Die Entwicklung des Schulwesens in Alsfeld

Von Karl Rausch, Alsfeld (1959)

Eine Schule bestand im mittelalterlichen Alsfeld bereits im 13. Jahrhundert, denn 1270 wird in einer Urkunde ein rector scolarum genannt. Genaueres wissen wir über die Alsfelder Schule erst seit dem 16. Jahrhundert. Sie war im Anfang eine Lateinschule, die begabte Schüler zum Hochschulstudium vorbereitete. Eine große Zahl Studierender ist aus ihr hervorgegangen, wie Karl Dotter in seiner Schrift „Studierende aus Alsfeld vor 1700” nachweist. Untergebracht war sie seit 1508 im Schulhaus am Kirchplatz, dem heutigen Weberschen Anwesen. Im 16. Jahrhundert entstand in Verbindung mit ihr eine „deutsche Schule“, die als Beginn der Alsfelder Volksschule bezeichnet werden kann. Höhere Schule und Volksschule haben also in unserer Stadt eine gemeinsame Wurzel: Die Lateinschule. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen hinzu: a) die Landwirtschaftsschule, b) die Berufsschule und c) die Gewerbeschule, der Vorläufer der heutigen Handwerkerfachschule. Da für die Behandlung des Themas nur ein beschränkter Raum zur Verfügung steht, kann aus dem umfangreichen Stoffe nur das Wesentliche dargestellt werden. Quellen sind: Die Akten des Stadtarchivs und der Stadtverwaltung, die „Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins”, 3. Reihe, und die Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Realschule 1911.

Lateinschule, Real- und Oberrealschule, Realgymnasium

Wie bereits erwähnt, war die Lateinschule die älteste Alsfelder Schule. Sie erreichte nach ihrer 1536 erfolgten Neugründung ihren Höhepunkt im 17. Jahrhundert, während das folgende Säkulum für sie eine Zeit des Niedergangs bedeutete. Die Gründe sind unter anderem in der Tatsache zu suchen, dass die deutsche Sprache auch für die Wissenschaft an Bedeutung gewann und die Erlernung des Lateins immer mehr zurückgedrängt wurde. Zwar versuchte man ab 1781 mehrmals, ihr durch Verbesserungsvorschläge wieder neues Leben einzuhauchen, jedoch stets ohne Erfolg. Eine Verfügung der Regierung vom Jahre 1837, wonach in der Schule kein Unterricht in Latein mehr erteilt werden durfte, bedeutete das Ende der Alsfelder Lateinschule. Die Konrektorstelle konnte von jetzt ab mit einem unstudierten Lehrer besetzt werden.

Dem Wunsche vieler Alsfelder Bürger, ihre Kinder in lateinischer Sprache unterrichten zu lassen, wurde ab 1825 durch Gründung eines Privatinstituts, das von Pfarrer Rötzel geleitet wurde, entsprochen. Nach dessen Versetzung im Jahre 1827 trat Pfarrer Lampas, der Rektor der Lateinschule, an seine Stelle bis 1839. Nach ihm erteilte der 2. Knabenlehrer, Wilhelm Kobelt, Pfarrer in Alsfeld, regelmäßig Privatunterricht an Knaben und Mädchen in zwei Klassen bis 1860, zuerst im alten Pfarrhaus in der Kaplaneigasse, alsdann im Pfarrhaus Schnepfenhain 27, das von der Stadt für diesen Zweck gekauft worden war. Nach Aufhebung der Lateinschule in 1837 tauchte sehr bald der Gedanke auf, eine höhere Schule in Gestalt einer Realschule zu errichten. Die erste Anregung hierzu gab der Kreisrat Dr. Camesasca im Februar 1840 in einem Schreiben an den Schulvorstand. Da die Auffassungen über Organisation und Ziele der neuen Schule zwischen Schulbehörde und Gemeindeschulvorstand sehr weit auseinandergingen, kam es zu langwierigen Verhandlungen. Von dem Gedanken, eine wirkliche Realschule einzurichten, war jahrelang keine Rede mehr. Was durch Vereinbarung zwischen Kreisrat und Stadtvorstand im Januar 1844 zustande gekommen war, wich von dem ursprünglich Erstrebten stark ab. Kreisrat Fuhr gab dem Plan neue Impulse. Nach dem der hessische Landtag 1845 einen Zuschuss von 600 fl. jährlich in Aussicht gestellt hatte, verschaffte sich der Genannte einen genauen Lehrplan der neu errichteten Realschule in Biedenkopf und teilte diesen mit näheren Einzelheiten über die entstehenden Kosten dem Stadt- und Schulvorstand zur Stellungnahme und Beschlussfassung mit. Am 06.11.1846, ein Jahr nach der Anfrage, erklärte der Gemeinderat sich bereit, der Errichtung einer Realschule seine Zustimmung zu geben, wenn sie sich auf die Stadtschule aufbaue. Die Verhandlungen über Lokalfragen dauerten wieder einige Jahre, immer wieder entstanden längere Pausen. 1859 schrieb der Minister des Innern, dass der vor 13 Jahren bewilligte Zuschuss nicht mehr im Staatsvoranschlag vorgesehen sei. Diese Mitteilung brachte den Gemeinderat in Harnisch. Er ergriff nun endlich die Initiative und erreichte, dass im August 1860 die Errichtung der Schule genehmigt und am 07.01.1861 der Unterricht aufgenommen wurde.

Die neue Anstalt nahm eine günstige Entwicklung. Die Schülerzahl stieg von 97 in 1861 auf 290 im Jubiläumsjahr 1911. Die Zahl der ordentlichen Lehrkräfte erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 3 auf 14. Im Jahre 1869 wurde die Alsfelder Realschule in die Reihe der höheren Lehranstalten aufgenommen, die das Befähigungszeugnis für den einjährig-freiwilligen Militärdienst auszustellen berechtigt waren. Das ständige Wachsen der Schülerzahl – Ostern 1869 waren es bereits 223 – hatte eine Vermehrung der Klassen und die Errichtung neuer Lehrerstellen im Gefolge. Vom Beginn des Schuljahres 1869/1870 ab wurden die Schüler der Alsfelder Realschule in sechs aufsteigenden Klassen unterrichtet. Das Erscheinen eines neuen Lehrplanes für die Realschulen des Großherzogtums Hessen führte am 06.12.1899 zu der Anordnung, dass künftig eine weitere 7. Klasse, die Obersekunda, einzurichten und den diese Klasse erfolgreich besuchenden Schülern die Reife für Unterprima eines Realgymnasiums oder einer Oberrealschule, die kurz vorher als neue Schulform entstanden war, zuzuerkennen sei.

Auf Antrag des Alsfelder Landtagsabgeordneten, Justizrat Reh, beschloss der hessische Landtag im Jahre 1905, die Regierung zu ersuchen, die Alsfelder Realschule in eine Oberrealschule umzuwandeln, was Ostern 1907 nach Genehmigung des Ministeriums zur Bildung der Unterprima und 1908 zur Weiterführung als Oberprima führte. Im März 1909 fand die erste Reifeprüfung statt.

Albert-Schweitzer-Schule (Gymnasium, Schillerstraße)

Von da ab hat sich die Alsfelder höhere Schule als Vollanstalt organisch weiterentwickelt. Entsprechend dem Anwachsen der Schülerzahl vermehrte sich auch die Zahl der Klassen. Die Aufnahme der Mädchen ab Ostern 1928 machte sich stark bemerkbar. Nach dem 2. Weltkrieg wurden alle Oberrealschulen in Realgymnasien umgewandelt. Gegenwärtig – Statistik vom 13. 5.1959 – wird unsere höhere Schule, amtlich Albert-Schweitzer-Schule (Gymnasium) genannt, von 327 Knaben und 183 Mädchen besucht. An ihr wirken 28 hauptamtliche Lehrkräfte. Die Aufnahme kann frühestens nach dem Besuch der vierjährigen Grundschule erfolgen. Die Vorschule der früheren Zeit wurde 1919 durch Erlass der Landesregierung aufgehoben.

Zum Schluss sei noch die Raumfrage kurz geschildert. Ihr Lösung hat zeitweise große Schwierigkeiten verursacht. 1861 wurde die neugegründete Schule im 2. Pfarrhaus im Schnepfenhain Nr. 27 untergebracht. Der untere Stock umfasste vier Klassenzimmer, von denen nur zwei den damals gestellten Anforderungen genügten. Die überigen Räume waren zu klein und außerdem äußerst primitiv ausgestattet. Schon nach einem Jahr wurde eine Klasse in das Nachbarhaus verlegt. 1865 bewilligte der Gemeinderat die Mittel für die Einrichtung des ganzen Pfarrhauses als Schulgebäude, um dem bestehenden Raummangel abzuhelfen. 1870 war man gezwungen, eine Klasse in die Stadt zu verlegen. Sie fand Unterkunft im heutigen „Ratseck“. Der Gemeinderat sah ein, dass dieser Zustand unhaltbar sei und beschloss deshalb, im Garten neben der Schule einen Neubau zu errichten, der 1872 begonnen und 1873 bezogen wurde (das heutige „Haus der Jugend“). Diese beiden Gebäude im Schnepfenhain erfüllten nun einigermaßen die Anforderungen, die die stets wachsende Realschule räumlich stellte. Von einer völlig befriedigenden Lösung des Raumproblems konnte man jedoch nicht sprechen. Den von der Stadt beantragten Ausbau der Anstalt zur Oberrealschule machte die Regierung abhängig vom Bau eines neuen, allen Bedürfnissen einer Vollanstalt entsprechenden Gebäudes, das 1908 begonnen und am 24.10.1909 seiner Bestimmung übergeben wurde. Nahezu 50 Jahre dient es nun – 1956 durch eine prächtige Aula erweitert – seiner hohen kulturellen Aufgabe.

Höhere Bürger- (Mädchen-)Schule

Eine seit Jahren bestehende höhere Privat-Mädchenschule wurde nach längeren Verhandlungen der Stadtverwaltung mit der großherzoglichen Regierung aufgelöst und am 01.04.1903 in eine staatliche „Höhere Bürger- (Mädchen-)Schule” umgewandelt. Die Stadt stellte ihr das frühere Rentamtsgebäude zur Verfügung. Die Schule bestand für die acht schulpflichtigen Jahrgänge aus vier Klassen. Dazu kam eine Abschlussklasse, die Selekta, deren Besuch freiwillig war. An dieser Anstalt wirkten bis 1910 vier hauptamtliche Lehrerinnen und vier nebenamtliche Lehrkräfte. Ab 1911 vermehrte sich ihre Zahl um je eine Lehrperson. Die Anzahl der Schülerinnen bewegte sich zwischen 59 und 69, die Klassenstärke zwischen 3 (Selekta) und 16. Als im Oktober 1909 die Realschule in ihr neues Gebäude in der Schillerstraße umzog, wurde die höhere Mädchenschule in das freigewordene Gebäude Schnepfenhain 29 verlegt. Hier blieb sie 10 Jahre, um im Herbst 1919 zunächst räumlich mit der Oberrealschule vereinigt zu werden. Der Leiter dieser Schule war seit ihrem Bestehen der jeweilige Direktor der Realschule. Am 06.02.1928 verhandelte Staatsrat Block im Auftrag der hess. Regierung mit der Stadtverwaltung über Auflösung dieser Zwergschule. Da begabte Mädchen bereits vorher die Oberrealschule in steigender Anzahl besuchten, einigte man sich ohne Schwierigkeit in der Weise, die „Höhere Bürger- (Mädchen-)” Schule Ostern 1928 eingehen zu lassen und die Schülerinnen in die entsprechenden Klassen der Oberrealschule zu überführen. Sie bestand also genau 25 Jahre.

Volksschule

Nach der Reformation erhielt das deutsche Schulwesen überall neuen Auftrieb, auch in Alsfeld. In weiten Kreisen der Bürgerschaft machte sich das Bedürfnis nach Elementar- und Religionsunterricht bemerkbar. Die erste „deutsche Schule”, eine Knabenklasse, war in der Lateinschule, die sich im städtischen Schulhaus am Kirchplatz – dem heutigen Weberschen Anwesen – befand, untergebracht. Der Lehrer derselben führte die Amtsbezeichnung Präzeptor. Wenn wir die lange Reihe dieser Knabenlehrer – 1581 wird der erste genannt – bis 1837, dem Ende der Lateinschule, überblicken, wird uns bewusst, dass wir in dieser „deutschen Knabenschule”, in der im Laufe von zweieinhalb Jahrhunderten 21 Lehrer wirkten, den Vorläufer unserer städtischen Volksschule zu erblicken haben.

Das genannte Schulhaus wurde 1508 für die bereits bestehende Lateinschule gebaut und nahm ab 1581 auch die „deutsche Knabenschule” auf. Als im 17. Jahrhundert der Schulzwang für Knaben immer strenger durchgeführt wurde, wuchs die eine Klasse der „deutschen Schule” stark an, so dass das Haus den Ansprüchen nicht mehr genügte. 1698 wurde ein größeres an dessen Stelle erbaut. Im Erdgeschoß befand sich in einem großen Saal die sehr starke Klasse der „deutschen Schule”, im oberen Stock wurden die beiden Klassen der Lateinschule unterrichtet. Da das Haus außerdem auch Stuben und Kammern für die Lehrer aufwies, waren für neue Anforderungen der Schule gewisse räumliche Ausdehnungsmöglichkeiten gegeben. Trotzdem mussten in 1827 in einem Bericht des Inspektors die Raumverhältnisse als ungenügend bezeichnet werden. So diente das Haus den Bedürfnissen der Lateinschule und der „deutschen Knabenschule“ bis 1837, wie bereits vorher geschildert.

Stadtschule an der Volkmarstraße

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts bot der Rat der Stadt auf Wunsch vieler Alsfelder Bürger auch den Mädchen die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Im Jahre 1791 errichtete er eine „deutsche Mädchenschule”, die von dem Präzeptor Johann Georg Kurz geführt wurde. Da ein Unterrichtsraum nicht vorhanden war, musste er die Klasse in seinem eigenen oder in einem anderen Privathaus unterweisen, wenn er seine Wohnung nicht durch die Jugend „ruinieren” lassen wollte. 1821 verlegte man die Mädchenklasse, die unterdessen auf 200 angewachsen war, in das Weinhaus, ab 1826 in einen gänzlich unwürdigen Raum im Hospital. Diese Raumnot verschlimmerte sich noch, als 1824 eine zweite Mädchenklasse unter Leitung des Mädchenlehrers Gundrum geschaffen wurde. Dieser musste den Unterricht im Hause seiner Eltern erteilen, was als Notmaßnahme gedacht war, jedoch 11 Jahre dauerte. Die umfangreichen Akten vermitteln über die Schulraumnot dieser Zeit ein sehr unerfreuliches Bild. So verlangten die beengten Verhältnisse der Knabenschule im Schulhaus am Kirchplatz nach besseren und größeren Räumen, und für die zwei großen Mädchenklassen waren überhaupt keine Schulsäle vorhanden, wenn man von dem schlechten Raum im-Hospital absieht. Das Regierungsamt verlangte deshalb 1827 von der Stadt energisch die Schaffung neuer Schulräume. Bürgermeister und Gemeinderat sahen wohl die Dringlichkeit ein, lehnten jedoch aus finanziellen Gründen vorläufig ab. Auf Drängen der Regierung entschloss sich die Stadtverwaltung im Jahre 1835 dazu, das in ihrem Besitz befindliche Haus in der Rittergasse – neben dem Minnigerode-Haus –, die bisherige Kreisratswohnung, für die Bedürfnisse der Schule einzurichten, entgegen dem Vorschlage der Regierung, die für einen Neubau war. In diesem Jahr wurden die beiden großen Mädchenklassen in zwei Säle des Erdgeschosses verlegt. Nachdem in 1837 die in den oberen Stockwerken befindlichen Lehrerwohnungen zu vier Schulsälen eingerichtet worden waren, konnten auch die drei Klassen der aufgelösten Lateinschule dorthin verlegt werden. Gleichzeitig fand eine Teilung der überaus starken Knabenklasse statt, so dass die neue städtische Schule von 1837 ab aus 6 Klassen bestand, die jetzt den Namen „Stadtschule” führte. Dieses Jahr kann man deshalb mit Recht als Beginn einer selbständigen Alsfelder Volksschule bezeichnen.

Stadtschulerweiterungsbau am Junkergarten

An der Schule unterrichteten 6 Lehrer, 2 Studierte (Rektor und Konrektor) und 4 Jlliteraten. Nach einer Verfügung der Regierung blieb die Rektorstelle mit einem Theologen besetzt, der verpflichtet war, den Knaben der beiden oberen Klassen auf Wunsch der Eltern Lateinunterricht zu geben. Der letzte studierte Rektor war Philipp Müller, der bis zum 20.10.1872 amtierte. Von da ab übernahmen seminaristisch gebildete Lehrer die Leitung, die von 1875 bis zur Gegenwart wechselnde Amtsbezeichnungen führten: Oberlehrer, Hauptlehrer und Rektor.

Die Konrektorstelle wurde 1837 wegen Auflösung der Lateinschule aufgehoben mit der Bestimmung, sie künftig mit einem Jlliteraten zu besetzen. Der damals im Amt befindliche Konrektor, Wilhelm Kobelt, blieb jedoch bis 1840, dem Jahre seiner Ernennung zum 2. Pfarrer in Alsfeld. Sein Nachfolger im Schulamt wurde nach zweijährigem Streit zwischen Stadt und Regierung – die Stadt verlangte weiterhin einen studierten Konrektor – 1842 der seminaristisch gebildete Lehrer Justus Kurtz, im Volksmund „Konrektor“ genannt. Die erwähnten 6 Klassen wiesen 1842 folgende Stärken auf: I 71, II = 75, III = 95, IV (Mädchen) = 120, V (Mädchen) = 95, 6er Schule = 177 Schüler. Die sechsklassige Stadtschule bestand als solche 38 Jahre. Erst von da ab kann man von einer allmählichen Besserung der Schulverhältnisse sprechen, begründet im wirtschaftlichen Aufstieg der Stadt. Am 04.05.1880 wurde nämlich die 7. Lehrerstelle, Ostern 1903 die 8. errichtet. In kleineren Abständen folgen nun 1906 die 9. und 1908 die 10. Stelle. Die Raumverhältnisse waren infolge der stets wachsenden Schülerzahl seit der Jahrhundertwende völlig ungenügend geworden. Ein Schulhausneubau erwies sich als dringend erforderlich. Da jedoch auch die Oberrealschule aus denselben Gründen einen Neubau verlangte, einigten sich die maßgebenden Verwaltungsorgane dahin, dass in 1906 die höhere Schule und kurz demnach die Volksschule gebaut werden sollte. Dies geschah nach Überwindung verschiedener Schwierigkeiten 1908/09 bzw. 1911/1912. 1912 wurde die Stadtschule an der Volkmarstraße, die 13 Klassensäle mit den damals erforderlichen Nebenräumen aufweist, eingeweiht. Die Zahl der Klassen stieg 1914 auf 11, während des ersten Weltkrieges auf 12, Ostern 1932 auf 13.

Eine Vermehrung der Stellenzahl erfolgte erst nach dem Zusammenbruch, veranlasst durch den Zustrom von Heimatvertriebenen aus den Ostgebieten. Im März 1947 beantragte das Kreisschulamt auf Grund der Schülerzahlen acht neue Stellen, bewilligt wurden jedoch nur vier, so dass die Stadtschule ab 01.10.1947 17 Schulstellen zählte. 1949 waren es bereits 20 Stellen, während nur 13 Schul- und 2 Barackensäle (1939 errichtet) zur Verfügung standen. Um diese Raumnot zu beseitigen, beschloss der Gemeinderat 1949 die Errichtung eines zweistöckigen Neubaues mit 6 Schulsälen und 2 Sonderräumen im Dachgeschoss. Einweihung am 24.10.1951. Durch den an Ostern 1950 begonnenen Aufbau eines Mittelschulzuges und die Bildung einer Hilfsschulklasse wurden weitere 7-9 Säle benötigt, was die Raumnot noch wesentlich erhöhte.

6 Klassen sind seit 1953 behelfsmäßig im Kasino und im Haus der Jugend untergebracht. Außerdem fehlt es an unterrichtlich nicht zu entbehrenden Sonderräumen. In 1958 beschloss deshalb die Stadtverordnetenversammlung die Erbauung eines neuen Schulhauses im „Grund“, das 12 Klassensäle und 4 Nebenräume (1. und 2. Bauabschnitt) umfassen wird. Die Ausführung ist im Gange, seine Einweihung Ostern 1960 in Aussicht genommen.

Die Stadtschule wird z.Z. einschließlich Mittelschulzug von 1014 Schülern besucht, die von 30 hauptamtlichen und 7 nebenamtlichen Lehrkräften unterrichtet werden.

Landwirtschaftsschule an der Marburger Straße

Landwirtschaftsschule

Auf Anregung des landwirtschaftlichen Vereins für Oberhessen wurden in Alsfeld die Vorbereitungen zur Gründung einer Ackerbauschule getroffen, die die jungen Bauernsöhne in zwei halbjährigen Kursen während der Wintermonate in allen landwirtschaftlichen Fächern unterweisen sollte, um sie zur Führung eines landwirtschaftlichen Betriebes zu befähigen. Nachdem die Stadtverwaltung sich verpflichtet hatte, unentgeltlich Lokal, Holz und Licht zur Verfügung zu stellen, wurde am 04.11.1872 eine Klasse mit 20 Schülern gebildet und in einem Saal des früheren Hartmannschen Hauses am Marktplatz – im heutigen Ratseck – unterrichtet. Im Herbst 1873 kam die zweite Klasse hinzu. Beide Klassen fanden Aufnahme im Hochzeitshaus, wo sie 39 Jahre, also bis 1912, verblieben. Der gesamte Lehrstoff wurde auf zwei Jahre verteilt, was einen zweijährigen Besuch der Schule zur Voraussetzung hatte. Als die Stadtschule 1912 ihr neues Schulgebäude bezogen hatte und das Hochzeitshaus für Museumszwecke eingerichtet werden sollte, verlegte man die landwirtschaftliche Winterschule, wie sie jetzt amtlich hieß, in das alte Realschulgebäude – Schnepfenhain 27 –, wo sie bis 1919 blieb. In diesem Jahre zog sie um in die „neue Realschule“, Schnepfenhain 29. 1934 erfolgte die Errichtung einer Mädchenklasse, für die der Anbau einer Lehrküche erforderlich war. Doch auch diese Räume genügten in keiner Weise mehr den Anforderungen, die an eine moderne landwirtschaftliche Schule gestellt werden. Nach dem 2. Weltkrieg verlangte deshalb der neue Direktor der Schule, Herr Landwirtschaftsrat Dr. Dr. Röming, in seiner Festrede zum 75-jährigen Bestehen am 04.11.1947 die Erbauung einer neuen Schule mitten im Versuchsfeld auf der Leuseler Höhe. Vom Kreislandwirt und allen zuständigen Stellen kräftig unterstützt, konnte der großzügige Plan bereits früher, als ursprünglich erwartet, verwirklicht werden. Mit Kreis-, Landes-, Bundes- und ERP-Mitteln wurde der Bau am 14.04.1952 begonnen, im Juni 1953 bezogen, und am 12.09.1953 eingeweiht. In seiner mustergültigen Anlage entspricht er allen Anforderungen, die an eine Landwirtschaftsschule der Neuzeit gestellt werden.

Durch Verordnung der hess. Staatsregierung vom 5. 4. 1923 wurde auch in Alsfeld ein Landwirtschaftsamt gebildet und die Schule diesem Amt angegliedert. Die Landwirtschaftslehrer waren von da ab Beamte dieses Amtes. An der Schule, deren 3 Klassen seit Ende des 2. Weltkrieges einen sehr guten Besuch aufzuweisen haben, wirken außer dem Direktor zwei Landwirtschaftsräte und eine Landwirtschaftslehrerin.

Berufsschule

Die Anfänge der Alsfelder Berufsschule reichen in das vorige Jahrhundert zurück. Nach dem hess. Schulgesetz vom 16.06.1874 waren in allen Schulgemeinden Fortbildungsschulen zu errichten, die alle schulentlassenen Knaben noch drei Jahre zu besuchen hatten. Der Unterricht von 4 Wochenstunden fand während der Wintermonate an zwei Abenden in der Zeit von 7-9 Uhr statt und wurde von den dazu beauftragten Lehrern der Volksschule gegen besondere Vergütung erteilt. Ziel der Unterweisung war die weitere allgemeine Ausbildung der Schüler, insbesondere Weiterführung derjenigen Kenntnisse und Fertigkeiten, die für das bürgerliche Leben vorzugsweise von Nutzen sind. Eine Stunde Verfassungskunde war besonders vorgeschrieben. In jeder Schulgemeinde wurde eine Fortbildungsschule eingerichtet, sofern mindestens drei Schüler zum Besuch verpflichtet waren. Dieser Abendunterricht, der als die erste Etappe der Weiterbildung der schulentlassenen männlichen Jugend bezeichnet werden kann, bestand fast unverändert – nur die Unterrichtszeit wurde um die Jahrhundertwende auf nachmittags von 5-7 Uhr verlegt – bis nach dem ersten Weltkrieg. Das „Hessische Volksschulgesetz vom 25.10.1921” brachte verschiedene grundlegende Änderungen: Die berufliche Gliederung, die Anstellung hauptamtlicher Berufsschullehrer und Ganztagsunterricht. Eine weitere entscheidende Maßnahme war die Einführung der Berufsschulpflicht für Mädchen. Auf Grund dieser neuen gesetzlichen Bestimmungen wurden in Alsfeld vier Abteilungen der Berufsschule gebildet: eine gewerbliche, eine kaufmännische, eine landwirtschaftliche und eine hauswirtschaftliche. Die gewerbliche Gruppe, die Bauhandwerker, Bäcker, Metzger, Schneider und Schuhmacher umfasste, wurde der Gewerbeschule angegliedert und in ihren Räumen von Fachlehrern und einem Berufsschullehrer unterrichtet. Die kaufmännische Abteilung, die aus drei aufsteigenden Klassen bestand, war mit der Stadtschule verbunden und wurde von einem Berufsschullehrer geführt. Für die hauswirtschaftlichen Mädchenklassen, die Küche und Handarbeitssaal der Stadtschule mitbenutzten und dem Rektor unterstanden, war eine hauptamtliche technische Lehrerin angestellt. Der landwirtschaftliche Berufsschulunterricht, der in Alsfeld und in den Kreisorten bis 1930 nebenamtlich von Lehrern der Volksschule erteilt wurde, erfuhr ab 1928 in den Dörfern eine Zusammenfassung mehrerer Klassen. Er ging 1930, noch stärker zusammengefasst, in die Leitung von landwirtschaftlichen Berufsschullehrern über.

Bis 1947 unterstand das hess. Berufsschulwesen eines Kreises dem zuständigen Schulrat, dessen vielfältige Aufgaben ihm nicht erlaubten, die notwendige Zeit und Kraft für den weiteren Ausbau des Berufsschulwesens aufzubringen. Angesichts dieser Tatsache löste man in diesem Jahre die Berufsschule vom Kreisschulamt und unterstellte sie unmittelbar dem Regierungspräsidenten. Nun ging man daran, eine Kreisberufsschule unter Leitung eines Direktors – in Anlehnung an die seit Jahren im ehemaligen Preußen bestehenden Verhältnisse – aufzubauen. Die beiden gewerblichen Abteilungen in Groß-Felda und Homberg, seit Ostern 1922 von Alsfeld aus betreut, wurden nach Alsfeld verlegt, was außer der Raumfrage keine Schwierigkeiten verursachte. Da in Alsfeld kein Berufsschulgebäude vorhanden war, mussten zur Unterweisung der zahlreichen gewerblichen, kaufmännischen, hauswirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Klassen verschiedene Gebäude der Stadt, wie Handwerkerfachschule, Stadtschule, Kasino und mehrere Behelfsräume benutzt werden. Die Erbauung eines eigenen Berufsschulgebäudes war deshalb nicht mehr länger hinauszuschieben. Da der Kreis neuerdings Träger der Berufsschule ist, beschloss der Kreistag in 1952 die Errichtung eines allen Anforderungen genügenden Neubaues mit der Einschränkung, dass zunächst nur der erste Abschnitt, etwa ein Drittel des Gesamtprojektes, auszuführen sei. Dieser Beschluss wurde 1953/1954 verwirklicht und die 6 Säle mit 4 Sonderräumen nach Vollendung des Teilbaues in Benutzung genommen. Leider sind immer noch mehrere städtische Räume für einen einigermaßen geregelten Unterrichtsbetrieb erforderlich, was sich unterrichtlich und erzieherisch äußerst ungünstig auswirkt. Doch ist zu hoffen, dass nach Fertigstellung des Neubaues für die Zweigstelle Homberg die Vollendung des Hauptberufsschulgebäudes in Alsfeld nicht mehr lange auf sich warten lässt. Die gesamte Organisation der Kreisberufsschule ist bereits zum Abschluss gelangt. Sie gestaltet sich wie folgt: eine Zentralstelle und acht Zweigstellen (nur für landwirtschaftliche Schüler und für Mädchen). Gegenwärtig werden 1553 Schüler und Schülerinnen in 75 Klassen von 22 hauptamtlichen, 16 nebenamtlichen und 7 nebenberuflichen Lehrkräften unterrichtet. Dazu kommt noch eine Haushaltungsklasse mit zwei hauptamtlichen Lehrkräften.

Werkshalle der Handwerkerfachschule

Gewerbeschule – Handwerkerfachschule

Die erste handwerkliche Fachschule, die im Jahre 1845 auf Anregung des Kreisrates Fuhr in Alsfeld gegründet wurde, bestand nur zwei Jahre, da ihr die Stadtverwaltung 1847 den Unterrichtsraum entzog. 1862 rief man eine Sonntags-Zeichenschule ins Leben, in der die jungen Bauhandwerker im Bauzeichnen und in der Baukonstruktion durch nebenamtliche Lehrkräfte unterwiesen wurden. Erst in 189] gelang es, in Alsfeld eine „erweiterte Handwerkerschule” zu errichten, die am 16.11.1891 in einem Saale des Hochzeitshauses Unterkunft fand: Bei der Eröffnungsfeier schilderte der Vorsitzende des Ortsgewerbevereins, Realschuldirektor Dr. Scheuermann, die Aufgaben und Ziele einer solchen Schule in treffender Weise. Sie unterstand der Zentralstelle für die Gewerbe im Ministerium des Innern. Schon nach einem Jahr wurde eine zweite Klasse gebildet, und in 1897 musste die Schülerzahl in drei Klassen aufgeteilt werden. Leiter wurde in demselben Jahre Hauptlehrer Schindel, unter dessen vorbildlicher Tätigkeit sich die Anstalt gut entwickelte. Tatkräftig unterstützten ihn mehrere nebenamtliche Lehrkräfte und ab 1909 der neuernannte Gewerbelehrer Ludwig Rohrbach. Während die allgemeine schulische Ausbildung der Handwerkslehrlinge einige Mängel aufwies, entwickelte sich die Gewerbeschule günstig, was aus der stets wachsenden Schülerzahl hervorgeht. Zur Förderung der Anstalt trug wesentlich die Maßnahme bei, dass die abgehenden Schüler vor einer staatlichen Kommission eine Prüfung ablegen mussten, deren Bestehen von der mündlichen Meisterprüfung befreite. Als Rektor Schindel 1930 wegen Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand trat, übernahm Gewerbelehrer Rohrbach die Leitung der Schule. Er musste sie jedoch nach kaum einem Jahr wieder abgeben, da der Rektor der aufgelösten Gewerbeschule in Büdingen in gleicher Stellung dienstlich verwendet werden musste. Als dieser im Herbst 1933 aus politischen Gründen ausschied, wurde Herr Rohrbach erneut mit der Leitung beauftragt. Seine Wirksamkeit war in jeder Hinsicht erfolgreich. Als Lehrer hatte er beachtliche Erfolge aufzuweisen, und organisatorisch erreichte er zweierlei:

a) Einführung einer Abschlussprüfung, der sich jeder Schüler unterziehen musste,

b) Einführung des Jahresunterrichts.

Handwerkerfachschule in der Jahnstraße

Als der 2. Weltkrieg viele Schüler und fast alle Lehrkräfte zu den Waffen gerufen hatte, wurde die Gewerbeschule in 1944 geschlossen.

Nach dem Zusammenbruch versuchten 1946 Bürgermeister, Gewerbelehrer Pabst und Kreisschulamt, die Vorbereitung zur Wiedereröffnung der Gewerbeschule zu treffen. Für alle Stellen überraschend, wurde jedoch durch Erlass der hess. Regierung vom 22.05.1946 die Gewerbeschule zu Alsfeld aufgehoben. Die Gründe, die für diese Maßnahme angegeben wurden, konnten von keiner Seite als stichhaltig anerkannt werden. Deshalb setzt im Jahre 1948 ein Kampf aller interessierten Kreise für Anerkennung und Wiedereröffnung der Schule ein. Dieser gipfelte in einem schriftlichen Antrag des Bürgermeisters vom 01.01.1949, in dem die Wiedererrichtung der Gewerbeschule auf Grund des Fachschulgesetzes von 1928 von der Regierung gefordert wurde. Durch Erlass vom 21.04.1950 wurde die Neugründung der Schule genehmigt und diese staatlich anerkannt. Die Stadt Alsfeld übernahm die Trägerschaft.

Unter der zielbewussten Leitung des Direktors der Kreisberufsschule, des Dipl.-Ingenieurs Richard Latsch, gingen nun Stadtverwaltung und Lehrerkollegium mit aller Kraft an den Wiederaufbau der Anstalt, die den treffenden Namen „Handwerkerfachschule” erhielt. Durch gute Zusammenarbeit aller beteiligten Stellen wurde bei wohlwollender Unterstützung der Regierung in kürzester Zeit Vorbildliches geleistet. Die einzelnen Etappen seien kurz mit wenigen Sätzen festgehalten.

a) Das alte Schulgebäude, das durch den Krieg furchtbar gelitten hatte, wurde tadellos instandgesetzt und nach und nach mit neuen Schulmöbeln ausgestattet.
b) Da die Zahl der Schulräume nicht ausreichte, wurde 1956 ein Haus mit zwei neuen Schulsälen erbaut.
c) Alt- und Neubau wurden zu gleicher Zeit durch einen Bauhof miteinander verbunden.
d) Zu den verschiedenen Bauhandwerkerklassen kam eine Karosserieklasse, die eine ausgezeichnete Entwicklung aufzuweisen hat.
e) Eine den Lehrzwecken der Schule dienende Werkhalle ist im Entstehen.
f) Die Zahl der hauptamtlichen Lehrkräfte wurde entsprechend der angewachsenen Schülerzahl vermehrt. Sie beträgt 10 (z. Z. 2 unbesetzt).
g) Die Schule ist im Laufe der acht Jahre seit ihrer Wiedererrichtung mit vielen neuen Lehrmitteln ausgestattet worden.

Magistrat und Stadtverordnetenversammlung haben demnach keine Kosten gescheut, die äußeren Voraussetzungen für eine mustergültige Bildungsstätte des baugewerblichen Führungsnachwuchses zu schaffen. Nach Ablegung der Meisterprüfung besteht für besonders begabte Absolventen die Möglichkeit, eine Staatsbauschule zu besuchen, um auf diesem Wege eine verantwortliche Lebensstellung zu gelangen. Dass Leiter und Lehrerkollegium es verstanden haben, dem prächtigen äußeren Rahmen durch eine aufeinander abgestimmte, neuzeitliche Unterrichtsgestaltung den erforderlichen Inhalt zu geben, beweisen die wachsenden Besucherzahlen von 1953 bis 1958, die sich zwischen 222 und 363 bewegen.

Erstveröffentlichung:

Karl Rausch, Die Entwicklung des Schulwesens in Alsfeld, in: Magistrat der Stadt Alsfeld (Hrsg.): Festschrift: 10 Jahre Aufbauarbeit der Stadt Alsfeld, Alsfeld 1959, S. 76-90.

[Stand: 06.06.2024]