Von Fridtjof Mueller, Alsfeld (1961)
Schon lange vor 1536, dem Jahr, aus dem die erste offizielle Gründungsurkunde der Lateinschule zu Alsfeld datiert, bestand eine Schule in der Stadt, an der Latein gelehrt wurde. Einen aufschlussreichen Hinweis auf das Wirken dieser Schule gibt eine kleine Schrift des Jahres 1581 aus dem Archiv der Stadt Alsfeld. Sie enthält die lateinische Leichenrede auf einen berühmten Sohn der Stadt, den Professor Dr. Konrad Matthäus. Mit allen Registern der Gelehrsamkeit und dem ganzen rhetorischen Glanz der mittelalterlichen Latinitas werden darin Leben, Schaffen und Verdienste des Konrad Matthäus gewürdigt, der als Lehrer und Rektor der Universität Marburg sowie als Assessor am Obersten Hessischen Landesgericht in Marburg wirkte. An diese Rede, die 1580 bei der Leichenfeier zu Ehren des Verstorbenen von einem juristischen Kollegen, Dr. Bernard Copius, gehalten wurde schließt sich eine Gruppe von sechs lateinischen und ein griechischer Nekrolog an. Diese Gedichte gehören in ihrer Form zu der literarischen Gattung der Epitaphien (Trauergedichte) und sind im elegischen Versmaß des Distichons geschrieben. Die Verfasser sind sieben Schüler des Gelehrten, die mit ihren Versen dem verehrten Lehrer, den sie ihren „geistigen Vater“ nennen, ein literarisches Denkmal setzen wollen. An diesen Gedichten zeigt sich, zu welch hoher Beherrschung der lateinischen Verskunst Konrad Matthäus als Lehrer der Rhetorik seine Studenten geführt hatte.
Damit das Wirken dieses bedeutsamen Mannes auch in seiner Vaterstadt nicht in Vergessenheit gerate, widmen die überlebenden „Söhne“ das von ihnen kunstvoll gezeichnete Lebensbild dem Bürgermeister und den Ratsherren der Stadt Alsfeld. In der Widmung geben sie ihrer Liebe zu der Stadt Ausdruck, die ihnen einen solchen akademischen Vater geschenkt hat. An die Empfänger der Schrift richten sie die Bitte, das Andenken des von ihnen Gefeierten stets zu ehren.
In den folgenden Versen aus dem Trauergedicht des Schülers Hermann Vultejus lernen wir den Beginn des Werdegangs von Konrad Matthäus in Alsfeld kennen.
Urbs iacet in mediis, ubi tollitur Hessia, campis
Et vetus et foete nobilitata suo.
Alsfeldam dixere patres, quae Marte potenti
Rebus in adversis saepe probata fuit.
Patria Matthaeo fuit haec carissima: prima
Haec tulit hunc: primas praebuit illa cunas.
Prima rudimentis formanda fidelibus aetas
Natali, iussu patris, in urbe datur,
Atque hic Grammatices cum fundamenta locasset,
Nec male Romano disceret ore loqui.
Ad Marpurgensem, quam provida cura Philippi
Principis instituit, iussus adire scholam est.
In freier Übersetzung:
Wo das Hessenland sich zu Bergen erhebt,
liegt in der Mitte die Stadt,
alt und berühmt wegen ihres Wohlstands,
Alsfeld nannten die Vorfahren die Stadt,
oft durch Leid geprüft unter der Herrschaft des Mars.
Geliebte Heimat ward sie dem Matthäus,
hat sie ihn doch als erste hervorgebracht
und seine erste Kindheit gesehn.
In der Stadt seiner Geburt sollte der Knabe
der Schule erste Lehren erfahren, so wollt es der Vater.
Als er hier die Grundlagen der Grammatik gelernt
und recht wohl die lateinische Sprache beherrschte,
sandte man ihn nach Marburg, zu besuchen
die Hohe Schule, vom Landgrafen Philipp
in weiser Fürsorge errichtet.
In der Vaterstadt wurden also die ersten Grundlagen für die wissenschaftliche Laufbahn des Konrad Matthäus gelegt. Als Sohn des Konrad Matthäus d. Ä. und seiner Ehefrau Elisabeth, geborene Hultscher, beide aus angesehenen Alsfelder Familien, wurde er 1519 geboren.
Nach der ersten Ausbildung in Alsfeld kam Konrad Matthäus nach Marburg ins Pädagogium. 1534 bezog er die Universität, erhielt nach zwei Jahren bereits das Baccalaureat und wurde nach weiteren zwei Jahren magister artium. Schon mit 18 Jahren besaß er also wichtige akademische Grade. Die folgenden 11 Jahre wirkte er als Lehrer und Erzieher am Pädagogium. Dabei vollbrachte er, wie der Verfasser der Leichenrede sagt, eine „herkulische“ Arbeit, ein Vergleich, den man auch nach 360 Jahren manchmal für diese Berufsarbeit heranziehen möchte.
Als er 1551 als Professor an die Universität Marburg berufen wurde, las er nacheinander Geschichte, Rhetorik und Philosophie. Dabei kam es ihm nicht auf reine Verstandesschulung an, vielmehr sollten seine Studenten aus den Schriften der großen Philosophen des Altertums die exempla für ihr eigenes Leben gewinnen. Da nach dem Zeugnis der Schüler seine eigene Diktion gravitas (Würde) und lepor (Eleganz) besaß, hielt er auch seine Schüler streng dazu an, stets nach dem besten Ausdruck in Rede und Schrift zu suchen. Disputationes und Declamationes die er selbst überwachte, schienen ihm ein geeignetes Mittel dazu. Die Philosophie verwies er nicht in ein stilles Kämmerlein, sondern suchte seine Studenten von der Richtigkeit der Forderung Platons zu überzeugen, dass das Elend des politischen Lebens nicht eher enden werde, als bis die Philosophen Staatsmänner werden oder die Staatsmänner beginnen, wahrhaft zu philosophieren.
Wie Platon in der Philosophie, so scheint Cicero ihm für das Recht die Grundlagen seiner persönlichen Auffassung zu vermitteln. Mit Cicero sieht er das Idealbild eines Juristen in der Persönlichkeit, die in sich profundes Wissen um das Recht und umfassende Bildung vereint. Dieser wahre Vertreter des Rechts muß, so meint er, seine Vorzüge durch eine wirkungsvolle Beredsamkeit in der Öffentlichkeit zur Geltung bringen.
Sein intensives Bemühen um das Recht fand seine Anerkennung, als er 1543 von Johann Oldendorp, Rektor der Universität, unter Zustimmung aller Studenten zum Dr. iuris utriusque erklärt wurde. Außerdem wählte ihn der Landesherr bei der Errichtung des Obersten Landes- und Appellationsgerichtes für Hessen 1557 als einen der Assessoren unter dem Präsidenten Arnold von Virmund.
Seine Tüchtigkeit und Lebenserfahrung hätte sich auch die Stadt Marburg, die ihn in den Rat wählte, gerne zu Nutzen gemacht, doch musste er dieses Amt wegen Arbeitsüberlastung ablehnen.
Neben allen seinen sonstigen Arbeiten vergaß er nie den Dienst Gottes. Anerkennung und Bewunderung errang er sich auch bei der theologischen Fakultät, nachdem er an den großen Kirchenfesten sehr beachtete Predigten gehalten hatte.
Wenn er auch als civis academicus an die höchste Stelle der akademischen Hierarchie gelangt war und ihre größten Ehrungen erfahren hatte, so blieb er sich doch stets bewusst, vor allem Bürger jener besseren Welt zu sein. Der Tod war für ihn die Wanderung in den „Gottesstaat“, in die ewige Heimat. Als ihn im Alter von 60 Jahren die neue „Fliegende Krankheit“ (novus morbus volaticus), die damals ganz Europa erfasst hatte, aufs Krankenlager warf, erwartete er den Tod in Gottergebenheit. Er rief die Seinen an das Sterbebett und ermahnte sie, sich gegenseitig immer in Eintracht beizustehen, „dann werde Gott an seiner Statt Vaterstelle vertreten“. In diesem Glauben gab er seine Seele seinem Schöpfer zurück. So sahen und so zeichneten seine eigenen Schüler das Leben und den Tod des Konrad Matthäus auf.
Vielleicht könnte das Andenken dieses großen Alsfelder Gelehrten am besten lebendig erhalten werden, wenn in den Kanon der heute am Alsfelder Gymnasium gelesenen lateinischen Schulautoren eine lateinische Epitome des Nekrologs über Konrad Matthäus aufgenommen würde. Damit ließe sich in einer Stadt, die noch heute so viel Tradition ausstrahlt, auch etwas für die echte Beziehung unserer Jugend zur. Geschichte tun.
Erstveröffentlichung:
Fridtjof Mueller, Konrad Matthäus (1519-1580), in: Albert-Schweitzer-Schule (Hrsg.), Festschrift zur 100-Jahr-Feier der Albert-Schweitzer-Schule, Alsfeld 1961, S. 31-34.
[Stand: 28.05.2024]