Von Karl Brodhäcker, Alsfeld (2012)
Kein anderer Kunstmaler hat die Altstadt Alsfeld so hervorragend portraitiert wie Karl Weitzel. In Zeichnungen und Gemälden hat er viele Jahre mit großer Liebe zum Detail alte Gebäude, romantische Winkel, mit Kopfstein gepflasterte Gassen, Erker, Giebel, Türen, Treppen und viele andere Motive dokumentiert.
Karl Weitzel, die Alsfelder nannten ihren beliebten und geschätzten Mitbürger liebevoll Karli, wurde am 11. Juli 1904 in Alsfeld geboren. Schon als Bub zeichnete er gerne und sein großer Wunsch war, Kunstmaler zu werden. Dazu kam es vorläufig nicht. Der Erste Weltkrieg nahm ihm den Vater, so dass Karli einen Beruf zum Broterwerb erlernen musste. Im Elektrofach erhielt er seine Ausbildung, wechselte später zur Feinmechanik und legte in diesem Beruf 1937 die Meisterprüfung ab.
Seiner großen Leidenschaft, der Malerei, konnte er sich nur in freien Stunden widmen. Im Zweiten Weltkrieg musste Karli wie einst der Vater den feldgrauen Rock anziehen. Den Krieg erlebte er als Frontsoldat von 1939 bis 1945.
In den Weiten Russlands spendete ihm der Zeichenblock Trost. Seine Mappe mit Skizzen aus dem Osten musste er in Stalingrad lassen. Mit einer schweren Verletzung kehrte Karli Weitzel aus dem Krieg zurück. Der Kunstbegeisterte hat keine Akademie besucht. Das Talent, das ihm die Natur in die Wiege legte, förderte anfangs der Alsfelder Maler Martin, bei dem sich der begabte junge Karli, wie er mir erzählte, manches abschaute. In der Kriegsgefangenschaft war er mit Kunstprofessoren zusammen, mit denen er sich anfreundete. „Intensiver hätte kein Studium sein können,“ stellte er im Rückblick auf die genutzte Zeit hinter Stacheldraht fest. „Wir legten keine Frühstückspausen ein, denn wir hatten sowieso nichts zu essen. Wir diskutierten bis in die Nächte hinein. Das einzige, was uns beengte, war der Stacheldraht, die fehlende Freiheit.“
Aus der Kriegsgefangenschaft nach Alsfeld zurückgekehrt, widmete sich Karli Weitzel nun ganz seiner Berufung, und bald zeugten Ausstellungen vom Können des Malers. Nicht nur die Stadt mit ihrer Vielfalt lieferte ihm die Motive, sondern auch ihre Sitten und ihr Brauchtum.
So zählt mit zu seinen bekanntesten Ölgemälden das „Alsfelder Weihnachtssingen“ (das als Postkarten in alle Welt geschickt wurde und wird). Da es den Künstlern in der Provinz nicht vergönnt ist, von ihren Bildern leben zu können, musste auch Karli Weitzel Lohnauftrage annehmen, von grafischen Arbeiten bis zur Schriftmalerei. Einige Jahre betrieb er mit dem nach dem Krieg in Alsfeld ansässig gewordenen Kunstmaler und Grafiker Wilhelm (Willi) Weide ein gemeinsames Atelier. Diese Zusammenarbeit gab ihm viele Anregungen und befruchtete seine Arbeiten.
„Lieber würde ich den ganzen Tag vor der Staffelei stehen und malen. Ich bedauere oft, dass mir zu meiner Herzensangelegenheit so wenig Zeit bleibt“, bekannte er einmal in einem Gespräch mit mir. Trotzdem hat er eine Vielzahl von Zeichnungen und Gemälden geschaffen, die von seinem Können und seinem Fleiß Zeugnis ablegen.
Karl Weitzel war in seinem ganzen Wesen ein bescheidener Mensch, wenn auch er seine Ecken und Kanten hatte, wie jede Persönlichkeit, die nicht zu allem Ja und Amen sagt. Er wollte kein Avantgardist sein, auch kein „berühmter Maler“, der in der Kunstszene eine Rolle spielt. Er war vielmehr das, was man im besten Sinne des Wortes einen Heimatmaler nennt.
In seinen letzten Jahren litt Karl Weitzel oft unter seiner Kriegsverletzung, die ihm zum Malen die Konzentration nahm. Aber auch da wusste sich Karli zu helfen. Als er 1958 sein Haus in der Hersfelder Straße bezog, fand er dort eine alte Uhr, die er wieder zum Laufen brachte. Das war der Zeitpunkt, der in Karli eine neue Leidenschaft weckte: Er begann alte Uhren zu sammeln und sie wieder in Gang zu setzen.
Immer aber, wenn er nur irgendwie in der Lage dazu war, zeichnete und malte er Motive von Alsfeld und anderen Städten, versuchte sich in Portraits, oder zeichnete, was er am liebsten tat, in der Alsfelder Altstadt. Als Karl Weitzel 67-jährig am 15. Dezember 1971 in Alsfeld verstarb, hinterließ er ein reichhaltiges künstlerisches Werk.
Mich selbst verband mit Karli Weitzel neben dem Interesse an der Malerei noch eine spezifisch Alsfelder Gegebenheit: Bei ihm holte ich mir Rat, wenn ich Gedichte in Alsfelder Mundart verfasste. Karli war einer der Letzten, die das Alsfelder Platt noch unverfälscht in allen Nuancen beherrschten. Und es machte ihm Spaß, wenn er im Platt schwadronieren konnte. Viele gab es in den 50er- und 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts in Alsfeld ja schon nicht mehr, die die traditionelle Alt-Alsfelder Sprache noch beherrschten. Wenn heute jemand die Seele des Städtchens an der Schwalm sucht, in den Zeichnungen und Gemälden von Karli Weitzel wird er sie finden. Karli selbst war ein Stück von ihr.
Erstveröffentlichung:
Karl Brodhäcker: Karl Weitzel, in: Alsfelder Kunstmaler des 20. Jahrhunderts. Oder: Was bleibt, sind Bilder und Erinnerungen, in: Karl Brodhäcker, Der Mord am Türmer. Erinnerungen an Alsfelder Geschehnisse und Personen, 2012, S. 216-222.
Die Veröffentlichung der Texte des Autors im Rahmen des Internetprojekts
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[Stand: 12.06.2024]