Von den Fluten mitgerissen.
Oder: Die Entstehung des Naherholungsgebietes der „Erlen“

Von Karl Brodhäcker, Alsfeld (2012)

Überschwemmung der Schwalm unterhalb von Alsfeld.
Foto aus den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts (Foto: Sammlung des Verfassers)

Alsfeld ist nicht nur „Das Tor zur Schwalm“, sondern seit eh und je auch aufs Engste mit ihr verbunden. Praktisch zu Füßen des am Hang liegenden Städtchens war der kleine Fluss hindurch Wasserspender für die Gärten vor den Mauern der Stadt und für die Wiesen in der Aue. Allerdings behinderte er den Weg aus der Stadt Richtung Hellmühle, Eudorf, Hombergwald, Eifa. Durch Furten und später mit Brücken überwanden die Alsfelder das nasse Hindernis.

Im Allgemeinen nahm das Flüsschen in den meisten Monaten des Jahres seinen geschlängelten, an Bogen reichen Weg gemächlich von Altenburg kommend an Alsfeld vorüber nach Eudorf, Schrecksbach ins Schwalmtal. Während der Schneeschmelze im Vogelsberg sowie im Herbst nach heftigem Regen und im Sommer bei Gewittern mit Wolkenbrüchen, zeigte die Schwalm ihre gefährliche Seite. Dann konnte sie in Minuten vom braven Flüsschen zum reißenden Strom werden, der alles mit sich riss, was sich ihm in den Weg stellte. Wie viele Opfer an Leben und Sachwerten die Schwalm vor ihrer Regulierung, das heißt, vor der Begradigung ihres Flussbettes, gefordert hat, lässt sich heute nicht mehr feststellen.

Im Gedächtnis der Stadt geblieben ist vor allem das Schwalmhochwasser vom 2. Pfingstfeiertag des Jahres 1749, das einer Umweltkatastrophe gleichkam. Ausführlich berichtete darüber 1939 der Lokalhistoriker und Stadtarchivar Oberreallehrer Karl Dotter (1878-1940) in den „Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld“. Nach dieser Quelle stieg die Schwalm nach einem Unwetter mit Wolkenbruch so an, dass die Wassermassen das Flussbett verließen und sich in mehreren Armen, alles mit sich reißend, über die Fluren ergossen. In Brauerschwend, Renzendorf und Altenburg wurden Gebäude, Geräte und Wagen Opfer der Fluten. Auch Menschen kamen darin um.

An der Peripherie der Stadt Alsfeld rissen die mehrsträngigen Fluten Wiesen hinweg, überspülten Äcker mit Geröll und Steinen und richteten großen Schaden an. Über diese Überschwemmung mit Folgen ist bereits viel geschrieben worden und darum den meisten Alsfeldern im Gedächtnis geblieben. Im September 2006 erinnerte eine Ausstellung im Regionalmuseum Alsfeld an die Naturkatastrophe, die letztlich der Anlass dafür war, dass die verwüstete Landschaft am Rande der Stadt 1806 auf Betreiben von Karl Dieffenbach (1763-1822), Syndikus der Stadt und Gründer des „Oberhessischen Intelligenzblatts“, neu gestaltet wurde. Durch spätere Ergänzungen führte die Neugestaltung schließlich zum heutigen Naherholungsgebiet, den bei Alt und Jung beliebten „Erlen“.

So gut wie vergessen sind dagegen andere Opfer der Schwalm, die bei Hochwasser zu Schaden kamen. Am 29. Juni 1880 [29.06.1880] zum Beispiel hatte ein Knecht vom Hellhof Holz nach Alsfeld gefahren. Auf seinem Heimweg wählte er nicht die Schwalmbrücke, sondern lenkte seinen Wagen durch den Fluss, der wegen eines Gewitterregens Hochwasser führte. Sobald das Gefährt das Wasser erreichte, riss sich ein Pferd los und rettete sich ans eben verlassene Ufer. Wagen, verbliebenes Pferd sowie der Knecht wurden von der Strömung erfasst und gegen den mittleren Pfeiler der Schwalmbrücke getrieben. In letzter Minute kam den Gekenterten der Alsfelder Bürger Kemmer zur Hilfe, sodass Wagenlenker und Pferd mit heiler, wenn auch nasser Haut und einigen Abschürfungen davonkamen. Der Wagen wurde von der Schwalm auseinandergenommen und in Einzelteilen flussabwärts transportiert.

Weniger Glück hatte der Schwälmer Buttermann Lang aus Schrecksbach. Es war am Heiligen Abend desselben Jahres 1880. Lang hatte es eilig von Alsfeld nach Hause zu kommen. Wieder einmal führte die Schwalm Hochwasser, das auch die „Fulderbrück“ überspülte. Wahrscheinlich hat Lang die Kraft der Wassermassen unterschätzt. Er setzte sich auf sein Hundewägelchen und trieb seinen „Bello“ an, die andere Brückenseite zu erreichen. Mitten auf der Brücke kippte das Wägelchen um. Die Fluten rissen Mensch, Tier und Wagen mit sich in die Tiefe. Buttermann Lang und sein treuer Hund ertranken.

Auch nach der Flussregulierung tritt die Schwalm hin und wieder über die Ufer,
wie diese Aufnahme aus dem Frühjahr 2004 zeigt. (Foto vom Verfasser)

Mehr noch als Alsfeld hatte das nahe gelegene Eudorf unter dem alljährlich wiederkehrenden Hochwasser der Schwalm zu leiden. Wenn dort, so weit bekannt, auch keine Menschenleben zu beklagen waren, richteten die Fluten doch immer wieder Sachschaden an. Gerätschaften aller Art, Ackerwagen, Schubkarren, Leitern, alles, was den Wassermassen nicht standhalten konnte, wurde mitgerissen und blieb zumeist an der Brücke in Dorfmitte hängen.

1965 bis 1970 wurde die Schwalm zwischen Alsfeld und Heidelbach begradigt und kurz vor
Heidelbach zur Wasserstandsregulierung eine Staumauer gebaut. Ein Gedenkstein erinnert
an die Arbeiten.(Foto vom Verfasser)

Die nahe am Flussbett liegenden Scheunen und Stallungen hatten in den Mauern zur Schwalmseite hin meist nicht vermörtelte Stellen, die bei Hochwasser durchstoßen wurden, damit das Wasser durch- und später wieder abfließen konnte. Wenn in Eudorf die große Kirchenglocke geläutet wurde, wussten die Einwohner, dass Feuer- oder bei heftigem Unwetter Wassergefahr drohte. Und der alte Spruch war ihnen gegenwärtig: „Gegen Feuer hilft Wasser, aber gegen Wasser gibt es keinen Schutz!“

1963 bis 1970 wurde die Schwalm zwischen Alsfeld und Heidelbach begradigt und kurz vor Heidelbach zur Wasserstandsregulierung eine Staumauer gebaut. Ein Gedenkstein erinnert an die Arbeiten. (Foto vom Verfasser)

Erst als in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts das Schwalmbett begradigt und in Eudorf zum Teil umgeleitet wurden, waren die gefährlichem Hochwasser gebannt. Auch die großen Überschwemmungen unterhalb Alsfelds, die meist tagelang einen durchgehenden See zwischen Schwalmbrücke / Steinkaute und Hellhof bildeten, der die Straße Alsfeld-Eudorf überspülte, sind seitdem ausgeblieben.

Heute spielt das Flüsschen für die Stadt längst nicht mehr die Rolle früherer Zeiten. Noch bis über die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bot die Schwalm im Sommer den Abkühlung suchenden Wasserfreunden in der Aue Badebuchten, von denen das „Herrenloch“ die beliebteste war. Aber das ist lange her! Das Schwimmbad hat die Schwalm in dieser Hinsicht abgelöst.

Ob es die richtige Maßnahme war, die Schwalm in ein schnurgerades, ausgemauertes Bett zu zwingen, anstatt ihr einige Bogen im eigenen Bett in der Aue zu belassen, darüber streiten sich heute die Fachleute und solche, die sich dafür halten. Einige plädieren für Renaturierungsmaßnahmen, die der Schwalm wieder eine geringere Wasserflussgeschwindigkeit ermöglicht. Eingriffe in die Natur haben halt stets ihre Vor- und Nachteile sowie ihre Befürworter und ihre Kritiker.

Erstveröffentlichung:

Karl Brodhäcker, Von den Fluten mitgerissen. Oder: Die Entstehung des Naherholungsgebietes die „Erlen“, in: Karl Brodhäcker, Der Mord am Türmer. Erinnerungen an Alsfelder Geschehnisse und Personen, 2012, S. 305-310.

Die Veröffentlichung der Texte des Autors im Rahmen des Internetprojekts
www.Geschichtsforum-Alsfeld.de wurde von seinen Rechtsnachfolgern genehmigt.

[Stand: 07.05.2024]