Im alten Gasthaus Merle herrschte eine gemütliche Atmosphäre

Von Konrad Kaufmann, Berfa (2007)

Johannes Merle aus Ottrau erwarb 1869 das Anwesen von Heinrich Brenzel, der nach Amerika auswanderte. Brenzel hatte schon in 1864 eine Konzession um die Führung einer Branntwein- und Bierschenke beantragt. Er schreibt an das Kurfürstliche Landrathsamt:

Von meinem kleinen Ackergut welches nur in Allem aus 15 Acker Land und Wiesen besteht, kann ich meine Familie, die aus 3 noch unerzogenen Kindern besteht nicht ernähren, denn eine Profeßion habe ich nicht erlernt, womit ich mit meiner kleinen Oeconomie etwas erwerben könnte. Was meine Qualifikation anbelangt, glaube ich mir schmeicheln zu dürfen, daß ich dem jetzigen Wirth Dippel nicht nachstehen sondern denselben bei weitem übertreffen werde, denn ich habe bei Kurfürstlichen Artillerie gestanden und bin 3 Jahre ununterbrochen im Dienst gewesen und besitze einen Ehrenvollen Abschied.

Doch die Stellungnahme des Bürgermeisters war nicht zu seinen Gunsten ausgefallen. Der berichtete nach Ziegenhain: „Die Wohnung ist bis jetzt noch nicht im Stand, die Wirthschaft zu betreiben. Wo seine Frau angibt, daß es ihr Mann ohne ihre Bewilligung gethan hätte mit dem Gesuch ist angekommen und sie nicht wünsche die Wirthschaft zu bekommen“.

Alter Hof und Gastwirtschaft Merle (Simons). Nach Abbruch des Nachbarhauses Fenner
auf dessen Standort Neubau des Wohnhauses Merle, auf bisherigem
Grundstück Neubau von Stall und Scheune.
Foto um 1906/1907 – Sammlung Kaufmann

Da die Einnahmen aus der kleinen Landwirtschaft für den neuen Besitzer Johannes Merle recht dürftig waren, glaubte er, sich durch einen Gastbetrieb mit Übernachtungsmöglichkeiten eine gute Nebeneinnahme sichern zu können. 1891 baute er dann schon einen Saal, der sich im linken oberen Teil der Scheune befand. Der Aufgang zum Saal führte durch das Wohnhaus und im oberen Stockwerk durch einen kleinen Zwischenbau, der im Dorf als Sprinnskaste (Starenkasten) bezeichnet wurde. Das Wohnhaus mit Schankraum soll vorher eine Scheune gewesen sein. Dem neuen Gastronomen sind demnach eine Menge Umbauarbeiten nicht erspart geblieben. Trotz alledem war das Gehöft sehr eingeengt. Merle konnte sich um die Jahrhundertwende, in einer Zeit des Aufschwunges, nicht so wirtschaftlich entwickeln, wie er es gerne gesehen hätte.

Zu Ende des Ersten Weltkrieges stand das Anwesen Reimesch (Heinrich Hergert, jetzt Gabi Zulauf, Kasseler Str. 28) zum Verkauf. Johannes Merle zeigte großes Interesse, den Hof zu erwerben, da sich hier die Möglichkeit bot, sein Gastgewerbe zu vergrößern und einen großen Saal zu bauen. Doch die Ungewissheit, ob einer seiner drei Söhne – der zweitälteste Paul Merle war schon am 27. August 1915 in Russland gefallen – überhaupt wieder in die Heimat zurückkehren würde, ließ ihn auf das Vorhaben verzichten. Das Grundstück wurde dann von Johannes Hergert gekauft, dem Großvater Heinrich Hergerts, der zuvor in der Erwessgass (Schuster Christel) wohnte.

Der älteste Sohn, Simon Merle, übernahm den elterlichen Betrieb mit der Gastwirtschaft. Die unzureichenden Saalverhältnisse waren in Berfa jedoch unverändert geblieben. Der Saal in der Scheune war sehr niedrig und auch nicht besonders groß. Anfang der 20er-Jahre wurde dort die letzte Kirmes für Erwachsene gehalten. Danach stand der Saal bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg nur noch für die Kinderkirmes zur Verfügung. Es gab zu dieser Zeit noch zwei kleinere Säle in Berfa, bei Riffer und ein Saal im oberen Stockwerk des Gasthauses Stumpf. Der Sohn des Simon Merle, wieder ein Johannes Merle, der 1949 als einer der letzten Berfaer aus russischer Gefangenschaft heimgekehrt war, übernahm im selben Jahr die Gastwirtschaft von seinem Vater. Anfang der 60er-Jahre plante das Hessische Straßenbauamt Bad Hersfeld die Verbreiterung und Begradigung der Ortsdurchfahrt in Berfa. Nach langwierigen Verhandlungen mit den Anliegern kam es zu einer für alle Beteiligten zufrieden stellenden Einigung. Im Zuge dieser Baumaßnahme gab es im Unterdorf einige wesentliche Veränderungen. Johannes Merle kaufte das Nachbargrundstück, Hans Fenner, der im Jahr 1959 an den Ortsrand ausgesiedelt war, von der Hessischen Heimat.

Die beiden Wohnhäuser Fenner (Haus Nr. 25) und Haus Merle (Nr. 26) wurden als Folge der Straßenverbreiterung abgebrochen. So bot sich für Merle die einmalige Gelegenheit, einen neuen, großräumigen Hof zu errichten. In den Jahren 1966-1967 entstanden Scheune und Wohnhaus, in dem auch wieder ein Gastraum eingerichtet wurde. Aus gesundheitlichen Gründen – Folge langer Jahre russischer Gefangenschaft – gab Johannes Merle, zum Bedauern vieler Berfaer Einwohner die Gastwirtschaft 1978 auf. Sein Sohn Erwin Merle zeigte kein Interesse, den Gastbetrieb weiter zuführen.

Im alten Gasthaus Merle herrschte eine gemütliche Atmosphäre und die Gäste fühlten sich sehr wohl dort. Unter der Gaststube befand sich der Pferdestall. Der Zugang zum Gastraum führte über eine steile Treppe im Flur. Manch einer, der einige Gläser zuviel gehoben hatte, landete oft sehr unsanft unten vor dem Eingang oder sogar auf dem Misthaufen, die sich mitten auf dem Hof unweit der Haustür befand. Die Älteren unter uns erinnern sich noch gerne an die Vereinsversammlungen, die sich manchmal bis in die frühen Morgenstunden hinzogen. Auch die passionierten Kartenspieler trafen sich gern bei Simons – so hieß die Wirtschaft im Dorf bzw. bei Lina und Hännes. Wenn es spät wurde und sich der Hunger einstellte, musste Hännes, der ein guter Hausmetzger war, noch mal in die Wurstkammer und eine Stracke holen. Außer der Gastwirtschaft befand sich noch ein kleiner Kramladen im Wohnhaus. Es war zu damaliger Zeit nichts Ungewöhnliches, dass die Gastwirte noch Lebensmittel führten, das Sortiment beschränkte sich in der Regel auf Salz, Zucker, Heringe und Lampenfett. Den Verkaufs- und auch gleichzeitig Lagerraum nannte man noch bis zum Abbruch des Wohnhauses das Kramkämmerche. In Erinnerung ist auch vielen das Bild mit dem netten Vers, der links neben dem Eingang zur Gaststube hing:

Solche Gäste hab ich gern,
die stets friedsam diskutieren.
Essen, trinken, zahlen gern
und dann friedlich abmarschieren.
Ihnen wünsch ich Fried und Glück,
kehren sie zu mir zurück
.

Vom alten Johannes Merle, der als erster die Gastwirtschaft betrieb, wird erzählt:

Zu seiner Zeit war auch der Gambrinus als Wirtshaus in Betrieb. Da nun zwischen den Geschäftsleuten eine natürliche Konkurrenz bestand, war es auch verständlich, dass die Beiden sich auf jeden Gast freuten, der ihre Wirtschaft aufsuchte. So soll Johannes Merle sonntags nach dem Mittagessen – zu einer Zeit, in der der Ein oder Andre die Gastwirtschaft aufsuchte, um die Neuigkeiten der Woche zu erfahren in der Gaststube hinter dem Fenster seine Gäste erwartet haben. Voller Spannung und Erwartung war er dann, sah er einen möglichen Gast den Äwelweg herunter kommen. „Kommt er zu mir, oder nicht?“ Auf dem Marktplatz fiel dann die Entscheidung; bog er nach rechts ab, so kam es ärgerlich und enttäuscht über seine Lippen: „Baf dich ins Gambrinus.

Erstveröffentlichung:

Konrad Kaufmann, Im alten Gasthaus Merle herrschte eine gemütliche Atmosphäre, in: Magistrat der Stadt Alsfeld (Hrsg.): Alsfeld und seine Stadtteile (Band 12), Berfa, Alsfeld 2007, S. 296-297.

Die Veröffentlichung der Texte des Autors im Rahmen des Internetprojekts
www.Geschichtsforum-Alsfeld.de wurde von ihm genehmigt.

[Stand: 04.04.2024]