Das 800-jährige Stadtjubiläum beruhte auf einer Falschübersetzung. Nach dem Gutachten vom Hessischen Staatsarchiv: Axel Haltenhof verlangt eine Reaktion

Von Axel Pries (Oberhessen-Live, 26. März 2024)

ALSFELD – Hat die Stadt Alsfeld ihr 800-jähriges Jubiläum zu früh gefeiert? Im Gespräch ist schon länger, dass die dem offiziellen Gründungsdatum zugrunde liegende Urkunde nicht die richtige ist – sondern erst eine neun Jahre später ausgestellte – also 1231. Im April 2023 stellte das Hessische Staatsarchiv Darmstadt fest, dass Alsfeld erst im Jahr 2031 das runde Jubiläum feiern kann. Jetzt verlangt Axel Haltenhof vom Bürgermeister eine Entscheidung.

Axel Haltenhof ist als engagierter Alsfelder Einwohner bekannt, der sich auch um die Organisation der Alsfelder Kulturtage verdient gemacht hat. Privat betreibt er die Internet-Plattform www.Geschichtsforum-Alsfeld.de, wo Interessenten Grunddaten der Alsfelder Geschichte aus inzwischen mehr als 140 Texten von inzwischen 38 Autorinnen und Autoren abrufen können.

Schreiben an Bürgermeister Paule

In einem Schreiben hat Axel Haltenhof sich nun an Bürgermeister Stephan Paule gewandt und verlangt eine Reaktion – und zwar in Form einer Korrektur der städtischen Satzung und damit einer Anerkennung des neuen Datums. So schreibt er:

„Am 12. April 2023 hat das Hessische Staatsarchiv Darmstadt – die für Alsfeld höchste zuständige Instanz – gutachterlich festgestellt, dass die auf das Jahr 1231 datierte Urkunde mit der Signatur HStAM, Urkunde 18, Nr. 13, sicherer Beleg für Alsfelds Stadtwerdung ist.“ Dagegen könne die Urkunde vom 13. März 1222 nicht als Beleg für das Gründungsdatum der Stadt herangezogen werden. Diese Urkunde habe mit Alsfelds Stadtrechten nicht das Geringste zu tun. Auch die Datenbank LAGIS hat das Jahr 1231 offiziell anerkannt und ausgewiesen.“

Es sei höchste Zeit, dass die Hauptsatzung der Stadt Alsfeld, die sich auf Stadtrechte „mindestens seit dem Jahre 1222“ beruft, der historischen Wahrheit angepasst wird. Gängig gewordene Formulierungen wie „Stadt seit 1222 bzw. 1231“, wie sie anlässlich von Stadtführungen oder in der Website der Stadt Alsfeld gebraucht werden, sollten der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis und Wahrheit angepasst werden.

Gutachten des Hessischen Staatsarchivs

Der Mail angehängt ist das darin enthaltene Gutachten vom Hessischen Staatsarchiv. In dem Gutachten wird erklärt, dass die Annahme, Alsfeld sei bereits 1222 Stadt gewesen, durchaus auf einem Übersetzungsfehler beziehungsweise der falschen Interpretation einer Personenbeschreibung in einer Urkunde beruhen könnte. Wörtlich heißt es in dem Gutachten:

„Die heutige Stadt Alsfeld bezieht sich für ihre historische Stadtgründung in der regionalen Geschichtsschreibung traditionell auf eine von Wezzilo von Nidda veranlasste und auf 1222 März 13 datierte Schenkungsurkunde, die im Original als Ausfertigung (Pergament, 10,2 x 15,9 cm) mit anhängendem Siegel der Stadt Grünberg aus dem Bestand des ehemaligen Klosters Arnsburg stammt.“

Zunächst überliefert im Fürstlich Solms-Lich’schen Archiv in Lich wird die Urkunde seit der 2018 erfolgten Übernahme des Adelsarchivs in das Hessische Staatsarchiv Darmstadt unter der Signatur HStAD, B 25 A Nr. 23 verwahrt.

Ausgehend von dem in der Urkunde an siebter Stelle genannten Zeugen Sifridus scabinus de Adelsfelt, der mit dem Amtstitel eines Schöffen zugleich auf städtische Verwaltungsstrukturen schließen lässt, ist jedoch bislang – trotz einer breit geführten Fachdiskussion in der Literatur und zuletzt auch in den Printmedien – wohl nicht abschließend geklärt, inwieweit der Quellenbeleg zu Recht als „Geburtsurkunde“ der Stadt Alsfeld herangezogen werden kann.

Mit Blick auf die ältere ortgeschichtliche Literatur aus dem 19. Jahrhundert ist zunächst festzustellen, dass unter der Überschrift „Urkundliche Gewissheit“ der relevante Beleg in einem ersten Schritt lediglich als sichere Erwähnung von Alsfeld mit dem Hinweis auf den Zeugen „Sifridus scabinus de Adelsfelt“ angeführt wird, um dann jedoch daraus den städtischen Charakter von Alsfeld abzuleiten.

War Siegfried ein Schöffe aus oder in Alsfeld?

Ganz offenkundig wurde die Belegstelle in der deutschen Übersetzung dahingehend interpretiert, dass „Siegfried, Schöffe aus Alsfeld“ gleichbedeutend sei mit der Aussage „Siegfried, der ein Schöffe in Alsfeld war“. Neben der Tatsache, dass man das Zitat vereinzelt in der Literatur sogar fälschlicherweise gleich mit „in“ anstatt „de“ wiedergegeben hat, blieb die Frage nach der korrekten Übersetzung – und damit auch der richtigen lokalen Zuordnung – zunächst für die 700-Jahrfeier der Stadt Alsfeld im Jahr 1922 scheinbar irrelevant.

Erst im Vorfeld und dann in den 1972 erschienenen Publikationen anlässlich des 750-jährigen Stadtjubiläums wurde die bislang unbeantwortet gebliebene – oder doch zumindest nicht eindeutig geklärte – Frage erneut aufgeworfen. So hatte Hans Joachim VON BROCKHUSEN bereits 1962 erste Zweifel an Übersetzung bzw. Interpretation des relevanten Quellenzitates angemeldet, die er dann 1972 nochmals in aller Deutlichkeit äußerte: „Wenn 1222 ein „Sifridus scabinus de Adelsfelt“ als Urkundenzeuge in Grünberg auftritt, haben wir es, (…), nach der lateinischen Wortstellung wohl eher mit einem Siegfried aus Alsfeld, zur Zeit Schöffen in Grünberg, zu tun als mit einem Schöffen in Alsfeld selbst, und man kann – verzeihe mir der Leser die Ketzerei – immerhin ein wenig daran zweifeln, ob das Jubiläumsdatum derart hieb- und stichfest ist, (…)“.

Auch von anderer Seite wurde in der Festschrift von 1972 die Unsicherheit der Belegstelle durchaus eingeräumt, um dann aber daraus am Ende dennoch den städtischen Charakter von Alsfeld ableiten zu wollen.

Im Gegensatz dazu ließ die Grünberger stadtgeschichtliche Forschung in ihrer ebenfalls 1972 erschienenen Publikation kaum Zweifel darüber aufkommen, dass der 1222 genannte Siegfried ein Schöffe in Grünberg gewesen sei, der zwar aus Alsfeld stamme, aber von Amts wegen als Mitglied des Grünberger Stadtgerichtes anzusprechen sei.

Vor dem Hintergrund dieser doch stark voneinander abweichenden Quelleninterpretation wird ein erneuter Blick auf die Syntax, die deutsche Übersetzung und den Überlieferungshorizont des relevanten Urkundenbelegs notwendig. Dabei ist zunächst die Nennung Sifridus scabinus de Adelsfelt mit der Identifizierung eines Zeugen aus diplomatischer Sicht absolut unstrittig. Ebenfalls ohne Zweifel kann die Übersetzung ins Deutsche mit „Siegfried, Schöffe aus Alsfeld“ angegeben werden.

Urkunde bezeugt nicht die Gründung Alsfelds

(…) Das Gutachten kommt zu dem Schluss:

Die durch den schriftlichen Beleg dokumentierte Wortstellung kann nur den Schluss zulassen, dass es sich um einen Schöffen namens Siegfried handelt, der aus Alsfeld kommt, aber nicht zugleich Amtsträger in Alsfeld ist. Dieser Befund findet seine Erklärung durch: Die Präposition „de“ wird im Lateinischen primär in der Bedeutung „von“ oder „aus“ verwendet. Dabei ist der Bezug auf eine Lokalität entscheidend, nicht etwa auf eine Amtsfunktion. Die grammatikalische Konstruktion „scabinus de“ kommt in den zeitgenössischen Quellen zwar vor, muss in der Regel aber als Herkunftsangabe verstanden werden.

Der lateinischen Grammatik entsprechend ist jedoch scabinus in die eigentlich zutreffende Bezeichnung, die den Bezug zwischen dem Amt eines Schöffen und dessen lokalen Tätigkeitsfeld bzw. Amtszuständigkeit wiedergibt. Aus diesem Grund lässt sich die Konstruktion „scabinus in“ überaus häufig in den hessischen Quellen des 13. und 14. Jahrhunderts finden. (…)

Fachlich nicht gerechtfertigt ist zudem eine Übersetzung von „scabinus“ mit „Bürger“, um damit eine Herleitung im Sinne von „Bürger aus Alsfeld“ zu generieren. Die zutreffende Übersetzung von scabinus ist eben Schöffe oder Stadtrat. Zwar ist die Ableitung, Schöffen seien mit Bürgerrecht ausgestattete Männer, korrekt, jedoch nicht die begriffliche Gleichsetzung.

Zu berücksichtigen sind hier schließlich der Entstehungs- und Überlieferungskontext der relevanten Urkunde. Ausgehend vom Rechtsgeschäft einer Schenkung beurkundet das Stadtgericht Grünberg, d. h. die genannten Zeugen stehen in direkter Verbindung zur städtischen Verwaltung der Stadt Grünberg, zumal die Urkunde mit dem kleinen Siegel der Stadt Grünberg beglaubigt wurde.

Insofern muss davon ausgegangen werden, dass der genannte Siegfried ein Schöffe in Grünberg war, der aus Alsfeld stammt. Unter Berücksichtigung aller hier untersuchten Überlieferungsaspekte ist festzustellen, dass der Zeugenbeleg aus der Urkunde von 1222 März 13 aus fachlicher Sicht nicht für den Stadtcharakter von Alsfeld zu diesem Zeitpunkt herangezogen werden kann.

Insofern ist als sicherer Beleg für eine schriftlich dokumentierte Entwicklung Alsfelds als Stadt die lediglich auf das Jahr datierte Urkunde von 1231 anzuführen, die als Ausfertigung im Hessischen Staatsarchiv Marburg unter der Signatur HStAM, Urk. 18 Nr. 13 verwahrt wird.

Erstveröffentlichung:

Axel Pries, Nach dem Gutachten vom Hessischen Staatsarchiv: Axel Haltenhof verlangt eine Reaktion. Das 800-jährige Stadtjubiläum beruhte auf einer Falschübersetzung, in: www.oberhessen-live.de am 26. März 2024.

[Stand: 02.04.2024]