Von Karl Dotter, Alsfeld (1929)
In alter Zeit, als Handel und Verkehr durch die starren Zunftgesetze stark beeinträchtigt waren, da harte Zunftregeln und überlieferte Zunftvorrechte jeden freien Wettbewerb ausschalteten, hatten die Märkte eine andere Bedeutung als in unserer heutigen Zeit. In der Blütezeit des Zunftwesens boten die Zünfte zwar eine Gewähr für gute, tüchtige Arbeit, aber dieser Zustand war von keiner langen Dauer. Das Bewusstsein, durch niemanden unterboten und in der Preisgestaltung beeinträchtigt zu werden, verleitete die Meister leicht zur Trägheit und Pfuscherei. Wer eine Ware nötig hatte, der musste sich ja an den ortsansässigen Zunftmeister wenden und war diesem, besonders wenn er der einzige am Orte war, völlig in die Hand gegeben.
Diesen Missstand erkannte man schon sehr frühe. Eine Linderung dieser Lage boten aber die sogenannten „freien Märkte“ in den Städten, bei welchen jeder, so er gesund und ehrlich war, seine Waren, frei vom Zunftzwang, ausbieten konnte. Von dieser Einrichtung machten Bürger und Bauersleute denn auch gerne [Seite-69] Gebrauch, und die Märkte waren stark besucht. Hier konnte sich ein freier Wettbewerb, zum großen Ärger der Zünfte, ungehindert entwickeln.
Sobald ein bürgerliches Gemeinwesen mit Stadtrechten vom Landesfürsten ausgestattet war, kam es auch in den Besitz des Marktrechtes. Wann unsere Stadt Alsfeld zum erstenmale dieses Recht erhielt, liegt bei dem Fehlen jeglichen Urkundenmaterials ganz im Dunkeln. Als feststehend kann die Tatsache angesehen werden, dass die Stadt Alsfeld schon in allerältester Zeit einen freien Markt auf Walpurgis hatte.
1497 verlieh Landgraf Wilhelm von Hessen von Marburg aus der Stadt das Privileg, einen Wochenmarkt abhalten zu dürfen. Landgraf Philipp der Großmütige erneuerte im Jahre 1520 dieses Recht, indem er von Kassel aus dem Amtmann zu Romrod, Sittich von Ehringshausen, befahl, dass der Wochenmarkt in derselben Weise wie seither abgehalten werden sollte. Damit war jedoch anscheinend dem Bedürfnis der Käufer in keiner Weise abgeholfen, denn im Jahre 1545 wandte sich die Stadt an den Landesfürsten mit der Bitte, ihr mehrere freie Märkte zu gewähren. Landgraf Philipp kam diesem Wunsche nach und bewilligte den Bürgern am 11. März 1545 [11.03.1545] von Kassel aus 3 jährliche freie Märkte:
den 1.) auf den Sonntag Oculi (4 Wochen vor Ostern)
den 2.) auf den Sonntag nach Franciscus (im Oktober) und
den 3.) auf Circum cisionis domini (Neujahr)
Neben diesen 3 freien Jahrmärkten blieb auch der seither übliche Pfingstmarkt bestehen, wurde aber von nun ab nicht mehr eingeläutet.
Zu diesem Markte mochte, da er zu günstiger Zeit lag, ein großer Fremdenstrom nach Alsfeld kommen. Auswärtige Händler stellten sich in großer Menge ein. Sie machten den ortsansässigen Verkäufern lebhafte Konkurrenz, da sie die Waren unterboten. Kein Wunder, dass die Alsfelder Meister diesen Markt mit neidischen Gefühlen und scheelen Augen ansahen. Im Jahre 1558 wurde Beschwerde geführt, dass die Alsfelder Schuhmacher Fremde auf diesem Markte nicht neben sich verkaufen lassen wollten.
Um diese Zeit erscheint noch ein weiterer Markt, der Kiliansmarkt um den 8. Juli. Beide waren bis dahin noch unfreie Märkte. Im Jahre 1668 verwandelte sie Landgraf Ludwig 6. von Hessen in freie Märkte und fügte ihnen noch 2 freie Viehmärkte hinzu, jeden am Vortage des betreffenden Marktes. Damit hatte die Stadt Alsfeld nunmehr 5 große Jahrmärkte, von denen 2 auch noch einen Viehmarkt vor sich hatten. Auch mit dem Wochenmarkt auf Sonnabend war verordnungsmäßig ein Viehmarkt verbunden. Auf diesem durften die Verkäufer von 9 Uhr an feilhalten, ihre Waren an Ausländer aber erst von 2 Uhr mittags ablassen.
Im Jahre 1705 werden diese 5 Märkte folgendermaßen angegeben:
1. der Neujahrsmarkt am Tage nach Neujahr. Wenn aber Neujahr auf einen Samstag fällt, so wird der Jahrmarkt den Montag darauf gehalten.
2. der Fastenmarkt am Mittwoch nach Oculi. Am Dienstag vorher war der Viehmarkt.
3. der Pfingstmarkt am Dienstag nach Pfingsten
4. der Kiliansmarkt auf Kilian (8. Juli). Fällt dieser Tag aber auf einen Sonntag, so wird der Markt am folgenden Dienstag gehalten und der Viehmarkt am vorausgehenden Montag.
5. der Michaelismarkt auf Michaelis (29. September). Falls dieser Tag auf einen Sonntag fällt, so wird es so gehalten wie bei dem Kiliansmarkt. Mit dem Michaelismarkt war ebenfalls ein vorausgehender Viehmarkt verbunden.
Es kam öfters vor, dass die Märkte verlegt werden mussten, besonders, wenn durch irgendwelche Umstände sich Schwierigkeiten und Kollisionen mit Märkten in anderen Städten ergaben. So erwiesen sich die Märkte zu Gießen und Bobenhausen mitunter als hinderlich. Nachbarstädte, wie Grünberg, Treysa, Kirchhain u. a. verhandelten häufig mit der Stadt wegen Marktverlegungen. 1700 musste der Michaelismarkt auf den 2. Oktober verlegt werden. 1712 verlegte man den Fastenmarkt, der Dienstag nach Oculi stattfand und der als der beste Markt des Jahres bezeichnet wird, auf den Dienstag nach Lätare, also 8 Tage später. Ebenso wurde in diesem Jahre der Kiliansmarkt 8 Tage zurückverlegt, d. h. später gehalten. Jahre 1714 hatte sich die Stadt Romrod, die 1695 noch einen dritten Markt, den „Medardusmarkt“, erlangt hatte (8. Juni) unterstanden, diesen Markttag eigenmächtig auf den Mittwoch vor Pfingsten zu legen. Dadurch wurde Alsfeld in seinem Pfingstmarkt stark beeinträchtigt. Auf die Beschwerde der Stadt bei dem fürstlichen [Seite-70] Amt wurde den Romrödern bei Strafe verboten, ihren Markt auf einen anderen als den vorgesehenen Tag zu legen.
Der freie Jahrmarkt war für die Bürger der Stadt und die benachbarten Orte stets ein wichtiges Ereignis. Von weither kamen Händler und Käufer. Alle einheimischen und fremden Geschäftsleute suchten von dem Goldstrom möglichst viel in ihre Taschen zu lenken. Wenn der Markt beginnen sollte, wurde er vom Kirchturm der Stadt eingeläutet oder mit Trommelschlag verkündet, eine besondere Marktfahne wurde ausgehängt. Die Stände wurden verlost. Jeder durfte nur einen Stand eröffnen. So war es auch verboten, dass Vater und Sohn 2 verschiedene Verkaufsstände zugleich aufmachten. Auf Ordnung wurde streng gesehen. Die Stände mussten, was bei der Enge der damaligen Verhältnisse leicht erklärlich ist, genau in Reih und Glied stehen. Das Aufsichtspersonal wurde bei den Märkten in der Regel noch durch Leute aus der sogenannten Ausschussmannschaft, einer Art Bürgerwehr, verstärkt. Um die Aufrechterhaltung der Marktordnung bemühte sich ein städtischer, besonders dafür angestellter Beamter, der Marktmeister. Später wurde mit diesem Amte auch das Amt des Eichmeisters verbunden. Ein öffentliches Tanzlokal, in welchem die Stadtmusikanten lustige Weisen ausspielten, fehlte natürlich nicht. In den Räumen des „Baues“, der ja in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes lag, wurde das Tanzbein eifrig geschwungen. An den Markttagen durfte auch jeder Bürger nach Belieben Bier zum Ausschank bringen. Die Märkte waren frei, das heißt, besondere Abgaben sollten von den Bürgern nicht erhoben werden, aber diese Bestimmung stand nur auf dem Papier. In Wirklichkeit musste jeder Bürger eine Abgabe, das sogenannte „Marktrecht“ bezahlen. Nur einzelne Bewohner in besonders benannten Häusern waren von dieser Umlage frei. Man sagte, es seien diejenigen Häuser gewesen, die zuerst bei der Gründung Alsfelds gestanden hätten. Alle Beamten, Ratsherren und städtische Diener waren von dem Markt recht entbunden. Vom Jahre 1814 ab wurde das Marktrecht niedergeschlagen, jedoch erst formell durch Verfügung vom 1. Januar 1823 [01.01.1823] aufgehoben. Fremde Händler mussten ein Standgeld auf den Jahrmärkten bezahlen. Diese Abgabe bildete einen beachtenswerten Posten im städtischen Budget.
Im Jahre 1744 wurde der Fastenmarkt vom Dienstag nach Lätare in die vorhergehende Woche verlegt und zwar der Viehmarkt auf den Dienstag und der Krämermarkt auf den Mittwoch nach Oculi. Welche Wichtigkeit man der Bedeutung der Märkte beimaß, beweisen die Bekanntmachungen des Stadtrates über die Verlegung beider Märkte in der Kaiserlichen Reichspostzeitung zu Frankfurt a.M. und dem Frankfurter Journal vom Februar und März des Jahres 1745.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts nahmen die Viehmärkte in Alsfeld an Bedeutung ab. Man versuchte deswegen im Jahre 1784 die heruntergekommenen Viehmärkte wieder neu aufleben zu lassen.
Im Jahre 1818 erhielt die Stadt das Privilegium zur Abhaltung eines wöchentlichen Frucht-, Heu- und Strohmarktes. Im Jahre 1823 erscheint der seitherige Kiliansmarkt zum erstenmale unter dem Namen „Kirschenmarkt“. Am 16. Juni dieses Jahres wurden Bürgermeister und Rat der Stadt Alsfeld bei der Behörde vorstellig, diesen Markt 8 Tage später, nämlich am 16. Juli, abhalten zu dürfen. Es ist derselbe Markt, aus dem später unser heutiger „Prämienmarkt hervorgegangen ist.
Im gleichen Jahre machte die Staatsbehörde den Versuch, in jeder der drei hessischen Provinzen versuchsweise einen Wollenmarkt einzuführen. Die Wahl für Oberhessen fiel dabei auf Alsfeld. Die Verhandlungen zogen sich lange hin. Endlich wurden die beiden Märkte auf:
1. am Montag nach Johannistag und
2. am Tage nach dem Alsfelder Michaelismarkt
festgelegt. 1824 musste man den Neujahrsmarkt, der damals als der beste im Jahr bezeichnet wird, wegen allzu starken Regenwetters auf den 21. Januar verschieben. 1825 verlegte man den Michaelismarkt, weil die Juden, die als Händler stark in Frage kamen, Feiertage hatten. 1840 erscheint ein neuer Vieh- und Krämermarkt auf den 13. April. Durch die Aufhebung des Zunftzwanges und die Einführung der Gewerbefreiheit im Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Märkte in ihrer Bedeutung stark zurückgegangen. Besonders die Krämermärkte sanken allmählich zur Bedeutungslosigkeit herab. Die vorausgegangenen langen Kriegsjahre der napoleonischen Zeit hatten Handel und Verkehr erheblich geschwächt.
Ein neuer Markt wurde im Jahre 1846 auf Mittwoch den 4. Februar eingeführt. [Seite-71] Die Zahl der Märkte steigerte sich allmählich von den ursprünglichen 5 im Jahr auf 12. Im Jahre 1918 erscheinen folgende Märkte:
Am 2. Januar (Krämer- und Viehmarkt)
Am 4. Februar (Viehmarkt)
Am 6. März (Krämer- und Viehmarkt)
Am 8. April (Viehmarkt)
Am 6. Mai (Viehmarkt)
Am 21. Mai (Krämermarkt)
Am 3. Juni (Viehmarkt)
Am 10. Juli (Krämer- und Viehmarkt)
Am 29. Juli (Prämienmarkt)
Am 26. August (Viehmarkt)
Am 2. Oktober (Krämer- und Viehmarkt)
Am 13. November (Krämer- und Viehmarkt)
Die alten, ursprünglich vorhandenen 5 Märkte der Stadt Alsfeld lassen sich daraus heute noch deutlich erkennen, wenn auch ihre ursprüngliche Benennung im Volke längst vergessen ist.
Erstveröffentlichung:
Karl Dotter, Vom Marktwesen im alten Alsfeld, in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 6. Reihe, Nr. 8, 1929, S. 68-71.
[Stand: 15.02.2024]