Alter und lang geleistete Dienste wollen mir meine Kräfte von Tag zu Tag erschwächen. Ich bin dahero gesonnen, mir einen Beystand zu verschaffen [Seite-23] und bey Hochfürstlicher Durchlaucht unterthänigst nachzusuchen, gnädigst mir einen Assistenten, welcher gesonnen ist meine Tochter zu heurathen, bey zu geben. Ich habe auch eine Person an dem Schulkandidat Abt, welcher sich alhier alschon in der Kirche bey der Musik hören lassen, als ein schickliches subjectum ausfindig gemacht.“ Abt wurde in Gießen geprüft und erhielt die Stelle. Wie aus dem Kirchenbuch hervorgeht, hat er auch eine „Bezzenbergerin“ geheiratet. Er war ein tüchtiger Mensch und vorzüglicher Musiker. Das Prüfungsprotokoll berichtet über ihn folgendes: [12] „Der Candidat spielt nicht nur einen sehr guten Choral, sondern auch den General-Bass und sogenannte Chalanterie-Stücke. Es wurden ihm unter andern einige Compositionen von Reefe vorgelegt, die er vom Blatt spielte. Es dürfte ihm kaum ein Organist im ganzen Oberfürstenthum gleich kommen.“ Abt nahm sich des Kollegiums noch einmal eifrig an und sorgte für neue Noten. Seit 1748 waren keine mehr angeschafft worden. 1792 baten die Kirchenmusikanten um einen Beitrag von 12 fl. 30 kr. aus der Pietanzkasse, da die jetzigen Noten nach sehr „altem Geschmack“ und „so abgenutzet, dass sie fast gar nicht mehr zu gebrauchen sind“. Nachdem sie den Beweis erbracht hatten, dass bereits früher aus der Stadtkasse Beiträge zu Notenanschaffungen gegeben worden waren, wurde ihrer Bitte willfahrt. Abt starb im Jahre 1797, und an seine Stelle trat der Tertius Schäfer. Während Abt sich des größten Ansehens bei der Alsfelder Bürgerschaft erfreut und die Kirchenmusik eifrig gepflegt hatte, ging dieselbe unter Schäfer gänzlich zurück. So wird geklagt, dass er in der Kirche den „Mousguetier H. einen Spitzbuben geschimpft und auf die Brust gestoßen habe, weil er den Diskant (!) nicht habe singen wollen“. 1805 wurde er seines Dienstes entsetzt, und die Direktion ging auf ein Mitglied des Kollegiums, den Schuhmacher Johannes Waldeck über. Er war ein tüchtiger Musikus und behielt die Stelle bis zum vollständigen Eingehen des Kollegiums.

Die Pflege der geistlichen Musik trat aber nunmehr in den Hintergrund, und die weltliche Kunst wurde um so mehr gepflegt. Das Notenmaterial aus jener Zeit [13] enthält Duette, Trios, Quartette, [Seite-24] Quintette usw., Symphonien und Konzerte für Flöten, Oboe, Klarinette, Fagotti, Trompeten, Hörner, Posaunen, Kesselpauken [14] und Streichquintett. Geistliche Stücke sind nicht mehr erhalten. Die Noten lassen die Bevorzugung des damals beliebten Waldhornes auffallend erkennen.

Im Spätjahr 1822 wurde der Kandidat Friedrich Textor zum Konrektor ernannt. Bald darauf drängte sich der Stadtmusikus Hill an ihn heran und erbot sich, an des Konrektors Stelle die Musikdirektion unentgeltlich zu übernehmen. Textor, der aus seiner Besoldung 8 fl. 26 alb. an Waldeck abzugeben hatte, ließ sich durch diese Aussicht auf einen pekuniären Vorteil bestimmen, dem Hill die Direktion zu übertragen. Dagegen erhob aber Waldeck und das ganze Collegium musicum Protest, und sie klagten bei dem Rat der Stadt. Einer Aufforderung des Konrektors, die Noten an Hill auszuliefern, leisteten die Musikanten keine Folge, sodass Textor mit Hilfe der Obrigkeit die Herausgabe der Noten erzwingen musste. Der Stadtrat gab auf die Beschwerde des Kollegiums keine Antwort. Da wandten sich die Musikanten an den Inspektor Vietor. Dieser verwies sie an den Kirchen- und Schulrat in Gießen. Die Angelegenheit wurde dort untersucht und der Kreisrat sowie der Inspektor zum Bericht aufgefordert. Beide äußerten sich sehr günstig über Waldeck und seine Leistungen; 20 Jahre sei er bereits als Musikdirektor in dem Kollegium tätig, und sein Fleiß und seine Fertigkeit verdienten Anerkennung. Außerdem habe sich Waldeck auch bereit erklärt, die Musikdirektion unentgeltlich zu führen. Textor habe aus Eigennutz gehandelt; es müssten bei der Übertragung der Direktion auf einen anderen wichtigere Gründe, etwa Unfähigkeit oder mangelhafter Fleiß, maßgebend sein. Beides könne man Waldeck aber nicht nachsagen. Außerdem sei Waldeck musikalisch besser begabt wie Hill. Die Bitte der Musikanten wurde erhört, und da Hill „bei der Musik die blasenden Instrumente zu beschäftigen hatte, womit sich die Direktion des Ganzen nicht wohl vereinen lässt“, so wurde ihm die Leitung untersagt. Durch diesen Sieg ermutigt, glaubten die Musikanten nunmehr, dem Konrektor seinen Anteil am [Seite-25] Singwein vorenthalten zu dürfen. Textor erhob deshalb 1825 Beschwerde gegen die Kirchenmusikanten und erlangte eine kreisamtliche Entscheidung zu Ungunsten des Kollegiums.

Die Kirchenmusikanten waren jedoch mit diesem Beschluss nicht zufrieden und beschwerten sich nochmals bei dem Kirchen- und Schulrat in Gießen. Wie vorauszusehen war, entschied diese Behörde zu Textors Gunsten, da in §2 der Musikantenordnung ausdrücklich gesagt war, dass alle Rechte bei dem Konrektorat verbleiben sollten, auch wenn ein Stellvertreter die Musikdirektion übernahm. Trotzdem beruhigten sich die Musikanten nicht. 1827, im Dezember, erschienen abermals 2 Mitglieder des Kollegiums, Albrecht Diehl und Justus Weber, bei dem Rat und erklärten, es sei ihnen unbegreiflich, wie jemand „Diäten beziehen könne, ohne solche durch Vollziehung einer Sache“ verdient zu haben. Sie selbst müssten das ganze Jahr über in der Kirche musizieren und somit ihre Zeit aufopfern, ohne belohnt zu werden. Sie wollten dies jedoch gerne tun, wenn nicht andere, die gar keinen Anteil an der Musik nehmen müssten, Gebühren erhielten. Ihre Bitte, die dem Rektorat und Konrektorat seither ausbezahlten 3 fl. von dem Singwein dem Kollegium zu überlassen, sollte vom Rat geprüft werden. Eine Änderung der bestehenden Verhältnisse trat aber nicht ein.

Bisher hatte das Kollegium eigentlich nur Streitigkeiten mit dem Rektor, Konrektor und Tertius hauptsächlich wegen des Singweins gehabt; mit der Pfarrgeistlichkeit aber stand es in bestem Einvernehmen. Trat jedoch der Fall ein, dass das Kollegium mit dieser in Streit geriet, und dass man die Musik für überflüssig oder wohl gar schädlich hielt, dann war es mit der „schönen Alsfelder Kantorei“ vorbei. Dieses Ereignis sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Am 2. Weihnachtsfeiertage 1832 hatte der Rektor und Mitprediger Hill die Predigt in der Dreifaltigkeitskirche. Die Orgel daselbst war unbrauchbar geworden; das Kollegium unterstützte daher mit seinen Instrumenten den Gemeindegesang und führte nach dem Altargebet noch eine besondere Kirchenmusik auf. Hierzu hatte der Rektor Hill nur unter der Bedingung eingewilligt, dass sie nicht länger als 10 Minuten dauern sollte. Da die Musikanten diese Zeit erheblich [Seite-26] überschritten, so wurden sie zum Aufhören angehalten. Über diese vermeintliche Störung in der Ausübung ihrer Musik entrüstet, beschwerten sie sich bei dem Rat und verklagten den Rektor wegen unbefugten Eingriffs in ihr herkömmliches Recht. Wie sich die Sache in Wirklichkeit verhielt, entnehmen wir am zuverlässigsten einem späteren Berichte des Dekans Kolb. Er schreibt über die Vorgänge am 2. Weihnachtsfeiertage 1832 folgendes:

„Der Musikchor begleitete an diesem Tage den Gesang in der Dreifaltigkeitskirche, wo die Orgel unbrauchbar geworden ist, mit seinen Instrumenten und führte nach dem Altargebet noch eine besondere Kirchenmusik aus. Hierzu hatte der Rektor Hill nur unter der Bedingung eingewilligt, dass sie nicht länger als etwa 10 Minuten dauere.

Der Musikchor vergaß sich jedoch in seiner stolzen Selbstgefälligkeit so sehr, dass die Zuhörer das Ende ihrer Musik kaum erwarten konnten und der Rektor sich dadurch veranlasst fand, die Kanzel zu besteigen um das allgemein ersehnte Ende herbeizuführen. Dieses Zeichen zur Ruhe wurde von dem Musikchor nicht beachtet, und der Prediger stand, wie man berechnet hat, fast 10 Minuten auf der Kanzel, ohne gehört zu werden, bis jener durch das laute Rufen einiger guter Bürger zur Ruhe und durch Bitten des Predigers, den Gottesdienst nicht weiter zu stören, endlich bewogen ward, die gellenden Töne der Instrumente zu dämpfen. In wildem Zorn stürmten alsbald etliche junge Musikanten mit einem Bass und anderen Instrumenten lärmend aus der Kirche und gaben dadurch – abgesehen von der Beleidigung des Predigers – auch der Gemeinde ein großes Ärgernis.

Der Rektor gab hierauf eine gerechte Beschwerde über Störung des öffentlichen Gottesdienstes bei Großhzgl. Kreisrate dahier ein. Die Beklagten wurden vernommen, leugneten aber, dass sie den Geistlichen auf der Kanzel, welche ihnen nahe vor den Augen stand, bemerkt, und behaupteten, dass sie im Amtseifer sich selbst vergessen hätten. Es wurden Zeugen verhört und deren mehr verlangt. Der Rektor, aus Besorgnis, es möchten auch Eide geschworen und diese wohl gar über Kleinigkeiten geleistet werden, wünschte, dass die Sache auf sich beruhen möchte und hat sie nicht weiter verfolgt. [Seite-27]

Weil der Musikchor sich schon öfters Störungen der Andacht erlaubt und nach dem Urtheil von Sachkennern durch seine aufgeführte Musik dieselbe nicht erhoben, sondern unterdrückt und anstatt fromme Zuhörer anzuziehen, solche vielmehr aus der Kirche verscheucht hatte, so wurde er dahin bedeutet, dass er ohne besondere Erlaubnis des Geistlichen keine Kirchenmusik aufführen und überhaupt in der Musik zuerst noch sich vervollkommnen sollte.“

Der Bürgermeister Ramspeck trat für eine gütliche Beilegung des Streites, „welcher noch nie hier vorgekommen ist“, ein. Die Begleitung des Gemeindegesanges in der Dreifaltigkeitskirche übernahm nunmehr der Stadtmusikus mit seiner Kapelle.

Im Jahre 1834 kam es wiederum zu einem Zusammenstoß des Kollegiums mit der Pfarrgeistlichkeit, und zwar diesmal mit dem Dekan Kolb selbst. Des Musikdirektor Waldecks Ehefrau war gestorben, und das Kollegium gedachte bei der Beerdigung eine „Leichenarie“ zu singen [15]. Vor dem Sterbehause, wo sie einen Choral singen wollten, habe ihnen der Dekan angeblich durch den Glöckner Gundrum sagen lassen, dass sie mit ihrer Musik aufhören möchten, sonst müsse er wieder fortgehen. Außerdem habe der Geistliche zu dem Polizeidiener gesagt: „Sie müssen mit Gewalt diese … Alsfelder auseinander drängen.“ Sie unterließen daher die beabsichtigte Aufführung und enthielten sich auch am Grabe des Musizierens. Nach Einsenkung der Leiche begab sich die Menge in das Friedhofskirchlein, um dort die Leichenrede anzuhören. „Kaum war das letzte Wort der Predigt gesprochen“ so klagen sie bei dem Rat, „so ertönte die barsche Stimme des Herrn Redners: Ihr Herren, (waren der Singverein verstanden), wenn ihr nicht Zeit habt mit den Papieren, so will oder muss ich zum Fenster hinaus; so schimpfte Herr Dekan, riss die Thüre auf, und ging nicht fort, sondern lief fort, verließ als Hirt seine Herde!“

Auf die Beschwerde des Kollegiums gab der Rat der Stadt, der von den mangelhaften Leistungen der Musikanten ebenso überzeugt war wie die Geistlichkeit, gar keinen Bescheid, überschickte aber statt dessen einen Auszug aus dem Beratungsprotokoll des Kirchenvoranschlags [Seite-28] von 1835, worin gesagt war, dass die Auszahlung der für das Musikchor angesetzten Singweingelder so lange suspendiert werden sollte, bis sich die Musikanten einer besseren Kunstfertigkeit befleißigt hätten. Der Betrag sollte im Ansatz bleiben und zur Anschaffung von Musikalien ausgegeben werden, damit die Musikanten eine den Anforderungen der Zeit entsprechende Ausbildung erlangen könnten. Am 8. Dezember 1835 schickte das Kollegium eine Entgegnung ein und erklärte sich zu einer öffentlichen Probe in der Kirche bereit. Besonders hoben sie hervor, dass sie schon Stücke in der Kirche aufgeführt hätten, die von früheren Musikanten nicht gespielt werden konnten. Der Rat fasste am 8. Januar 1836 den einstimmigen Beschluss, das Collegium musicum auch fernerhin bestehen zu lassen und bei seinen hergebrachten Ordnungen und Gesetzen zu schützen. Außerdem sollte das Musikchor die Namen seiner Mitglieder angeben und erklären, in welcher Weise diese bei der Musik mitwirkten. Am 21. März kamen die Musikanten dieser Aufforderung nach. Das Kollegium bestand damals aus folgenden Mitgliedern:

Johs. Waldeck, Musikdirektor
Georg Dietrich Weber, Senior
Georg Eberhard Sondermann
Heinrich Philipp Schramm
Jeremias Dietrich Rupell
Hartmann Schneider
Wolfgang Herwig
Jakob Scherling
Justus Weber
Philipp Volkmar
Heinrich Weber
Jakob Waldeck
Werner Weber
Johannes Waldeck III.
Friedrich Weber
Adam Schopbach

Die Mitgliederzahl war also bis auf 16 gestiegen, während „ein geprüftes und anerkanntes Musikchor aus 12 Bürgern bestehen soll“.

Wenige Wochen nach diesen Vorgängen trat ein Ereignis ein, das der Geistlichkeit viel unverdienten Verdruss bereiten sollte. Am 27. Januar 1836 starb Wilhelmine Luise, die regierende Großherzogin von Hessen, und das Kollegium gedachte zu ihrem Gedächtnis in dem Gottesdienst am 31. Januar 1836 eine Trauermusik aufzuführen [16]. An diesem Tage hatte der Kandidat Köhler die Predigt in der Dreifaltigkeitskirche, und die Musikanten erhielten von ihm die Erlaubnis, im Gottesdienste musizieren zu dürfen. [Seite-29]

Rektor Hill, der dem Kandidaten die Predigt übertragen hatte, erfuhr kurz vorher von dem Vorhaben der Musikanten und untersagte die Aufführung. Wie gewöhnlich wurde in dem Gottesdienst das Lied „Nun danket alle Gott“ gesungen, von der beabsichtigten Aufführung einer Trauerkantate hatte der Rektor keine Ahnung. Die Musikanten aber verklagten die Geistlichkeit bei dem Oberkonsistorium in Darmstadt. Die Sache wurde untersucht und zunächst der KreisratFollenius zum Bericht aufgefordert. Dieser erklärte, dass er in dieser Angelegenheit nichts aussagen könne, außerdem sei seine Stellung zu der Alsfelder Geistlichkeit nicht von der der Art, dass er zu einer Untersuchung berechtigt sei. Er schlug vor, die Beklagten selbst über die Angelegenheit zu vernehmen. Darauf wandte sich das Oberkonsistorium an den Superintendenten Simon in Rodheim bei Gießen. Dieser forderte den Dekan Kolb, den er für einen ihm persönlich bekannten, unparteiischen, wahrheitsliebenden Mann erklärte, zu Bericht auf. Der Dekan äußerte sich über die Sache, nachdem er die bereits oben mitgeteilten Vorgänge vom 2. Weihnachtsfeiertage 1832 geschildert und das Verbot des ferneren Musizierens in der Kirche erwähnt hatte, in folgender Weise:

„Hierauf unterblieb diese störende Kirchenmusik bis zum 1. Januar d. J., wo der Gr. Pfarrer Lampas dahier die Erlaubnis zur Aufführung einer solchen bei dem Nachmittagsgottesdienst erteilte, nachdem ich dieselbe bei dem Frühgottesdienst mir verbeten hatte, weil die Misstöne, welche die rauhen Stimmen, besonders Fisteln, und die nicht harmonischen Instrumente hervorbringen, meine Nerven angreifen und mich zu kräftiger, salbungsvoller Rede unfähig machen; weil aber auch die für Religion erwärmten unter meinen Zuhörern eine solche Musik nicht wollen, welche ihre Andacht stört, anstatt sie zu befördern.

Durch jenen Versuch ermutigt und durch einige egoistische Bürger, welche meinen, ohne diese Musik unterscheide sich die Stadt Alsfeld nicht von einem Dorfe, besonders aber durch das Treiben eines Soldaten, dem jüngeren Sohne des Musikdirektors, des Schuhmachers Johannes Waldeck, der sich in der hiesigen Kirche gern hören lassen wollte, angereizt, trachtete nun der Musikchor nach jeder Gelegenheit, die Kirche mit den Tönen seiner Instrumente zu erschüttern. [Seite-30]

Es war nicht am Tage der Gedächtnisfeier unserer Höchstseligen Frau Großherzogin, welcher 3 Wochen später folgte und an dem ich den Trauergottesdienst in der Walpurgiskirche besorgte, sondern am Sonntage Septuagesimä, wo der Rektor Hill dem Kandidaten der Theologie, Köhler, der von Großh. Oberkonsistorium die gnädige Erlaubnis erhalten hatte, sich in Alsfeld und der Umgegend im Predigen zu üben, die ihm zukommende Predigt in der Dreifaltigkeitskirche auf dessen dringendes Bitten überließ. Ein Teilnehmer der Musik bittet diesen Kandidaten um die Erlaubnis, in der Kirche musizieren zu dürfen, und erhält solche von dem Musik liebenden Sachsen ohne Weiteres. Als dieser unmittelbar vor dem Läuten zur Kirche zu dem Rektor kommt und diesem jenes referiert, schickt der Rektor, ohne zu wissen, was der Musikchor aufführen will, den Kirchendiener ab, und lässt dem der Kirche zunächst wohnenden Musikanten nur die Worte sagen: Es wird heute keine Kirchenmusik gemacht. Der Grund hiervon war außer der oben angeführten Weisung, welche der Musikchor nach dem Vorfall am 26. Dezember 1832 erhalten hatte, dieser: Die sogenannten Turmmusikanten, welche im Blasen zu religiösen Liedern geübt sind, sollten den Gesang in der Dreifaltigkeitskirche begleiten; weil sie sich aber mit dem sogenannten Musikchor nicht leicht vereinigen können, so besorgte der Rektor, es möchten Reibungen zwischen den rivalisierenden Parteien entstehen und dadurch die Kirche profaniert werden; so wurde denn die ganze Instrumentalmusik an diesem Tage untersagt.

Es ist übrigens die boshafteste Verleumdung, wenn die Beschwerdeführer vorgeben, der Rektor habe die für diesen Tag ganz unpassende Trauermusik untersagt und dafür – vielleicht gar in böser Absicht das Lied: „Nun danket alle Gott“ singen lassen. Dieses Lied ist dahier ein gewöhnliches Kanzellied und wird ohne vorhergegangene Anfrage bei dem Geistlichen in der Dreifaltigkeitskirche jedesmal vor dem Auftritt des Predigers auf der Kanzel abgesungen, weil es längere Strophen als andere dergleichen Lieder hat und der auftretende Redner dabei mehr Zeit gewinnt, sich gehörig zu sammeln. Der Rektor hat dabei gar nicht mitgewirkt, vielweniger irgend eine böse Absicht, die man ihm unterlegt, haben können.

Es ist höchst beklagenswert, dass der Musikchor durch einige Egoisten, die das Ansehen der Stadt und ihrer [Seite-31] Person durch die Kirchenmusik, welche der Kenner nicht anhören mag, zu erhöhen meinen, zu den schlechtesten Mitteln, der Verdrehung der Wahrheit und der Verleumdung unschuldiger Personen Zuflucht genommen hat.

Das Gerücht, wie es der Musikchor und seine Nachsprecher im Inland und Ausland über diesen an sich ganz unbedeutenden Vorfall verbreitet hat, ist nicht nur dem Rektor, sondern auch ganz unbeteiligten Personen nachteilig geworden. So hat man z.B. in Büdingen erzählt: „Der Dekan in Alsfeld hat nach der Trauerpredigt zum Gedächtnis der Höchstseligen Frau Großherzogin ‚Nun danket alle Gott‘ singen lassen“.

Nimmt man zu diesem allem, dem ich noch vieles zusetzen könnte, dass die wahrhaft kirchlich gesinnten Bürger dieser Stadt an der sogenannten Kirchenmusik durchaus kein Vergnügen finden, sondern sagen: Wir haben im Gesang mit Orgelbegleitung Musik genug und hören nach diesen die Predigt des göttlichen Wortes mit Aufmerksamkeit; nach der Kirchenmusik aber fühlen wir uns zerstreut und in der Andacht gänzlich gestört, so erscheint diese Kirchenmusik nur als störend und verdient, bis sie sich vervollkommnet hätte, von Oben herab untersagt, der Musikchor aber wegen der Art, wie er seinen Zweck jetzt zu erreichen gesucht hat, ernstlich gedemütigt, wenn nicht zum warnenden Exempel gestraft zu werden.“

Am 31. Mai 1836 erfolgte die Entscheidung des Oberkonsistoriums. Da gegen die Alsfelder Geistlichkeit nichts vorlag, was derselben zum Vorwurf gereichen konnte, so wurde die Angelegenheit für erledigt erklärt; dem Kreisamt aber sollte es überlassen bleiben, gegen das Musikkollegium wegen seiner unbegründeten Beschwerde geeignete Verfügung zu treffen. Am 30. Juni wurde die Entscheidung des Oberkonsistoriums den Musikanten mitgeteilt, eine Bestrafung derselben trat aber nicht ein. [17]

Mit dem Musizieren im Gottesdienste war es nun für alle Zeiten vorbei. Dagegen machte niemand den Musikanten das Recht streitig, ihre Leichenarien singen zu dürfen. Auch die Jahrhunderte lang gepflegte [Seite-32] Sitte, alljährlich am Weihnachtsabend auf dem Turme der Walpurgiskirche [Christkindwiegen] einige Choräle mit Instrumentalbegleitung vorzutragen, wurde nach wie vor von dem Collegium musicum gepflegt.

Am 24. Januar 1839 entstand dem Kollegium ein gefährlicher Nebenbuhler. Der spätere Rektor und Mitprediger Sander gründete einen Männergesangverein, dem sofort 60 Alsfelder Bürger beitraten. [18] 1848 nahm derselbe den NamenLiederkranz“ an. Schon nach sechswöchigem Bestehen trat der neugegründete Verein in der Kirche auf und fand mit seinen Gesängen reichen Beifall [19]. Die althergebrachte, dazu noch sehr mangelhafte Kirchenmusik hatte für das Publikum keinen Reiz mehr. Die vorgetragenen Stücke waren zuletzt alljährlich auf die einzelnen Sonntage des Kirchenjahres immer die gleichen gewesen, so dass man auf eine der im Volke bekannten Kirchenmusiken eine Parodie sang. Wenn das fröhliche Gezwitscher der Violinen sich mit dem Klange der Flöten Oboen und Klarinetten vermischte, so sang man dazu

„In d’r Rambach, in d’r Rambach,
Da laufen die Hia-hia-hia-hasen,
Un d’r Hohlweg is bald fertig!“

und wenn dann die gellenden Trompeten und die Kesselpauken mit dem brummenden Kontrabasse einfielen, so fügte man hinzu:

„In d’r Föllergaß, in d’r Föllergaß
Laft die Lied’rbach uf aner Seit, Seit, Seit, Seit!“

Die Kirchenmusikanten pflegten nunmehr nur noch die weltliche Musik. 1840 im Oktober veranstalteten sie im großen Rathaussaale ein Konzert mit Tanzmusik. Bei Beratung des Voranschlags der Kirchengemeinde von 1843 erwähnte der Kirchenvorstand zwar, dass man die seither bezahlten Singweingelder besser verwenden könne, machte aber keine Vorschläge zu welchem Zweck, sodass die Musikanten noch einige Jahre im Besitze derselben verblieben. Am 28. Dezember 1847 erschien der Senior des Kollegiums, Justus Weber, und bat, man möge ihnen wieder wie in früheren Jahren gestatten, im Gottesdienste musizieren zu dürfen. Die Bitte wurde nicht gewährt, da die [Seite-33] Musikanten die Aufforderung, ein Mitgliederverzeichnis einzureichen, unbeachtet ließen.

In einer Kirchenvorstandssitzung am 5. Dezember 1848 trug der Bürgermeister Ramspeck vor, dass der Stadtvorstand wünsche, es möchten die an das Musikchor seither jährlich bezahlten 18 fl. 52 kr. künftig an den wohlgeübten Singverein „Liederkranz“, abgegeben werden, da das alte Kirchenmusikchor keinen Dienst mehr tue und faktisch nicht mehr bestehe. Von den oben angeführten Mitgliedern v. J. 1836 wirkten nur noch die 5 folgenden mit:

Johannes Waldeck, Musikdirektor
Hch. Philipp Schramm
Justus Weber
Jakob Waldeck
Johannes Waldeck

Von diesen waren nur noch die 3 ersten wirkliche geprüfte Kirchenmusikanten. Die Namen der übrigen dem Kollegium angehörenden letzten Kirchenmusikanten sind:

Georg Waldeck Georg
Heinrich Weber
Werner Weber
Gg. Chr. Seyffahrt [20]
Kaspar Lenth
Georg Schneider
Heinrich Falkenhainer
Georg Dietrich Waldeck
Ernst Schneider
Jakob Schneider
Kaspar Schramm
Konrad Waldeck

Der Vorschlag des Bürgermeisters fand allgemeine Zustimmung. Musikdirektor Waldeck und ein Mitglied des Kollegiums wurden auf das Rathaus geladen und ihnen durch den Beigeordneten Hölscher mitgeteilt, dass künftig der Singweinbetrag an den „Liederkranz“ ausbezahlt werden sollte [21]. Das Kollegium protestierte dagegen und erhob Beschwerde bei dem Kreisrat und der Geistlichkeit. Dekan Weichard machte den Musikanten den Vorschlag, sich dem „Liederkranz“ anzuschließen. Der Vorstand desselben war auch damit einverstanden, die Musikanten aber weigerten sich und erhoben Beschwerde bei dem Oberkonsistorium in Darmstadt. Sie hatten jedoch keinen Erfolg. 1848 wurden ihnen zum letzten mal die Singweingelder ausbezahlt; 1849 quittiert bereits der Dirigent des „Liederkranz“, Lehrer Lang. Die uralte Sitte, am Weihnachtsvorabend auf dem Kirchturme der Stadt einige Choräle mit Instrumentalbegleitung zu singen [22], [Seite-34] wurde von dem „Liederkranz“ übernommen und wird noch bis zum heutigen Tag gepflegt. Der Verein erhält noch heute aus der Kirchenkasse den „Singwein“ von 18 fl. 52 kr. (32,34 Mark). In den Kirchenrechnungen erscheint der Liederkranz noch lange Jahre unter dem Namen: „Das Kirchenmusikchor“.

Einzelne Mitglieder des ehemaligen Kollegiums schlossen sich dem „Liederkranz“ an; die übrigen gingen aber nicht stillschweigend auseinander, sondern musizierten weiter. 1849 erscheint unter Waldecks Leitung ein „Instrumentalverein“, der noch einige Jahre bestand. Im Laufe der Zeit ist auch dieser letzte Rest von dem Collegium musicum zu Alsfeld untergegangen.

Verzeichnis der Directores musici (Konrektoren) und ihrer Stellvertreter bei dem Collegium musicum seit dem Jahre 1600

1598-1604 Justus Bücking
1606 Hartmann Causius
1607 Justus Hasselbach aus Alsfeld
„umb diese Zeit“ Hermannus Beltzer
1609 Petrus Bücking
1616-1617 Christ. Leußler
1618-1628 Joh. Franck
1628-1629 Henricus Trygophorus von Wildungen
1630-1632 Joh. Tonsor aus Alsfeld
1632-1634 Lorenz Geibel (Henricus G.!)
1634-1638 Simon Schenck von Treysa
1638-1639 Andreas Schwarzenau aus Schlitz
1640-1644 Henricus Stamm aus Alsfeld
1644-1656 Joh. Henr. Gebhardt aus Alsfeld
1656-1660 Johann Gg. Pfifferling aus Alsfeld
1660-1675 Henrich Leußler (Stellvertreter: eine Zeitlang Rektor J. H. Gebhardt)
1675-1678 Joh. Andr. Bücking aus Alsfeld (Stellvertreter: Rektor H. Leußler)
1678-1687 Dietericus Herm. Venator
1687-1691 Joh. Henric. Mylius aus Laubach
1691-1695 Gg. Elias Möller aus Gotha
1695(?)-1703 Konrektor Leußler
1703-1716 Johannes Creuder aus Grünberg
1716-1728 Konrektor Kaiser (Stellvertreter: Rektor J. Creuder)
1728-1736 (gestorben) Georg Karl Neuß aus Gießen
1736-1739 Elias Ludov. Kirschbaum, Gießen (Stellv. 1738-1739: Kantor Just. Conr. Rühfel)
1739-1745 Joh. Karl Ferd. Bähr, Ulrichstein (Stellv. 1739-1742: Kantor Just. Conr. Rühfel)
1745-1752 Joh. Ferd. Soldan aus Crainfeld
1752-1756 Joh. Christ. Hahn aus Freiensteinau [Seite-35]
1757-1768 Chr. Wilh. Schmidt aus Alsfeld
(Stellv.: bis 1763 Praeceptor Joh. Götz; von 1763 an Praez. Nikol. Betzenberger)
1769-1774 Henr. J. Mog aus Grebenau (Stellvertreter: Praez. Nik. Betzenberger)
1774-1776 Fr. Ludw. Gönner aus Ober-Breidenbach (Stellvertreter: Praez. Nik. Betzenberger)

1776-1777 Joh. Gg. Girsch aus Eichelsdorf (Stellvertreter: Praez. Nik. Betzenberger)
1777-1782 Georg Münch aus Hermannstein (Stellvertreter: Praez. Nik. Betzenberger)
1782-1783 Gg. E. Fr. Stein aus Felda (Stellvertreter: Praez. Nik. Betzenberger)
1783-1787 Karl Fr. Venator aus Billertshausen (Stellvertreter: Praez. Wilh. Abt (gest. 1797)
1787-1789 Henr. Chr. Fritzen aus Allendorf (Stellvertreter: Praez. Wilh. Abt (gestorben 1797)
1789-1793 Joh. Heinr. Curtmann (Stellvertreter: Praez. Wilh. Abt (gestorben 1797)
1793-1797 Wilh. Wolf aus Gießen (Stellvertreter: Praez. Wilh. Abt (gestorben 1797)
1797-1798 Henr. W. Gemmer aus Alsfeld (Stellvertreter: Praez. Schäfer von 1797-1803)
1798-1806 Ernst Ludwig Vietor (Stellvertreter: Schuhm. Joh. Waldeck)
1807-1809 Ludw. Pfaff aus Gießen (Stellvertreter: Johannes Waldeck bis 1848)
1809-1811 vacant (Stellvertreter: Johannes Waldeck bis 1848)
1811-1812 Wilh. Rötzel aus Eichelsachsen (Stellvertreter: Johannes Waldeck bis 1848)
1813-1818 Ludw. Berg aus Breitenbach i. Gr. (Stellvertreter: Johannes Waldeck bis 1848)
1818-1820 Johannes Rössing aus Altenstadt (Stellvertreter: Johannes Waldeck bis 1848)
1820-1821 Gg. Ph. Lampas aus Schwickartshausen (Stellvertreter: Johannes Waldeck bis 1848)
1822 Vikar Winkler (Stellvertreter: Johannes Waldeck bis 1848)
1822-1832 Friedrich Textor aus Romrod (Stellvertreter: Johannes Waldeck bis 1848)
1832-1840 Wilhelm Kobelt (Stellvertreter: Johannes Waldeck bis 1848)
(1837 Aufhebung des Konrektorats)

Anmerkungen:

[01] In Alsfeld stand den Bürgern bereits 1467 das Recht zu, im Gottesdienste singen zu dürfen. Eine Urkunde vom 5. November desselben Jahres berichtet, dass die Messe, die am Samstag von den Bürgern gesungen wurde, künftig von dem Schulmeister mit den Schülern, Schulkindern und Bürgern gesungen werden sollte. (Vgl. Ebel, Urkunde des Stadtarchivs aus dem 15. Jahrhundert). Es ist möglich, dass auch zu Alsfeld damals schon eine „Cantorey“ bestanden hat.

[02] Veröffentlichung in Nr. 40 der „Oberhessischen Zeitung“ von 1901.

[03] „bey den Glocken“, das heißt „mit der Ortsschelle“.

[04] Mitgeteilt von Dr. Diehl, Schulordnungen, Bd. I, nach dem Original bei den Alsfelder Schulakten des Gr. Haus- und Staatsarchivs. – Ein 2. Exemplar hat der Verfasser im November 1906 in der Registratur der Bürgermeisterei Alsfeld vorgefunden.

[05] Siehe „Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld“, Nr. 6, S. 7. Der „Catalogus“ nennt 2 Alsfelder „Harpfenisten“: Erasmus Koch und Joh. Eysemacher. (1652.)

[06] Die gleiche Veränderung war bereits schon in den Jahren 1660 und 1675 geschehen, gelegentlich der Besetzung der Konrektoratsstelle mit einem unmusikalischen Kandidaten.

[07] Akten in der Registratur der Alsfelder Bürgermeisterei.

[08] Jeremias Rühfel (1692-1774) war Stadtmusikus, Notar. caes. publ. und fürstlicher Jagd-Adjuvant. Sein Vater, Joh. Caspar Rühfel, war bereits Stadtmusikus.

[09] Justus Conrad Rühfel war damals 44 Jahre alt. Er hatte sich bereits 1736, nach Berufung des Praezeptors und Organisten Joh. Jost Christ Soldan zum Kantor nach Wetzlar, um die erledigte Alsfelder Organistenstelle beworben. Dieselbe wurde jedoch durch den Praezeptor Joh. Götz aus Eichelsachsen besetzt.

[10] Friedhof auf dem Frauenberg.

[11] Dieselben Verträge mit den nachfolgenden Konrektoren Mog, Gönner und Girsch sind in der Registratur der Alsfelder Bürgermeisterei noch vorhanden.

[12] Veröffentlicht von Dr. Diehl, Schulordnungen, Band 1.

[13] Im Besitze von Herrn Kaufmann Sondermann.

[14] Die eine der beiden Kesselpauken befindet sich noch im Besitze des Herrn Kirchenrechners Weber.

[15] Das Kollegium besaß ein besonderes Leichentuch, schwarz mit weißen Litzen, das bei Beerdigungen von Mitgliedern oder deren Angehörigen über den Sarg gedeckt wurde.

[16] Akten in der Registratur des Gr. Oberkonsistoriums zu Darmstadt. Die Noten der „Trauermusik sind den betr. Akten beigefügt. Es sind 3 unbedeutende a capella Gesänge.

[17] Im folgenden Jahre, 1837, wurde durch ministerielle Verfügung die Aufhebung des Alsfelder Konrektorats ausgesprochen. Der letzte Konrektor Kobelt verwaltete die Stelle noch bis zum Jahre 1840. Nach seiner Ernennung zum Pfarrer an der H. Dreifaltigkeitskirche wurde die Stelle mit seminaristischen Lehrern besetzt.

[18] Vgl. „Alsfelder Wochenblatt“, Nr. 73 vom 10. September 1853 und die Protokolle des „Liederkranz“.

[19] Vgl. „Alsfelder Wochenblatt“, Nr. 11, vom 16. März 1839.

[20] Seyffahrt erhielt 1854 die Stelle als Stadtmusikus und Turmmann.

[21] Akten in der Registratur des Kreisamts Alsfeld.

[22] Der Alsfelder sagt: „Das Christkind wird gewiegt.

Erstveröffentlichung:

Dotter, Karl: Das Collegium musicum zu Alsfeld. Geschichte der Alsfelder Kirchenmusik, in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 1. Reihe, Nr. 11, 1907, S. 3-35.

Vertiefungsliteratur:

Herrmann, Fritz: Aus der Geschichte der Alsfelder Lateinschule, in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld (GAVA), 1. Reihe, Nr. 6, 1904, S. 3-10.

Dotter, Karl: Das Collegium musicum zu Schotten. Aus der Geschichte der Schottener Kirchenmusik, in: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Gießen (OHGV), 1926, Band 27, S. 95-118.

Jäkel, Herbert: Das Christkindwiegen, in: Evangelische Kirchengemeinde (Hrsg.): Festschrift zum 600-jährigen Turmjubiläum der Walpurgiskirche Alsfeld 1995, Alsfeld 1995, S. 29-31.

Rudolf, Michael: Das Collegium musicum (3 Teile), der Turmmann (Türmer) und die Instrumentalmusikvereine des 19. und 20. Jahrhunderts in Alsfeld. Aus der Geschichte der städtischen Musik, in: Heimat-Chronik Alsfeld, 12. Jahrgang, 1995, Heft 6, S. 1-4 / 1995, Heft 8, S. 1-3 / 13. Jahrgang, 1996, Heft 1, S. 1-4.

[Stand: 01.01.2024]