Die tugendhafte Alsfelder „Dichterin des Lächelns“ starb vor 250 Jahren
Von Walter Haupt, Liederbach (2024)
Am 5. November 2023 jährte sich zum 250. Mal der Todestag der Alsfelder Schriftstellerin, die seit 1759 Ehefrau von Franz Christian Merck aus Darmstadt war. Bereits in ihrem anonym erschienenen Erstlingswerk betonte sie mit dem Titel „Gedichte eines Frauenzimmers“ (1759) ihre Rolle als Frau und forderte damit den berühmten Leipziger Poetikprofessor Johann Christoph Gottsched heraus, der als Vorsitzender der „Teutschen Gesellschaft“ sich intensiv für Reformen der deutschen Sprache und Literatur einsetzte. Er druckte in seiner Rezension eines ihrer Gedichte komplett ab. In ihren weiteren Büchern bekannte sie sich selbstbewusst mit ihrem Namen als Verfasserin. Es war Johanna Merck, die die akademische Oberschicht der Stadt Alsfeld mit Gedanken der Aufklärung konfrontierte.
Johanna Merck wurde am 24. Februar 1737 – so die Mitteilung der Dichterin selbst – in Gießen geboren als Tochter von Ernst Friedrich Neubauer, Professor der Theologie. Mit 11 Jahren verlor sie ihren Vater und wuchs mit vier jüngeren Geschwistern bei ihrer Mutter Carolina Benigna auf, die 8 Jahre später den Medizinprofessor Gerhard Andreas Müller heiratete.
Geprägt wurde sie durch den radikalen Pietismus ihres Vaters, der sich gegen das orthodoxe Luthertum richtete, und die aufklärerische Haltung ihres Stiefvaters, der in seinen akademischen Anfängen in Weimar auch die berühmte Amalienbibliothek betreut hatte. In der Liste der Konfirmanden stand sie an erster Stelle, weil sie in der Universitätsstadt der Spitze der Oberschicht zugeordnet wurde. Sie erhielt durch Hauslehrer eine Ausbildung, die der ihrer Brüder nicht nachstand.
Ihren späteren Ehemann Franz Christian Merck, der in Straßburg Medizin studiert hatte, lernte sie kennen, als dieser sein Studium bei ihrem Stiefvater mit der Promotion abschloss. Bereits ihr Frühwerk belegt, dass sie nicht nur die Lyrik der römischen Antike kannte, sondern auch die aktuelle deutsche. Als ihr Mann, der bisher als Arzt in Darmstadt gearbeitet hatte, 1764 als Amtsphysikus nach Alsfeld versetzt wurde, erwarb die Familie im Tausch mit Dr. Schleyermacher ein Haus in der Mainzer Gasse, ein imposantes Gebäude, das auch über Jahrzehnte die Herberge „Zum Ochsen“ war.
In ihrer literarischen Tätigkeit wurde sie von ihrem Schwager, dem Goethefreund Johann Heinrich Merck, unterstützt, der ihr die Weltliteratur besorgte, so dass sie auch in Alsfeld zwei weitere Bände „Versuche in Prosaischen Stücken“ (1767 und 1770) erstellen konnte; ein vierter Band erschien 1775 posthum.
Als sie am 5. November 1773 starb, errichtete ihr Gemahl einen Grabstein. Das Ende der Grabinschrift lautet:
„Der Tugend Pfad ist anfangs steil,
Läßt nichts als Mühe blicken.“
Es ist eine Stelle aus „Der Kampf der Tugend“ von Christian Fürchtegott Gellert, Schriftsteller und Professor für Poesie, Beredsamkeit und Moral, der als Mittler gilt zwischen der Aufklärung und dem Zeitalter der Empfindsamkeit. Das Zitat belegt, welche Wertewelt Johanna Merck vertreten und wie sie sich selbst literaturgeschichtlich eingeordnet hat.
Die Tatsache, dass ihre Bücher in dem renommierten Verlag von Johann Friedrich Fleischer erschienen, ist ein Beleg dafür, dass Johanna Merck bereits zu ihren Lebzeiten als herausragende Literatin eingestuft wurde. Zurecht hat sie einen Platz in der Geschichte der deutschen Literatur gefunden.
[Stand: 05.04.2024] [15.05.2024]