Doktor Tilemann Schnabel – Der Reformator der Stadt Alsfeld

Von Archivrat Dr. Fritz Herrmann, Alsfeld (1925)

Dem
Geschichts- und Altertumsverein der Stadt Alsfeld
in Erinnerung an zwei Jahre
gemeinsamer Arbeit gewidmet.

Vorwort zur ersten Auflage

Das vorliegende Büchlein ist in erster Linie für die Bewohner der Stadt Alsfeld bestimmt und enthält daher manches, was zunächst nur für diese Interesse hat. Doch soll es zugleich auch eine wissenschaftlich brauchbare Biographie des ersten hessischen evangelischen Geistlichen bieten, die auch weiteren, für die hessische Reformation interessierten Kreisen einen Dienst tuen kann. Ich bin mir wohl bewusst, dass das dargebotene Bild starke Lücken aufweist, aber was zur Zeit über Tilemann Schnabel mitzuteilen möglich ist, glaube ich geboten zu haben. Auf der Suche nach weiterem Material habe ich an mancher Türe angeklopft und negativen Bescheid erhalten. Von denen, welche diese kleine Arbeit förderten, nenne ich dankend außer den Beamten der Bibliotheken und Archive in Darmstadt, Gießen, Marburg und Kassel die Herren Pfarrer Dr. Becker in Alsfeld, Bibliothekar Dr. Ebel und Professor Lic. Dr. Köhler in Gießen, Professor D. Kolde in Erlangen und Pfarrer Schäfer in Altenhaßlau. Das Klostersiegel hat Herr Oberlehrer Hölscher in Darmstadt, das Siegel Schnabels Herr Archivar Dr. Küch in Marburg zu zeichnen die Güte gehabt.

Darmstadt, im Juni 1905

Vorwort zur zweiten Auflage

Zur Feier der vierhundertsten Wiederkehr der Einführung der Reformation in Alsfeld wünschte der Evangelische Kirchenvorstand der Stadt eine Neu-Auflage dieses längst vergriffenen Schriftchens. Ich lasse sie umso lieber erscheinen, als sie mir Gelegenheit zur Mitteilung dessen gibt, was inzwischen an neuem Material über Schnabel zutage gekommen ist. Das Meiste davon haben mir die Alsfelder Forscher Pfarrer Dr. Eduard Edwin Becker und Reallehrer Karl Dotter geliefert, denen ich auch an dieser Stelle herzlich danke. An der Darstellung selbst brauchte nichts Wesentliches geändert zu werden.

Darmstadt, im September 1925

Der Verfasser

[Seite-01]

I.

Kirchliches und Religiöses aus dem mittelalterlichen Alsfeld

Wie Martin Luther, der Reformator Deutschlands, so ist auch Tilemann Schnabel, der erste evangelisch gesinnte hessische Geistliche und der Reformator von Alsfeld, aus einem Augustinerkloster hervorgegangen. Einige Bemerkungen über dieses Kloster mögen zur Kennzeichnung der Religiosität der Bewohner der Stadt im ausgehenden Mittelalter beitragen.

Der im Jahre 1256 durch Zusammenfassung bereits bestehender Eremitenvereine gestiftete Orden der Eremiten St. Augustins begegnet uns in Alsfeld zum ersten Male in einer Urkunde von 1342 [001], und die Lage des dortigen Klosters wird erstmalig in einem Kaufbrief von 1385 angedeutet, in welchem von einem Baumgarten „vor dem Fuldertor zur rechten Hand hinter den Brüdern“ geredet wird [002]. Bei den Bürgern der Stadt und in der Umgegend war die neue Genossenschaft augenscheinlich rasch beliebt geworden, wie ja allenthalben die Bettelmönche bei ihrem anfänglichen Auftreten sich großer Sympathien und weitgehendster Unterstützung zu erfreuen hatten. Dass dies auch in Alsfeld der Fall war, beweist schon die stattliche Klosteranlage und die eigene Kirche, in deren Besitz wir die Augustiner in der Folgezeit finden. Die Klosterkirche zerfiel nach der Reformation, wurde aber im Jahre 1664 auf Grund der Stiftung des Stamm Volkmar aus Lauterbach wiederhergestellt und dient seither als Dreifaltigkeitskirche den Gottesdiensten der Evangelischen Gemeinde. Von den alten Klostergebäuden steht nur noch eine Mauer mit Resten des ehemaligen Kreuzganges. Eine handschriftliche Chronik aus dem 17. Jahrhundert [003] hat uns einige wenige Nachrichten über die Räume, soweit sie damals noch vorhanden waren, aufbewahrt: Auf dem langen Gang oder Saal war neben der Treppe der Hl. Augustin, auf den der Orden fälschlich sich zurückführte, gemalt, und darüber standen die Worte: Quasi stella matutina in medio coeli et quasi luna plena in diebus suis et quasi sol effulgens: sic ille refulsit Sanctus Augustinus, zu deutsch: wie der Morgenstern mitten am Himmel, wie der Vollmond zu seiner Zeit und wie die leuchtende Sonne, so erglänzte der Hl. Augustinus; die Zellen auf diesem Gange waren mit Buchstaben dem Alphabet [Seite-02] nach bezeichnet, und gegen den Mainzer Turm zu befand sich eine Kammer, „worinnen allerhand Figuren von vielen Heiligen abgemalet, als Gregorius, Urbanus etc., Monica, Veronica etc.“, die damals noch die Heiligenkammer genannt wurde.

Das alles lässt auf einen gewissen Reichtum des Klosters schließen, und in der Tat finden wir, dass seine Einnahmen nicht unbedeutend waren. Aus einer Rechnung von 1537 [004] – die Klostergefälle flossen damals an die Universität Marburg – ergibt sich, dass das Alsfelder Augustinerkloster in dem genannten Jahr an ständigen und unständigen Zinsen aus Häusern, Äckern, Gärten und Wiesen 178 Gl. in barem Gelde und außerdem 37 Viertel Korn, 51 Viertel Hafer, 7 Pfund Wachs, 7 Fastnachtshühner, 14 Michaelishähne und 4 Gänse vereinnahmte, und das in einer Zeit, in welcher sicherlich manches Stück des alten Besitzes durch die Ungunst der Verhältnisse längst verloren gegangen war. Die angegebenen Gefälle flossen nicht nur aus der Stadt Alsfeld selbst, sondern auch aus Allendorf a.d. Lumda, Altenburg, Arnshain, Berfa, Billertshausen, Bleidenrod, Brauerschwend, Buchenau, Eifa, Eisenbach, Eudorf, Felda, Grünberg, Heidelbach, Heufeld, Heusenrod, Holzburg, Holzhausen, Homberg a.d. Ohm, Homberg i. H., Kirtorf, Lauter, Lauterbach, Leusel, Liederbach, Lößhausen, Marburg, Meiches, Neue Sorge, Neukirchen, Nieder-Breidenbach, Ober-Aula, Ober-Breidenbach, Ober-Gleen, Ohmes, Schadenbach, Schwabenrod, Schweinsberg, Seibelsdorf, [Seite-03] Staufenberg, Strebendorf, Treysa, Vockenrod, Wallenrod und Wetter.

Wie war das Kloster zu diesem ausgedehnten Besitz gekommen? Aus den Erträgen des Bettels stammte sicher das Wenigste. Wohl hatten auch die Alsfelder Augustiner ihre Termineien, d.h. Außenstationen in der näheren und weiteren Umgebung, von denen aus der Terminarius das platte Land bettelnd durchzog; aber dass uns keine solche Terminei bekannt ist, deutet darauf hin, dass sie keine große Bedeutung hatten, vielleicht auch allmählich aufgehoben wurden sobald das angewachsene Klostergut das gestattete. Dem Wohlstand des Klosters weit förderlicher waren vielmehr die Schenkungen und Vermächtnisse, die ihm reichlich zuflossen. Um ihres Seelenheiles willen vermachten Männer und Frauen dem Augustinerconvent Güter oder Kapitalien, damit nach ihrem Tode jährlich an bestimmten Tagen für sie in der Klosterkirche Messen gelesen würden [005]. Zu denen, die sich auf diese Weise den Eintrag in das Totenbuch des Klosters sicherten, gehörte z.B. auch Landgraf Heinrich III. Er verschrieb in seinem Testament vier Bettelmönchsklöstern in Hessen, nämlich den Dominikanern und den Franziskanern in Marburg, den Augustinern in Alsfeld und den Frauenbrüdern in Kassel, 700 rh. Gl. zu gleichen Teilen, damit sie ihn „zu ewigen Gezeiten jegliches Jahres zu vier Malen mit Vigilien, Seelenmessen und anderen göttlichen und guten Werken als einen Landesfürsten ehrlich und ziemlich begehen und Gott den Allmächtigen für seine Voreltern und Eltern, seine und aller Christgläubigen Seelen mit Innigkeit fleißlich bitten“ sollten. Der Alsfelder Augustinerconvent bezog aus dieser Stiftung seit 1487 jährlich 8½ Gulden Rente von der Renterei Romrod und hatte dafür die Verpflichtung, an jedem Montag [Seite-04] nach den vier Fronfasten des Jahres für den Landgrafen des Abends Vigilien und am folgenden Morgen Seelenmessen zu halten. [006]

Ob das Alsfelder Kloster bei seiner Kirche auch einen eigenen Friedhof besaß – die Anlage von besonderen Begräbnisplätzen, wie sie die älteren Bettelorden bereits hatten, war den Augustinern vom Papst Bonifatius VIII. um das Jahr 1300 gestattet worden –, ist nicht bekannt, aber höchst wahrscheinlich, da es kein Ordensprivilegium gab, das einträglicher gewesen wäre: auf dem Klosterfriedhof in der Nähe des Heiligtums, der Reliquien und der Messe lesenden Mönche, womöglich bekleidet mit der Augustinerkutte zu ruhen, das galt als ein erstrebenswerter Vorzug, weil es schnellere Erlösung aus dem Fegefeuer erhoffen ließ, und schien großer Opfer wert. Auch eine Bruderschaft bestand an dem Kloster und kettete die Mitglieder, die gegen bestimmte Geld- und Gebetsverpflichtungen Anteil an reichen Ablässen, an den guten Werken der Genossenschaft und den Verdiensten des Gesamtordens sowie für den Todesfall ein feierliches Begräbnis und Seelenmessen erlangten, dadurch nur um so fester an den Convent; und zwar war es eine Rosenkranzbruderschaft, die man sonst gewöhnlich bei den Dominikanern findet. [007]

Dass die Bürgerschaft dem Kloster reiche Zuwendungen machte und die Mönche wohl auch gern predigen hörte, zog diesen den Neid der Pfarrgeistlichkeit zu, die sich in ihren Parochialrechten durch die Augustiner mit Recht beeinträchtigt sah. Schon die den Laien von Rom aus gegebene Erlaubnis, im Kloster zu beichten und sich dort Absolution sogar von sonst dem Papst reservierten Fällen zu holen, bedeutete eine gewaltige Schmälerung der regulären Seelsorge. Eine Spur dieser Feindschaft zwischen Welt- und Klostergeistlichkeit mag man darin finden, dass bei der Gründung der Kirchenbibliothek zu Alsfeld durch die Pfarrer Stephan von Alsfeld und Sibold Rotzmul zu Homberg im Jahre 1371 den Bettelmönchen der Zutritt zu dieser ausdrücklich untersagt wurde. [008] Aus dem Jahre 1414 hat sich eine durch den Pfarrer Johann Friedberg zu Marburg zwischen dem Kloster und dem Alsfelder Stadtpfarrer Johann Syning – freilich nur für dessen Lebzeit – geschlossene Vereinbarung erhalten [009], wonach die Zwietracht zwischen beiden Parteien aufhören soll und die Mönche versprechen, nur an bestimmten Tagen [010] zu predigen und ihre Messen im Winter um neun und im Sommer um acht Uhr vormittags zu beenden. Unter den Predigttagen werden die Augustinustage ausdrücklich erwähnt. [011] Bei diesen Gelegenheiten mag der Zudrang besonders groß gewesen sein, und reiche Ablässe werden ihre Anziehungskraft ausgeübt haben. Für solche stark besuchte Versammlungen war wohl im Jahre 1452 die steinerne Kanzel außerhalb der Kirche am Kreuzgang errichtet worden [012], da das Gotteshaus die Menge der Erschienenen nicht zu fassen vermochte. [Seite-05]

Ließen schon diese wenigen Bemerkungen über das Verhältnis der Bürgerschaft zum Kloster erkennen, dass die Bevölkerung der Stadt und der Umgebung die von der mittelalterlichen Kirche gebotenen Heilsmittel eifrig benutzte, so lehrt ein Blick auf die Pfarrkirche das Gleiche. Ein Gradmesser sind auch hier die Stiftungen [013], die teils dem Kirchenbau, teils einzelnen Altären [014], die selbst wieder auf Stiftungen beruhen, teils auch der Gemeinschaft der Chorherren [015], das ist des Pfarrers, seiner Kapläne und der Altaristen, zum Teil mit genauen Bestimmungen [016] gemacht wurden und gleichfalls den Zweck hatten, den Stiftern Seelenmessen zu sichern. Auch die Chorherrn hatten ihre eigene Bruderschaft und ihr Seelbuch. Die reichen Stiftungen gestatteten eine gewisse Prunkentfaltung in der Kirche und im Gottesdienst, von der einzelne Reste noch heute Zeugnis ablegen; so das Altar-Schnitzwerk, das nach der erfolgten Renovierung der Walpurgiskirche im Chor wieder aufgestellt wurde, und das auf das Testament des Altaristen [Seite-06] Kurt Schrecksbach [017] zurückgehende Messbuch mit seinen prächtigen Malereien, das aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammt und nunmehr auf dem Rathause verwahrt wird. Mit Recht konnte die Geistlichkeit und der Stadtrat bei der Beschaffung einer Orgel im Jahre 1466 sagen, dass sie „hier zu Alsfeld in unserer Pfarrkirche Gottesdienst und Zierung und Ornamente, zum Gottesdienst gehörend, gern mehren und bessern“ wollten; damals vermachte der Altarist Johann Jouchin für den Orgelbau testamentarisch 40 Gl. gegen ein jährliches Leibgedinge von 3 Gl. und begehrte dabei ausdrücklich, sein Name solle eingetragen werden „in das Buch der Memorien und in das Quatuortemperbuch auf dem Chor zu Alsfeld“ und die Chorherren damit die Verpflichtung übernehmen, für ewige Zeiten ihn selbst „und alle seine (Vor-)Eltern jährlich zu begehen mit Vigilien und Seelmessen und den allmächtigen Gott für sie zu bitten“ [018].

Bedenken wir nun, dass auch die Kapelle auf dem Frauenberg mit dem Dreikönigsaltar, das Elisabethspital vor dem Hersfelder Tor und das Hospital zum Hl. Kreuz vor dem Mainzertor Zuwendungen erhielten, dass ferner auch auswärtige Klöster in Alsfeld festen Fuß gefasst, nämlich die Cisterzienser in Haina [019], die Deutschherrn in Marburg und die Benediktiner in Hersfeld ihre eigenen Häuser und Höfe in der Stadt hatten, und dass das Verlangen aller dieser geistlichen Korporationen nach liegenden Gütern stand, so werden wir es begreiflich finden, dass die Väter der Stadt die Anhäufung des Immobilienbesitzes in der Toten Hand, die sich zudem noch der Steuerfreiheit erfreute, allmählich als eine große Gefahr empfanden. Schon im Jahre 1337 suchte darum Landgraf Heinrich II. den Grunderwerb durch die Klöster etc. in den hessischen Städten zu erschweren – die Pfarre zu Alsfeld wurde 1345 ausdrücklich ausgenommen –, und im Jahre 1358 bestimmte er, dass solche Güter durch ihren Übergang in geistlichen Besitz wenigstens nicht steuerfrei werden sollten. [020]

Wir würden eine eigentümliche Seite des religiösen Lebens in Alsfeld gegen Ende des Mittelalters übersehen, wenn wir nicht auch die hier gepflegten geistlichen Spiele erwähnten, von denen sich das bekannte Alsfelder Passionsspiel durch eine glückliche Fügung erhalten hat.) Es geht auf ein Frankfurter Spiel zurück und zeichnet sich durch große Anschaulichkeit und echte Volkstümlichkeit aus. In dreitägigem Spiele unter freiem Himmel zogen Szenen aus dem Leben Jesu von der Johannestaufe an, besonders aber die ganze Leidensgeschichte in Darstellung, Gesang und Rede an der aufmerksam lauschenden Menge vorüber, die zum Beginn am ersten Tage den alten Pfingstleis: Nun bitten wir den Heiligen Geist, und am dritten Tage beim Schluss den Pilgerleis: In Gottes Namen fahren wir, anstimmte. Wenn auch manches in dieser Dichtung für unseren Geschmack zu derb ausgefallen ist, wie [Seite-07] das Auftreten des Teufels, das Feilschen des Judas um die Silberlinge, der marktschreierische Arzt, bei dem die Frauen die Salben für den Leichnam Jesu kaufen, wenn anderes uns zum Lächeln naiv vorkommt, wie z. B. der als Hahn ausstaffierte Knabe, der beim Einzug der Spieler mitmarschierte und bei der Verleugnung zu krähen hatte, und wenn uns auch die breiten moralischen Betrachtungen langweilen: uns ergreift doch beim Lesen auch heute noch der Ernst und die tiefe Frömmigkeit, die uns aus diesem Werke anweht, und wir verstehen den Eindruck, den es auf eine Zeit machen musste, die an all dem Genannten nicht den geringsten Anstoß nahm. Für 1501, 1511 und 1517 stehen Aufführungen des Passionsspiels fest, für das letztere Jahr auch die Aufführung eines Weihnachts- und Dreikönigsspiels, das in dem sogenannten Hessischen Weihnachtsspiel vielleicht noch erhalten ist. [022] Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch der Augustiner Tilemann Schnabel diese Spiele gesehen, ja vielleicht dabei mitgewirkt hat, wie ja z. B. in Friedberg die Mönche ganz besonders bei den Aufführungen beteiligt waren. [023]

Wie konnte es geschehen, dass auch die Bevölkerung der Stadt Alsfeld sich von dieser vielseitigen und eifrig gepflegten Kirchlichkeit plötzlich abwandte und zwar, so weit man sehen kann, ohne der neuen Auffassung irgend welchen Widerstand entgegenzusetzen oder die alte zurückzuwünschen? Die Kritik, welche die Reformation an der alten Kirche und der von ihr vertretenen Frömmigkeit übte, ist offenbar auch in unserer Stadt als berechtigt empfunden worden. Die geforderte Werkheiligkeit, die als mechanisch wirkend gedachten Sakramente, die Veräußerlichung der Religion, wie sie in der Heiligen- und Reliquienverehrung, dem Ablasswesen, den Wallfahrten und Bruderschaften zutage trat, das alles ist als mit dem Evangelium im Widerspruch stehend und zur Erlangung des Friedens mit Gott ungenügend, ja hinderlich erkannt worden. Die Rückkehr zu der paulinischen Verkündigung von der Glaubensgerechtigkeit, überhaupt das grundsätzliche Zurückgreifen auf die Quelle aller religiösen Erkenntnis, die Bibel, wirkte auf das Volk wie eine Erlösung von schwerem Bann.

Ein Punkt aber ist noch zu beachten, wenn man die bereitwillige Abkehr der Gläubigen von der Römischen Kirche verstehen will, das ist das immer mehr gewachsene Misstrauen gegen ihre Leitung, den Papst, der nach politischen und selbstsüchtigen Grundsätzen die Kirche regierte, und gegen ihre Diener, Weltgeistliche und Mönche, die durch Leben und Wandel vielfach Anstoß erregten und die von ihnen vertretene Lehre dadurch schädigten. Von einem anstößigen Leben der Alsfelder Weltgeistlichen, unter denen die Altaristen, weil ungenügend beschäftigt, am meisten der Versuchung ausgesetzt waren, hören wir nun nichts besonderes [24], wohl aber von dem der Klosterleute. Landgraf Wilhelm der Ältere erließ im Jahre 1490 einen Steckbrief hinter drei Augustinermönchen, von denen zwei aus Erfurt entlaufen waren und den [Seite-08] dritten aus dem Alsfelder Kloster zu einem merkwürdigen Vagabundenleben verführt hatten. Es sind, so heißt es in dem Steckbrief, „durch böse, vergiftige Eingebung des bösen Geistes“ diese „drei bösen verlaufenen Mönche aller Priester und Mönche Feinde geworden, (haben) auf den Straßen unter Ablegung ihres Ordens gebührlicher Kleidung zu Zeiten in Bettlers Weise, zu Zeiten in Frauenkleidern oder als Siechenleute (verkleidet gestreift, etliche Priester und Mönche gefangen, die nackt ausgezogen und (ihnen) noch viel mehr Hohn und Schmach (an-)getan.“ [025] Doch könnte das immerhin ein Einzelfall gewesen sein und braucht nicht dem ganzen Alsfelder Convent zur Last gelegt zu werden. Schwerer aber wiegt es, wenn Landgraf Wilhelm III. in einem Schreiben an den Papst Alexander VI. über seine vergeblichen Anstrengungen zur Reformierung der entarteten Klöster in seinem Lande klagt und unter den sechs namentlich angeführten Conventen auch den zu Alsfeld nennt. [026] Dass der Fürst in diesem Briefe vom Jahre 1493 sagt, zahlreiche Klöster im Hessenlande seien von dem Leben nach ihrer Ordensregel abgekommen, „dass nicht die geringste Spur der früheren Ehrbarkeit und Heiligkeit zurückgeblieben sei, sie vielmehr zu einem so abscheulichen und viehischen Leben sich gewandt hätten, dass sie eher Schlupfwinkel des Schmarotzertums als Klöster und Gebetsstätten genannt werden müssten“, wirft ein bedenkliches Licht auch auf die Zustände bei den Alsfelder Augustinern.

Innerhalb des Ordens selbst war übrigens die Reformbedürftigkeit längst erkannt worden, und es hatte sich die strengere Partei, die sog. Observanten, zu einer besonderen Congregation [027] zusammengeschlossen, die den der Reform abgeneigten Conventualen zeitweise feindlich gegenüberstand. Die Observanten hatten sich der Aufsicht der Provinziale – seit 1299 zerfielen die deutschen Augustiner in 4 Provinzen, Alsfeld gehörte zur thüringisch-sächsischen – entzogen und unterstanden einem eigenen Generalvicar. Das Alsfelder Kloster gehörte der Congregation, die von 1503 bis 1520 unter Johann von Staupitz stand, nicht an, wohl aber z. B. die Convente in Erfurt und Wittenberg. Aus dieser Congregation nun, die freilich nicht an eine Reform im evangelischen Sinne dachte, vielmehr in der strengen Einhaltung auch der kleinsten Bestimmung der Ordensregel und in einem gesteigerten Werkdienst das Heil sah, sollte der Mann hervorgehen, der die Erneuerung des religiösen Lebens auf biblischer Grundlage brachte, Martin Luther; und sein Ordensgenosse und Freund Tilemann Schnabel wurde der Reformator der Stadt Alsfeld. [Seite-09]

II.

Schnabel als Augustiner-Mönch

Urkundlich wird Tilemann Schnabel zum ersten Male im Jahre 1506 erwähnt. Am 9. Mai dieses Jahres stellte der Erzbischof von Mainz mehreren Mönchen des Augustinerklosters zu Alsfeld ein Confessionale aus, d. h. er erteilte ihnen die Erlaubnis, Beichte zu hören. [028] Unter den fünf namentlich angeführten Augustinern erscheint Schnabel als Lector oder Lesemeister. Er war also damals bereits Priester und nahm unter seinen Klosterbrüdern eine bevorzugte Stelle ein. Das gibt uns zugleich einen Anhalt für die Bestimmung seines Alters. Priester konnte man in der katholischen Kirche erst mit 25 Jahren werden, Bettelmönche aber durften schon früher sich weihen lassen. Die Augustiner insbesondere hatten durch Papst Innocenz VIII. im Jahre 1486 das Privilegium erhalten, ihre Ordensgenossen schon mit 22 Jahren zur Priesterweihe stellen zu dürfen. So muß also Schnabel im Jahre 1506 mindestens 22 Jahre alt gewesen sein, wahrscheinlich aber war er älter, da er bereits die Würde eines Lektors bekleidete. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir seine Geburt etwa in das Jahr 1475 setzen. Dass dies ungefähr stimmen muß, ergibt sich auch aus der Angabe des Niddaer Superintendenten Johannes Pistorius [029], Schnabel sei – es bezieht sich das etwa aus das Jahr 1530 – „wegen seines verehrungswürdigen Alters und „dieweil er ein frommer, gelehrter, alter und ansehnlicher Mann war“ vom Landgrafen Philipp zum Superintendenten bestellt worden. Ebenso begreift es sich bei diesem Ansatz, dass er bereits im Jahre 1541 die Gebrechen des Alters spürte.

So unbekannt wie Schnabels Geburtsjahr ist der Geburtsort und die Familie, aus welcher er stammte. Der Name Schnabel kommt im Hessischen nicht gerade selten vor; er begegnet uns z. B. in Grünberg, Neustadt, Allendorf, Fulda. In Alsfelder Archivalien habe ich ihn vor der Reformation nicht gefunden. Doch ist es nicht unmöglich, dass unser Augustinermönch ein geborener Alsfelder war. Wenn er später, z. B. auf der Universität, sich als Alsfeldianus bezeichnet, so kann damit freilich sein Heimatkloster gemeint sein, und während seiner evangelischen Pfarramtszeit wie auch auf seinem Grabsteine deutet das gleiche Beiwort eben auf seine Pfarrstelle. Eine Sicherheit dafür, dass er aus Alsfeld selbst stammte, haben [Seite-10] wir also vorläufig nicht. Dass er aber ein Hesse war, ist zweifellos. Luther sagt von ihm in einem später noch zu erwähnenden Briefe, er sei „meidsam“, (bescheiden, nicht aufdringlich) gewesen „um seines lieben Vaterlandes willen“ und habe nicht nach höheren, insbesondere academischen auswärtigen Stellungen gestrebt, und sein Nachfolger im Alsfelder Pfarramt, Justus Vietor, lässt in einem lateinischen gereimten Nachruf [030] Schnabel bei der Schilderung seiner Vertreibung aus Hessen sagen:

Das ist keine Verbannung, wenn einer aus Liebe zum Worte
Gottes das Vaterland flieht, meidet die heimische Flur
Sondern wenn einer den Herrn Christus verleugnet und aufgibt
Und mit höllischer Last sich seinen Nacken beschwert.

Was den jungen Tilemann Schnabel ins Kloster getrieben hat, wissen wir nicht. Da er uns aber sein ganzes Leben hindurch als ein ernster Mann erscheint, dürfen wir wohl annehmen, dass er in der Sorge um das Heil seiner Seele der Welt entsagt und den Weg gewählt hat, den die damalige Kirche als den sichersten zur Seligkeit empfahl. Dass er gerade in den Augustiner-Eremiten-Orden eintrat und durch sein Studium mit Luther in Berührung kam, sollte ihm zum Heile ausschlagen: er hat dadurch als einer der ersten das von Luther neu entdeckte Evangelium der Glaubensgerechtigkeit kennen gelernt, das auch ihn von den Menschensatzungen der alten Kirche befreite. Zum Studium aber bestimmten ihn seine Ordensoberen, weil sie in ihm einen tüchtigen, zur gelehrten theologischen Ausbildung tauglichen Menschen erkannt hatten. Auf den Generalkapiteln des Ordens wurden regelmäßig eine Reihe von Mönchen, welche die Provinziale aus den ihnen unterstehenden Klöstern vorschlugen, zum Besuch der höheren Ordensschulen und der Universität kommandiert. So sind zahlreiche deutsche Augustiner als Studenten in Italien (Siena, Perugia, Bologna, Florenz) und in England (Oxford, Cambridge) gewesen. [031] Vielleicht ist auch Schnabel nach Italien geschickt worden. Denn dass er dieses Land und auch die heilige Stadt gesehen hat, steht fest. Justus Vietor sagt in dem bereits erwähnten Epicedion, Schnabel habe die Tempel in Rom und die heiligen Bauten Italiens durchwandert. Doch könnte diese römische Reise Schnabels auch in eine spätere Zeit fallen und braucht nicht notwendig mit einem Studienaufenthalt in Italien zusammenzuhängen. Sicher aber ist, dass er in Erfurt [032] studiert hat, und zwar in dem dortigen Augustinerkloster, mit welchem ein sog. Studium generale, eine höhere Ordensschule verbunden war, die besonders durch ihre Verbindung mit der weitberühmten Erfurter Universität in hoher Blüte stand. In der Universitätsmatrikel finden wir nun zwar Schnabels Namen nicht eingetragen, aber die gleich zu erwähnende Angabe Luthers und die Tatsache, dass er die Professoren D. Johann Nathin, den Leiter des Augustiner-Studiums, und Bartholomaeus Arnoldi gen. Usingen persönlich kannte, [Seite-11] ist für Schnabels Aufenthalt in Erfurt Beweis genug. Er hat offenbar seine Studien im Augustinerkloster begonnen, ist aber in Erfurt nicht bis zum Universitätsstudium gekommen. Damit ist nicht gesagt, dass er nicht einige Jahre sich dortselbst aufgehalten habe. Gewöhnlich wurde dem am Studium generale verweilenden Mönche nach vierjährigem Studium der Philosophie der Grad eines Cursor zugesprochen; dann erst konnte er zu den Anfangsgründen der Theologie übergehen und wurde nach weiterem zweijährigen Besuch der Studienanstalt Lector, d. h. er erhielt die Berechtigung, nun selbst Vorlesungen über biblische Bücher zu halten. Wollte er auch die höheren Grade der Theologie erlangen, oder vielmehr sollte er das nach dem Willen seiner Vorgesetzten, so musste er nunmehr eine öffentliche Universität besuchen.

Nun hat Schnabel aber an der Universität Wittenberg studiert und nicht in Erfurt. Warum er auf die junge sächsische Hochschule überging, ist nicht bekannt. Möglich, dass ihn Luther, der von Herbst 1508 bis ebendahin 1509 und seit Herbst 1511 für immer nach Wittenberg versetzt worden war, mitgezogen hat. In einem später noch genauer zu besprechenden Briefe sagt Luther von Schnabel: „derselb ist mein Schulgeselle gewest zu Erfurt im Kloster und allhie zu Wittenberg, und die erste Creatur, die ich geschaffen habe, da ein junger Doctor den andern macht“. Der Reformator spricht damit deutlich aus, dass er einen bestimmenden Einfluss auf Schnabel hatte, und so ist es nicht unwahrscheinlich, dass dieser Luther zuliebe Erfurt mit Wittenberg vertauschte. Sein Studiengang in Wittenberg lässt sich nun ziemlich genau verfolgen. Er ist daselbst am 18. Juni 1512 ausgenommen worden und ist der elfte Alsfelder, der sich in der Matrikel dieser 1502 gegründeten Universität findet. [033] Aber während es nur drei von diesen weiter, und auch diese nur bis zur untersten Stufe der academischen Würden, dem Baccalaureat in der philosophischen Fakultät, brachten, [034] hat Schnabel die ganze Stufenleiter durchlaufen und ist schließlich in das Professorenkollegium der Theologischen Fakultät ausgenommen worden.

Da er seinen philosophischen Kursus in Erfurt absolviert hatte, konnte er in Wittenberg sofort mit dem eigentlichen Studium der Theologie beginnen. Bereits am 4. Oktober 1512, an demselben Tage, an welchem Luther die Lizenz erhielt, d. h. die Erlaubnis, sich um die theologische Doktorwürde zu bewerben, wurde Schnabel zum Baccalaureus, biblicus promoviert [035] und damit nicht nur sein seitheriges Studium im Erfurter Kloster von Seiten der Universität anerkannt, sondern ihm auch Recht und Pflicht, selbst zu lehren, zugesprochen. Täglich eine Stunde sollte der Biblicus nach den Statuten der Fakultät [036] über bestimmte, ihm von dieser zugewiesene alt- und neutestamentliche Schriftabschnitte lesen, sich an den regelmäßig Freitags stattfindenden theologischen [Seite-12] Disputationen beteiligen und daneben seine eigenen Studien in der scholastischen Theologie fortsetzen. Diese schlossen sich an die Sentenzen des Petrus Lombardus (gestorben 1164) an, jene Dogmatik, die damals allgemein als Grundlage des theologischen Studiums galt. Wir wissen nicht, ob Schnabel von diesem Studium gleich unbefriedigt blieb wie Luther und wie dieser seine Zuflucht zur Heiligen Schrift nahm. Luther hat sich einst, jedenfalls von dem erwähnten Erfurter D. Nathin sagen lassen müssen: „Ei, Bruder Martine, was ist die Bibel? Man soll die alten Lehrer lesen. Die haben den Saft der Wahrheit aus der Bibel gesogen, die Bibel richtet alle Aufruhr an“, und der übliche Studienbetrieb zwang ihn später selbst über diese Sentenzen zu lesen. Auch Schnabel ist, nachdem er vier Monate lang seine biblischen Vorlesungen gehalten hatte, für den Grad eines Sententiarius am 28. Januar 1513 geprüft und zugelassen worden [037] und hielt als solcher am gleichen Tage seine erste Sentenzen-Vorlesung. Ordnungsgemäß las er zunächst über die beiden ersten Bücher des Petrus Lombardus und wurde am 16. September unter dem Vorsitze Luthers nach stattgehabtem Examen auf einstimmigen Fakultätsbeschluss zum Sententiarius formatus promoviert [038] und damit zu Vorlesungen über die beiden letzten Bücher des Lombarden zugelassen. Etwa ein Jahr später, am 6. Oktober 1514, disputierte er unter dem Vorsitze des Andreas Bodenstein von Karlstadt pro licentia ad recipiendum doctoralia in sacra theologia und wurde am 9. Oktober in feierlicher Sitzung zum Licentiaten ernannt. [039]

Die besonders reich ausgestattete Promotion zum Doctor der Theologie pflegte bald nach der Erteilung des Licentiatengrades stattzufinden – bei Luther z. B. lagen nur 14 Tage zwischen beiden Akten. Weshalb sich die Doctorierung bei Schnabel länger hinauszog, können wir nicht mehr feststellen. Wir finden ihn im Juni des Jahres 1515 in Königsberg in der Neumark, wo sich ein Augustinerkloster befand. Jedenfalls ist er von seinen Vorgesetzten zu einem ganz bestimmten Zweck, den wir nicht mehr kennen, dorthin gesandt worden. In einem von hier unterm 29. Juni an Johannes Lang, den damaligen zweiten Professor am Studium der Augustiner in Wittenberg, gesandten Briefe drückt Schnabel seine Freude über die auf dem Convent der Observanten in Gotha erfolgte Wiederwahl des Staupitz zum Generalvicar und die Bestellung Luthers – „meinen mir stets verehrungswürdigen Lehrer“ nennt er ihn – zum Districtsvicar und Regens studii in Wittenberg aus und lässt seinen Lehrer Petrus Lupinus sowie den Lic. Amsdorf und den Mediziner Thomas [040] und dessen Frau grüßen. [041] Lang hatte ihm wegen der Gebühren geschrieben, die er der Theologischen Fakultät schuldete. Wenn auch die Bettelmönche nur ein Drittel der üblichen Zahlungen zu leisten brauchten, so überstieg der Betrag doch vielfach die Kräfte des Einzelnen. Ein Wittenberger [Seite-13] Theologe sollte die Kosten seiner sämtlichen Promotionen mit rund 41 Goldgulden bestreiten können [42]; für unseren Augustiner ermäßigten sich also diese Gebühren auf etwa 13 Goldgulden. Doch kamen noch mancherlei und zum Teil erhebliche Nebenausgaben hinzu, so die Kosten für Barette und Handschuhe, welche bei der Doctorpromotion bestimmten Mitgliedern des Docentenkollegiums gegeben werden mussten, und für den feierlichen Doctorschmaus, der zwar den Wittenberger Statuten nach wegfallen oder doch nur mit besonderer Erlaubnis abgehalten werden sollte, in der Tat aber wohl, wie sonst auch, zum Schaden der Promovenden eine große Rolle spielte. Von Luther wissen wir, dass ihm sein Kurfürst zur Ausrüstung seiner Doctorpromotion 50 rhein. Gulden schenkte.

Ungefähr die gleiche Summe, nämlich 40 Goldgulden, benötigte Tilemann Schnabel, wie aus einem seither unbekannten Aktenstücke hervorgeht, in welchem der Alsfelder Augustinerconvent unter dem 29. August 1515 erklärt, er habe mit der genannten Summe, einen Teil eines ihm übergebenen Kapitales, „geholfen unserm Licentiaten Pater Tilmann, sein Doctorat damit zu vollbringen, dem Orden und Convent zu Nutz und Ehren.“ [043] Schnabel hat sich wohl selbst in Alsfeld das Geld geholt und ist dann wieder nach Wittenberg gezogen. Hier fand am 11. September die Promotion statt, nachdem am Nachmittage des 10. der einleitende Akt, die sog. Vesperiae, vorausgegangen waren. [044] Die einzelnen Teile dieses und des Hauptaktes, der sog. Aula, waren in den Statuten genau vorgeschrieben. Bei letzterem setzte Martin Luther als Promotor Schnabel den Doctorhut auf, und dieser hielt nun von der ihm seither verschlossenen oberen Lehrkanzel, der Cathedra maior, aus eine Rede [Seite-14] zum Lobe der Theologie. Dann begann die übliche Disputation, für welche Schnabel als Opponenten – Galli oder Kampfhähne genannt – den Augustiner D. Johannes Herrgott und den Wittenberger Pfarrer D. Nikolaus Grünberg gewonnen hatte. Zugleich mit Schnabel wurden noch drei andere Augustiner promoviert, und Luther, von dessen Hand der betreffende Eintrag im Decanatsbuch stammt, versäumte nicht zu bemerken, dass die neuen Doctoren der gesamten Universität und dem Senate aus besonderer Freundschaft ein kostbares und glänzendes Mahl gaben, an welchem auch der aus der Zahl der Studenten genommene – Rektor des Jahres, Pfalzgraf Wolfgang von Bayern, zwei Studenten gräflichen Standes und andere vornehme Gäste teilnahmen. In den theologischen Senat wurden die vier Promovierten am 13. September aufgenommen, und Schnabels Name steht in dem Verzeichnis der Professoren der Theologie unmittelbar hinter dem Luthers. [045]

So hatte also der Alsfelder Augustinermönch nach etwa dreijährigen Universitätsstudien sein Ziel, das theologische Doctorat, erreicht und war unter die vollberechtigten academichen Lehrer – die ordentlichen Professoren, wie wir heute sagen würden – an der Wittenberger Hochschule aufgenommen worden. Ob er als solcher nun weiter gelehrt hat oder im Dienste des Ordens anderweitig verwandt worden ist, ob er jetzt vielleicht eine Reise nach Italien unternommen hat, wissen wir wiederum nicht. Bei dem Schweigen der Wittenberger Quellen aus jenen Jahren über seine Person ist jedenfalls eine längere Lehrtätigkeit daselbst unwahrscheinlich. Die nächste Nachricht über Schnabel liefert die bereits erwähnte handschriftliche Augustinerchronik [046] mit der Angabe, dass er durch den Generalvicar und späteren General des Ordens Gabriel Venetus am 1. Februar 1518 zusammen mit zwei anderen Augustinern zum Vorsitzenden des einzuberufenden thüringisch-sächsischen Provinzialkapitels ernannt wurde; es sollte dort nach dem Willen der Ordensleitung über eine in den nicht zur Congregation gehörigen Klöstern einzuführende Reformation verhandelt werden. Ebenso ist Schnabel am 21. Oktober 1521 mit dem Vorsitz über ein bevorstehendes Provinzialkapitel betraut worden [047]; über beide Versammlungen fehlen nähere Nachrichten. Die Tatsache, dass man Schnabel solche Aufträge erteilte, beweist, dass er sich in seinem Orden eines gewissen Ansehens erfreute, wie er denn auch in seinem Heimatkloster die Würde eines Priors bekleidete.[048] Noch deutlicher aber wird dies dadurch belegt, dass er im Jahre 1520 zum Provinzial der thüringisch-sächsischen Augustinerprovinz und damit zum Visitator von etwa 20 – der Congregation nicht angeschlossenen – Conventen ernannt worden war. Von ihm musste es nunmehr mit abhängen, ob diese Klöster dem Katholizismus treu bleiben oder, wie die der Congregation, allmählich Luther zufallen würden. Er scheint [Seite-15] eine Zeitlang an die Möglichkeit des Fortbestehens der Klöster in der alten Form und im seitherigen Zusammenhang mit Rom gedacht zu haben, obwohl er, wie wir sehen werden, selbst Lutheraner war. Im Anfang des Jahres 1523 schrieb er an den General über die Verwirrung und den Abfall in seiner Provinz. Dieser beklagt in seinem Antwortschreiben vom 27. März den durch die Hinneigung zu Luther herbeigeführten Abfall in den deutschen Ordensprovinzen, gibt jedoch auch den Provinzialen einige Schuld, da sie nicht genügend Widerstand leisteten. [049] Ein zweiter Brief des Generals an Schnabel vom 27. Juli [050], der diesen „mit vielen Worten ermahnte, dass er die Provinz und die Brüder bei Pflicht und Gehorsam erhalte, damit sie nicht der verdammten Secte zufielen“, hat den Adressaten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr im Alsfelder Kloster und als Ordensprovinzial angetroffen: er hatte die Unvereinbarkeit lutherischer Gesinnung mit dem Festhalten am Mönchsstande erkannt und sein Ordensgewand abgelegt.

Über seinen allmählich vollzogenen Anschluss an Luther wüssten wir gerne Näheres und müssen auch hier die Dürftigkeit unserer Quellen beklagen. Es ist ja selbstverständlich, dass Schnabel in dem Kampfe, der seit dem Jahre 1517 dem Reformator aufgedrungen wurde, zunächst auf dessen Seite stand. Wenn Luther von ihm sagt, er sei die erste Creatur, die er geschaffen habe, so dürfen wir wohl annehmen, dass Schnabel im täglichen Verkehr im Erfurter und im Wittenberger Kloster sowie als Schüler Luthers an der sächsischen Universität genug in seines Lehrers Theologie und Gedankenwelt eingedrungen war, um die Reinheit seiner Motive, die Uneigennützigkeit seiner Absichten und das innere Recht seiner Stellungnahme zu verstehen. Je breiter aber der Graben zwischen der Kirche und dem kühnen Mönch in Wittenberg wurde, desto schwieriger gestaltete sich die Lage seiner Freunde, die sich schließlich vor das Entweder-Oder gestellt sahen. Nicht alle haben die Kraft gehabt, bei Luther und der von ihm erkannten Wahrheit zu bleiben. Von unserem Schnabel aber dürfen wir das sagen. Wir haben kein Zeugnis dafür, dass er etwa seit 1517 mit Luther in engerer, ja überhaupt in irgend einer Verbindung gestanden hat, wir wissen nicht einmal, ob dieser bei seiner Durchreise durch Alsfeld auf dem Hinwege nach Worms am 12. April oder auf dem Rückweg am 30. April 1521 Schnabel, der ja als Provinzial einen großen Teil des Jahres auf Visitationsreisen unterwegs sein musste, gesehen hat. [051] Doch besitzen wir aus dem November eben dieses Jahres einen Brief Schnabels, der uns über seine Stellung zu Luther Auskunft gibt. Er ist wie das bereits erwähnte Schreiben aus Königsberg an den Augustiner Johann Lang, der Anfang 1516 nach Erfurt zurückgegangen war und dort als Prior und Lehrer der Theologie lebte, gerichtet und gewährt uns auch einen erwünschten Einblick in Schnabels gelehrte Beschäftigung. Wir sehen daraus, dass er eifrig studierte, und zwar vor allem die Heilige [Seite-16] Schrift. Doch klagte er über seine geringen Fortschritte; es geht mir, so schreibt er, wie einem Wanderer, der ein unbekanntes Land ohne Führer betritt. Er scheint also jetzt gemerkt zu haben, welch geringen Wert seine scholastische und dialektische Universitätsausbildung hatte, und er, der gelehrte Doctor, begann nunmehr, sich in die Kirchenväter zu versenken – Hieronymus, Cyprian, Tertullian, Ambrosius und Lactanz hatte er sich gekauft, Augustin fand er wohl in der Klosterbibliothek vor – und die Anfangsgründe des Hebräischen und Griechischen sich anzueignen, ohne Zweifel, weil er die Notwendigkeit des Bibelstudiums aus den Ursprachen erkannt hatte. [052] Einen Ungenannten hatte er gewonnen, der ihm Anleitung geben sollte, aber in ihm hatte er sich getäuscht. So bittet er denn Lang um Hilfe. Zur Verfügung stehen ihm für das Griechische ein Lexikon und die grammatischen Schriften des Urbanus Rhegius, Laskaris, Gazas, Oekolampads, Melanchthons und anderer, für das Hebräische das Dictionarum Reuchlins und der Psalter mit der Abhandlung Capitos über die hebräischen Buchstaben. Die Erwähnung dieser Psalterausgabe nun, die Schnabel einst von Luther zum Geschenk erhalten hatte [053], gibt ihm Gelegenheit, sich über den Reformator auszusprechen. Wenn er es auch mit nur wenigen Worten tut, so sagen sie doch genug. Ihn (nämlich den Psalter) hat mir, schreibt Schnabel, „der ehrwürdige Vater und Lehrer Martin Luther geschenkt, den Gott auf Erden glücklich machen und nicht in die Hände seiner Feinde möge fallen lassen; dass ich von seiner Lehre je abfalle, sei ferne von mir, so wahr ich ein Christ bin“. Mit den folgenden Worten des Briefes: es sei jemand bei Lang, der fürchte, Schnabel möchte „Martinianer“ werden, deutet er wohl auf seinen früheren Lehrer D. Nathin hin, der mit Bedauern sehen musste, wie einer seiner Schüler nach dem andern sich der neuen Lehre zuwandte. Ihn und seinen Kollegen Bartholomäus Arnoldi gen. Usingen lässt Schnabel grüßen und bittet Lang, ihm mitzuteilen, was ihn bei seinen Schriftstudien etwa noch fördern könne (er denkt z. B. an Chronisten und Kosmographen). Schließlich dankt er dem Adressaten für die Übersendung des Evangelisten Matthäus, den dieser in deutscher Sprache herausgegeben hatte [054], und hofft auf den in Vorbereitung befindlichen Kommentar dazu. [055]

Wann Schnabel in Alsfeld evangelisch zu predigen begann, ist, wie sich aus dem Gesagten ergibt, nicht genau zu bestimmen. Dass er seine Predigten in der Klosterkirche hielt, ist nicht zu bezweifeln; vielleicht hatte man ihm auch die Pfarrkanzel eingeräumt. [056] Von der Stadtmauer herab – so will es die Sage – brauchte er umso weniger zu reden, als ihm ja die oben erwähnte Steinkanzel an der Klosterkirche für besonders große Zuhörerscharen zur Verfügung stand. Einstimmig bezeugt die Überlieferung, dass Schnabels [Seite-17] Predigten beim Volke großen Anklang fanden. Das kann nicht überraschen, selbst wenn man annehmen wollte, dass nur wenig von Luthers Geist und Luthers Predigtauffassung auf ihn übergegangen wäre. Die Schäden der mittelalterlichen Predigtweise schildert der Reformator einmal mit den Worten: „Nach dem Text des Evangeliums fuhren sie dahin ins Schlaraffenland: einer predigte aus Aristoteles und den heidnischen Büchern, der andere aus dem Decret, ein anderer brachte Fragen aus St. Thomas und den Scholasten, ein anderer predigte von Heiligen, ein anderer von seinem heiligen Orden, ein anderer von blauen Enten, ein anderer von Hühnermilch. Wer kann es alles erzählen, das Ungeziefer? Summa, das war die Kunst, dass ja keiner bei dem Text bliebe, damit das Volk hätte mögen das Evangelium behalten, den Glauben, zehn Gebote, Vaterunser und seines Standes Werke lernen, das alles musste geschwiegen sein; sondern die Leute musste man durch solche Gaukelpredigt auf eigen Werk und Verdienst weisen und Christum in ihren Herzen (so aus dem Text des Evangeliums kaum gefasst) ersticken und vergraben. [057] Seine eigene Art aber kennzeichnet er mit den Worten: „Ich befleißige mich in meinen Predigten, dass ich einen Spruch vor mich nehme, dabei bleib ich, und dass ich’s dem Volk also anzeige und ausstreiche, dass sie können sagen: das ist die Predigt gewest.“ Luthers Schüler aber haben gleich ihrem Lehrer als Kanzelredner nach gesunder Erbaulichkeit und Volkstümlichkeit gestrebt. Auch die Alsfelder Weltgeistlichkeit scheint sich für die Predigten des Augustiners im Kloster erwärmt zu haben, der so viel mehr zu bieten hatte als sie selbst. Ich möchte das aus dem im Jahre 1521 errichteten Testament des Priesters Johann Matthis den Älteren schließen, der die Zinsen eines bestimmten Capitals „zwei lehrhaftigen Personen und Studenten, in der Universität nützlich zu verstudieren, einem aus dem Convent des Klosters zu Alsfeld, Augustiner-Ordens, dem anderen aus der Stadt daselbst, eines Bürgers Sohn“ vermacht [Seite-18] macht und dabei die Bestimmung trifft: „jedoch soll das Kloster mit ihrem Teile Macht haben einem Schulmeister, der die Brüder in ihrem Kloster leren (könnte) und dem ganzen Volke angenehm wäre im Predigen“, solche Zinsen zuzuwenden. [058]

Wegen seiner anziehenden Predigten nun kam Schnabel mit dem Landgrafen Philipp dem Großmütigen in Konflikt, der das Wormser Edikt des Jahres 1521 in seinem Lande zur Durchführung zu bringen und jede evangelische Regung zu unterdrücken suchte. Die älteste Nachricht über dieses entscheidende Ereignis aus dem Leben unseres Augustiners gibt Justus Vietor in seinem Epicedion: Schnabel habe sich nicht gescheut, sogar vor dem wütenden Fürsten den Papst eine scheußliche Bestie und Baal zu nennen. Etwas genauer schreibt der Superintendent D. Johann Dieterich in einem Berichte aus dem Jahre 1629 an Landgraf Georg II. über die Zeit der Abschaffung des Papsttums, Philipp habe Schnabel zu sich nach Romrod gefordert „und mit ihm gezürnet, er mache einen Auflauf in der Stadt und solle sich solchen Predigens enthalten: Dieterich gibt auch seine Quelle an: es habe ihm das „vor 30 Jahren ein alter Capellan zu Alsfeld, welcher es von D. Schnabel gehört“, erzählt. [059] Dieser Zusammenstoß zwischen Fürst und Mönch mag in den Juli des Jahres 1523 fallen, wenigstens steht für diese Zeit Philipps Anwesenheit in Romrod fest.“ [060]

Für Schnabel galt es nun zu wählen. Sollte er dem Befehl des Fürsten gehorchen, auf seine evangelische Predigt verzichten und der alten Kirche wie dem Mönchsstande treu bleiben, oder bei der von ihm erkannten Wahrheit beharren und dafür Stellung und Heimat aufgeben? Er hat sich für das Letztere entschieden, verließ sein Kloster, legte vor dem Hersfelder Tor am Siechenhaus bei der Ingelbach seine schwarze Kutte ab, hängte sie an den dort stehenden Almosenstock [061] und zog nach Wittenberg zu Luther. Von ihm erhoffte er Rat und Hilfe.

[Seite-19]

III.

Schnabel als evangelischer Geistlicher

Luthers Empfehlung verschaffte Schnabel die Stelle eines Predigers (zweiten Geistlichen) in Leisnig, einem Städtchen an der Mulde, das durch die hier zuerst vollzogene grundsätzliche Regelung des kirchlichen Einkommens in evangelischem Sinne gerade damals bekannt geworden war. [062] Man hatte hier nämlich unter Luthers Mitwirkung einen „gemeinen Kasten“ gebildet, in welchen alle seitherigen kirchlichen Einkünfte fließen und aus welchem die laufenden Ausgaben, die Gehälter der kirchlichen Beamten, die Armenunterstützungen etc. durch die Kastenvorsteher bestritten werden sollten. Da aber der Stadtrat sein Verfügungsrecht über „Stiftungen, Testamente und Gottesgaben“ nicht an diese Kastenvorsteher abtreten wollte, waren sie nicht im Stande, ihren Verpflichtungen nachzukommen und insbesondere die Pfarrgehälter zu zahlen. Die von Luther angerufene Entscheidung des Kurfürsten zog sich lange hinaus, und wenn auch die Leisniger in einer Eingabe an den Landesherrn vom 28. August 1524 erklärten, sie wollten von nun an ihren beiden Geistlichen, deren jeder seither wöchentlich 11 Groschen – ein Taglöhner verdiente in der gleichen Zeit 6 – festes Einkommen gehabt hatte, eine „namhaftige Summe Geldes nach Achtung und Gelegenheit der Seelsorge über 1500 eingepfarrter Seelen ungefähr, auch gemeinen Kirchspiels [063] Vermögen, aller geistlicher Güter und Abrichtungen, so davon zu tun sind, geben [064], so scheint es auch diesmal wieder beim guten Willen geblieben zu sein. Schreibt doch Luther unterm 24. November an Spalatin: „Die Leisniger werden Tilemann schließlich durch den Hunger vertreiben. Der tüchtige Mann klagt heftig, warum der Fürst dort zögere (nämlich die Kastenordnung zu bestätigen). Nach solchen Beispielen, glaube ich, werden tüchtige Männer, die hintennach so im Stich gelassen werden, auf ihre Pfarrstellen verzichten. Sollen sie denn etwa wieder in die Klöster getrieben werden? Dieses schlechte Beispiel, das doch als das erste auch das beste hätte sein müssen, macht mir viel Kummer“. [065] Ob Schnabels Lage in Leisnig sich daraufhin wirklich gebessert hat, ist nicht bekannt.

Im Frühjahr 1525 schien sich eine Gelegenheit zu seiner Beförderung zu bieten, die Luther gern ergriff. Der Rat von Danzig hatte nämlich den Pfarrer an St. Barbara, [Seite-20] Johann Bonholt, nach Wittenberg gesandt, um neben anderen Personen für den Dienst der Stadt auch einen Prediger für die Marienkirche zu gewinnen. Da Johannes Bugenhagen, an welchen zunächst gedacht war, nicht gehen wollte, schlug Luther Tilemann Schnabel vor. Bonholt reiste zu ihm nach Leisnig, und obwohl er ihn „in den Gezungen, als Griechisch etc.“ nicht erfahren fand und auf der Rückreise nach Wittenberg einen anderen Geistlichen kennen lernte, der „in der Expression mehr […] geschickt“ war als Schnabel, warb er diesen doch für die genannte Pfarrstelle, nachdem er sich, seinen Willen in Gottes Vorsehung stellend, bereit erklärt hatte, mitzuziehen. Als aber Bonholt im April Wittenberg verließ, lehnte Schnabel ab. [066]

Auch wenn seine Lage in Leisnig um diese Zeit erträglicher geworden sein sollte, die Berufung nach der großen, sich dem Evangelium erschließenden Stadt Danzig und die Aussicht auf ein arbeits-, aber auch einflussreiches Pfarramt daselbst musste für Schnabel verlockend sein. Wenn er trotzdem absagte, hat er wohl gute Gründe gehabt. Ich möchte sie darin finden, dass er von dem Übertritt des Landgrafen auf die evangelische Seite gehört hatte und in sein Vaterland zurückkehren zu können hoffte. Vielleicht kam ihm gerade Ende April aus Alsfeld nähere Kunde. Damals lag Philipp der Großmütige zwei Tage lang mit dem Heere, das er gegen die aufständigen Bauern versammelt hatte, in der Stadt Alsfeld und freute sich über die Treue der Bürgerschaft, die in dieser Zeit der allgemeinen Gärung nicht wankend geworden war. Von Mund zu Mund mag damals in der Stadt die Nachricht gegangen sein, dass der junge Fürst seit jenem Jagdaufenthalt in Romrod, da er in schwerem Zorn den Augustiner-Provinzial entlassen hatte, ein anderer, dass er durch die Lektüre der Heiligen Schrift und das Studium der Schriften Luthers und seiner Freunde nunmehr selbst ein Anhänger der Reformation geworden sei. Wir dürfen uns wohl vorstellen, dass Philipp in leutseligen Gesprächen mit den Bürgern auch über Schnabel allerlei hörte und dabei merken konnte, welchen Eindruck dessen Predigten und seine ganze Persönlichkeit auf das Volk gemacht hatten, und wie die Herzen noch immer an ihm hingen. So hat er denn nach Beendigung des Krieges nicht gezögert, den Alsfeldern ihre Bitte zu gewähren und Tilemann Schnabel zurückzurufen.

Es ist eine feststehende Tradition, dass Philipp nach dem Bauernkriege den treugebliebenen Städten besondere Gnadenerweise gewährt und dass Alsfeld die Rückberufung Schnabels allen anderen Vorteilen vorgezogen habe. Obwohl ich einen urkundlichen Beleg hierfür nicht finden konnte, möchte ich doch keinen Zweifel in diese Angabe setzen. Die Rückberufung Schnabels wird zum ersten Male, soviel ich sehe, in dem Epicedion des Justus Vietor und dann in einer Streitschrift aus dem Jahre 1606 erwähnt, deren Verfasser, der aus Alsfeld stammende D. Helwig Garth, noch den [Seite-21] eigenhändigen Brief Luthers gesehen hatte, darin dieser an Schnabel schrieb: „Du wirst nach Hessen gerufen, folge!“ [067] An beiden Stellen ist jedoch nur von einer Rückberufung, nicht auch von der damit durch den Fürsten gewährten Belohnung der Stadt Alsfeld die Rede. Von dieser redet erstmalig eine theologische Streitschrift aus dem Jahre 1647, in der es heißt: „Als sich der Bauernkrieg gestillet, bei welchem die Städte und insonderheit auch die Stadt Alsfeld sich wohl gehalten und Ihre fürstliche Gnaden denselbigen dargegen Gnade angeboten, und damals andere Städte äußerliche Commoditäten und Gerechtigkeiten ausbrächten, da hat die Stadt Alsfeld ihren D. Schnabel […] zu einem Prediger begehrt, so ihnen auch erlaubt und darauf die Vocation erfolgt ist“. [068] Aus dieser Stelle ist geflossen, was man bei Winckelmann [069], Happel [070] und anderen über die ganze Angelegenheit liest. Es ehrt die damaligen Väter der Stadt, dass sie die von Philipp ihnen gebotene Gelegenheit zu einer Förderung des Gemeinwesens in religiöser Hinsicht benutzt haben, und diese Tatsache ist zugleich auch ein Beweis für die Hinneigung zum Evangelium, die in der Bürgerschaft herrschte.

Auch andere Städte – z. B. Fulda, das um die Rücksendung des Predigers Adam Kraft bat [071] – haben den Wert und die Bedeutung eines tüchtigen evangelischen Geistlichen für die Gesundung der kirchlichen und sozialen Verhältnisse erkannt, ohne dass sie einen solchen erlangen konnten. Der Stadt Alsfeld aber ist es geglückt, in Tilemann Schnabel einen Mann zu finden, der im Stande war, das Kirchenwesen in die durch die Reformation neugeschaffenen Verhältnisse ruhig und sicher überzuführen. Wenn irgendwo im Leben Schnabels, so beklagen wir gerade hier das Fehlen ausreichenden archivalischen Materials, das uns einen Einblick in die organisatorische Arbeit der Übergangszeit ermöglichen würde. Wir wissen nicht einmal, wann er nach Alsfeld – unter großem Jubel der Bevölkerung, wie das Epicedion Vietors berichtet – zurückgekehrt ist. Die genannte Quelle gibt an, er habe 35 Jahre lang das Alsfelder Pfarramt verwaltet. Da er 1559 starb, müssten wir seinen Amtsantritt in das Jahr 1524 setzen. Nach dem oben Gesagten ist dies unmöglich. Frühestens konnte er in der zweiten Hälfte des Jahres 1525 zurückgerufen worden sein. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass dies erst nach dem Herbst 1526 geschah, als Landgraf Philipp, vom Speierer Reichstag heimgekehrt, die Reformation in seinem Lande einführte. Damit würde die Angabe der erwähnten Nothw. ausührlichen Spezial-Widerlegung, die ihn „in die 33 Jahre“ in Alsfeld wirken lässt, stimmen. Urkundlich sicher steht seine Anwesenheit hierselbst erst für das Jahr 1527: Auf der zu Ansang dieses Jahres aufgestellten Vorschlagsliste [072] für die Besetzung der Professuren an der zu gründenden Universität zu Marburg erscheint er als „D. Tilmannus Schnabel zu Alsfeld“ und am 11. November ds. Js. drückt er sein Siegel zur Beglaubigung unter den Revers des Alsfelder Augustiners [Seite-22] Heinrich Becker, der bei seinem Austritt aus dem Kloster abgefunden wurde. [073] Damit werden wir nun auch auf eine der wichtigsten Arbeiten geführt, der Schnabels erste Sorge gelten musste, auf die vom Landgrafen angeordnete Aufhebung der Klöster. Die hiermit betraute Commission hat bei ihrer Anwesenheit in Alsfeld sicher von dem Einblick des früheren Provinzials in die Verhältnisse des Augustinerklosters und von seiner Personenkenntnis Gebrauch gemacht. Über die Zahl der Klosterinsassen, von denen einzelne vielleicht gleich Schnabel schon seit 1523 das Mönchsleben aufgegeben hatten, und die Stellung, die sie zur Auflösung der Klostergemeinschaft nahmen, ist nichts oder nur wenig bekannt. Von einigen sind die Abfindungsurkunden noch vorhanden [074], bei anderen steht die Anwesenheit in Alsfeld für die nächsten Jahre fest.[075] Die älteren unter ihnen hat man wohl ruhig im Kloster gelassen, wie das auch sonst geschah, und als das Spital dorthin verlegt wurde, sind sie in diesem bis an ihr Ende verpflegt worden. [076] Die Güter des Klosters fielen an die Universität Marburg, die sie zusammen mit den Gefällen des ihr gleichfalls zugesprochenen Hainer Hofs durch einen eigenen Vogt verwalten ließ. Die Klostergebäude aber schenkte Philipp der Großmütige im Jahre 1532 der Stadt für ein Spital. Sie boten Raum genug für die Kranken und Siechen, die seither im Elisabeth- oder im Hl. Kreuz-Hospital untergebracht waren, und diese beiden Anstalten konnten nunmehr eingehen. [077]

Ihre Einkünfte flossen in den neugebildeten Kirchenkasten, der auch die seitherigen kirchlichen Einnahmen (Erb- und verschriebene Zinsen von Immobilien und Kapitalien etc.), ferner das Einkommen zweier Altäre (vgl. oben) und einige Stiftungszinsen in sich aufnahm und die kirchlichen Bedürfnisse sowie die Kosten für das Spital, die Pflege der Hausarmen und Kranken etc. zu decken hatte. Die Kastenrechnung wurde von zwei Kastenherrn und dem Procurator des Hospitals geführt. Die älteste, noch vorhandene, umfaßt das Jahr 1527/1528 und beweist, dass die Commission, welche mit der Ordnung des Kastenwesens im Lande betraut war, rasch gearbeitet hat. [079] Schnabel wird übrigens am Schlusse dieser Rechnung im Abhörprotokoll vom 10. Dezember 1528 als „itzo an stat eines pferners“ bezeichnet. Auch das deutet darauf hin, dass er sein Amt noch nicht sehr lange inne hatte. Für die Regelung der kirchlichen Vermögensverwaltung in Alsfeld hat er wohl aus Leisnig brauchbare Erfahrungen mitgebracht.

Die Altaristen [079] an der Walpurgiskirche hat man offenbar im Besitz ihrer Einkünfte gelassen; wir finden sie und den Pfarrer nach wie vor als eine besondere Gemeinschaft mit eigener Vermögensverwaltung, die ein Präsentiarius führt. Sie nennen sich Chorherren oder „Vicarien, zur Präsenz gehörig“. Nach ihrem Absterben sind die Chor- und Altarkapitalien Kirchen- und Schulzwecken dienstbar gemacht worden.

Bei der Neuordnung des Gottesdienstes [Seite-23] konnte sich Schnabel an die Vorbilder halten, die er in seiner sächsischen Zeit gesehen hatte, und es ist nicht zu bezweifeln, dass wie in ganz Hessen so auch in Alsfeld der Kultus ganz nach Luthers Art eingerichtet wurde. Das heißt aber: es fiel die Messe weg, und in den Mittelpunkt trat die Predigt des göttlichen Wortes, der lateinische Chorgesang machte dem deutschen Gemeindegesang Platz, für welchen von Jahr zu Jahr mehr Lieder, aus Luthers und anderer begeisterten Herzen geflossen, zur Verfügung standen [080]; die Heiligenverehrung an den Altären, das katholische Ceremoniell [081], der Ablass, das Wallfahrten und ähnliche im Lauf der Zeit in die Kirche eingedrungenen Missbräuche wurden abgestellt. Das wurde wieder als das Wesen des Gottesdienstes erkannt, dass, wie Luther sagt, „unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang“. Eine ganz besondere Sorgfalt war dem arg vernachlässigten kirchlichen Jugendunterricht zuzuwenden. Hier hat der Kleine Katechismus die beste Handreichung getan, den Luther aus Mitleid und Erbarmen mit dem unwissenden Volk geschrieben hat. In einer Predigt spricht er sich einmal über den darniederliegenden Unterricht so aus: „Ich bin selbst ein gelehrter Doctor theologiae gewesen und habe doch die zehen Gebote nie recht verstanden. Ja, es sind viele hochberühmte Doctores gewesen, die noch nicht gewusst haben, ob ihrer neune, zehen oder elfe wären; viel weniger haben wir von dem Evangelium oder Christus gewusst. Sondern das ward allein gelehret und getrieben: rufe die Jungfrau Maria und andere Heilige an als Mittler und Fürsprecher; also viel faste und bete; laufe zur Wallfahrt, ins Kloster, und werde ein Mönch, oder stifte so viel Messen etc. Und haben gewähnet, wenn wir solches täten, so hätten wir den Himmel verdienet. Das war die Zeit der Blindheit, da wir von keinem Gotteswort nichts wussten, sondern mit unserem eigenen Tand und Träumen uns und andere in den Jammer geführet haben; und ich derselben einer gewest, der in diesem Schweiß-, ja Angstbade wohl gebadet habe“. [082] Das alles war nun anders geworden, und auch in Alsfeld wurde es in dieser Beziehung besser.

Der Mann, durch dessen unerschrockenes Auftreten und unentwegtes Fortschreiten auf dem als richtig erkannten Wege diese Umwandlung in der Kirche Deutschlands herbeigeführt worden war, Martin Luther, kam in jenen Jahren wiederum durch unsere Stadt und hat diesmal hier auch übernachtet. Am 29. September 1529, einem Mittwoch, war er auf der Reise zum Religionsgespräch in Marburg hier angekommen und im Gasthaus zum Schwanen auf dem Markte [083] abgestiegen. Winckelmann berichtet in seiner Lobrede auf Alsfeld, die Stadt habe dem Reformator große Ehren erwiesen, und der Schulmeister sei mit einigen Schülern zu ihm bestellt worden, um geistliche Lieder zu singen. Nachdem sie knieend das Lied: Komm, heiliger Geist, gesungen, habe Luther „eine Vermahnung getan und unter anderem zu den Schülern [Seite-24] gesagt: O ihr lieben Schüler, ihr möget wohl fleißig beten und singen! Gott hat zwar diese Stadt erleuchtet, dass sie die erste Hessenlandes ist, welche das wahre Evangelium angenommen, ich habe aber große Sorge, Gott werde solches Kleinod wegen eurer großen Undankbarkeit wieder von euch abnehmen.“ Winckelmann gibt an, dass die Überlieferung dieser Worte auf den Mag. Heinrich Hölscher, Mitprediger in Alsfeld, zurückgehe, der damals unter den singenden Schülern gewesen sei. [084] Worauf mag sich der Vorwurf Luthers beziehen? Soldan [085] möchte an die Hinneigung zum Zwinglianismus denken, von der sich aber in Alsfeld keine Spur auffinden lässt. Vielleicht spielt Luther vielmehr auf persönliche Undankbarkeit gegen Tilemann Schnabel an, der, wie es scheint, unter allerlei böswilliger Anfeindung zu leiden hatte. In einem leider undatierten Briefe, den ich aber in diese Zeit setzen möchte, schreibt nämlich der Marburger Hofprediger Adam Kraft an den (nicht genannten) Alsfelder Rentmeister, Schnabel habe Holz für den Pfarrhausbau [086] aus einem ehemals den Mönchen, nun aber der Universität gehörigen Wald erhalten und werde deswegen von unwürdigen Menschen schikaniert. Er scheint nach einer Äußerung Krafts deswegen an eine Rückkehr nach Wittenberg gedacht zu haben. [Seite-25]

Der Hofprediger bittet daher den Rentmeister, dem Pfarrer Ruhe zu verschaffen, da es sich bei dem Bau ja um das Interesse des Fürsten und nicht Schnabels gehandelt habe, und nicht aus Bosheit, sondern aus Unwissenheit die Rechte der Universität, mit der jener selbst sich vergleichen könne, verletzt worden seien. Er wünscht dringend, dass man den brauchbaren betagten Mann nicht aus Hessen verdrängen möge, „den wir“, schreibt er, „mit großen Kosten uns herbeiholen müssten, wenn wir ihn nicht hätten“. [087] Auch sonst finden sich Spuren von allerlei Differenzen zwischen dem Pfarrer und der Gemeinde, insbesondere dem Stadtrat. Wenn Landgraf Philipp der Großmütige im Jahre 1539 an die Beamten und den Rat der Stadt einen Befehl über die Erhebung der Pfarrgefälle, um welche die Stadtväter sich nicht zu kümmern haben, über die notwendige Reparatur des Pfarrhauses, über die steuerliche Behandlung der Pfarrgüter und über die missbräuchliche Benutzung des Kirchhofs richtet [088], so hören wir daraus das Echo der Klagen Schnabels, die er dem Fürsten vorgetragen haben wird. Andererseits hatte auch der Rat Anlass zu Klagen über den Pfarrer, wie eine Eingabe an den Landgrafen aus dem Jahre 1552 beweist: hier beschweren sich die Väter der Stadt darüber, dass Schnabel sie auf der Kanzel als Bösewichter ausschreie, und fordern seine Zurechtweisung [089] Sonst scheint es übrigens nicht des Pfarrers Art gewesen zu sein, bei der [Seite-26] allzu deutlich zu werden. Das zeigt die gelegentliche Bemerkung eines Zeugen, der im Jahre 1549 auf eine Frage des Richters hin erklärte, er habe keinen mit Namen genannt, vielmehr gesagt: „Ich tue wie der Doctor. Ich nenn nymants. Wen es aber angehet, der nemt sich’s an. [090]

Die Wertschatzung, deren sich Schnabel am landgräflichen Hofe erfreute, findet in dem angeführten Briefe Adam Krafts einen schönen Ausdruck. Wie Luther selbst über Schnabel sich geäußert hat, sagt uns ein – allerdings erst nach 1688 geschriebener – Bericht über des Reformators Aufenthalt in unserer Stadt im Jahre 1529. Luther habe, so heißt es hier, in Alsfeld gepredigt „und in einer vorzüglichen Rede die außerordentlichen Gaben Schnabels und seine Verdienste um die Schule und die Stadt vor dem Altar öffentlich gepriesen“. [091] Wenn diese Angabe auf Wahrheit beruht, ist die Walpurgiskirche in Alsfeld die einzige Kirche in Hessen, in welcher Martin Luther gesprochen hat.

Von der verschiedenartigen Arbeit, die Schnabel während seiner langen Amtszeit für die Gemeinde Alsfeld geleistet hat, sind nur wenige Einzelnachrichten auf uns gekommen. Der Schule hat er wohl von Anfang an seine Aufmerksamkeit geschenkt; erhalten ist uns nur ein Protokoll über die Regelung der Schulverhältnisse aus dem Jahre 1536, um welche Zeit in Hessen die Schulangelegenheiten allgemein neugeordnet worden sind. Es wurden damals in Alsfeld ein Oberschulmeister und ein Collaborator bestellt und ihnen bestimmte Gehälter ausgeworfen; Schnabel verzichtete dabei zugunsten des ersten Lehrers auf 1 Gulden, den die Stadt noch von der alten Sonnabendsmesse her dem Pfarrer zahlte. [092] – Als im Jahre 1539 zur Hebung des Gemeindelebens die Ziegenhainer Zuchtordnung ausgegangen war, sind unter Schnabels Mitwirkung auch in Alsfeld Presbyter oder Senioren bestellt worden, die zusammen mit dem Pfarrer über die Gemeinde wachen sollten. Während uns die Namen dieser ersten Alsfelder Kirchenvorstandsmitglieder – so würden wir sie heute nennen – noch erhalten sind [093], haben wir keine Nachricht über die damals ebenfalls eingeführte Konfirmation. Auch an der Ehegerichtsbarkeit, die nach der Abkehr vom Katholizismus von den Bischöfen auf die Superintendenten und die fürstliche Kanzlei übertragen worden war, hat Schnabel als Pfarrer Anteil gehabt, und einige Spuren davon sind noch nachweisbar. [094] Ebenso liegen noch einige Kaufbriefe und Quittungen als dürftige Zeugnisse seiner ausgebreiteten Tätigkeit auf dem Gebiete der kirchlichen Vermögensverwaltung vor. [095] [Seite-27]

IV.

Schnabel als hessischer Superintendent

Als Philipp der Großmütige etwa um das Jahr 1530 sein Land in sechs Superintendenturbezirke einteilte, hat er Alsfeld zum Mittelpunkt einer Diözese und Tilemann Schnabel „wegen seines ehrwürdigen Alters, weil er einst von ihm Verfolgung erlitten und dieweil er ein frommer, gelehrter, alter und ansehnlicher Mann war, wie Johannes Pistorius schreibt [096], zum Superintendenten gemacht. Zur Alsfelder Superintendentur gehörten die Ämter Alsfeld, Homberg a. d. O., Grünberg, Ulrichstein, Schotten, Nidda, Stornfels, Ziegenhain, Burggemünden, Neukirchen, Schwarzenborn und Treysa mit zusammen etwa 70 Pfarreien. [097] Mit der Beaufsichtigung derselben war Schnabel zu seiner pfarramtlichen Arbeit eine neue Last auf die Schultern gelegt. Wir brauchen nur einmal an die Schwierigkeiten persönlicher Art zu denken, welche der Visitator mit den zumeist aus dem Katholizismus übernommenen, vielfach unwissenden und unwürdigen Pfarrern gehabt haben mochte [098], bis der auf dem Pädagogium und der Universität Marburg herangebildete Stamm evangelischer Geistlicher ihre Beseitigung ermöglichte. Der Gedanke, mit welchem sich Johann von Staupitz darüber tröstete, dass er nicht lauter auserlesene Leute zu den Ämtern der Congregation bekommen konnte: „Man muß mit den Pferden pflügen, die man hat. Wer nicht Pferde hat, der pflügt mit Ochsen; es gehet also in der Welt zu“ mag oft auch für die hessischen Superintendenten in jener Zeit der einzige Trost gewesen sein. Zu der Aufsicht über Amtsführung, Lehre und Wandel der Pfarrer, Prüfung, Ordination und Absetzung derselben kam noch die Überwachung des kirchlichen Lebens in den Gemeinden, der Schulen und Hospitalien und der Verwaltung des Kirchen- und Klostergutes. Was wir oben über Schnabels Bemühungen um Kultus, Schule, Kirchenzucht usw. in der Stadt Alsfeld gesagt haben, gilt auch für seinen ganzen Bezirk, und an manchen Orten desselben werden im Laufe der Zeit wohl noch Spuren von der Wirksamkeit des ersten Superintendenten zu Tage kommen. [099]

Die Mängel seiner Diözese lernte Schnabel außer durch seine Visitationsreisen am besten auf der Diözesansynode [Seite-28] kennen, zu welcher er regelmäßig einmal im Jahre seine Pfarrer zusammenrief. Was ihm hier zu Gehör kam und allgemein kirchlicher Regelung wert schien, brachte er auf der jährlichen Generalsynode vor, deren vorzüglichste Mitglieder eben die Superintendenten waren. Es würde nun zu weit führen, wollten wir Schnabels Beteiligung an den Generalsynoden und anderen Theologenversammlungen etwa an Hand der Akten verfolgen; das hieße zugleich eine Geschichte der Entwicklung des hessischen Kirchenwesens überhaupt schreiben. Wir müssen uns damit begnügen, an wenigen einzelnen Punkten die Mitwirkung Schnabels an der Gesamtleitung der hessischen Kirche aufzuzeigen. Im Jahre 1530 finden wir seine Unterschrift unter einem theologischen Gutachten über das Recht der Gegenwehr gegen den Kaiser, das bis dahin von Luther und den Sachsen bestritten, von Philipp von Hessen aber von Anfang an behauptet worden war. [100] Aus dem Jahre 1533 liegt ein Brief Luthers „An Tilemann Schnabel und die übrigen im Schlosse zu Homberg versammelten hessischen Bischöfe“ vor, in welchem der Reformator seine zur Zurückhaltung und langsamem Vorgehen mahnende Meinung über die in Homberg i. H. gefassten, die Kirchenzucht betreffenden Beschlüsse mitteilt. [101] Als es im Jahre 1536 schien, als sollte endlich ein Konzil zur Beseitigung der Glaubenszwistigkeiten zustande kommen, hat sich der Landgraf von einigen Theologen, unter denen auch Schnabel war, ein Gutachten über die Konzilsfrage ausstellen lassen. [102] Im gleichen Jahre fand am 7. August in Kassel eine von Abgeordneten der Ritterschaft, der Städte und der Geistlichkeit besuchte Versammlung statt, die über die Abwehr der wiedertäuferischen Gefahr beriet. Schnabel, der in seinem Bezirke die Wiedertäufer öfter, besonders in der Grünberger Gegend, aber auch in Alsfeld selbst [103], kennen gelernt hatte, sprach sich ziemlich scharf gegen sie aus: „An Unterricht sei den Wiedertäufern nichts gelegen. Weil das Übel übersehen und nicht geahndet, sei die Verachtung und der Unrat eingerissen. Wenn man gegen den Gottlosen Barmherzigkeit ausübe, gebe man demselben Gelegenheit, aus dem gottlosen Weg zu verharren. Strafe sei erforderlich, Gnade aber nicht ausgeschlossen. Wie auch in Preußen der Fall sei, so möge man die Boshaften ihr Lebtag harte Arbeit verrichten lassen“. [104] Zu dem Convent der Protestanten, der im Februar 1537 in Schmalkalden zusammentrat und die Beschickung des vom Papste ausgeschriebenen Konzils ablehnte, hatte der Landgraf unter anderen Theologen auch Schnabel mitgenommen; die von Luther für diese Tagung aufgestellten sog. Schmalkaldischen Artikel hat der Alsfelder Superintendent jedoch nicht mitunterschrieben und ebensowenig Melanchthons Traktat Von der Gewalt und Obrigkeit des Papstes, beides wohl nur aus einem zufälligen Grunde. Schließlich wäre noch zu erwähnen, dass Schnabel die im Jahre 1539 herausgegebene Ziegenhainer Zuchtordnung und das im Jahre darauf gleichfalls in Ziegenhain gestellte [Seite-29] Bedenken über die Religionsvergleichung [105] mitberaten und unterschrieben hat.

Nur bis zum Jahre 1541 ist Schnabel Superintendent der Alsfelder Diözese geblieben. Nach dem Bericht des Johannes Pistorius wurde er in diesem Jahre, da er „unvermöglich und die Pfarre nicht wohl versehen konnte, seines Visitieramtes beraubt und ihm das Einkommen der Pfarre Alsfeld sein Leben lang zugestellt und versprochen“. [106] Nach unserer oben begründeten Annahme, dass Schnabel etwa um 1475 geboren wurde, erscheint das hier über seine Schwäche Gesagte nicht unmöglich: ein beinahe Siebenzigjähriger mochte den Anstrengungen der Visitationsreisen, die gewöhnlich zu Pferde gemacht wurden, in der Tat nicht mehr gewachsen sein. Trotzdem enthält die Angabe des Pistorius nicht die ganze Wahrheit. Auf diese Vermutung muss jeden ein bereits mehrfach erwähnter Brief Luthers an den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen vom 10. April 1541 bringen, den ich, soweit er Schnabel betrifft, hierher setze. Luther macht darin Vorschläge für die Besetzung der sächsischen Pfarrei Gera und schreibt: „Zum vierten, damit ich nichts unterlasse: wenn Gera so stattlich wäre, dass sie könnte einen frommen, gelehrten Doctor halten, oder ich wüßte wieviel (Einkommen) sie hätte, so wäre da zu Alsfeld in Hessen ein Mann, D. Tilemann Schnabel, der mir neulich geschrieben, er wollte sich gern lassen versetzen, wie alt er ist, weil er sehe, dass es in Hessen dem Evangelium ginge wie Christo in Herodes’ Hause. Derselbe ist mein Schulgeselle gewesen zu Erfurt im Kloster und allhier zu Wittenberg und die erste Creatur, die ich geschaffen, da ein junger Doctor den andern macht. Aber ein sehr vernünftiger, eingezogener Mann. Aber ich habe leider nicht gewusst, dass er allda so vom Landgrafen wäre gelassen, denn er wohl in eine Schule gen Marburg nützlicher wäre gewesen, sonst wollte ich ihn wohl vor zehn oder mehr Jahren herausgeholet haben. Ich dachte, er stünde trefflich wohl. Aber so meidsam [107] ist er gewesen um seines lieben Vaterlandes willen“. [108] Schnabel hat also trotz seines hohen Alters an einen Weggang aus Hessen gedacht, und zwar, wie er sagt, weil es hier dem Evangelium gehe wie Christus im Palaste des Herodes. Dort aber ist Jesus wider alles Recht und besseres Wissen zum Tode verurteilt worden. Schnabel wird also sagen wollen, dass das Evangelium in der Landgrafschaft wohl in seiner Wahrheit erkannt, aber missachtet und nicht befolgt werde. Worauf spielt er hier an? Man könnte an die Tatsache denken, dass Philipp der [Seite-30] Großmütige persönlich und in seinen Maßnahmen als oberster Leiter der hessischen Landeskirche weniger ausschließlich lutherisch dachte, als es dem Lutheraner Schnabel angenehm sein mochte, dem vielleicht die Rolle, die Martin Bucer, der Vermittelungsmann, in jenen Jahren in Hessen spielte, ein Dorn im Auge war. Aber das alles hatte er doch schon längere Zeit ertragen, und es lässt sich keine Erklärung dafür finden, warum er gerade jetzt aus einem solchen Grunde seine hessische Wirksamkeit hätte aufgeben sollen. Näher liegt, worauf schon A.F.C. Vilmar [109] aufmerksam gemacht hat, ein anderes, das sich freilich ebensowenig beweisen lässt. Landgraf Philipp hatte im Frühjahr 1540 in verblendeter Leidenschaft den verhängnisvollen Schritt der Eingehung der Doppelehe getan, die ihn nicht nur bei seinen protestantischen Bundesgenossen um ein gut Teil seines Ansehens brachte und ihn zum Anschluss an die katholischen Gegner trieb, sondern ihm auch im eigenen Lande und besonders von Seiten der Theologen manche Gegnerschaft zuzog. Ein Mann von der ehrwürdigen Strenge und Geradheit eines Schnabel mochte sich unter solchen Umständen wohl sagen, dass er eine verantwortungsvolle Stellung im Kirchenwesen der Landgrafschaft nicht mehr bekleiden könne. Sein Name ist zwar unter denen der sonst bekannten freimütigen Theologen, die aus der Verurteilung der Doppelehe kein Hehl machten [110], nicht überliefert, noch weniger von einem direkten Zusammenstoß mit Philipp [111] etwas bekannt, aber die Möglichkeit, dass er zu jenen gehörte, scheint mir doch nicht von der Hand gewiesen werden zu dürfen. Zum Verlassen des hessischen Kirchendienstes kam es nun freilich nicht, aber seine Superintendentur hat Schnabel aufgegeben. Sein Nachfolger wurde der Pfarrer Johannes Pistorius in Nidda, er aber blieb bis an sein Lebensende Pfarrer von Alsfeld.

Trotz seiner Abdankung scheint nun Schnabel doch nicht in die Reihe der einfachen Pfarrer zurückgetreten zu sein, sondern eine gewisse Aufsichtsstellung noch weiter beibehalten zu haben. In welcher Art und welcher Ausdehnung ist freilich nicht zu sagen. [112] Während der Interimsjahre 1548 bis 1552 gewinnt man manchmal den Eindruck, dass er von der landgräflichen Regierung nach wie vor als der eigentliche Superintendent der Alsfelder Diözese betrachtet worden ist. [113] So erscheint er auf dem Konzept der Einladung zu einer Beratung über die Interimseinführung, zu welcher die sechs Superintendenten und acht hervorragende Geistliche auf den August 1548 nach Kassel berufen wurden, als Superintendent zu Alsfeld, während der Name des Pistorius unter denen der einfachen Pfarrer steht. Auch auf der Adresse des Schreibens, das der gefangene Landgraf unterm 16. Juli 1548 aus Schwäbisch-Hall an die Theologen sandte, ist er unter den Superintendenten genannt. Endlich war er es, der auf der Kasseler Konferenz am 6. August 1549 bei der Beratung über die Versuche des Erzbischofs von Mainz, sein Verfügungsrecht über die [Seite-31] hessische Kirche wieder zu gewinnen, unmittelbar nach den Regierungsvertretern als erster unter den Theologen das Wort zur Sache ergriff; mit heftiger Stimme erklärte er, dass er in nichts willige, „was nach dem Papsttum riecht“.

Auch der erzbischöflich-mainzische Commissar in Amöneburg, Johann von Fleckenbühl gen. Bürgel, wandte sich an Schnabel, um durch ihn auf die Geistlichen der Superintendentur einzuwirken. Zu den Edikten Sebastians von Mainz, die er ihm zur Übermittlung an die Pfarrer zustellte, bemerkt Schnabel in seinem Erwiderungsschreiben vom 14. Oktober 1548 ironisch: „wenn in den vergangenen Jahren das Heil des deutschen Volkes so sehr erstrebt worden wäre, wie jetzt der Untergang der treuen Prediger, stünde es besser um das unglückliche Deutschland“. Im übrigen lehnt er es ab, Ermahnungen für seine Predigttätigkeit – das eine Edikt schärft die Pflicht des Predigens gegen die Trunkenheit ein – sich vom Mainzer Erzbischof geben zu lassen, da er solche durch einen Höheren empfange. [114] Als ihm der Commissar bald darauf die Dekrete der am 16. November zusammengetretenen Mainzer Diözesansynode übersandte, schickte er sie ungelesen zurück, da er sich nicht mit Menschensatzungen bestricken lassen wolle. [115]

Dass Schnabel auch nach 1541 noch Superintendentenfunktionen ausübte, geht schließlich noch aus der Tatsache hervor, dass er verschiedentlich die „Visitiergelder“ verteilte, d. h. Unterstützungen für arme Pfarrer, zu welchem Zwecke Landgraf Philipp den vier Superintendenten der althessischen Diözesen jährlich 1000 Gulden aus dem Klostergute zur Verfügung gestellt hatte. Für 1547 und 1555 stehen solche Verteilungen durch Schnabel fest. [116] [Seite-32]

V.

Schnabels Bedeutung und Persönlichkeit

Wenn wir uns fragen, worauf das Ansehen, das Schnabel im Hessenlande genoss, beruhte, so müssen wir neben seinem ehrwürdigen Alter die anziehenden Seiten seiner Persönlichkeit nennen, wie sie uns das Epicedion aufzählt: seine unerschrockene Wahrhaftigkeit, seine unermüdliche Tätigkeit im Predigt- und Visitatorenamte, seine Freiheit von der Geldsucht, seine Mildtätigkeit und Nüchternheit. Einen durch eine Fülle von Tugenden ausgezeichneten Mann nennt ihn Justus Vietor und behauptet, keinen, der ihm ähnlich wäre, habe das Vaterland zu Landgraf Philipps Zeiten hervorgebracht. Darin spricht sich die hohe Wertschätzung aus, deren sich Schnabel bei den Pfarrern des Landes erfreute, auf die auch Helwig Garth hinweist, wenn er sagt: es „haben die anderen jüngeren Superintendenten und Prediger in Hessen ihn für ihren parentem gehalten und als einen Vater geehret“. [117]

Nicht weniger trug seine eigenartige Vergangenheit dazu bei, dass man in Verehrung zu ihm aufblickte: er war im Katholizismus ein hervorragender Ordensmann gewesen, war ein Schüler Luthers und mit ihm persönlich befreundet und war als der einzige Geistliche in der Landgrafschaft im Besitze des theologischen Doctortitels. Wenn dieser auch nicht mehr, wie das im Mittelalter der Fall war, als eine Art Adel galt, so war er doch schon durch seine Seltenheit Auszeichnung genug; Schnabel ist denn auch im ganzen Lande gewöhnlich als „der Doctor von Alsfeld“ bezeichnet worden. Eine besondere Ehre erwuchs ihm aus dieser seiner Würde, als im Jahre 1553 der Professor Andreas Gerhard Hyperius in Marburg doctoriert werden sollte. Die Theologische Fakultät – in welche übrigens Schnabel zu berufen bei der Gründung der Universität geplant war [118], ohne dass es damals oder später dazu gekommen wäre – besaß unter ihren Mitgliedern keinen Dr. theol., der die Promotion hätte vollziehen können. Da bat man Schnabel, zur Vornahme des feierlichen Aktes nach Marburg zu kommen; dort hat er am 17. August 1553 in großer Sitzung die erste theologische Doctorpromotion vollzogen und damit das theologische Doctorat von der Wittenberger auf die Marburger Universität übertragen. [110] Die Frage nach Schnabels theologischer Stellung [Seite-33] ist rasch beantwortet: er war und blieb Lutheraner. Zwar hat eine spätere Zeit ihn für die oberländische Richtung in der hessischen Geistlichkeit in Anspruch nehmen wollen [120], aber das ist damals mit guten Gründen zurückgewiesen worden. [121] Schon die Tatsache, dass sein Alsfelder Nachfolger Justus Vietor, der selber ein strenger Lutheraner war [122], seine Frömmigkeit lobt und die Beziehungen zu Luther hervorhebt, ist Beweis genug.

Dass Schnabel verheiratet war, stand bisher nicht fest [123]; urkundliche Zeugnisse beweisen es jedoch. Der Superintendent Adam Kraft in Marburg schreibt in einem undatierten Brief an den Landgrafen Philipp: „Zum andern ist ein klein Häuslein zu Alsfeld am Kloster. Bittet mich der Doctor zu Alsfeld, dieweil er ein alter Mann und mit Kinderchen befallen, dass ich seinethalben Eure fürstliche Gnaden untertänigst um Gottes willen von seinetwegen bitten wolle, nach Absterben des jetzigen Besitzers, der es ihm hat für XIV Thaler, seinen armen Kindlein und Weibe aus Gnaden und um Gottes willen zuzustellen oder aber mit dem jetzigen Besitzer sich zuvertragen gnädiglich zu vergönnen“. [124] Schnabel hatte also Weib und Kinder, und seine Jahre mahnten ihn, für sie Vorsorge zu treffen. Der Name seiner Frau ist nicht bekannt, wohl aber die seiner beiden Töchter Anna [125] und Barbara, welch letztere den Pfarrer Kaspar Scheuer in Kilianstädten bei Hanau heiratete und nach dessen vor 1582 erfolgtem Tode wieder nach Alsfeld zurückkehrte, wo sie in den dürftigsten Verhältnissen im Spital lebte und hier im Jahre 1614 starb. Reichtümer hat Schnabel also den Seinen nicht hinterlassen. Wie hoch sein Alsfelder Pfarreinkommen, das zum Teil in dem Ertrag der von ihm selbst bewirtschafteten Pfarrländereien bestand, sich belief, ist nicht mehr zu sagen. [127] Allzuviel war es auf keinen Fall, und auch der Zuschuss, den er als Superintendent empfing – 40 Gl. und Hafer, Heu und Stroh für die Dienstpferde – wird den tatsächlichen Aufwendungen für diese Tätigkeit entsprochen haben. Umsomehr ehrt ihn, was das Epicedion Vietors von ihm schreibt: den Armen teilte er von seiner Habe reichlich mit und ließ keinen mit leerer Hand weggehen.

Über die letzte schwere Krankheit, die Schnabel befiel und ihm das Predigen unmöglich machte, berichtet Johannes Pistorius: „Da die Sprache dem Doctor entfiel, ward durch mich Mag. Justus Vietor zu einem Pfarrherrn zu Alsfeld eingesetzt, doch unter der Bedingung, dass er sich mit den 40 Gulden vom Chor und seinem Schuldienst sollte begnügen lassen, bis nach des Doctors Absterben; alsdann sollte ihm das Pfarreinkommen gänzlich zugestellt werden, welches auch also geschehen“. [128] Diese Erkrankung Schnabels – jedenfalls ein Schlaganfall – fiel in das Jahr 1557. Sein Tod erfolgte am 27. September 1559. Er wurde im Chor der Walpurgiskirche beigesetzt; sein Grabstein, der leider verschwunden ist, trug die Inschrift: Anno 1559 d(ie) 27. Septembr(is) obiit [Seite-34] Thilomann Schnabel doctor theologiae Alsfeldianus. [129] Der Nachruf, den ihm sein Nachfolger in dankbarer Verehrung widmete, das schon mehrmals erwähnte Epicedion, zeigt auf dem Titelblatt den nachstehend wiedergegebenen Holzschnitt. Der Künstler hat die Alsfelder Walpurgiskirche darstellen wollen, wie das kleine Wandbild der Kanzel gegenüber beweist: es ist der Hl. Christophorus, dessen Bild, wie die Chorographie berichtet, die nach dem Chor zu liegende Wand des nördlichen Seitenschiffs schmückte und das bei der Renovierung der Kirche nun wieder zum Vorschein gekommen ist. Man darf also annehmen, dass der predigende Geistliche auf der Kanzel, auf welcher auch die damals übliche Sanduhr [130] zu sehen ist, Schnabel sein soll. Leider ist das ganze Bild zu klein, als dass der Kopf charakteristische Züge aufweisen könnte. Immerhin wird man auf Grund dieses Holzschnittes behaupten dürfen, dass Schnabel bartlos war. [131]

„Es entschwindet uns die Schar der frommen Doctoren, und deine Herde, o Herr, erblickt allenthalben Trauerzeichen“, so klagt Justus Vietor in seinem Nachruf für Schnabel. Er hat damit die Stimmung des gesamten evangelischen Deutschlands ausgedrückt, das von den Reformatoren einen um den andern ins Grab sinken sah, vor allem aber auch die Gefühle der Alsfelder Gemeinde, die ihren ersten evangelischen Pfarrer verlor. Um ihretwillen hatte er auf einen weiteren Wirkungskreis verzichtet, und der Dienst an der Gemeinde und an der Alsfelder Diözese haben ihn gezwungen, die gelehrten Studien ruhen zu lassen: wir haben keine einzige Schrift aus seiner Feder. Solche Entsagung und soviel Treue im Kleinen haben ihm ohne Zweifel dankbare Herzen erworben. Seine ganze Persönlichkeit aber, wie wir sie auf diesen Blättern zu zeichnen versucht haben, verdient für alle Zeiten ein ehrendes Andenken in der Stadt, die er als die erste des Hessenlandes dem Evangelium zugeführt hat. [Seite-35]

Beilagen

1.

(Fünf Mitglieder des Augustinerconvents in Alsfeld erhalten von der geistlichen Behörde in Mainz eine besondere Erlaubnis zum Beichtehören.)

1506 Mai 19.

Confessionale fratrum sancti Augustini in Alsfeldia.

Factum fuit confessionale in forma communi Andreae Arnoldi priori, Johanni Schorpach lectori, Thylmanno Schnabel lectori, Wentzelao Bymer suppriori et Georgio Ludovici, fratribus ordinis heremitarum sancti Augustini conventus in Alsfeldia, et data fuit Andreae Arnoldi et Johanni Schorpach facultas absolvendi in casibus reservatis. datum apud arcem sancti Martini in civitate Moguntina sub secreto, die decima nona mensis Maii anno domini millesimo quingentesimo sexto. [Bayr. Kreisarchiv zu Würzburg. Mainz. Ingross.-B. Nr. 49 f. 96.]

2.

(Der Augustinerconvent in Alsfeld bewilligt dem Lic. Tilemann Schnabel 40 Gl. zur Bestreitung der Doctorpromotion.)

1515 August 30.

Ich bruder Johannes Sipp, prior, ich Johannes Schorpach, leyszemeister, ich Jacobus Schaupach, subprior, und ich Johannes Bydencappe, coster, und wyr, die samelunge und bruder alle, alt und jungk, deß closters tzu Alsfeld, Augustiner eynesiddelerße ordenß, bekennen vor unß und vor alle unßer nachkommende bruder und inwoner dieß unßerns gemelten closters, daß der andeichtige unßer geistliche midde conventz bruder her Lenehart Becker unß gutlichen geluen, vorandellogt unde gantze wolle betzalt hoit achtzigke gollen heypt gelleß, vorsorget mit briefen [Seite-36] dar ober sagende, und dar tzu hundert und virtzigk guder genemer wollewichtiger zinßer golt gollen frangforter were, unde wir sagen ene solicher gemelten sume gollen gantze gwidt, ledigk und loiß. dye wyr dan in unserß conventz kontlichen fromen und notze gewant haben alßo bescheidelichen, das wir die achtzigk gollen heypt gelles sampt vier gollen jerliche tzinß soln da von uf heiben irblichen und ewiglichen und damit dune und laißen gliche wie mit unßern andern eygen und irb güdern ane alle insage; und hundert gollen soln und woln wir ane leygen jerlichen uf tzinße dem convent tzu notze, in glicher moiß und form tzu gebruchen und haben wie obgemelt ist. ßo haben wir mit den andern virtzigk gollen geholfen unßerm licentiaten pater Tylman do syn doctorat da midde tzu voln brengen, dem orden und convent tzu notze und ern. dar umb vor die tzweye hundert und tzwentzigk gollen obgemelter were und sume soln unde woln wir obgemelte prior und gantze convent unserm itzt gemelten midde conventz bruder hern Lenehart ierlichen geben und gutlichen reychen und eyne itzeliches jare besundern elf golt gollen ader frangforter werunge, hee sie hie ader anderß woe, Urbani tzu gefallen, unvortzoglichen ane alle synen schaden uß deß conventz tzinsen und renthen tzwentzigk iare langk ane alle geverde. und wanne die tzwentzigk iare ober sint, ßo sale gemelt her Lenehart dießen Brief dem priori und convent wider libern, und dan sal dießer brief unmeichtigk und doit syne. auch ist beredt, werß sach, das eyne scheffener ader wemß geborn worde sumig funden worden ane solicher betzalunge, daß doch mit nycht syne sale, ßo sale und wele eyne prior und gantz convent egemeltem her Leneharten bystand und holfe dune nach ere vormogene, das em gutlichen betzalunge gescheye ane alle synen schaden. das dieße punkt stede und fest wie obgeschrieben uf beyde partie gehalten sale werden, deß die warheit dar ober tzu besagen ßo haben wir obgemelte prior, leyßemeister, subprior, coster und gantzer convent unßer conventz ingesegel unden uf spacium dieß briefs vestiglichen dune drucken, der dan gegeben ist in dem jare deß hern alß man schribet funftzehenhundert und funftzehen jare uf donnerßtagk nach Johannis decollacionis.

Original-Papier mit aufgedr. großen Klostersiegel.

Rückseite: Ich Lenhart Becker bekennen myt myner eygen hantschryft, das der vogk des closters zu Alsfelt Claß Schliß, itzund burgmeyster, gutlichen gegeben hat XI gl., und sagen bryf quit, ledig und loß. anno 1535 [132] in die Urbani.

[Staatsarchiv in Darmstadt Abt. V, 7, Conv. 32.] [Seite-37]

3.

(Landgraf Philipp der Großmütige an die Beamten, den Pfarrer, den Stadtrat und die Kastenmeister über kirchliche Missstände in Alsfeld.)

1539 Juni 7.

Philips von gotts gnaden landtgrave zu Hessen, grave zu Catzenelnpogen etc.

Lieben getreuen. uns kompt glaublichen fur, das allerlei unvleiß und ungeschiglicheit mit kirchen, kasten und andern ordenungen bey euch zu Alsfelt geubet werde, darob wir nit geringes befrembdens und ungevallens tragen. damit aber sunderlichen in etzlichen dingen besser ordenunge gehalten werde, so ist unser ernste meynunge und bevelch, das irs in nachvolgenden artickeln also halten sollet.

Das einkommen und gefelle, so zur underhaltunge eines pharrers, capplans, schulmeisters, opffermann und stipendiaten, welche in unsere universitet Marpurgk gute konst zu lernen geschickt werden, verordenet ist oder nach verordenet werden möcht, sollen ufheben und samlen vornemlich ein pharrer, darnoch drei oder vier frommer getreuer menner aus der gemeinde zu Alsfelt, und solich einkommen und gevelle furter an die gehörige ort nach gepurnis austeilen, auch alle jar vor euch, unseren rentmeister, und dem rath darvon rechenschaft thun. aber ihr, burgermeister und rath, sollet damit nichts weithers zu schaffen haben. und du, unser rentmeister, solt mit ufsehen, das damit treulich wol und unser ordenunge nach umbgangen werde. sonstet solltu auch damit weither nichts zeschaffen haben.

Und nachdem die pharre zu Alsfelt vast baufellig sein solle, wollen wir, daß dieselbe furderlich und dergestalt, damit ein pharrer darin wonen konne, zimlicher weise erbauet werdn sol. Du, unser rentmeister, solt den ersten phennig us den gevellen des closters zu Alsfelt, dergleichen ir, der rath, den zweiten phennig, und ir, die castenmeister, den dritten phennig us dem gottescasten darzu erlegen, damit myt solichem bau vorgesetzt werde.

Unser pharrer zu Alsfelt Thilemannus Schnabell hat euch, unser beampten, etzlicher geprechen di pharguter etc. betreffendt zu berichten. im selbigen hörent inen gutwillig und seiet im dermaßen von unsern wegen beholfen, daß die phargueter bei altem herkommen gelassen und daruber nit beschweret werden. daß ist unser ernste zuverleßige meynunge.

Wir wollen auch nicht haben, das hinfurter im marckt ader sonstet die kremer uffm kirchof stehen und also uffm kirchove verkauft und gekauft werden sol, wie itzo ein zeithere furgenommen ist. deßgleichen sollet ir auch nicht gestatten, das man [Seite-38] knotten uffm kirchove clenge, sondern dieselben uf andern pletzen clenge; hette man aber ye sonsten nicht bequem pletze darzu und man die ufm kirchove clengen wolte, das alsdann die leuthe den kirchove dadurch nit verunreinigten, sondern den kirchof alweg widderumb kereten und sauber mächten.

Wir wollen auch nicht gehapt haben, das man ufm kirchove zimmer oder steinhau, bevorab unter der predige ader wan man di sacramenta munstrieret.

Darumb so haltet euch dißes unsers bevelchs also, das wollen wir bei vermeydung unser ungnadigen strafe von euch gehapt haben.

Datum Cassel sambstags nach der dreifaltigkeit anno […]
Philips L. z. Hessen scr.
P. C. S. Bieng ss.

Unsern rentmeister, schulteiß, pharrern sampt burgermeistern und rath, auch castenmeistern zu Alsfeld und lieben getreuen, Widdekind Stuckenraht, N. und N.

[Stadtarchiv zu Alsfeld. Or.-Pap. mit eigenhändigen Unterschriften.]

4.

(Tilemann Schnabel an den erzbischöflichen Commissar in Amöneburg über die Mandate des Erzbischofs Sebastian.)

1548 Oktober 14.

Gratia et pax a domino, amen. legi non solum tuas, venerande vir, literas, sed et alias duas, quas una cum tuis ad me misisti, intelligoque ex eis id, quod et omnes boni, pii et fideles ecclesiarum pastores, corrigi debere in primis blasphemiam et ebrietatem, quod et hactenus non est intermissum. quod si tot annis transactis tantum fuisset vere quaesita populi Germanici salus, quantum quaesitus interitus fidelium concionatorum, melius hodie haberet infelix Germania. et causa Germaniae infelicitatis haec est: quia lux venit in mundum et dilexerunt homines magis tenebras quam lucem, erant enim mala eorum opera; omnis enim, qui male agit, odit lucem. ego ergo, optime vir et venerande in domino frater, non solum blasphemiam et ebrietatem arguam, sed et omne peccatum, quod verbo domini contrarium est, nec in hoc necesse est vel caesaream maiestatem vel dominum episcopum Moguntinum molestari. magis in hoc aeterni et omnipotentis die mandatum quam hominis constitutionem intueor, quamquam nec hominis constitutionem contemno, modo robur habeat ex [Seite-39] verbo domini omnibus hominibus preferendo. haec ut candide ita et libere ad omnia illa scripta. vale foelix in domino, venerande vir.

Ex Alsfeldia anno domini 1548 die 14. Octobris.
Tilmannus Schnabel
ecclesiae Alsfeldiensis minister in verbo domini etc.

In Interim nunquam iuravi nec consensi, sed nec consentiam, nisi antea videam et legam.

Venerando viro domino Johanni Birgeln, ecclesiae Ameneburgensis scolastico, dignissimo domino suo et fautori colendo.

[Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien, Mainzer Abteilung, Abschrift.]

5.

(Tilemann Schnabel an den erzbischöflichen Commissar in Amöneburg
über die Mainzer Synodaldecrete.)

1548 Dezember 26.

Gnad und fried in gott dem herrn, amen. erwirdiger herr, euer schrift hab ich empfangen, gelesen und darauß vernommen, wie der e. herr Sebastianus, ertzbischof zu Meintz etc., ufs neu uns mit menschlichen satzungen furnimpt zu bestricken. dieweil wir aber in solchen dingen durch unsern herrn heyland Jesum Christum selber (welcher großer ist, dann ein bischof von Meintz) gefreyet seindt, will ich mit gottes gnaden mich hueten, das ich in solchen dingen hinfurt keins menschen knecht werde. das verleyhe mir mein freyher Jesus Christus, amen. darumb schick ich euch euer acta synodalia wider, welche ich doch wol lesen möchte, wo es den hinderhalt nit hette. euer erwirden zu dienen bin ich alzeit willig wohlgenaigt. gottes gnad sey mit euch, amen.

Datum Alsfelt anno domini 1548 in die sancti Steffani prothomartiris.

Tilmannus Schnabel
Alsfeldianae ecclesiae inutilis minister etc.

An commissarien zu Ameneburgk.

[Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien, Mainzer Abteilung, Abschrift.] [Seite-40]

Anmerkungen

[001] G.W.J. Wagner, Die vormaligen geistlichen Stifte im Großherzogtum Hessen, 1,20. Die ungedruckte Urkunde, auf Grund deren J. E. C. Schmidt, Geschichte des Großherzogtums Hessen, 1,208, das Kloster bereits 1255 bestehen lässt, ist bis jetzt noch nicht wieder aufgetaucht.

[002] C. Ebel, Regesten zur Geschichte der Stadt Alsfeld (Mitteil. des Oberh. Gesch.-Ver., N. Folge, 5) 131.

[003] Chorographia. Ausführliche und gründliche Beschreibung der Stadt und Bezirks Alsfeld. von Joh. Moritz von Gilsa, Burgmann zu Alsfeld, fürstl. hessischem Amtmann zu Homberg a. d. Ohm. Von Conrektor Heinr. Leußler 1664 bearbeitet. Im Besitz des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld. – Neuerdings teilweise gedruckt in den Mitteilungen des Geschichts- und Altertums-Vereins der Stadt Alsfeld 5, 82ff.

[004] Staatsarchiv in Darmstadt, Abt. V, 7, Conv. 32.

[005] Vgl. die zahlreichen Seelgerätstiftungen bei Wagner, a.a.O., 20ff., ferner bei C. Ebel, Die Urkunden des Stadtarchivs von Alsfeld aus dem 15. Jahrhundert (Mitteil. des Oberh. Gesch.-Vereins, N. Folge, 7, 77ff.), die Nr. 3, 67, 73, 116, endlich bei E. Becker, Regesten aus dem Alsfelder Stadtarchiv (ebd. 19, 42ff; 20, 22ff.), die Nr. 11, 162.

[006] Verschreibung des Testamentsvollstreckers Erzbischof Hermann von Köln an das Kloster von 7. Jan. 1487. (Staatsarchiv in Darmstadt, Alsfelder Urk.) Vgl. auch Beurkundete Nachricht von d. Kommende Schiffenberg, 2 Beil. 238, und Historische und rechtsbegründete Nachricht von d. Ursprung […] des teutschen Hauses und Land-Commende-Marburg, Beil. 50.

[007] 1522 verschreiben Jakob Wellers von Wissenbach gen. Wedemoller und seine Ehefrau Katharina zu Willingshausen dem Kloster 1½ Gl. jährlicher Zinsen für die „bruderschaft der rosencrentz Mariae, der mutter gottes, in gemeltem closter, 1 gl. an das gelucht und ½2 gl. in die kochen gemelten closters“; Staatsarchiv in Darmstadt, Nebel’sche Urkundenabschriften Nr. 343.

[008] F. Herrmann, Eine Bücherschenkung an die Pfarrkirche zu Alsfeld aus dem Jahre 1371. (Mitteil. d. Oberh. Geschichts-Ver.., N. Folge, 12, 89ff.)

[009] Staatsarchiv zu Darmstadt, Alsfelder Urkunden.

[010] Es waren Johannis evang. (27. Dez.), Dorotheae (6. Febr.), zweiter Pfingsttag, Mariae Magdalenae (22. Juli), Jacobi (25. Juli), Bartholomaei (24. Aug.), Decollationis st. Johannis Baptistae (29. Aug.), Exaltationis st. crucis (14. Sept.), Michaelis (29. Sept.), Simonis et Judae (28. Okt.), Martini (11. Nov.), Elisabethae (19. Nov.), Katharinae (25. Nov.), Andreae (30. Nov.), Barbarae (4. Dez.) und Nicolai (6. Dez.).

[011] Der Augustini-Tag am 28. Aug., die Reconditio am 27. Febr., die Translatio am 28. Febr. und die Conversio am 5. Mai.

[012] Chorographia S. 124.

[013] Vgl. Ebel, Regesten, Nr. 18, 35, 51, 59, 70, 78, 82, 86 und Ebel, Urkunden, Nr. 11, 19, 22, 67, 124, 128, 136.

[014] Die Kirche hatte mindestens sechs Altäre. Da sie meist unrichtig oder unvollständig angeführt werden, setze ich ihre Namen hierher und füge das Jahr ihres erstmaligen Auftretens bei: 1. Mariae, Mariae Magdalenae et Margarethae (1331), 2. Nicolai (1355), 3. Michaelis (1365), 4. Katharinae (1365), 5. S. crucis ac ss. Gieorgii, decem milium martyrum, Felicis et [Seite-41] Adaucti ac Margarethae virginis (1368), 6. Johannis ev. et Annae (1371). Die Kirchenrechnungen aus der evangelischen Zeit führen außerdem noch Gefälle an von 7. Jost und 8. Eulogius, zwei Altären, die in besonderen Kapellen außerhalb der Kirche standen; nur ihre Gefälle flossen in die Kirchenkasse, während die Altäre Nr. 1—6 ein besonderes Corpus bildeten.

[015] Vgl. W. G. Soldan, Zur Geschichte der Stadt Alsfeld, 2, 7 f. und F. Herrmann, Die Schulden der Stadt Alsfeld im Jahre 1523 (Mitteil. d. Oberhess. Gesch.-Ver., N. Folge 12, 94 ff.).

[016] Vgl. Ebel, Urkunden, Nr. 100, 136.

[017] Ebel, Urkunden, Nr. 18.

[018] 1466, August 17. Vgl. den Abdruck der Urkunde in den Mitteil. des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld 3, 37f. Eine weitere Stiftung des Joh. Jouchin s. Ebel, Urkunden, Nr. 112.

[019] Der Hainer Hof in Alsfeld vereinnahmte z. B. im Jahre 1537 16 Gl. in bar, 21 Viertel Korn, 21 Viertel Hafer, 1 Pfund Wachs, 3 Mesten Oel, 8 Wagen Holz, 2 Gänse, 4 Hähne, 6 Hühner. — Anhang an die oben genannte Klosterrechnung von 1537.

[020] Hess. Landesordnungen, 1, 4, Ebel, Regesten, Nr. 9 und Soldan, 2, 48. Vgl. auch Becker, Regesten (Mitteil. des Oberh. Gesch.-Vereins, N. Folge 19), Nr. 4.

[021] Die Texte bei C. W. M. Grein, Alsfelder Passionsspiel, und R. Froning, Das Drama des Mittelalters, 547ff. Dazu H. Legband, Die Alsfelder Dirigierrolle (Archiv für Hess. Gesch. u. Alt., N. Folge, 3, 393 ff.) Eine moderne Übertragung gibt E. Freundlieb, Alsfelder Passionsspiel, aus dem Mitteldeutschen übertragen, Alsfeld (Rühl) 1920. – Nebenbei sei angemerkt, dass einer der vor Pilatus auftretenden Juden den (in der Frankfurter Vorlage nicht vorkommenden) Alsfelder Familiennamen Senderlin führt, vgl. Grein 133, 140.

[022] Text bei K. W. Piderit. Ein Weihnachtsspiel aus einer Handschrift des 15. Jahrhunderts, und Froning 902 ff. Letzterer möchte vor allem aus sprachlichen Gründen das Spiel in Alsfeld entstanden sein lassen. Für eine nähere Untersuchung, die wohl der Mühe wert wäre, möchte ich die Frage aufwerfen, ob die Worte des ersten Hirten (Vers 448-453):

ouch wil ich dich sere bitten,
das du uns an der liten
lest wasszen die weide,
das wir obir die heide
nicht als ver durffen triben:
los uns na in der kuweide bliben!
nicht deutliche Hinweise auf Alsfelder Lokalitäten enthalten. Mit lite dürfte die Flur unmittelbar vor dem Mainzertor zur rechten Hand – heute noch: am Lieden – gemeint sein. lite hier ganz allgemein als Bergabhang zu fassen, geht wohl nicht an, da solche Abhänge nicht gerade in der Nähe der Stadt zu sein brauchen. Das aber ist es doch, worum der Hirte bittet; die Kuhweide lag natürlich in nächster Nähe eines der Tore.

[023] Vgl. Legband, 453.

[024] Der Altarist am Frauenaltar in der Walpurgiskirche und Pfarrer in Zell, Joh. Holleich, lebte im Concubinat. Sein Sohn Kurt war Altarist am Katharinenaltar; vgl. Ebel, Urkunden, Nr. 112.

[025] 1490, Dez. 15. Staatsarchiv in Darmstadt, V, 7, Conv. 31c.

[026] 1493, Febr. 16. Beurk. Nachricht 2c., 2, Beil. 193. Dazu Chr. v. Rommel, Geschichte von Hessen 3, Anmerk. Nr 70.

[027] Vgl. dazu das ausgezeichnete Buch von Th. Kolde, Die deutsche Augustiner-Congregation und Johann von Staupitz.

[Seite-42]

[028] Beilage Nr. 1. Der Orden hatte zwar die generelle Erlaubnis zum Beichtehören, die betr. Priester mussten aber dem zuständigen Bischof präsentiert werden.

[029] Pistorius an Georg Nigrinus 1581, Febr. 2, bei H. Heppe, Geschichte der hessischen Generalsynoden, 2, Beil. Nr. 16.

[030] Epicedion reverendo viro sacrosanctae theologiae doctori Thilomanno Schnabelio, pastori et superintendenti Alsfeldiano, scriptum a Justo Vietore Hombergiacoeno, ecclesiae Alsfeldensis ministro. o. O. u. I. Abgedruckt bei I. F. C. Retter, Hessische Nachrichten, 4. Samml. 52 ff.

[031] Das Compendium ex registris gener. archivi generalis eorum, quae concernunt Provinciam Germ. ordinis Erem. S. P. Hugustini (cod lat. 8423 der Münchener, Staatsbibliothek) nennt einige Alsfelder studierende Augustiner: p. 446, Fredericus de Alsfeld remittitur in provinciam (1419; woher, wird nicht gesagt); p. 149 concessimus fr. Modesto de Alsfeldia, provinciae Saxoniae, qui suos cursus legit in hac provincia, licentiam posse lectorari sub magistro regente Bononiensi cum illa authoritate, quam solent lectorati in gradibus Parisiis reportare (1419, 1. Dez., vgl. p. 446); p. 449 Henricus de Alsfeldt fit studens Perusiae (1431); p. 451 Erhardus de Alsfeldia fit lector Paduae (1437); p. 463 Johannes de Alsfeldia sit cursor Senis (1472, 9. Nov.); p. 465 Johannes de Alsfeldt fit lector Senis (1488). – Weitere auf das Alsfelder Kloster bezügliche Einträge: p. 444 removimus fr. Gerlacum de Alsfeldia a termino de Reckhusen et fecimus eum conventualem in conventu Wesaliensi (1390); p. 445 incorpora vimus Albertum de Sassenberg conventui Alsfeldensi et eundo (?) pro conventu sui originis assignavimus non obstante, quod fr. Kunspergensis prius fuerat (1391, 21. Mai); p. 146 concessimus Mag. Gerlaco de Alsfeldia gratias magistrales iuxta formam praccessoris nostri (1419 31. Aug., vgl. p. 446); p. 150 Fridericus de Alsfeldia, Provinzial von Sachsen (1419); p. 158 sächsisches Provinzialkapitel in Alsfeld unter dem Vorsitz des Mag. Gerlach von Alsfeld (1423, vgl. p. 447. Gewählt wird Heinrich von Waldeck und später als Provinzial bestätigt mit dem Recht, Vikare zu ernennen.)

[032] Die Universität Erfurt wurde von den Hessen mit Vorliebe besucht. Die dort studierenden Alsfelder sind verzeichnet, bei K. Dotter, Studierende aus Alsfeld vor 1700 (Beil. z. Jahresbericht der Alsfelder Realschule 1908/09), 10ff.

[033] Seine Vorgänger s. bei Dotter, a.a.O., 22f.

[034] Nämlich Kype, Senderlin und Frisch; vgl. J. Köstlin, Die Baccalaurei und Magistri der Wittenberger philosophischen Fakultät 1503 bis 1517.

[035] Liber decanorum jacultatis theologiae academiae Vitebergensis, ed. Förstemann, 12.

[036] Die Wittenberger Universitäts- und Fakultätssatzungen vom Jahre 1508 ed. Muther, 18 ff.

[037] Liber dec. 14 f.

[038] ebenda 15.

[039] ebenda 16.

[040] Gemeint ist wohl Thomas Eschaus, den der Lectionskatalog von 1507 als bacc. med et decr. nennt; vergleiche Strobel, Neue Beiträge 3,2.

[041] Gedruckt im Archiv f. Hess. Gesch. und Landesk., 11, 182f. und in Epistolae Langianae etc., ed H. Hering (Hallisches Kaisergeburtstagsprogr. 1886), 8 ff.

[042] Es zahlte der bacc. bibl. 5 gl. 20 grossi, der sent. 6 gl. 9 gr., der sent. form. 1 gl., der lic. 11 gl. 20 gr., der D. oder mag. 16 gl.

[Seite-43]

[043] Beilage Nr. 2.

[044] Liber dec. 17 f. Hier sind die Vesperiae wohl irrtümlich auf den 9. September verlegt.

[045] ebenda 82.

[046] Compendium ex reg. 71.

[047] ebenda 81.

[048] Als solcher quittiert er 1521, Nov. 13 und 1522, Nov. 19 dem Erbmarschall Herm. Riedesel zu Eisenbach über den Empfang von 10 fl. Jahreszins (Riedesel’sches Samtarchiv in Lauterbach 12,5).

[049] Compendium ex reg. 90 (citiert von Kolde 401, dessen Angabe 1522 statt 1523 bereits N. Paulus, Der Augustinermönch Johannes Hoffmeiste, 130 richtig gestellt hat).

[050] ebenda 91 (citiert von Kolde 401).

[051] Was von Luthers öffentlichem Auftreten in Alsfeld im Jahre 1521 hier und da berichtet wird, ist Fabel und beruht, wie bei H. F. C. Schwarz, Die braven Alsfelder (in Justi’s Hess. Denkwürdigkeiten, Tl. 4, 132) auf Verwechslung mit dem Ereignis aus 1529.

[052] Vgl. Luthers Äußerung über die Folgen der früheren Unkenntnis der Sprachen in seiner Schrift an die Bürgermeister und Ratsherrn: Daher kommts, dass seit der Apostel Zeit die Schrift so finster ist geblieben und nirgends gewisse, beständige Auslegungen darüber geschrieben sind. Denn auch die heiligen Väter haben oft gefehlt, und weil sie der Sprachen unwissend gewesen, sind sie gar selten eins; der fähret so, der fähret so Derhalben haben auch die Sophisten gesagt, die Schrift sei finster haben gemeint, Gottes Wort sei von Art so finster und rede so seltsam. Aber sie sehen nicht, dass aller Mangel liegt an den Sprachen, sonst wäre nichts leichteres je geredet denn Gottes Wort, wo wir die Sprachen verstünden. […] Darum ist das auch ein toll Vornehmen gewesen, dass man die Schrift hat wollen lernen durch der Väter Auslegung und viel Bücher und Glossen lesen. Man sollte sich dafür auf die Sprachen gegeben haben. Denn die lieben Väter, weil sie ohne Sprachen gewesen sind, haben zuweilen halb mit vielen Worten an einem Spruch gearbeitet und dennoch nur […] halb geraten, halb gefehlt. So läufst du denselben nach mit viel Mühe und könntest dieweil durch die Sprachen viel besser solchen raten, denn der, dem du folgst. Denn wie die Sonne gegen den Schatten, so ist die Sprache gegen aller Väter Glossen“. Weim. Ausg. 15, 40 f.

[053] Es ist der 1516 bei Froben in Basel gedruckte Psalter mit der vorgedruckten Institutiuncula in Hebracam linguam autore Volphango Fabro Professore Theologiae. Das Exemplar ist heute noch auf der Stadtbibliothek zu Frankfurt a. M. zu sehen. Luther hatte es einst von Johann Lang erhalten, wie dessen Dedicationseintrag auf dem Titelblatt der Institutiuncula beweist: pri D. Martino Jo. Langus. Auf dem freien Blatt vor dem Psalm ist eingetragen: Disser Hebraisch Psalter ist Doctoris Martini Lutheri gewesen, dessen Manus noch an etzlichen Blettern hirin zu finden. Ermelter D. Luther hat ihn verert D. Tilemannus (!) Schnabelio, von welchem ihn mein vatter M. Justus Vietor, Pfarher zu Alsfeld, sein Successor, bekommen. Jeremias Vietor. Darunter von jüngerer Hand: Petrus Vietor iam possessor 16. octobris ao 1603. Vgl. darüber Serapeum 26, 172f.

[054] Das heilige Evangelium Matthaei […] durch den würdigen D. Johannem Langium von Erffurth, Augustiner-Ordens, yns Deutsch gebracht 2c. 1521.

[055] Schnabel an Lang. 1521. Nov. 13, abgedruckt im Archiv für Hess. Gesch. u. Alt. 11, 183 ff. Daß er auch später als Pfarrer noch eifrig studierte, zeigt der „Catalogus librorum, so Doctor Dylman Schnabel in [Seite-44] die pfar gehörig geliefert hat, anno 1541“. (Stadtarchiv. Doppelblatt gr. 4° foliiert mit 49 und 50, offenbar aus einem Ratsprotokollbuch stammend). Die von Schnabel damals zurückgelieferten und geschätzten Bücher waren: Eusebii Cesariensis duo volumina, ecclesiastica historia et historia tripartita (3½ Hl); dessen Chronicon de demonstratione evangelica et praeparatione evangelica (2½ fl); Novum Testamentum cum annotationibus Erasmi (2½ fl); je 1 Band Tertullian und Cyprian (2½ fl); Opera ecclesiae communicanda (2½ fl); Chronica abbatis Urspurgensis (2 fl); Theologia Joh. Damasceni cum aliis (1½ fl); Concordantiae maiores bibliorum (1½ fl); Joh. Brentius in Lucam (2½ fl); Hristotelis opera Simone Gryneo etc. (2½ fl); Opera Chrysostomi (et pro ligatura eorum 2½ fl).

[056] Die Frage nach dem damaligen Inhaber der Alsfelder Pfarrei ist vorläufig nicht zu beantworten.

1521 wird neben dem Frühmesser Johhannes Urzel und den Altaristen Nikolaus Hultscher, Conrad Sthor, Johannes Kyck und Johannes Matthis d. Jüng. – Heinrich Hultscher als „iczunt an stat eynes pfarhern zu Alsfeld“ genannt (Stadtarchiv Urk. b. 100). Die Pfarrstelle scheint also damals nicht definitiv besetzt gewesen zu sein. – Der genannte Verweser der Pfarre, aus der 1423 (Ebel, Urkunden, Nr. 19) zum ersten Male auftretenden und heute noch blühenden Familie Holzschuher (Hultscher, Hültscher, jetzt Hölscher) stammend, nennt sich später öfter „Mentzer bistums priester, von bebstlicher gewalt ofner notarius“. Er war in der evangelischen Zeit Präsentiarius, d. h. Verwalter der Chorgefälle, starb am 16. Juni 1547 und wurde im Chor der Walpurgiskirche beigesetzt (Chorographia 86). – Nikolaus Hultscher wird 1507 vom Landgraf Wilhelm für den Nikolaus-Altar präsentiert, von dem Official der Propstei St. Stephan in Mainz bestätigt (Urk. Abschr. aus dem Nebel’schen Nachlass Nr. 202, Staatsarchiv in Darmstadt), war 1522-1524 landgräflicher Rentmeister in Alsfeld, später Pfarrer von Oberod, aber in Alsfeld wohnhaft, starb 19. September 1555 und ist mit seiner am 10. März 1593 verstorbenen Frau Elisabeth in der Walpurgiskirche begraben (Chorographia 86). Vgl. auch Mitteil. des Gesch.- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld 3, 195 ff.

[057] Von der Winkelmesse. Erl. Ausg. 31, 351.

[058] Alsfelder Stadtarch. Urk. b. 17, Abschrift im Ratsbuch f. 7 f. Vgl. das Regest bei E. Becker in Mitteil. des Oberhess. Gesch-Ver., N. F. 20, 43f.

[059] Staatsarch. in Darmstadt, V, 2, Conv. 7, Fasc. 1 fol. 14. Der Gewährsmann ist der Caplan Heinrich Hölscher, auf den noch weitere Nachrichten über die Alsfelder Reformation zurückgehen, vgl. unten. Er hat sich schon zu Lebzeiten einen Grabstein in der Kirche setzen lassen, dessen Datum-Lücken aber später nicht ausgefüllt wurden (Chorographia 84). 1585, Oktober 2, verlieh ihm und seiner Ehefrau Christine Landgraf Ludwig erblich zwei Wiesenflecken in der Stadt „bei dem grabborn, der burgkgarten genannt, oben wider die burgk und unten auf Velten Winoldis erben garten stoßend“ (Staatsarchiv in Darmstadt, Erbleihurkunden).

[060] Soldan 2, 26.

[061] Chorographia 145.

[062] Vgl. Körner, Das Exil D. Til. Schnabels, in Mitteil. d. Gesch.- und Altertumsver. der Stadt Alsfeld 3, 30 ff. Er lässt Schnabel bereits im Spätjahr 1522 nach Leisnig kommen, bringt aber keinen Beweis für diesen Ansatz, der durch das oben (Anm. 48) Mitgeteilte als irrig erwiesen wird.

[063] Nach Leisnig waren 11 Dörfer eingepfarrt.

[064] G. Kawerau, Zur Leisniger Kastenordnung, im N. Arch. f. Sächs. Gesch. 3, 78 ff.

[065] Briefwechsel Luthers, ed. Enders, 5, 72 f

[Seite-45]

[066] C. Freytag, Die Beziehungen Danzigs zu Wittenberg in Ztschr. des Westpreuß. Gesch.-V., 38, 1 ff., und G. Kawerau, ebenda, 11, 65 ff.

[067] H. Garth, Gründlicher ausführlicher historischer Bericht von dem Religionswesen in Hessen 2c., Wittenberg 1606, 11.

[068] Nothwendige ausführliche Spezial-Widerlegung der […] Wechselschriften 2c., Gießen 1647, 257.

[069] Lobrede, der fürstl. oberhess. Statt Alsfeld zu Ehren gedichtet Gießen 1648, 15 f., und Gründliche und wahrhafte Beschreibung der Fürstentümer Hessen und Hersfeld 2c., Bremen 1697, Tl. 4, Cap. 3, f. 415.

[070] Leo philo-politicus oder Alsfeldische Wahl- und Wappen-Predigt. Marburg 1648, 45. Wie im Stadtwappen, erklärt der Verf., der Löwe nach dem Schwert die Klauen ausstreckt, so hat damals die Stadt nach dem geistlichen Schwert, das ist dem Worte Gottes gegriffen und Schnabel zurückverlangt; er fügt hinzu: Wie fest sie auch bisshero diß Heilige, damahls ergriffene reine Wort GOTtes in ihren Klawen gehalten, wie hefftig sie dasselbe vertheidiget, das ist am Tage, dann Gott Lob nicht eine Seele in der Bürgerschafft zu finden, die nicht der reinen Lehr Augspurgischen Confession von Hertzen zugethan, auch so gar, dass sie kaum mögen rüchen, was nach Bapsts und anderer Schwermereyen stincket“

[071] O. Merx, Der Bauernkrieg in den Stiftern Fulda und Hersfeld und Landgraf Philipp der Großmütige (Kasseler Festschrift z. Gedächt. Phil. d. G 259 ff.), 330 f.

[072] H. Heppe, Kirchengeschichte beider Hessen, 1, 196 ff.

[073] Freundliche Mitteilung des Herrn Prof. D. Dr. W. Köhler in Gießen, jetzt in Zürich; Chr. v. Rommel, Philipp d. Großm., 2, 146, setzt die Abfindung irrtümlich ins folgende Jahr.

[074] Von Heinrich Syle, Heinrich Becker und Peter Vogel, bei Rommel a.a.O.; ferner enthält ein „Extrakt des Registers belangend die außgangen Münche und Nonnen“ aus dem Jahre 1527 unter Alsfeld die Notiz: „Prior Herr Jakob 45 Gl.“ (Staatsarch. in Darmstadt, Abt. Conv. 6. Fasc. 4.) Der Name dieses letzten Priors war wohl Jakob Schaupach, vgl. Beilage Nr. 2. — Von auswärtigen ehemaligen Ordenspersonen erhielten an Renten aus Alsfelder Gefällen: Pfarrer Melchior Gärtner in Wetterfeld, einstiger Mönch in Spieskappel, jährlich 4 Marb. Malter Korn (Register der Renterei Romrod von 1560, Staatsarch. zu Darmstadt) und Barbara von Fischborn, gewesene Ordensperson in Caldern, jährlich 5 Gl. aus dem Augustinerkloster (Urk. Abschr. Nr. 404 aus dem Nebel’schen Nachlaß, ebenda).

[075] So für Leonhard Becker, der 1535 quittiert, vgl. Beilage Nr. 2, und in der Klosterrechnung von 1537 gleich Johann Winter mit einem jährlichen Leibgeding gebucht ist; beide erscheinen in der Rechnung von 1539 nicht mehr, für Winter ist dort ausdrücklich bemerkt: ist tot. (Staatsarch. in Darmstadt, V, 7, Conv. 31 c).

[076] Die Kirchen- (und Spital-) Rechnung von 1531/2 verzeichnet 5 Pfd. 5 torn. Ausgabe „vor wartung Heintzen, des bruders“, die von 1534/5 verschiedene Ausgaben für den kranken ehemaligen Lesemeister und verschiedene Einnahmen aus dem Verkauf seines Nachlasses, an anderer Stelle Ausgaben für „die zwey priester“

[077] Der Überzug der Siechen in das Kloster fand 1533/34 statt, wie der Eintrag in der Kirchenrechnung beweist: 3 alb. für Brot „ist den armen worden im spital, als sie in das closter zogen“. Auf bauliche Veränderungen an den Klostergebäuden weisen mehrere Einträge hin: 4 Gl. 6 alb. 3 hell. „gegeben meister Hansen, steindecker von Dreisa von dem creutzgang im spital das dache abzuprechen und den gybel zo decken am siechaus“ [Seite-46] aus“; 1 Gl. 6½ alb. „dem steindecker von der hebbe wandt zun siechen zodecken mit schifferstein“; 4 alb. „von der siechen badstube zo greden mit; 4 alb. dem Doctor (Schnabel) „von 3 wagen vol schifferstein steynen von sanct Loy zu den siechen zu furen“ und demselben ebensoviel für vier Wagen Steine ebendaher ins Spital. Die St. Loy-(Elogius-)Kapelle vor der Mainzer Vorstadt wurde also damals abgebrochen; die gen. Rechnung verzeichnet unter den Einnahmen 1 Gl. 1 ort für „das gesper us sanct Loy Kirche und 1 Gl. für „di mauerstein von sanct Loys Kirche“, die von 1527/8 16 alb. für eine Kiste, die daselbst gestanden. In 1534/5 wird vereinnahmt 2 Gl. „vor eyn steyn finster in dem crutzgang“

[078] Die aus Schnabels Amtszeit noch vorhandenen Alsfelder Kirchenrechnungen (1527/8, 1531/2, 1533/4, 1534/5, 1536/7, 1537/8, 1538/9, 1545/6, 1546/7, 1549/50, 1550/51, 1551/2, 1552/3, 1555/6) geben am Ende das Protokoll der Abhör, die in der Regel im November oder Dezember (das Rechnungsjahr läuft von Martini bis Martini) in Gegenwart des landgräflichen Rentmeisters, des Pfarrers, des Schultheißen und anderer Gemeindevertreter stattfand. Die Rechnung von 1555/6 wurde erst am 5. Jan. 1557 u. zw. in Anwesenheit des Superintendenten Joh. Becker (-Pistorius) von Nidda abgehört, der damals offenbar Kirchenvisitation in Alsfeld abhielt. – Die Rechnung von 1527/8 führt unter Einnahme Receßgelder von früheren Rechnern „lut ires castenregisters“ an. Leider ist diese älteste Alsfelder Kastenrechnung, die wohl kein ganzes Jahr umfasste, nicht mehr vorhanden. Die in allen wesentlichen Punkten schon in der ältesten vorhandenen Rechnung feststehende Einrichtung des kirchlichen Rechnungswesens macht es wahrscheinlich, dass sofort eine Kastenordnung, zum mindesten eine Anleitung zur Einrichtung des Kastens und zur Rechnungsführung gegeben wurde, und dass die von G. Frh. Schenk zu Schweinsberg im Archiv f. Hess. Gesch. u. Altertumsk., N. F. 241 ff. veröffentlichte Ordnung aus 1530 nicht die älteste ist; vgl. auch W. Lauze, Leben und Taten Philippi Magnanimi, 1, 139.

[079] Von den oben erwähnten Altaristen aus dem Jahre 1521 erscheinen später außer Nik. Hultscher in Alsfelder- Quellen nur noch Konrad Stohr, den die Kirchenrechnung 1527/8 als Kaplan des Spitals nennt.

[080] Nach einem Eintrag im Ratsbuch f. 77 wurde im Jahre 1550 eine Orgel zu bauen angefangen, die 496 Gl. 7 alb., 3½ hell. kostete. (Vgl. jetzt die Abhandlung von K. Dotter „Zur Geschichte der Orgelwerke und des Organistenamtes in Alsfeld“ in Mitteil. d. Gesch.- u. Altertumsvereins der Stadt Alsfeld 2, 208 ff). Ob der Gesang bis dahin ohne Orgelbegleitung stattfand oder die alte Orgel (vgl. oben) benutzt wurde, ist nicht klar.

[081] Manches mag damals verkauft worden sein, dessen Erhaltung wir heute nicht in religiösem, aber im Kunstinteresse wünschten. Auf den Verkauf von überflüssig gewordenem Kirchenzierat weisen verschiedene Einträge in den Kirchenrechnungen hin: 1527/8 ½ Gl. von dem Goldschmied für eine „schwartze schamlot casel“. 1531/32: 18 torn. 5 hell. „vor etzliche sammetslappen von den umbralien“; 1 Goldgl. „funden unter dem broch silber uf der liberey“; 7½ Gl. für 1 Mark „broch silbere“; 5 torn. vor ein braun meßgewant von Jost statknecht“; 2 Pfd. 8 torn. für 3½ Lot altes Silber, das Lot zu 12 torn.; 20 Pfd. 4 torn. für 2 Mark weißes Silber; 2½ Pfd. 2 torn. für einen kupfernen Kelch. 1533/34: 2 Gl. von dem Goldschmied für 4 Lot Silber, „seint senckel und spangen gewesen“; 1 Gl. 1 ort für 2½ Lot Silber „an zween senckeln“. 1534/5: 86 Pfd. Zinnwerk à 1 alb. verkauft. Doch ist es falsch, von Bilderstürmerei in Alsfeld zu reden, wie das Schwartz a.a.O. tut. Weder das Altarschnitzwerk noch die gleichfalls jetzt noch vorhandenen Heiligenfiguren sind damals beseitigt worden, und wenn nicht mehr Zeugen des katholischen Gottesdienstes vorhanden sind, so haben daran spätere Kriegszeiten die Hauptschuld.

[Seite-47]

[082] Luthers Werke, Erl. Ausg., 14, 158.

[083] Der Winckelmann’sche Bericht sagt: „auf dem Mark inn dem Hausz, itzo der Schwan genannt“, lässt es also unsicher, ob das Haus schon damals ein Gasthaus war und so hieß; beides steht jedoch für das Jahr 1541 fest, wo in einer Abrechnung über das Nachtlager Philipps des Großm. von den Ausgaben in der „marstaller herberg zum schwan“, die Rede ist (Staatsarch. zu Darmstadt, XIV B, Conv. 33 b. 1.) Warum Luther nicht bei Schnabel abstieg, ist nicht erkennbar. Vgl. jedoch die drittnächste Anmerkung.

[084] Lobrede 16. Vgl. auch J. M. Susemihl, Nachricht von Tilemann Schnabel (Hess. Hebopfer, 41 St, 1 ff.), 15.

[085] 2, 28. Daselbst auch Anm. 20 Näheres über die handschriftliche Milderung des Vorwurfs in dem Gießener und dem Marburger Univers.-Bibl.-Exemplar, die sich in der Form „wann ihr werdet undankbar sein auch in dem Exemplar der Landesbibl. in Darmstadt findet und vom Verf. selbst angebracht zu sein scheint.

[086] Um einen Neubau hat sich’s wohl nicht gehandelt, aber um einen Umbau oder einen Anbau, der das Wohnen im Pfarrhaus für eine Zeit lang umöglich machte.

[087] Erdl. Mitteil. des H. Pf. F. W. Schäfer in Altenhaßlau, in dessen geplantem Briefwechsel Krafts das Schreiben zum Abdruck kommen soll.

[088] Beilage 3.

[089] Vgl. Mitt. des Gesch.- u. Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 2, 13f.

[090] Gerichtsbuch 1549 im Stadtarchiv, Abt. X, 4.

[091] Serles pastorum a tempore repurgatae per Lutherum doctrinae evangelicae in ecclesia Alsfeldiana docentium. Geht bis zur Einführung des Lic. Christoph Christian Haberkorn (Trinitatis 1688). Ständ. Landesbibliothek in Kassel. Conv. Superintendentes et concionatores Darmstadienses, Fasc. Schnabel betr.

[092] Abgedruckt bei W. Diehl, Die Schulordnungen des Großherzogtums Hessen, 1, 488 f. Die 2, 387 f. aus dem Alsfelder Schul-Salbuch entnommene Nachricht, der in dem Protokoll genannte Peter Körlin sei später Waldeckischer Kanzler geworden, scheint auf einer Verwechslung mit einem älteren Mitglied dieser Familie zu beruhen, vgl. Ch. F. Ayrmann, Authentischer Bericht von einem Hessischen Doctore bullato aus dem XV. seculo (J. F. C. Retter, Hess. Nachrichten, 1, 34 ff.) 35.

[093] Es waren Heinrich Hultscher, Antonius Schaupach, Georg Rheyme, Cunz Matthis, Freben Eckart und Clos Stoer. Ratsbuch, 46 b.

[094] Folgende Alsfelder Ehesachen sind mir bekannt geworden: a) Schnabel an den Statthalter Georg v. Kolmatsch in Marburg betr. die „verworren ehesach“ des Joh. Meißner; die Citation der Eyle Compan nach Marburg hat er von der Kanzel verkündigt und am Rathaus angeschlagen (1544, 6. Mai). b) Stadtrat zu Alsfeld an den gen. Statthalter und die Räte zu Marburg als „verordente rethe und richter in geistlichen ehesachen“ betr. die Eheangelegenheiten der Cuna Ditzler und der Kath. Berthold; Schnabel bestätigt in einer Nachschrift die Angaben über die beiden Frauen (1546, 1. Juli). c) Schnabel an den gen. Statthalter betr. die von der Kanzel verkündete Citation der (unter b angeführten) beiden Frauen und ihrer Männer nach Marburg (1546, 8. Juli). d) Schnabel an den Statthalter Lic. Keudel in Marburg betr. die Ehesache des Konr. Schwert (1554, 6. Sept.) — Alles aus dem Marb. Archiv; a und b nach frdl. Mitteilung des Herrn Pf. F. W. Schäfer in Altenhaßlau.

[Seite-48]

[095] a) Pfarrer D. Schnabel, der Rentmeister, Schultheis, Bürgermeister, Rat, die Vier aus den Zünften und der Gemeinde und der Kastenvorsteher Andreas Engmann verkaufen dem Cloß Scheff und seiner Ehefrau Barbara 21½ Gl. Rente, jährlich auf Martini fällig, aus den jährlich auf dem Rathaus fälligen ca. 39 Gl. Zinsen des Spitals, Siechenhauses und Kirchenkastens; das eingezahlte Kapital beträgt 339½ Joachimstaler, 43 Gl. Batzen (den Gl. zu 15 Batzen gerechnet) und 14½ alb., wofür zum besten der genannten Kasten Fruchtzinsen aus den Hainer Höfen zu Alsfeld und Eudorf vom Landgrafen gekauft worden sind. Die Schuld ist in Raten von je 50 Joachimstalern ablösbar (1540, 3. Febr.; Urkunde b126 im Ratsarchiv. Vgl. Mitteil. des Oberh. Gesch.-Vereins, N. F. 20, 50f.) b) Pfarrer D. Schnabel und „die vicarien dar selbest zu der presentie gehorendt“ quittieren dem Bürgermeister, Schöffen und Rat der Stadt über gezahlte 28 Gl. Landswährung, welche die Stadt als Zinsen jährlich an die Präsenz der Chorherrn in 3 Zielen zu zahlen hat (1541, 22. Nov.; Urkunde aus dem Archiv der Chorherrn, jetzt Pfarrarchiv; z. Zt. unter Glas und Rahmen im Museum ausgestellt. Vgl. F. Herrmann, Die Schulden der Stadt Alsfeld im Jahre 1523, Mitteilungen des Oberh. Gesch.-Ver., N. F. XII, p. 96). — c) Pfarrer D. Schnabel, Heinr. Hultscher, Präsentiarius, „sampt wir andern zu der presenz gehorigk“ verkaufen einen Acker zu 2 Morgen im Endershain, zwischen den Aeckern und Wiesen von Hengen Streym und Dietz Hoß gelegen, für 10 Gl. Landeswährung erblich „unserm mütbruder“ Nik. Hultscher und seiner Ehefrau Elisabeth (1544. Abschrift der ehemals im Pfarrarchiv zu Romrod befindlichen Urkunde im Nebel’schen Nachlass, Fasc. Alsfeld, auf dem Staatsarchiv in Darmstadt, jetzt gedr. in Mitteil. d. Gesch-. u. Altertumsver. d. Stadt Alsfeld, 3, 197 f.). – d) Pfarrer D. Schnabel, quittiert dem Pfarrer Joh. Mengel in Grünberg die an Peter Senderlin (Kastenvorsteher? oder Präsentiarius?) gezahlten 4 Gl. fällig am Johannistag aus dem Zehnten zu Wetterfeld (1553, 17. Juli; in Günthers Nachlass auf dem Staatsarchiv in Darmstadt). – e) Quittung gleichen Inhalts von 1554, 26. Juni, ebenda.

[096] Heppe, Generalsynoden, a.a.O.

[097] Vgl. das Verzeichnis bei W. Diehl, Die Alsfelder Superintendentur 2c., in Mitt. des Oberh. Gesch.-Ver., N. Folge, 9, 41 ff.

[098] Das Epicedion des Justus Vietor weist auf das Einschreiten Schnabels gegen trunksüchtige Pfarrer hin.

[099] Einzelnes, was mir gelegentlich begegnete, stelle ich hier zusammen Superintendent D. Schnabel bewilligt den Ankauf der Bibliothek des Pf. Conrad Hatter in Bobenhausen für die Kirche daselbst, ca. 1531 (Arch. f. Hess. Gesch. u. Altertumsk. 11, 429 ff.). b) Bürgermeister und Rat zu Ziegenhain geben dem Superintendenten D. Schnabel Auskunft über die Ehesache der Gele Rampf, 1535, Dez. 31 (frdl. Mitteilung des H. Prof. D. Dr. Köhler in Gießen, jetzt in Zürich). c) Superintendent D. Schnabel bewilligt einen durch Pf. Jost Gerhardshain zu Heidelbach im Interesse dieser Pfarrei vorgenommenen Haustausch, 1540, Jan. 8 (Retter, Hess. Nachrichten, 3, 58f.). d) Superintendent D. Schnabel an Bürgermeister und Rat zu Grünberg über die Besetzung der Schulstelle mit einem Stipendiaten, 1545, Aug. 17 (Abschrift im Grünberger Stadtbuch Nr. 2, fol. 4 Staatsarchiv Darmstadt). e) Pf. Gerlach Schneider in Romrod verkauft mit Bewilligung des Superintendenten D. Schnabel aus den Zinsen der Kapelle zu Oberod dem Pf. Nikolaus Hultscher daselbst wiederkäuflich 11 alb. Erbzins für 10 Gl., 1545, September 10 (Staatsarch. zu Darmstadt, Nebel’sche Urk.-Abschriften, Fasc. Alsfeld).

[100] F. W. Hassenkamp, Hessische Kirchengeschichte, 2, 559.

[101] Luthers Briefwechsel, ed. Enders, 9, 316 f.; Hassenkamp a.a.O. und 598 ff.

[Seite-49]

[102] Ch. G. Neudecker, Merkwürdige Aktenstücke aus dem Zeitalter der Reformation, 121 ff.

[103] In einer Klage der Stadt gegen den landgräflichen Rentmeister Bernhard Claut wegen Entweichung von Gefangenen 1536/7 sagt dieser in seiner Verteidigung: „ltem so seint auch etzliche Widerteufer in der Stadt, die haben offentlich vor der Gemein in der Kirchen sollen widerrufen. Hot einer gesagt: was er gelernt, habe er von Monchen und Pfaffen. Hot der Doctor u. Pastor drauf den Schultheißen gefragt, ob er soliches für genugsam erkenne. Solches hot also der Schultheiß vor genugsam geacht. Und werden diselbigen Widerteufer zu Alsfeld gelitten“ (Stadtarchiv, Abt. X, 3). Dagegen wendet der Stadtsyndikus ein, der Schultheiß habe „Befelch der Teufer halb, des gehalte er sich, so er imantz weis“. In der Tat geht denn auch aus den Städtischen Gerichtsbüchern hervor, daß hartnäckige Wiederteufer auswanderten; so z. B. Lutz Hartmann, gen. Wänerlotz, ein angesehener und vermöglicher Mann, geb. ca. 1477, gest. zwischen 1534 und 1550, der mit seiner Tochter Margarethe nach Mähren flüchtete, während seine Söhne Johannes und Martin sowie eine mit Heinz Lippert verheiratete Tochter im Lande blieben.

[104] K. W. H. Hochhuth, Mitt. aus der protestantischen Secten-Geschichte in der hessischen Kirche (Zeitschr. f. d. Histor. Theologie) 28, 592 f., dozu 602 u. 29,230. Nach der Bemerkung von M. Lenz im Briefwechsel Philipps d. Gr. v. Hessen mit Bucer, 1, 319, scheint sich Schnabel Landgr. noch schärfer ausgesprochen zu haben.

[105] Neudecker, a.a.O. 177 ff.

[106] Heppe, a.a.O.

[107] bescheiden, nicht aufdringlich.

[108] Dr. M. Luthers Briefwechsel, ed. C. A. H. Burckhardt, 374 ff.

[109] Gesch. des. Confessionsstandes der evang. Kirche in Hessen, 76.

[110] Vgl. W. W. Rockwell, Die Doppelehe des Landgrafen Philipp von Hessen, 80 ff.

[111] Gelegenheit dazu wäre etwa am 15. März 1541 gewesen, wo Philipp auf der Reise zum Regensburger Reichstag in Alsfeld übernachtete. (Die Kostenrechnung im Staatsarchiv zu Darmstadt, XIV B, Conv. 33 b!). [112] So bittet ihn die Gemeinde Schotten am 8. Okt. 1543 um sein Kommen zur Regelung des Abgangs des bisherigen Pfarrers Johannes (von Hahlen) und der Bestellung des Nachfolgers Mag. Ludwig (Riselius) sowie der Schule. Er lehnt jedoch am 12. Oktober ab, „dan ich von Schwachheit wegen meynes Leibes nicht kommen kann“. (Riedesel’sches Samtarchiv in Lauterbach 53, 4). Vgl. auch sein Schreiben an Pf. Joh. Reetsch (Riccius) zu Burg-Gemünden vom 8. März 1546 in Mitt. des Gesch.- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 1, Nr. 8, 7.

[113] Vgl. F. Herrmann, Das Interim in Hessen; Register unter „Schnabel“.

[114] Beilage 4.

[115] Beilage 5.

[116] 1547, Dezember 14, erhält Schnabel 189 Gl. von dem Rentmeister zu Allendorf i. Soden; 1555, Januar 3, schreibt er ihm wegen der Lieferung der 200 Gl. für den Bezirk Alsfeld. Nach frdl. Mitteilung der H. Prof. D. Dr. Köhler in Gießen, jetzt in Zürich, und Pf. Schäfer in Altenhaßlau. Vgl. auch die Visitationsrechnungen Schnabels aus 1544, 1546, 1547 im Staatsarchiv Marburg, O. St. S. Nr. 8741.

[117] g. a. O. 12.

[118] Heppe, Kirchengeschichte, 197.

[Seite-50]

[119] Vgl. die Marburger Matrikel, ed. Caesar, zum Jahre 1553 und J. Tilemann, gen. Schenck, Vitae professorum theologiae Marb., 58, der die oft citierten Verse Bachmanns (vgl. Soldan, 2, 29) bringt. Der gleichzeitige Druck Carmen gratulatorium in actum, quo clarissimus vir D. Hndreas Hyperius, sacrae theologiae professor gravissimus, in inchyta Marpurgensi schola, insignibus doctoralibus exornatus est. 17. Hugusti MDLIII. Conferente ea clarissimo viro, eiusdem professionis doctore, D. Thilemanno Schnabelio, ecclesiae Alsfeldensis superintendente (!) (Marburg 1553 bei Andreas Kolb) redet von den Gelehrten,
fuit claro dignissimus, unde
Doctor Schnabelius rite vocatus adest.
Rite vocatus adest venerandus vertice cano,
Ingenio praestans et pietate gravis. Inter quos sacrae scripturae mystica tractans
Hyperius, magno nomine conspicuus,
Promotore

[120] Wechselschriften 2c., Kassel 1632, 257.

[121] Nothw. ausführl. Spezial-Widerlegung der . .. Wechselschriften 2c., Gießen 1647, 257.

[122] Ihm ist der Reformator der „sanctus Lutherus“.

[123] Die von Susemihl a.a.O. 21 mitgeteilte, aber nur mit Vorbehalt wiedergegebene Nachricht von einem zum Katholizismus übergetretenen Sohn Schnabels beruht offenbar auf Verwechslung mit Johannes Pistorius von Nidda.

[124] Erdl. Mitteilung des H. Pf. Schäfer in Altenhaßlau. Der Brief Krafts liegt bei den Wiedertäuferacten, gehört also höchstwahrscheinlich in die zweite Hälfte der dreißiger Jahre.

[125] Sie war das Patenkind des Priesters Heinr. Hultscher und wurde von ihm in seinem Testament mit 1 Gl. bedacht, 1540, Juli 31; vgl. E. Becker, Regesten aus dem Alsfelder Stadtarchiv, in Mitt. des Oberh. Gesch.-Ver., N. F. 20, 52.

[126] Aus den Kasten- und Spitalrechnungen und Testamentsregistern ergibt sich, dass sie von 1582 an als „Barba, des Doctors Tochter“ Kleiderstoff Schuhe und Wein erteilt; die Kastenrechnung von 1614 vermerkt unter den Ausgaben: „14 alb. vor 7 Nöseln Wein, so Doktors Barben in ihrer Schwachheit gereicht worden“, und 1 fl. 1 alb. vor 1 Todtenlade, Doctors Mit ihr waren auch ihre Söhne Johann, Heinrich und Barben“ Wilhelm Scheuer nach Alsfeld gekommen. Ersterer stand 1586/7 wegen eines nichtgen. Vergehens vor dem Halsgericht, und am 4. April 1587 haben „die Landschepfen desen halben den Zweispalt aufs Rathaus gepracht“; ob und wie er verurteilt wurde, geht aus den Stadtrechnungen, die sonst die Hinrichtungskosten vermerken, nicht hervor. Heinr. Scheuer heiratete 1586 Barbara N., vermutlich aus Heimertshausen, wo er bis 1604 wohnte, dann Elisabeth, die Tochter des Alsfelder Feldschützen Seil Welcker (geb. 1571, gest. 2. 2. 1647), und starb im Alter von 70 Jahren am 30. Sept. 1636 in Alsfeld; seine 4 Söhne und 3 Töchter hat er überlebt. Von Wilhelm Scheuer, ca. 1570, bezeugt die Hospitalrechnung von 1583, dass er das Schneiderhandwerk erlernte.

[127] Das Register der Rentnerei Romrod von 1560/1 nennt den damals bereits verstorbenen Schnabel als verpflichtet zur Zahlung von 10 hell. Zehntgeld vom Hofacker vor dem Obertor. Das gesamte aus Alsfeld an die landgräfliche Renterei fallende Zehntgeld betrug 18 Gl., wovon dem Pfarrer ein Viertel zustand. Nach den Kirchenrechnungen von 1533 ff. kaufte Schnabel jährlich 6 Viertel Hafer.

[128] Heppe, Generalsynoden, a.a.O. Mag. Justus Vietor aus [Seite-51] Homberg i. H. war seit 1553, Februar 12, Rektor der Alsfelder Schule und starb 1575, September 9, im Alter von 43 Jahren an der Pest. (Series pastorum 2c. und Chorographia 84). – Als Kapläne scheinen unter Schnabel gewirkt zu haben: Petrus Senderlin bis 1545 und Jost Gerhardshain, gest. 27. Nov. 1562 als Pfarrer von Heidelbach, den die Chorographia als Diaconus bezeichnet; vgl. auch Retter, Hess. Nachr. 3,58.

[129] Chorographia 81. Nach 103 stand auf dem Grabstein: pastor Alsfeldianus.

[130] Sie war auf Schnabels Wunsch im Jahre 1555 angeschafft worden. Die Kirchenrechnung dieses Jahres verzeichnet unter den Ausgaben: „2½ alb. vor ein Sanduhr dem Herrn Doctor in die Kirche“.

[131] Das einzige, mir bekannt gewordene Exemplar der Epicedion besitzt die Ständische Landesbibliothek in Kassel. Zu dem Titelholzschnitt bemerke ich noch: Das Bild des Christophorus, vom Volke „der große Christoffel“ genannt (Chorographie), zeigte den Heiligen, wie er Holz und das Christkind trägt. Bei der Kleinheit seines Bildes konnte der Künstler die Figur des Christkindes nicht berücksichtigen. Die Kanzel stand übrigens damals rechts am Eingang zum Chor, die Wand mit dem Bilde ist die links gegenüberliegende.

[132] später irrtümlich corrigiert in 1515.

Erstveröffentlichung:

Dr. Fritz Herrmann, Doktor Tilemann Schnabel. Der Reformator der Stadt Alsfeld, F. Ehrenklau, Alsfeld 1925 (2. Auflage, Alsfeld 1925).

[Stand: 22.03.2024]