Berfaer Chronik
Ein Streifzug durch die Geschichte eines kleinen hessischen Dorfes

Von Konrad Kaufmann, Berfa (2007)

Das Dorf Berfa war bis zur Eingliederung in die Stadt Alsfeld 1972 eine eigenständige Gemeinde, gehörte vor dieser Gebietsreform verwaltungsmäßig zum Kreis Ziegenhain, zählt aber landschaftlich nicht mehr zum Schwalmgebiet. Die oberhessische Berg- und Hügellandschaft, als Ausläufer von Vogelsberg und Rhön, gibt der Gemarkung ihr Gepräge. Eingebettet in das Tal des Berfabaches, der oberhalb des Ortes am Fuße des Rimbergs entspringt, wird die Ortschaft im Nordosten von dem sagenumwobenen Bechtelsberg und im Südwesten von dem Höhenrücken der Steinfirst begrenzt, der vor der Gebietsreform gleichzeitig Gemarkungs-, Kreis- und Regierungsbezirksgrenze bildete.

Berfa – © GFA

Die Struktur des Ortes besteht vorwiegend aus kleinbäuerlichen Betrieben, Arbeitern und Handwerkern, von denen viele im zehn Kilometer entfernten Alsfeld Arbeit finden. Verkehrsmäßig ist der Stadtteil Berfa durch täglich fahrende Busse mit der Kernstadt verbunden. Die wirtschaftliche und geschäftliche Verflechtung mit der Stadt Alsfeld besteht schon seit vielen Jahrzehnten und wirkt sich belebend und fruchtbringend für beide Teile aus.

Berfa dessen Name sich von dem gleichnamigen Bach ableitet, der den Ort durchfließt, ist eine der ältesten Siedlungen in unserem Raum. Der Name des Ortes wurde erstmals in einer Urkunde aus dem Jahre 1282 als „Superio berfe“ erwähnt. Dorf und Bach erhielten ihre Bezeichnung nach dem einstmals in unseren Gewässern verbreiteten Biber. Daher fuhrt auch die frühere Bezeichnung Biberaffa – mit der keltischen Endung „affa“ für Wasser – auf eine frühe keltische Siedlung zurück. Die vorgeschichtlichen Funde aus den Hügelgräbern am Nordhang des Bechtelsberges deuten ebenfalls auf eine frühe Besiedlung hin. Ferner geben die natürlichen Grenzmarken, die im Norden und Süden Höhenzüge aufweisen, im Osten und Westen durch natürliche Vertiefungen markiert sind, den Hinweis auf eine der ersten Urgemarkungen in unserem Raum.

Viele Fragen nach der Entstehung und Gründung dieser Ansiedlung bleiben unbeantwortet. Wer war der erste Mensch, der hier seine Hütte errichtete und den Grundstein für ein werdendes Dorf legte? Niemand kennt seinen Namen. In keiner Chronik wird von ihm berichtet. Die alten Häuser und Höfe, die Felder und Wälder zeugen von der harten Arbeit und Tüchtigkeit unserer Vorfahren.

Der in unserer Gemarkung liegende Bechtelsberg war einst für die Bewohner seiner Umgebung ein heiliger Berg, eine germanische Kultstätte, die noch heute als der „hessische Blocksberg“ in unserem Hessenland bekannt ist. Hier wurde, wie uns der Berg mit seinem Namen und den Sagen lehrt, neben anderen Göttern, die Göttin „Berchta“ verehrt. Nach dem Glauben unserer Vorfahren zeigte sich die Göttin zuweilen in Gestalt einer fein gekleideten Jungfrau. Ihre Wohnung war im Inneren des Berges. Der Ein- und Ausgang zu ihrem unterirdischen Schlosse, war die „Hexenkaute“, eine trichterförmige, noch heute vorhandene Vertiefung auf der höchsten Erhebung des Berges.

Der Biber-Brunnen
© GFA

Beiderseits dieser germanischen Kultstätte sollen in der Zeit der Christianisierung von Bonifatius in Ottrau und in der Gemarkung Berfa christliche Kapellen errichtet worden sein. Der Flurname In der Kapelle in unserer Gemarkung deutet noch heute darauf hin. Laut namhaften Geschichtsforschern haben schon vor etwa 4000 Jahren Menschen hier gelebt. Um 400 vor der Zeitrechnung wurden die Kelten von dem germanischen Volksstamm [Seite 9] der Chatten verdrängt. Im 6. Jahrhundert geriet Hessen unter fränkischen Einfluss. Berfa gehörte zum „Chattengau“ und war schon zu dieser Zeit ein Grenzdorf. Der Berfabach bildete die Grenze zwischen dem Chattengau und dem Oberlahngau. Der Chattengau, später in „Hessengau“ umbenannt, setzte sich aus neun „Hundertschaften“ zusammen, Ottrau war der Sitz der fünften Hundertschaft, zu der auch Berfa gehörte. Eine Hundertschaft bestand aus 100-120 Familien. Nach der Christianisierung übernahm die Kirche auch diese Grenzen zur Bildung von Erzpriesterschaften. Innerhalb des Hessengaus entstanden wieder Grafschaften als Verwaltungszentren. Ab 1107 regierte im Schwälmerland eines der mächtigsten Geschlechter im hessischen Raum, die Graf von Ziegenhain. Mit dem Tode des Grafen Johann II. von Ziegenhain 1450 fiel die Grafschaft an den Landgrafen zu Hessen. Berfa hat bis zum Jahre 1367 zum Ziegenhainer Grafengericht „uff dem Wasen“ gehört und kam dann zu dem neu gegründeten Amt Neukirchen. In den späteren Jahrhunderten gehörte das Dorf dem Gericht Ottrau an.

In der Zeit von 1122-1247 kam Hessen durch Heirat an die Landgrafen aus dem Geschlecht der Ludowinger nach Thüringen. Nachdem der letzte Landgraf, Heinrich Raspe IV. starb, erhob Sophie von Brabant, eine Tochter der Heiligen Elisabeth, Ansprüche auf das Gebiet. Es gelang ihr mit Hilfe des Deutschen Ordens, sich gegen ihren Hauptwidersacher, das Erzbistum Mainz, durchzusetzen und den hessischen Teil der Ludowinger ihrem Sohn Heinrich zu sichern. Sophie von Brabant wählte im Jahr 1248 die Stadt Marburg als Hauptsitz ihres Landes. Ihr Sohn Heinrich I., der erste Landgraf von Hessen, der in die Geschichte als „Heinrich das Kind“ einging, erhob in 1277 Kassel zu seiner Residenz. 1292 wird die Landgrafschaft Hessen vom Kaiser als Reichsfürstentum bestätigt und hatte somit das Privileg den Kaiser mit zu wählen.

Das Geschlecht derer von Brabant herrschte in Hessen-Kassel bis zum Jahre 1866, als Kurhessen von Preußen  besetzt wurde. Der bekannteste unter den hessischen Landesfürsten war Landgraf Philipp der Großmütige. Unter ihm stieg Hessen zu einer wichtigen und einflussreichen Macht im Reich auf. Nach dem Tode seines Vaters, ließ ihn seine Mutter von dem Kaiser mit dreizehn Jahren für volljährig erklären. Philipp bekannte sich schon früh zur Lehre Martin Luthers und führte in 1526 in Hessen die Reformation ein. Die führende Stellung unter den protestantischen Fürsten verlor er, als er 1540 eine zweite Ehe mit der 17-jährigen Magdalene von der Saale einging. Sein Testament hat sich nach seinem Tode in 1567 als eine unglückliche Entscheidung für das Land erwiesen. Er teilte Hessen, das damals etwa die Größe des heutigen Landes Hessen hatte, unter seine vier Söhne aus erster Ehe auf. Wilhelm IV. erhielt Hessen-Kassel, etwa die Hälfte des Landes. Sein Bruder Ludwig bekam mit Hessen-Marburg ein Viertel, Philipp mit Hessen-Rheinfels und Georg mit Hessen-Darmstadt jeweils ein Achtel. Ludwig der IV. von Marburg verstarb 1604 ohne männliche Nachkommen. Sein Testament, nach dem Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt jeweils die Hälfte erhalten, wird von Darmstadt nicht anerkannt, das fl des Gebietes beansprucht. Der verstorbene Ludwig von Marburg hatte außerdem die Beibehaltung des lutherischen Glaubensbekenntnisses verfügt. Doch als Moritz von Hessen-Kassel 1605 die Einführung der calvinistischen Lehre durchsetzen will, kommt es zum völligen Zwiespalt. Als Folge dieses „Marburger Erbstreites“ steht Hessen-Kassel im Dreißigjährigen Krieg auf Seiten der Protestanten, während sich der Landgraf von Hessen-Darmstadt als einziger protestantischer Landesfürst auf die Seite des Kaisers stellt.

Durch seine Lage als Grenzgebiet zwischen Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt hat Berfa im Dreißigjährigen Krieg, in dem sog. „Hessenkrieg“, starke Verwüstungen erlitten. Eine Statistik aus dem Jahre 1639 besagt, dass im ganzen Ort „Berff“ noch siebzehn Familien, drei Witwen und ein Soldat lebten. An Viehbestand waren [Seite 10] insgesamt fünf Pferde, zwölf Kühe und dreizehn Schweine vorhanden. Nach einer über 100-jährigen Friedenszeit brachte der Siebenjährige Krieg von 1756-1763 dem Dorf wieder Zerstörungen und Kriegslasten unter französischer Herrschaft.

Im Jahre 1803 wurde die Landgrafschaft Hessen-Kassel zum Kurfürstentum erhoben. Der Kurfürst erwarb damit das Privileg, bei der Kaiserwahl mitzuwählen. Von diesem Zeitpunkt an ist die Bezeichnung Kurhessen gebräuchlich.

Die Feldzüge und Eroberungen Napoleons zu Anfang des 19. Jahrhunderts forderten erneute Opfer von den Bewohnern des Dorfes. Kurhessen wurde Teil des neu ausgerufenen Königreichs Westfalen. Der jüngste Bruder Napoleons, Jérôme, zog 1807 in Kassel auf Schloss Wilhelmshöhe als König ein. Hessen-Kassel musste im selben Jahr sechs Millionen Franken Kriegssteuer zahlen. Hinzu kamen noch die Kriegsfuhren und sonstige Lasten. Die jungen Männer des Landes dienten auf den Kriegsschauplätzen Europas Napoleon als Kanonenfutter. Die Völkerschlacht bei Leipzig, am 13.10.1813 beendete die Fremdherrschaft. Der Kurfürst kehrte wieder nach Kassel zurück. Seit 1821 besteht der Kreis Ziegenhain, wozu Berfa bis zur Gebietsreform in 1972 gehörte.

Der kurhessische Staat erlosch 1866, nachdem er von Preußen in Folge des Deutsch-Österreichischen Krieges annektiert worden war. Kassel wurde Hauptstadt der preußischen Provinz Hessen-Nassau. 1944 wurde die Provinz Kurhessen gebildet, jedoch ohne die Kreise Schmalkalden, Schlüchtern und Gelnhausen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Land Hessen auf dem Gebiet der amerikanischen Besatzungszone errichtet. Die Militärregierung vereinigte die ehemaligen Provinzen Kurhessen und Hessen-Nassau zum „Volksstaat Großhessen“. Am 26.10.1946 beschloss die Landesregierung, den Namen des Landes von Großhessen in Hessen zu ändern.

Die höchste Einwohnerzahl erreichte Berfa kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Dorf über 200 Heimatvertriebene aufnehmen musste. Die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung vom Agrarstaat zum Industriestaat hat die strukturelle Zusammensetzung zu Ungunsten der Landwirtschaft verändert. Der überwiegende Teil unserer Einwohner verdient heute seinen Lebensunterhalt außerhalb der Landwirtschaft.

In der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, konnten in unserer Gemeinde eine Reihe baulicher Maßnahmen durchgeführt werden. 1972 verlor Berfa im Zuge der Gebietsreform, wie auch alle anderen selbständigen kleinen Gemeinden, seine Eigenständigkeit, wurde ein Stadtteil Alsfelds und gehört zum Vogelsbergkreis.

Erstveröffentlichung:

Konrad Kaufmann, Berfaer Chronik. Ein Streifzug durch die Geschichte eines kleinen hessischen Dorfes, in: Magistrat der Stadt Alsfeld (Hrsg.): Alsfeld und seine Stadtteile (Band 12), Berfa, Alsfeld 2007, S. 8-10.

Die Veröffentlichung der Texte des Autors im Rahmen des Internetprojekts
www.Geschichtsforum-Alsfeld.de wurde von ihm genehmigt.

[Stand: 10.02.2024]