Aus dem Archiv eines alten Alsfelder Adelsgeschlechts
[von Rotsmann]

Von Prof. Dr. Eduard Edwin Becker (1922)

Im Landgräflich Hessischen Archiv zu Philippsruhe bei Hanau wird eine Sammlung von Urkunden aufbewahrt, die für die Alsfelder Geschichte von höchster Wichtigkeit ist. Sie bildete einst das Familienarchiv einer alten adligen Familie Alsfelds, der Rotzmul, Raitzmul, die sich seit dem 16. Jahrhundert Rathsmann, Rotsmann nannte und später unter dem Namen Freiherrn von Rotsmann in den Freiherrnstand erhoben wurde. Ein Zweig dieser Familie wurde von den von Fleckenbühl genannt von Bürgel beerbt, wobei auch diese Urkunden dorthin fielen. Von diesen kamen sie an das landgräfliche Archiv. Für das weitherzige Entgegenkommen, mit dem mir die Benutzung dieser Urkunden ermöglicht wurde, bin ich der Hauptverwaltung Seiner Königlichen Hoheit des Landgrafen zu wärmstem Danke verpflichtet.

Es sind 123 Urkunden aus der Zeit von 1314 bis 1574, dazu noch eine Vormundschaftsrechnung von 1542. Die Urkunden sind zeitlich sehr ungleichmäßig verteilt, die größere Menge gehört dem 14. Jahrhundert an. Von 1314 bis 1400 sind es 76 Urkunden, von 1402 bis 1498 vierzig, dazu noch sieben von 1501 bis 1574. Besonders gut sind die Jahre 1350 bis 1379 vertreten: 1350 bis 1359 zehn Urkunden (Stadtarchiv 14), 1360 bis 1369 siebenundzwanzig (Stadtarchiv 28), 1370 bis 1379 dreizehn (20). Diese Zahlen lassen ahnen, welch reicher Stoff für die Geschichte Alsfelds und seiner Umgegend hier verborgen lag. Denn in der Hauptsache umfassen die Urkunden die Stadt Alsfeld und ihre Umgebung. Nur im 15. Jahrhundert greifen einige Urkunden nach der Wetterau über, da um 1400 ein Albrecht Rotzmul sich nach Frankfurt wandte und sogar die Stellung eines Schöffen erhielt.

Es sind Urkunden aller Art, in der Hauptsache Kauf- und Versatzbriefe, auch von anderen Familien durch Erbgang auf die Rotzmule gekommen, so besonders von den Schaufußen, den von Schrecksbach und anderen, aber auch zahlreiche Lehenbriefe und Lehenreverse, gerichtliche Urkunden, Eheverträge, Testamente, Leibzuchtverträge, ein Weistum und andere. Nur ganz wenige sind bis jetzt bekannt: Gudenus hat in seinem Codex Diplomaticus [Seite-128] im dritten Bande sechs davon abgedruckt [01], und zwar aus den Ausfertigungen; wo er diese benutzte, gibt er nicht an; eine weitere Urkunde ist in den „Marburger Beiträgen zur Gelehrsamkeit“ [02] gedruckt; von einer anderen ist im „Archiv für Hessische Geschichte“, Band VII, ein sehr mangelhafter Auszug gegeben [03]; endlich habe ich eine der Urkunden, die für die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Alsfeld wichtig ist, in den „Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld“ [04] abgedruckt. Die anderen 114 Urkunden sind gänzlich unbenutzt. Sollte es sich nicht ermöglichen lassen, die Urkunden in Auszügen oder Regesten zusammen zu veröffentlichen, so sollen doch wenigstens die Alsfelder Urkunden in den „Mitteilungen“ ausgiebig benutzt werden. Für diesmal kann nur weniges herausgegriffen werden: einmal eine Urkunde aus kriegerischer Zeit, dann einige Urkunden, die eine fromme Stiftung betreffen.

I. Eine Niederlage der Alsfelder

Dass die Kriegführung eine sehr große Rolle im Leben des mittelalterlichen Bürgers spielte, weiß jedes Kind. Wie dies aber auf Alsfeld einwirkte, davon ist recht wenig bekannt. Eine Verordnung von 1346 regelte die Teilnahme der Bürger an den Fehden [05]. Die Stadt wurde zu diesem Zweck in zwei Hälften geteilt. Wenn die Bewohner des einen Teils auszogen, mussten die des anderen Teiles die Stadt hüten. Wenn die Ausziehenden eine Niederlage erlitten, so mussten die Daheimgebliebenen die Kosten mittragen; die Folgen einer Niederlage waren ja in den Fehden des Mittelalters weniger blutig als teuer: sie bestanden vor allem in dem Lösegeld für die Gefangenen. Es war auch bestimmt, dass der den etwaigen Schaden allein tragen musste, der dem Bürgermeister oder sonstigen Befehlshaber ungehorsam war. Wenn die Bewohner des einen Teils ungewöhnlich lange hatten ausziehen müssen, so musste das von den anderen bei Gelegenheit wieder ausgeglichen werden. Ob auch in Alsfeld so menschenfreundliche Bestimmungen bestanden, wie in Lauterbach, ist nicht bekannt: dort brauchte ein Mann, dessen Frau krank war, oder der einen Brotteig angestellt hatte, nur bis zum Abend mitzuziehen. Die Nacht durfte er wieder zu Hause verbringen.

Eine der Philippsruher Urkunden berichtet uns nun von einem solchen Zuge der Alsfelder, aber von einem recht unglücklich verlaufenen. Die gute Stadt hatte eine Fehde mit Schlitz. Vielleicht war es 1384, wo Landgraf Hermann einen schweren Krieg mit dem Erzbischof von Mainz hatte, in dem Ritter Röhrich von Eisenbach auf des Mainzers Seite stand; dieser aber hatte von seiner Frau, Margarethe von Schlitz, her einen Anteil an Schlitz. Vielleicht war es auch 1402, wo Röhrichs Sohn, der denselben Namen [Seite-129] führte, wieder mit Landgraf Hermann sich maß. Die Alsfelder standen treu auf der Seite des angestammten Fürsten; war doch Landgraf Hermann der Fürst, der die Stadt zu seiner zweiten Residenz erhoben hatte. Darum wollten ihnen die Schlitzer gerne Schaden tun. Sie rückten auf die Stadt los, wohl im Schutz des nächtlichen Dunkels; es kam ja den Kriegführenden nicht so sehr darauf an, den Feind zu treffen, als ihn zu schädigen.

In der Nähe der Stadt stoßen die Feinde auf eine Schafherde; sie gehört dem Alsfelder Schöffen Konrad Rotzmul [06]. Schnell sind die Hirten, ebenso rasch die Herde hinweg getrieben. Die Feinde verschwinden im Dunkel der Nacht.

Wehklagend eilen die Schäfer der Heimat zu; der Türmer von St. Walpurgis erspäht sie im frühen Licht und kündet ihr Kommen. Schnell versammelt sich der Rat der Stadt und berät, was zu tun ist. Nach langem Erwägen des Für und Wider kommt er zu dem Beschluss: rasch dem Feinde nach, um ihm die wertvolle Beute abzujagen. Die Sturmglocke heult über die Dächer, von allen Seiten eilen die Bewaffneten herbei und sammeln sich unter den Fähnlein der Zünfte. So ziehen sie munter fort; manch lustiges Spottwort wird über den Feind gesprochen.

Doch die Freude sollte nicht lange dauern. Sorglos zogen die Krieger durch einen Hohlweg, da erschallte lautes Geschrei. Ein Teil der Feinde hatte einen Hinterhalt gebildet und hieb nun auf die überraschten Verfolger ein.

Nur ein Teil konnte sich flüchtend in Sicherheit bringen. Die andern wurden entwaffnet, gefangen und mit der Schafherde nach Schlitz gebracht. Und sie werden für den Spott zu ihrem Schaden nicht haben sorgen müssen.

Bekümmert hörten in Alsfeld die Zurückgebliebenen von dem Missgeschick, das ihre Brüder getroffen hatte; es traf ja einen jeden von ihnen mit gleicher Wucht. Man sandte Boten nach Schlitz und verhandelte über die Lösesumme; mehr als tausend Gulden wurden verlangt, eine ungeheure Summe, für die man manches Dorf oder manchen Wald hätte kaufen können. Vergeblich war alles Handeln; die Gegner blieben unerbittlich. Die Goldfüchse und die Silbermünzen mussten aus Kasten und Truhen heraus, bis die Lösesumme voll war.

Man kann sich denken, dass dieses Ereignis noch lange das Tagesgespräch bildete; im Weinhaus und im Schwanen und in allen Schenken der Stadt wurden die Meinungen über die verhängnisvollen Vorgänge ausgetauscht, und bei jeder Steuerzahlung wurde männiglich schmerzlich daran erinnert. Und immer wieder tauchte der Gedanke auf, ob der, dessen Schafe die Niederlage veranlasst hatte, nicht verpflichtet sei, auch den Schaden zu decken, wenn auch nur zu einem Teil. Vielleicht sind diese Umstände die Veranlassung gewesen, dass Albrecht Rotzmul der Heimatstadt den Rücken wandte und nach Frankfurt zog, wo er auch in das Schöffenamt kam, eine für einen Fremden seltene Ehre. Seine Töchter Katharine und Anna heirateten in die Patrizierfamilien von Holzhausen und von Glauburg.

Jahre waren schon vergangen. Immer weniger wurden die, die noch aus eigenem Wissen von jenen Tagen erzählen konnten; man sah schon die Zeit voraus, wo niemand mehr darüber Bescheid wissen würde. [Seite-130]

Da versammelte am 27. April 1422 der Bürgermeister den Rat der Stadt in Gegenwart des Schultheißen auf dem Rathaus. Drei greise Männer – sie waren an jenem schwarzen Tage selbst Schöffen oder Ratsmänner gewesen, und waren wohl jetzt die letzten von diesen – werden vor das Gericht gestellt und müssen aussagen, was sie noch von jenem Tage wissen. Ein Notar – Priester war er zugleich – zeichnet ihre Antworten auf, wie die Fragen des Bürgermeisters und wie die Eidschwüre, die sie schwören, diese frommen, echt deutschen, treuherzigen Formeln. Dann wird alles zu Pergament gebracht, und der Notar versieht es mit seinem Zeichen. Nun kann die Kundschaft liegen bis zum jüngsten Tage; für immer wird man wissen, wie es an jenem verhängnisvollen Tage zuging. Nur eines ist uns merkwürdig: Wie kam diese Urkunde in das Archiv der Rotzmul, gegen die sie doch eigentlich aufgenommen worden war? Hat vielleicht einer der späteren Rotzmüle, dem sie zugänglich war, das gefährliche Beweisstück aus dem Stadtarchiv entfernt?

Im Folgenden lesen wir das merkwürdige Stück:

In Godes Namen, Amen. Kunt sij allin Luden, die dieß offin Instrument sehin, horin adir lesin, daz in deme Jare, als zalte noch Crists, unsern Herrin, Geburtin tusint vierhundert darnoch in deme zwey unde zwenzigistem Jare in der fonften Indiccion [07], in des allirheiligistin in Gode Vaders unde unsers Hern, Herrin Mertins von gotlichir Vorsehunge des Fonften Babists des Namen [08], in deme sonftin Jare syner Kronunge uff Montdag, der do ist der sibbin unde zwenzigiste Dag des Mohinds [09] Aprils, desselbin Dagis zu Terciezijt [10] adir nahe dobij, uff deme Rathuße zu Alsfelt Menczir Byßtumes in Geigenwertickeyd myn offinbar Schribers unde der Gezeuge [11] hirnoch genant, dozu geheyschen unde gebeden, haid geseßin der ersame wise Happil Schauefuß, yczunt Burgermeinster, in Geigenwertickeyd des reichtfertigin Mannes Egkard Leymbachs, yczunt Schultheyßin, unde in Geigenwertickeyd des Rads zu Alsfelt. Unde Happil, der Burgermeinster yczunt genant, cleyde [12] unde sprach: „Die Stad Alsfelt had vor Zijden großin vorderplichin Schadin genommen von Nyddirloge weigen, als die von Alsfelt ußzogin unde wulden Schauffe [13] holin vor Slicze [14], die gewest worin eyns Mitdescheffin zu Alsfelt genant Albracht Roczmul seligen. Von der Nyddirloge unde von deme Schadin wißin etliche unser Mitdeburger mit Namen Henne Hartleip, Heine Lewir, beide Scheffin [15] unde Claus Czennir, eyn Ratmann, me von dan andere“. Unde sprach Happil, der Burgermeinster yczunt genant, zu Egkard Leymbach, [Seite-131] Schultheiß vorgenant: „Uff daz die Sache unde der Schade behalden werde, ab die try vorgenantin von Todis weigen abegingen unde virsturbin [16], so bitdin ich dich von der Stadt weigen, daz du die bestellist unde eydist [17], als reicht ist, daz sij mogen uff die Sache besagin“. Des bestalte unde eydte Egkard, der Schultheiß vorgenant, die try Man vorgenant. Mit Namen gab he Hennen Hartleip unde Hennen Lewir uff ir Liebe unde uff ir Sele [18], uff ir Truwe unde uff ir Ere, die sij Gode, irme reichtin Herrin, unde uff den Eyd, den sij der Stad unde deme Scheffinstuel zu Alsfelt getan han. Unde gab daz Claus Czennir uff synen Liep unde Sele unde uff syn Truwe unde uff sin Ere, die he Gode, Wyp [19] unde Kyndere unde syme reichten Hern schuldig were, unde uff den Eyd, den he deme Rade getan haid, daz die try also wulden sagin, waz en von der Nyddirloge unde von deme Schaden vorgerurt wijßintlich were, als en God helfe unde die Heyligen. Des sprochin die try mit Namen Henne Hartleip, Henne Lewir unde Claus Czennir vorgerurt eyntreichteclichin unde ir iglicher sprach besundern: „Mir ist wyßintlichin, daz die von Slitdese Albracht Roczmul seligen syne Schouffe nomen, unde Burgermeinster unde Scheffin unde eyn Teils des Rads des Rede hattin, sy wulden die Schouffe gerne widdir holin vor Slicze, unde ging doch der Anslag uff daz Mal nicht vor sich. So bin ich ouch in deme Rade nicht gewest, daz der Anslag unde Rydt uff denselbin Dag, als die von Alsfelt nyddirlogin umme der egenanten Schouffe willin mit Rade geschee des Rads zu Alsfelt, daz mir wisßintlichin sij“. Ouch sprochin die vorgenanten try in derselbin Bestellunge uff ir Eyde: „Die von Alsfelt [20] hon der Nyddirloge Schaden tusint Guldin unde me“.

Ubir soliche Rede in solichir Maße, als die vor mir gescheen sin, als vorgeschrebin ist, had mich offinbar Schriber der egenante Happil Schoufuß, Burgermeinster, gebeden unde geheischin, daz ich eine unde der Stad Alsfelt darubir eyns adir me offin Instrument adir Instrumente machin wulle. Unde ist dieß gescheen in deme Jare, Indiccion, Kronunge, Mohinde, Dagezijt unde Stede, als vorgeschrebin sted. Hij by sin gewest die bescheiden Lude Henne Bruen, Henne Deuche, Henne Rybinsteyn, Henne Vesil, Ratlude, zu Gezugen hirubir geheischin unde gebedin.

Unde ich Conradus Plugschir [21], Cleric Menczir Byßtuemes, want ich bij solichir Bestellunge unde by allin unde iglichin Redin, als die gescheen, als vorgeschrebin stet, geigenwerticlichin mit den Gezugen gewest bin, gesehin unde gehort han, darumme ich dieß offin Instrument mit miner eygen hant geschrebin gemacht hon, unde mit mynem gewonilichin Zeichin unde Namen gezeichnit han, geheischin unde gebeden zu Bekenteniße unde Gezugniße allir unde iglichir vorgeschrebin Dinge, unde ist mir [Seite-132] Notarien wijßintlichin, daz die try Worter „die von Alsfelt“ geschrebin sten übir der seß unde zwenzigisten Zyel [22], unde horin darin, als gezeichnit ist.

Die Pergamenturkunde ist mit dem Zeichen und der Unterschrift des Notars versehen.

II. Eine fromme Stiftung [23]

Konrad Roczmul, der als erster der Familie nach Alsfeld gekommen war – er war 1339 aus Fulda vertrieben worden [24] – und in der neuen Heimat Hille Schaufuß, eine Tochter des begüterten Alsfelder Bürgers Nikolaus Schaufuß geheiratet hatte, hatte mindestens vier Söhne, Sibold, Konrad, Claus, Siegfried, wohl auch noch Bertold und Kunz, dazu mindestens drei Töchter, Adelheid, die den Altenburger Burgmann Ludwig von Schrecksbach heiratete, Gela, die die Hausfrau des Frankenberger Schöffen Siegfried Frieling wurde, und Grete, die als Nonne in Blankenau lebte.

Unter den Geschwistern ist besonders bemerkenswert Sibold Roczmul, der auf einer Hochschule studiert haben muß, denn er hatte den Grad eines „Meisters“ (Magister) erworben. Er wurde Leibarzt des Landgrafen Heinrich, der ihm 1359 ein Haus zu Alsfeld schenkte [25]. Aber die Heilkunde betrieb Sibold, wie das im Mittelalter oft geschah, nur gewissermaßen im Nebenamt. Im übrigen war er Priester und stand auch als solcher dem Landgrafen nahe, denn 1369 und 1371 nennt ihn dieser seinen „lieben Kapellan“. Von 1360 an erscheint er als Pfarrer zu Homberg. Doch blieb er seiner Vaterstadt treu; das zeigen die zahlreichen Rechtsgeschäfte, die er in Alsfeld und Umgegend tätigte; das zeigen auch die Stiftungen, die er für Alsfelder Zwecke errichtete.

Sibold muß ein wohlhabender Mann gewesen sein. Nachdem ihm der Landgraf 1359 das Haus geschenkt hatte – er wohnte übrigens 1372 nicht in diesem, sondern in einem andern, seiner Schwester Adelheid gehörigen Hause, das diese von Grete von Lisberg gekauft hatte –, kaufte er am 26. März 1360 von Heinrich von Storndorf und dessen Gattin Gela für 55½ Pfund Heller einen Hof zu Ober-Hopfgarten. 1369 erwarb er am 25. Mai von dem Ritter Eckard von Linden und dessen Söhnen Johann, Eckard und Konze und am 4. Juli von Ermegard, der Witwe Konrads von Linden, ihrem Sohne Friedrich, ihrer Tochter Bechte und deren Gatten Johann von Romrod Güter zu Hopfgarten, Storndorf, Hergersdorf und einige Wälder, die diese bisher gemeinsam besessen hatten. Zuletzt wird er genannt 1385 [26], in welchem Jahre er einen Anteil an einem Garten zu [Seite-133] Alsfeld kaufte. Bei dieser Gelegenheit wird er nicht mehr Pfarrer zu Homberg genannt, auch nicht in der vorhergehenden Urkunde von 1372.

Diesem wohlhabenden Manne gab nun Landgraf Heinrich am 30. April 1369 die Erlaubnis, dass er all sein Gut vermachen dürfe, wie er wolle, zum Heil seiner Seele oder, wie er sonst es wolle. Von dieser Erlaubnis machte Sibold in mehreren Stiftungen Gebrauch. Bekannt ist die Schenkung von wertvollen Büchern, die er zusammen mit dem Alsfelder Pfarrer Stephan 1371 vornahm [27]. Auch beteiligte er sich an der Stiftung eines Altars zu Eudorf, den seine Schwester Adelheid von Schrecksbach 1369 errichtete.

Besonders merkwürdig aber ist die Stiftung, die er zu Alsfeld gründete. Denn die Stiftungsurkunde lässt uns einen tiefen Blick in die Erfahrungen und Meinungen Sibolds, aber auch in die Zustände seiner Zeit tun.

Zwar gehört die Stiftungsurkunde zu denen, die Gudenus bereits gedruckt hat [28]. Aber sie ist, soweit ich sehe, bis jetzt noch nirgends ausgiebiger benutzt; darum dürfte eine Behandlung dieser Stiftung hier doch am Platze sein.

In der Urkunde, die am 3. Mai 1371 im Schlosse zu Kassel errichtet wurde, geben die Landgrafen Heinrich (der Eiserne 1328-1377) und Hermann (der Gelehrte 1377–1413) ihre Zustimmung zu einer Stiftung des Sibold Roczmul, der als Pleban zu Homberg und als „unser Kapellan“ bezeichnet wird. Dieser hatte mit Unterstützung seiner Brüder und Schwestern zum Lobe der heiligen Dreieinigkeit, der Jungfrau Maria, zum Heil seiner Seele, der Seelen seiner Eltern, der Wohltäter und aller Gläubigen, der lebenden und der toten, einen Altar mit zwei Benefizien in der Pfarrkirche zu Alsfeld gestiftet zu Ehren St. Johannes des Evangelisten und der seligen Anna, der Mutter der heiligen Jungfrau Maria. In der Folge wird der Altar stets als Altar der heiligen Anna bezeichnet. Er stand nach den späteren Erwähnungen in der Sakristei (Gerbkammer) der Walpurgiskirche. Als Patrone der Kirche gaben die Landgrafen die Zustimmung und erteilten zugleich den Brüdern und Schwestern des Stifters und deren Erben das Präsentationsrecht für die zwei Priesterstellen. Ebenso bestätigten die Landgrafen die Stiftung der von Sibold gespendeten liegenden Güter zu dem Altar und erlaubten, dass der Altar diese, sowie etwa weiter zu spendende Liegenschaften behalten dürfte. Nach einer Verfügung des Landgrafen Heinrich von 1339 hätten ohne diese besondere Erlaubnis die Güter sonst binnen Jahr und Tag verkauft werden müssen [29]. Güter, die von Lasten frei waren, sollten weiter frei sein; dagegen müssten sie Abgaben, die sie vorher getragen hätten, weiter tragen.

Für die Beneficiaten des Altars werden dann im weiteren Regeln ausgestellt, die die Urkunde so besonders anziehend machen. Jeweils der Älteste [Seite-134] der Familie Roczmul soll der Patron des Altares sein; wenn die Stelle frei ist, soll er einen oder zwei Schüler von guten Anlagen und einem Alter nicht unter sieben (!) Jahren zusammen oder getrennt zu dem Altar präsentieren. Diese sollen zuerst die Anfangsgründe der Grammatik treiben. Wollen sie dies auf Privatschulen tun, so soll ihnen von den Früchten des Altars so viel gegeben werden, als die Beschaffenheit des Orts und die Umstände verlangen. Wenn aber ein Beneficiat aus Unkenntnis der Wissenschaften nicht auf die Privatschulen gehen kann, um dort die Anfangsgründe der Grammatik aufzunehmen, so soll er nichts von den Einkünften des Altares haben. Diese sollen vielmehr für den Altar angelegt werden.

Wenn die Beneficiaten nun in der Grammatik gut genug gegründet sind, was nötig ist, damit sie zu den höheren Wissenschaften aufsteigen können, so sollen sie zur Universität (studium privilegiatum) gehen; dort sollen sie zweimal sieben Jahre verweilen. Zuerst sollen sie dort die „artes liberales“, (die „freien Künste“, Grammatik, Dialektik, Rhetorik; Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie) oder die „Leges“ (Gesetze) studieren, je nach ihrer Anlage, dann zur Theologie oder zum kanonischen Recht übergehen. Wenn nur einer von den beiden geschickt ist, diese Studien zu treiben, so soll nur er sein Teil erhalten. Wenn einer aus bösem Willen nicht zur Universität gehen will, so soll er nichts von den Einkünften erhalten. Wenn er aber krank ist, oder wenn er Buße tut, so soll er seinen Anteil bekommen. Wenn dem Patron glaubwürdige Kunde zu Ohren kommt, dass der Beneficiat innerhalb oder außerhalb der Hochschule sich schändlich aufführe, so soll er in diesen dringen, dass er von seinem Laster abstehe und die Tugend liebe. Wenn der Beneficiat aber widerspenstig ist, so soll der Patron dafür sorgen, dass der Richter des Stuhls zu Mainz oder der Offizial zu Amöneburg ihm eine Frist setzen, innerhalb deren er sich von seinen Lastern abwende. Wenn er nicht darauf hört, so hat der Beneficiat seine Stelle verloren, und der Patron soll einen anderen für ihn präsentieren. Ebenso ist der Beneficiat mit Verlust seiner Stelle zu bestrafen, wenn er während des Studiums die Schule nicht besucht, sondern Ruhe und Müßiggang mehr liebt.

Wenn die Beneficiaten ihre Studienzeit erfüllt haben, so sollen sie die Weihen empfangen. Dann sollen sie dem Altar persönlich dienen, wenn sie nicht etwa der Erzbischof von Mainz von dieser Verpflichtung befreit.

Vorher, so lange die Beneficiaten studierten, wurden die vorgeschriebenen Messen durch andere Priester gehalten, und zwar nur durch Vikare, denen der Zugang zum Altar durch den Probst von St. Stephan oder dessen Offizial in Amöneburg gestattet worden war. Diese Vikare mussten folgende Messen an dem Annenaltar halten: zu Weihnachten, auf Ostern, zu Pfingsten, auf Mariae Himmelfahrt, auf den Tag der Patrone des Altars, auf Allerheiligen, auf den Weihetag des Altars und auf Allerseelen. Jeder der beiden Beneficiaten hatte davon vier Messen bestellen zu lassen.

Nach Empfang der Weihen sollen dann die Beneficiaten die Messen selber lesen, und zwar zu einer Zeit, wo sie dem Pfarrer keinen Eintrag tun. Diesem haben sie überhaupt als ihrem Oberen alle Ehre anzutun. Opfer, die auf ihrem Altar geopfert werden, haben sie dem Pfarrer abzuliefern. An den [Seite-135] Verteilungen im Chor haben sie keinen Anteil, außer wenn sie aus Frömmigkeit bei einer Vigilie anwesend sein oder Messen für die Verstorbenen lesen werden. Nach dem Empfang der Weihen und nach ihrer Niederlassung in Alsfeld sollen sie an den Vespern, den Matutinen, bei den Messprozessionen, bei den Messen an den Hauptfesten, der Kirchweihe und dem Fest der Patrone zugegen sein. In ihrer ganzen Lebenszeit sollen die Beneficiaten, wenn es nur irgend möglich ist, mit einander verkehren und befreundet sein.

Der Patron oder die Patronin, außer der ersten Patronin, sollen sich innerhalb Jahresfrist, wenn ihnen das Präsentationsrecht zugefallen ist, bei dem Alsfelder Pfarrer melden, oder wenn dieser nicht in Alsfeld seinen Wohnsitz hat, bei dem Bürgermeister und mit handgebender Treue versprechen, dass sie ihr Patronat recht verwalten wollen.

Zur Verwaltung der Einkünfte und des Vermögens soll der Patron einen gottesfürchtigen Mann ernennen, einen Priester oder Laien, der dem Altar und den Beneficiaten recht vorstehen soll. Alljährlich hat dieser dann vor dem Patron und zwei von diesem ernannten Freunden Rechnung abzulegen. Wenn diese richtig ist, so soll der Patron ihn bitten, weiter in dem Dienst zu bleiben. Wenn er aber untauglich war, soll er einen andern nehmen.

Was weiter von dem Annenaltar bekannt ist, ist nicht gerade besonders viel. Wie wir sahen, hatte die Familie der Roczmul das Präsentationsrecht zu den beiden Beneficien erhalten. Kein Wunder, dass der Patron, wenn nur irgend möglich, Glieder seines Geschlechts mit dem Stipendium begabte. So finden wir bereits 1390 zwei Brüder Roczmul, Siefried und Wigand, als Altaristen des Altars St. Annen gelegen in der Gerbkammer der Pfarrkirche zu Alsfeld. Sie waren Söhne des Claus Roczmul, Schöffen zu Treisa, eines Bruders Sibolds, und waren zweifellos von ihrem Oheim auf die Stelle gebracht worden [30]. Wigand scheint seine Studienzeit noch besser angewandt zu haben, wie sein Bruder: er wird, wie sein Oheim „Meister genannt. Die beiden Brüder erkauften am 11. Mai 1390 von ihrem Oheim Bertold, Schöffen zu Alsfeld, für 80 fl. eine Wiese zu Eudorf für ihren Altar. Im folgenden Jahre am 6. April erkauften sie von demselben Oheim eine weitere Wiese für ihren Altar, diesmal in der Aue und für 100 fl. Diese Wiese hatte der Altar noch 1460 [31].

Der nächste aus der Familie Roczmul, der das Beneficium erhielt, war Konrad Roczmul, ein Sohn Johann Roczmuls des Älteren, Burgmanns zu Altenburg, und Bruder von Johann und Albrecht Roczmul. Ein Verwandter von ihm, Albrecht Roczmul, war, wie wir früher schon gesehen haben, nach Frankfurt gewandert und dort Schöffe geworden. Dessen Tochter Katharine hatte einen Henne von Holzhausen geheiratet. Von diesem erwarb am 11. April 1431 Konrad Roczmul, Altarist in der Sakristei der Pfarrkirche zu Alsfeld, für 200 fl. die Güter, die Gele Roczmul, dessen Schwiegermutter, eine geborene von Crainfeld, in und um Alsfeld hinterlassen hatte, [Seite-136] darunter auch die Hälfte des „Steinernen Hauses“. Ebenso kaufte er am 15. Mai 1434 von dem Schwager Hennes, Johann von Glauburg, die Güter, die Albrecht Roczmul und Gele zu Alsfeld auf ihn vererbt hatten, und im selben Jahre am 17. Dezember von Elheid, der Witwe Meister Konrad Birbaums, Bürgerin zu Friedberg, die Güter, die diese zu Marburg, Beltershausen und darum von ihrem Ahnherrn Siefrid Roczmul geerbt hatte. 1439 war er bei den Verhandlungen über das Testament der Katharina von Holzhausen geborner Roczmul als Bevollmächtigter seiner Brüder in Frankfurt. Er wird noch am 30. März 1479 genannt, als ihn der Schultheiß und das Gericht zu Nieder-Erlenbach in die Güter einsetzten, die Irmel Roczmul, wohl auch eine Tochter Albrecht Roczmuls, in der dortigen Gemarkung besessen hatte. Erst 1487 ist er gestorben. Denn am 25. Oktober ernannte der Offizial des Stiftes St. Stephan zu Mainz an seiner Stelle auf Präsentation des Burgmanns Johann Roczmul zu Altenburg den Priester Apel Werner von Marburg zum Vikar auf den Altar der heiligen Anna in der Sakristei (in armario) der Pfarrkirche zu Alsfeld [32].

Konrad war wohl der letzte, der als Glied der Familie Roczmul das Beneficium inne hatte. Neben ihm werden noch zwei Familienglieder genannt, von denen einer sicher, der andere wenigstens wahrscheinlich die Stiftung besessen hat. Ostern 1458 wurde auf der Universität zu Erfurt ein Hynricus Rotzomoill aus Alsfeld eingeschrieben [33]. Er kommt sonst nirgends vor; vielleicht ist er jung gestorben. Ferner wird in der Alsfelder Chorographie von Gilsa und Leußler [34] ein clericus Gottschalck Rotzmul genannt, der 1460 perpetuus vicarius des Altars zu St. Annen gewesen ist. Er hat ihn also neben seinem älteren Vetter Conrad besessen. Denn er muß bedeutend jünger gewesen sein als dieser. Er wurde erst Ostern 1465 zu Erfurt Student [35]. Von da an finden wir keine Spur mehr weder von dem Altar, noch von Mitgliedern der Roczmul, die ihn bekleidet hätten. Vielleicht ist das Rotsmännische Stipendium, das in späterer Zeit oft genannt wird, die Fortsetzung der Stiftung Sibold Roczmuls; doch das bedürfte einer eigenen Untersuchung.

Fußnoten:

[01] Nr. 77, 212, 279, 325, 329, 338.

[02] Stück 3 §14.

[03] 2, 238: Belehnung von Henne Schaufuß und Henne Rotzmul.

[04] Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 5. Reihe, Seite 35.

[05] Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 3. Reihe, Seite 46.

[06] Er kommt in Alsfeld vor 1379–1400. Später war er in Frankfurt. 1431 war er tot.

[07] Indiktion oder Römerzinszahl, eine im Mittelalter bei Datierungen oft angewandte Zeitbezeichnung, die 15 Jahre umfasst.

[08] Pabst Martin V., 1417–1431.

[09] Monat.

[10] Etwa 9 Uhr vormittags.

[11] Zeugen.

[12] klagte.

[13] Schafe.

[14] Schlitz.

[15] Schöffen.

[16] verstürben.

[17] eidlich verhören.

[18] er vereidigte sie auf ihren Leib und ihre Seele usw.

[19] Weib.

[20] Diese 3 Worte am Rande; vergl. die Nachschrift.

[21] Er war Altarist des Liebfrauenaltars und kommt vor 1424, 1430. 1441 wurde er zum Messpriester in der Kapelle auf dem Frauenberg ernannt; 1454 starb er.

[22] Zeile.

[23] Alle Angaben, soweit nicht besonders vermerkt, entstammen dein erwähnten Familienarchiv.

[24] Landau, Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 5 (nach gütiger Mitteilung von S. Oberstleutnant Freiherrn v. Rotsmann in Dotzelrod)

[25] Abdruck der Urkunde: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 5. Reihe, S. 35.

[26] Stadtarchiv (Ebel, Regesten 75), Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins, V. 31, Nr. 75.

[27] Herrmann, Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 1. Reihe, 5. Urkunde im Stadtarchiv. Vgl. Ebel, Regesten zur Geschichte der Stadt Alsfeld, Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins, 5, 21, Nr. 49.

[28] Codex Diplomaticus III. 499–504 Nr. 329.

[29] Abschrift der Urkunde im Stadtarchiv. Vgl. Becker, Regesten aus dem Alsfelder Stadtarchiv. Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins XIX., 44, Nr. 4.

[30] Dies geht aus einer Urkunde vom 8. November 1400 hervor; in dieser wird übrigens Wigand nicht mehr genannt; vielleicht hatte er sich mittlerweile anderweitig besser versorgt.

[31] Vgl. Ebel, Alsfelder Urkunden, Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins, VII, 90, Nr.87.

[32] In einer Urkunde des Marburger Staatsarchivs (Deutschorden) vom 2. März 1440 kommt ein Priester Conrad Roczmaul zu Goßfelden vor. Vielleicht ist es derselbe, der den Annenaltar zu Alsfeld hatte. Dass ein Priester mehrere Ämter inne hatte, war ja nichts Seltenes.

[33] Vgl. Dotter, Studierende aus Alsfeld, Beiträge zur Hessischen Schul- und Universitätsgeschichte, II, 14. Dass es statt Hynricus Henne heißen müsste, ist eine durch nichts begründete Vermutung.

[34] Seite 99.

[35] Dotter a.a.O., S. 15.

Ersterwähnung:

Eduard Edwin Becker, Aus dem Archiv eines alten Alsfelder Adelsgeschlechts, in: GAV Alsfeld (Hrsg.): Festschrift zur 700-Jahrfeier der Stadt Alsfeld, Alsfeld 1922, S. 127-136.

[Stand: 09.04.2024]