Die Wiederherstellung der Walpurgiskirche zu Alsfeld

Von Friedrich Kuhlmann, Gießen (1922)

Um die Jahrhundertwende beginnen ernste Erwägungen und schließlich erfolgreiche Verhandlungen über eine umfassende Wiederherstellung der Walpurgiskirche zu Alsfeld. Sie führten zunächst im Jahre 1902 zu einer planmäßigen Aufnahme des Baues und zu einer Projektbearbeitung durch den Architekten L. Hofmann aus Herborn.

Alsfelder Walpurgiskirche
Foto © GFA

Der zugehörige Voranschlag schloss mit 122.000 Mark ab. Wegen der hohen Kosten wurden die Hauptarbeiten zurückgestellt, nur die unaufschiebbare Herstellung des Dachwerks über dem Langhaus wurde im Jahre 1905 unter der Leitung Hofmanns erledigt. Die örtliche Bauleitung der Arbeiten lag in den Händen des Regierungsbaumeisters Fischer zu Alsfeld. In einem Dachknauf fand man damals eine Beschreibung der in den Jahren 1785 bis 1791 vorangegangenen letzten „heilsamen Dachbauerei“, durch welche das Gebäude dann noch über hundert Jahre vor schwersten Schäden bewahrt worden ist.

Das neue Dach aus dem Jahre 1905 wurde bei der nachfolgenden eingehenden Wiederherstellung der Kirche, welche hier in großen Zügen behandelt wird, ohne erhebliche Änderung übernommen. Nur auf der Südseite, wo später eine künstliche Entwässerung der Giebelkehlen eingerichtet worden war, erfuhr es nochmals einen Eingriff. Das neue Dach schützte die darunter liegenden Bauteile vor dem Schlimmsten, denn schon an vielen Stellen machte sich der langsame Verfall des Gebäudes geltend. Außer den Schäden am Hauptbau war der Chorkranz unter der Dachtraufe nach Außen gewichen, große Teile des Chordaches, welches eine vorbildliche alte deutsche Schieferdeckung aufweist, waren schadhaft; nicht nur große Flächen der Dachhaut, Schalung und Schieferung waren erneuerungsbedürftig, sondern auch Gebälkteile des noch ursprünglichen gotischen Dachstuhles mussten ausgewechselt und durch neue ersetzt werden. Die senkrechte Chorabschlusswand nach dem Hauptschiff zu über dem Triumphbogen beziehungsweise über dem Altarplatz war mangelhaft; es ist eine provisorische mit Lehm ausgestakte, außen beschieferte Fachwand, deren Verputz sich bereits in großen Stücken abgelöst hatte. An verschiedenen Stellen im Langhaus, dem Gebäudeteil zwischen Chor und Turm, zeigte das Mauerwerk, wie gesagt, besonders erhebliche Schäden. Die Kirche steht auf einem in der Längsrichtung von Westen nach Osten stark abschüssigen Gelände. [Seite-138]

Nach Westen steckt der Bau tief im Boden und infolge des Unterschieds zwischen Kirchenfußboden und äußerem Terrain, welcher hier etwa 1,70 Meter ausmacht, während der Chorfußboden wesentlich über Terrain liegt, war das Mauerwerk vollkommen durchnässt. Auf der nördlichen Front hatte man ähnlich wie auf der Südseite die Dachkehlen zwischen den Walmen des Seitenschiffs mittels Abfallrohren entwässert. Die Rohrmündungen führten das Wasser zu Tage über sehr schlechte Pflasterung ab, welche stark ausgewaschen war, weil sich das Wasser zwischen den weit vor die Flucht vortretenden Strebepfeilern staute. Ein großer Teil des Tagewassers drang direkt in die Mauern ein und hielt auch den gegen diese anstehenden Grund dauernd feucht. Die Folge davon war, dass das Mauerwerk leiden musste, der Innenputz zermürbte, das Holzwerk des Fußbodens verfaulte; mangelhafte Lüftung tat das Übrige zur dauernden Schädigung der Kirche. In der Querrichtung fällt das Gelände von Nord nach Süd ebenfalls sehr stark, sodass man, um von der Nordseite aus in den Kirchenraum zu gelangen, über eine steile Treppe abwärts steigen muß, während zwei südliche Portale zu ebener Erde in das Seitenschiff führen. An der Westseite übernimmt der Turm die Vermittelung dieses Höhenunterschiedes in ausgezeichneter Weise. Durch mächtige Spitzbogen hindurch gelangt man von Norden her ebenerdig in das Turmgewölbe, die sogenannte Glockenstränge, einen mit Kreuzgewölbe überspannten Raum, und steigt von hier aus über eine breite Freitreppe zur südlichen Straße hinab. Auf den Chorseiten gleicht sich der Unterschied im Gelände selbst durch starkes Gefälle aus; den Choreingängen auf der Südseite sind deshalb einige Treppenstufen vorgelagert. Außer den genannten Stellen waren die Mauern des Langhauses und Chores weniger angegriffen, starke Beschädigungen zeigen die vorspringenden Sockelprofile, welche größtenteils gewaltsam abgeschlagen sind. Sehr mangelhaft waren dagegen die der Witterung stark ausgesetzten Turmflächen, welche über die Dachfirsten der vorgelagerten Häuser hinausragen.

Ganz besonders aber die durchaus berechtigten Klagen über die schlechte Verfassung der Innenräume der Kirche führten ja schließlich zu dem Beschlusse, eine gründliche Herstellung des Gebäudes an allen Bauteilen nun endlich vorzubereiten und mit den gesamten Bauarbeiten ernst zu machen. Es sollte ein Plan entworfen werden, nach dessen Ausführung und bei zukünftiger gewissenhafter Unterhaltung ein lange andauernder Bestand dieses eigenartigen und bedeutenden Baudenkmals gewährleistet sein sollte. Diese Projektarbeiten wurden im Herbste des Jahres 1908 unter Benutzung der vorerwähnten Aufnahmen des Architekten Hofmann durch den Regierungsbaumeister Kuhlmann zu Alsfeld im Einvernehmen mit dem Denkmalpfleger Geh. Baurat Professor Walbe und dem Kirchenvorstand begonnen und unter der Aufsicht der Bauabteilung des Ministeriums erledigt. Die Pläne waren im Herbst 1909 fertiggestellt, der Voranschlag schloss jetzt mit 76.000 Mark ab.

Gleichzeitig mit diesen Arbeiten wurde damals unter anderem auch die Planung für die Wiederherstellung des Rathauses zu Alsfeld von demselben Bauleiter vorgenommen. Die Ausführungsarbeiten dazu begannen im Jahre 1910. Aus Sparsamkeitsgründen wären nun die gleichzeitige und von ein und derselben Stelle aus geleiteten Ausführungen für Kirche und Rathaus [Seite-139] vorteilhaft gewesen, doch konnten sich damals Stadt- und Kirchenvorstand der immer noch zu hohen Kosten wegen nicht zum Baubeginn entschließen, und es verging sogar nach der Fertigstellung der Rathausherstellung im Februar 1912 nochmals ein Jahr, bis die Finanzierung des Bauvorhabens für die Walpurgiskirche soweit gediehen war, dass man mit den Arbeiten beginnen konnte. Außer der Stadtgemeinde gewährten der Kirchenbauverein und der Staat namhafte Zuschüsse, auch eine Lotterie trug zur Beschaffung von Geldmitteln bei. Der Voranschlag war nochmals durchgearbeitet und schließlich auf 69.800 Mark herabgesetzt worden, und mit dem Gemeinderatsbeschluss vom 28. Januar 1913 war endlich die Herstellung der Walpurgiskirche gesichert. Die Bauleitung blieb in den Händen des inzwischen nach Gießen versetzten Regierungsbaumeisters Kuhlmann, die örtliche Bauführung und Bauaufsicht wurde dem städtischen Baubeamten Egner übertragen.

Wenn man auch mit den eigentlichen Bauarbeiten so lange gezögert hatte, so hatte man sich doch entschlossen, wenigstens eine sehr wesentliche Anlage bereits vorher ausführen zu lassen. Bis dahin war die Kirche nicht heizbar, nur in der Sakristei, welche man von dem großen Gewölbe durch Fachwerk abgetrennt hatte, stand ein kleiner Ofen, der seine Rauchgase mittels hässlichen Rohres durch das Fenster hindurch nach Außen führte. Da nun im Jahre 1911 für das Rathaus und für das Weinhaus zugleich eine gemeinsame Dampfheizung geplant war, so wollte man doch nicht die Gelegenheit vorüber gehen lassen, ohne diese Einrichtung auch für die Kirche auszunutzen. Eine gemeinsame Heizungsanlage kam deshalb im Jahre 1911 durch die Fabrik Fritz Käferle zu Hannover zur Ausführung.

Die drei Gebäude, Rathaus, Weinhaus und Walpurgiskirche werden von einer Zentrale aus mit Dampf beschickt, so, dass jeder Bau auch für sich getrennt geheizt werden kann.

Das Kesselhaus befindet sich in dem geräumigen mit mächtigem Tonnengewölbe überspannten tiefen Keller des Weinhauses. Von hier aus werden, wie gesagt, sowohl die Räume dieses Gebäudes selbst, in dem auch der Kamin errichtet wurde, als auch die Räume des Rathauses und der Walpurgiskirche erwärmt. Die Zuleitung des Dampfes beziehungsweise die Rückleitung des Kondenswassers für Rathaus und Kirche erfolgt in unterirdischen, teils begehbaren, teils beschlüpfbaren Kanälen.

So war denn in den Wintern 1911/1912 und 1912/1913 die Walpurgiskirche bereits heizbar, obwohl die allgemeinen Herstellungsarbeiten noch nicht eingesetzt hatten. Die Anlage bot deshalb einige Ungelegenheiten, weil sich die Montage nach der Planung für die Herstellungsarbeiten richten und die Heizung auch später bestehen bleiben musste; sie wurden jedoch überwunden. Ein großer Fernheizkanal geht vom Weinhaus zur Kirche ein großes Stück durch gewachsenen Felsen hindurch, vor der Freitreppe am Turm schneidet er alte Kellergewölbe an. Er zieht längs der südlichen Weinhausfront zwischen Rathaus und dem alten Menzen‘schen Privathause hin, eine Abzweigung geht nach dem Rathause, unter dem ersten Seitenschifffenster auf der Südseite tritt er in die Kirche ein. Auch im Innern liegen die Rohrleitungen unter dem Fußboden in gemauerten beziehungsweise betonierten Kanälen. Bei den [Seite-140] Erdarbeiten hierzu stieß man auf unzählige Gräberreste, der Boden war mit zerstreut liegenden Knochen vollkommen durchsetzt, und die Überdeckung mit Erde war so gering, dass bei den ersten Spatenstichen die Knochen zu Tage traten, und die Leute, welche die Rohrkanäle aushoben, hatten außerordentlich schwere Arbeit. Es konnte gar nicht ausbleiben, dass das Holzwerk der Gestühlsböden über solchem Grund und Boden in Fäulnis überging. Als im Frühjahr 1913 die Bauarbeiten einsetzten, wurde zunächst sämtliches Holzwerk des Parterregestühls entfernt, der neue Unterlagsboden auf einer Steinpacklage betoniert, wozu die bereits angelegten Heizkanäle die Höhenlagen angaben. Erst auf diese Betonunterlage kamen die Lagerhölzer für die neuen Holzfußböden zu liegen.

Walpurgiskirche zu Alsfeld
Grundriss

Einige mit Platten zum Teil ganz unzureichend geschlossene Grabanlagen mit schlecht gemauerten Wandungen fanden sich im Gestühlsgang im zweiten Gewölbejoch des Hauptschiffs und vor dem Altar. Sie waren großenteils verschüttet und zerstört. Die Erdarbeiten fanden ihren Abschluss mit dem Belage der Gänge mit unregelmäßigen Sandsteinplatten zwischen den vorbeschriebenen etwas höher liegenden Betonböden der Gestühle. Seither im Boden liegende Grabplatten hat man jetzt an den Wänden und einem Langhauspfeiler aufgestellt, um sie vor weiterer Zerstörung zu schützen. Der Beschreibung der weiter folgenden Wiederherstellungsarbeiten möge nun zunächst eine Schilderung der Kirchenanlage vorausgehen.

Es handelt sich um eine frühgotische, dreischiffige Kirche, die ältesten Teile etwa um die Mitte des 13. Jahrhunderts erbaut, ohne Querhaus, mit Turm und Chor. Der Turm steht in der Kirchenachse auf der Westseite, er ist auf zwei Seiten durch Spitzbogen geöffnet und vermittelt die Verbindung der südlichen und nördlichen Stadtteile. In der Turmhalle befindet sich ein Portal, welches zum Hauptschiff führt. Das mit Kreuzrippengewölben überspannte Langhaus besteht aus einem Mittel- und zwei Seitenschiffen, kurze gedrungene Rundpfeiler mit vorgelegten Diensten – das sind dünne Rundsäulchen –, tragen die aufgehenden Hauptschiffswände. Das Langhaus ist in vier Gewölbejoche geteilt. An das Mittelschiff schließt ein einschiffiger mit drei Achteckseiten geschlossener Chor an, welcher östlich gerichtet ist. Er ist um 1393 erbaut. Auf der Südseite ist die Rücklage der Chorlängswand gegen die vorgeschobene Seitenschiffsmauer durch einen mehr malerisch [Seite-141] anmutenden, als architektonisch gelungenen Treppenaufgang ausgenutzt, welcher zur Empore führt und wohl erst bei deren Einbau am Ende des 15. Jahrhunderts angelegt worden ist. Zur Eingangstüre dient der untere Teil des gotischen Maßwerksfensters der Seitenschiffschmalseite. Auf der Nordseite wurde der Chorrücksprung gleichzeitig mit der Errichtung des Chores durch einen größeren mit der Seitenschiffswand bündigen Anbau, der Sakristei, ausgefüllt. Das nördliche Seitenschiff ist breiter als das südliche. Im Winkel, den der Chor mit der Sakristei bildet, liegt ein Treppentürmchen. In der einspringenden südlichen Ecke, welche der Turm mit dem Seitenschiff bildet, befindet sich eine überdeckte Freitreppe, welche zum Turme führt. Sie zeigt am Unterbau seitlich eine mit Holzläden verschlossene Nische. – Dies die allgemeine Grundrissanlage der Kirche; was den Aufbau, die Gestaltung und Formensprache betrifft, so ist darüber Folgendes zu sagen:

Der Turm, welcher in seinen oberen Geschossen nicht mehr der ursprüngliche ist, er stürzte im Jahre 1394 ein und zeigt jetzt in seinem oberen Teil spätgotische Formen, trägt auf der obersten quadratischen mit Maßwerksplatten geschlossenen Plattform, dem eigentlichen Turmkranz, einen achteckigen Aufbau, welcher unter seiner geschwungenen Dachhaube nochmals einen Umgang aufweist. Die Dachhaube wird gekrönt von einer auf acht freistehenden Stützen ruhenden, offenen Laterne für die Sturmglocke, mit ähnlich geschwungenem Dach, welches in einem Knauf mit Wetterfahne endet. Der achteckige Aufbau über dem Turmkranz enthält die Türmerwohnung. Zu ihr gelangt man über eine im Innern des Turmes an den Wänden entlangführende hölzerne Podesttreppe, welche über dem untersten Kreuzgewölbe beginnt. Unter dem Turmkranz befindet sich der Glockenstuhl und das Uhrwerk.

Auch das Langhaus zeigt heute nicht mehr seine frühere Gestalt. Es waren Bauteile und Spuren vorhanden, zu denen auch neuerdings noch einige aufgefunden wurden, welche auf eine basilikale Anlage, das heißt auf die ursprüngliche christliche Kirchenform hindeuten. Die Reste der Mittelschiffswände stammen noch von dieser früheren Anlage her; es ragte über die niedrig liegenden Seitenschiffe hinaus und erhielt direkte Beleuchtung durch hochgestellte Oberlichtfenster in den Langswänden. Das Hauptschiff, etwa um 1240 erbaut, zeigt jetzt eine unfertige Änderung. Man erkennt deutlich den Versuch, aus der basilikalen Kirche, wohl beeinflusst durch die neuen in der Umgebung entstandenen Hallenanlagen [Seite-142] wie in Marburg, Friedberg, Wetter und Wetzlar, eine ähnliche erstehen zu lassen und zwar unter Mitbenutzung vorhandener Bauteile, im Besonderen der Rundpfeiler.

Basilikale Anlage
Querschnitt
Basilikale Anlage
Längenschnitt

Die ursprünglich niedrig liegenden Seitenschiffe, welche zum Teil noch die alten Dienste mit Fußgliedern und Kapitälen aufweisen, sind auf die Höhe des Mittelschiffs gebracht worden und die von Pfeiler zu gespannten ehemaligen Schwibbogen der Mittelschiffswände wurden durch Ausbrechen erhöht. Man hat die Mauern jedoch nicht hoch genug und nicht weit genug ausgebrochen, wie es zur Erreichung einer fertigen Hallenkirche erforderlich gewesen wäre, sondern ist auf halbem Wege stehen geblieben.

Die Leibungen der Öffnungen zwischen Mittel- und Seitenschiffen blieben bis auf den heutigen Tag weit unter den Gewölbeanschnitten liegen. Die neu entstandenen Mauerpfeiler blieben zu breit rechteckig, sie wurden an den Kanten abgefast. Sie bis auf einen dem Rundpfeiler entsprechenden regelmäßigen Achteckquerschnitt zu verringern, schien wohl bedenklich, und weiteres Ausbrechen des Bruchsteinmauerwerks hätte schwere Schäden in konstruktiver Hinsicht gezeitigt. Einige Felder blieben sogar unregelmäßig abgebrochen stehen, man hat nicht einmal die spitzbogige Form vollenden können, wieder andere brach man nur bis zu den ehemaligen Oberlichtfenstern aus. Im südlichen Seitenschiff sind die an den neugeschaffenen Pfeilern befindlichen Strebepfeiler des Mittelschiffs belassen worden, im nördlichen sind sie entfernt. Während im südlichen Seitenschiff einige Dienste der früheren niedren Gewölbe erhalten blieben, sind im nördlichen nur noch die Fußglieder vorhanden. Kapitäle und Fußglieder sowie Gewölberippen zeigen frühgotische Formen.

Änderung zur Hallenkirche
Querschnitt
Änderungsversuch zur Hallenkirche
Längenschnitt

Der Einfluss der neueren Bauweise der Kirchen in vorgenannten Plätzen erstreckte sich nicht nur auf die [Seite-143] Raumgestaltung allein, sondern auch die einzelnen Bauglieder wurden entsprechenden Änderungen unterworfen. So arbeitete man die Rippen der Kreuzgewölbe des Hauptschiffs, welche den früheren birnförmigen Querschnitt zeigten, in die neuere Form der gekehlten Rippen um. Aber auch hier ist man nicht zu Ende gekommen; an den Rippenanfängern ließ man noch die alte Form bestehen. Diese Halbheit der Bauänderung, deren Ursache nicht sicher nachzuweisen ist, gibt uns aber so Mittel zum Nachweis der ursprünglichen basilikalen Anlage in die Hand. Die Kühnheit, mit welcher die Vorfahren dieser Zeit einen solchen Eingriff in das Gebäude vornahmen, zwingt uns heute zum Erstaunen und zur Bewunderung zugleich. Sie leitete der Gedanke, jegliches unkonstruktive Füllwerk zu entfernen und nur rein tragende Bauteile bestehen zu lassen, beziehungsweise das Gebäude in die notwendigsten Kräfte aufzulösen, wie es die mannigfachen Vorbilder an Hallenkirchen aufweisen.

Hallenkirche
Längenschnitt (Beispiel)

Die neueren Wiederherstellungsarbeiten fügen, wie gesagt, noch einige Glieder in die Kette der seither bekannten Nachweise einer basilikalen Anlage ein. So fand man im Jahre 1905 das Hauptgesims des Mittelschiffes unter dem Dach, gegliedert durch Hohlkehle und Viertelstab, die Tönung war rot mit blauer Verzierung. Bei den Bauarbeiten der Jahre 1913 und 1914 legte man die Anschnittstellen der ursprünglichen niederen Seitenschiffgewölbe an den südlichen Außenmauern frei, die niederen Dienste ließen ja von selbst auf die früher auf ihnen ruhenden Gewölbe schließen. Nun ist ein Beweis auch auf diese Art erbracht, indem man das Vorhandensein der niederen Gewölbe und deren Höhen feststellen konnte.

Hallenkirche
Querschnitt (Beispiel)

Weiter kam bei den Arbeiten an den Emporen noch der Rest des Anfängers des auf den Rundpfeilern sitzenden Schwibbogens im zweiten Joch zu Tage, dessen Leibungsprofil voll erhalten ist; der Mauerdurchbruch darüber ließ jedoch das ehemalige Basilikafenster bestehen, das Maßwerk brach man heraus. Bei den Herstellungen gelang es nun, aus den spärlichen Resten das Fenster zu rekonstruieren beziehungsweise in seiner alten Form wieder einzubauen. In frühgotischen Formen ausgebildet [Seite-144], stellt es ein Doppelfenster dar, ausgeschnitten aus einer dünnen in tiefen schrägen Leibungen stehenden Steinplatte, welche im Spitzbogenzwickel ein Kleeblatt zeigt. Die inneren Fensterleibungen sind beiderseits gefast, in der schmalen Leibungsfläche befindet sich die Nute für die Verglasung. Man hat es mit einer sehr frühen Entwicklungsform des gotischen Maßwerks zu tun. Weiter sind noch Teile der Kämpfersteine am Triumphbogen zwischen Hauptschiff und Chor vorhanden, die auf den ehemaligen niederen Chor schließen lassen. Heute ragt dieser, 1393 neu aufgeführt, weit über das Langhaus hinaus. Dadurch erhält die Kirche ihre eigenartige Silhouette, das Langhaus bleibt tief zwischen Turm und Chor liegen. Das Chordach trägt einen Dachreiter für die Glocke. Die Chorlängsmauern zeigen da, wo sie über die Triumphbogenwand hinausragen, Verzahnung, das heißt, man wollte hier weiterbauen.

Basilikafenster
Rekonstruktion

Ob man nun das Mittelschiff allein oder sogar auch die Seitenschiffe auf die neue Chorhöhe hochführen wollte, steht dahin. Jedenfalls hätte eine derartig weitgehende Umänderung eine vollständige Neuanlage der tragenden Pfeiler im Langhaus vorausgesetzt; das zeigt uns das Versagen bei der vorbeschriebenen Änderung der Basilika. Man begnügte sich mit der bis auf unsere Zeit überkommenen gleichen Höhe der drei Schiffe.

Der Sakristeianbau, gleichzeitig mit dem neuen Chore entstanden und nur von diesem aus zugänglich, war mit einem Kreuzrippengewölbe überspannt. Mit seiner Anlage dürfte auch die Erweiterung des nördlichen Seitenschiffs ausgeführt worden sein. Eine Fachwerkswand mit niederer Holzdecke trennte einen notdürftigen Aufenthaltsraum für die Geistlichen ab. Von dem Sakristeiraum aus, nicht von außen zugänglich, ist eine Wendeltreppe, welche zu dem über der Sakristei liegenden ebenfalls überwölbten Archivraum führt. In diesem standen früher die Blasebälge für die Orgel, welche den Wind durch eine noch vorhandene Öffnung in der Chorwand in einen Kanal zu dieser schickten. Von dem Archivraum führt die Treppe bis zur Höhe des Langhaushauptgesimses herauf. Mit einer Leiter erreicht man das Chordach. Es lohnt sich einen Blick auf den Dachboden zu werfen; ein bequemer Laufsteg führt über dem Mittelschiff her, von dem aus man auf die mächtigen Gewölberücken blickt.

Es sei hier die Beschreibung der bereits erwähnten Entwässerungsanlage der südlichen Dachkehlen eingefügt. Die Dachflächen des Hauptdaches und der Giebeldächer auf der Südseite ergossen ursprünglich den auf sie fallenden und in den Kehlen zusammenfließenden Regen und das Schneeschmelzwasser über weit ausladende Wasserspeier unmittelbar auf die Straße, wodurch besonders der Zugang zur Kirche sehr behindert wurde; infolge starker Undichtigkeiten der Kehlen war die Feuchtigkeit in das Mauerwerk der Gewölbezwickel eingedrungen. Man [Seite-145] hatte aus diesen Gründen die Wasserspeier ganz ausgeschaltet und das Wasser durch Abfallrohre abgeführt. Diesen Zustand musste man natürlich wieder beseitigen und dabei war man, wie schon eingangs gesagt, genötigt, die neue Dachkonstruktion an diesen Stellen nochmals zu ändern. Die Wasserspeier wurden geschlossen, die Kehlen kastenartig mit Kupfer eingedeckt. Diese Wassersammler erhielten Gefälle nach dem Dachraum zu. Eine über den Gewölben hinziehende Rohrleitung nimmt das durch die von den Kehlen abführenden Rohrabzweige abgeleitete Wasser auf und führt es durch den Turm weiter abwärts.

Kehren wir in den Kirchenraum zurück. Ein im ersten Schiffsjoch eingebautes sehr flaches Kreuzgewölbe trägt die Westempore. Darauf stand der Rest des ehemaligen Chorgestühls, aus dem 13. Jahrhundert stammend, welches nun den Namen „Ratsstuhl“ führte. Es wäre weiter noch einiges über die innere Einrichtung, wie sie vor der Wiederherstellung bestand, anzufügen.

In den Seitenschiffen, im ersten Langhausjoch und im Chor befanden sich auf zum Teil reich geschnitzten Holzstützen ruhende und mit geschlossenen, gemalten Brüstungen versehene Emporen, die des Langhauses noch aus spätgotischer Zeit, die Chorempore aus dem 17. Jahrhundert stammend. Die Westempore vor der Turmwand hatte hohe mit Bänken bestellte Aufbauten, welche bis zu den Gewölben reichten.

Die rechte Chorempore stand rechtwinklig in den Raum vor und störte den Einblick in den tiefen Chor. Links am Triumphbogen befand sich die reich mit Intarsien eingelegte und mit viel Schnitzwerk geschmückte Kanzel von Mathias Fink aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts, im Chorrücken die mit reichgeschnitztem Prospekt versehene Orgel, vor ihr auf der Brüstung ein nahezu lebensgroßer Kruzifixus. Unter dem Triumphbogen stand der große Steinaltar. Rechts und links entlang der Chorwände waren Bänke eingebaut, welche mit Brüstungen geschlossen waren, dazwischen im Chorparterre befand sich das Kindergestühl.

Das gesamte Langhaus war mit Bänken bestellt. Unter der südlichen Seitenschiffempore stand ein großes Epitaph mit reicher Architektur und Plastik.

Über den allgemeinen Zustand des Kircheninnern vor der Herstellung ist folgendes zu sagen. Das Gebäude mit seiner gesamten Einrichtung litt außerordentlich unter dem Mangel einer sachgemäßen Unterhaltung. An vielen Stellen war der Verputz schadhaft, die Türen schlossen schlecht, die bleiverglasten Fenster hatten hier und da ihre Scheiben verloren, zum Teil waren ihre Gläser gesprungen oder blind, die Sturmstangen verrostet und gebrochen. Kalt, zugig, düster und dumpf war es im Innern, selten und dann spärlich genug drang die Sonne in die Räume. Gelang es ihren Strahlen, das Halbdunkel der grauen Gewölbehallen zu durchdringen und ihre Lichter auf einzelne Bauglieder zu setzen, dann konnte wohl ein Malerauge in Entzückung geraten, nicht aber konnte dies den Architekten der Sorge entheben, dass hier ein Bau- und Kunstdenkmal langsam aber sicher dem Untergang entgegen gehen müsste, wenn nicht bald Abhülfe geschaffen [Seite-146] werde. Wie wir eingangs gehört haben, kam diese ja noch zur rechten Zeit. Sie beschränkte sich grundsätzlich darauf, das Vorhandene zu erhalten, seinen Weiterbestand auf lange Zeit zu sichern und neues nur nach den alten Vorbildern aus der Kirche selbst ohne persönliche Note des Architekten und wo Neues nicht zu umgehen war nur in sparsamster und einfachster Weise einzufügen. Zunächst wurden die Wände und Gewölbe auf Malereien untersucht. Zahlreiche und wertvolle Malereireste wurden von Maler Velte aus Frankfurt in Zeichnung und Farbe festgehalten, die Aufnahmen später, nachdem sie der neuen Ausschmückung der Kirche als Vorbild gedient hatten, dem Denkmälerarchiv in Darmstadt übergeben. Es konnten die Malweisen aus verschiedenen Epochen festgestellt werden. Von den Funden sei das große Wandgemälde auf der Schmalseite des nördlichen Seitenschiffs, ein Christophorus, eine Verkündigungsszene auf der Stirnseite des niederen Gewölbes im ersten Mittelschiffjoch sowie viele ornamentale Wandmalereien, Teppichmuster und dergleichen im südlichen Seitenschiff erwähnt. Ein kleineres Kreuzigungsbild fand sich an der Turmwand der Westempore, die Gewölbeflächen des Mittelschiffs zeigten eine einfache Quaderung in roten Linien auf hellem Grund mit unregelmäßig zerstreuten Sternen. Auch die frühere Bemalung der Gewölberippen, der Schlusssteine und der sie umgebenden Gewölbezwickel sowie der Wände wurden festgestellt. Im Chor fand man keinerlei Wand- oder Gewölbemalerei vor, die Gewölbe waren weiß getüncht, Farbspuren fanden sich nur an den Kapitälen der Dienste. Hier möge auch eines kleinen Restes früherer Glasmalerei Erwähnung getan sein, welcher sich im mittleren Fenster über der Orgel befindet. Sämtliche Fenster sind mit Klarglas verglast, der Himmel schaut in den Chorraum hinein, mächtige Kastanien davor geben eine besondere Tönung und Belebung der großen Glasflächen ab.

Auf Grund der Malereiaufnahmen erstand der malerische Schmuck der Kirche nach Erledigung der Bauarbeiten unter der meisterhaften Hand Veltes wieder erneut in alter leuchtender Frische. Auch die Abstimmung des gesamten inneren Anstrichs leitete derselbe Maler im Einvernehmen mit dem Bauleiter und dem Denkmalpfleger.

Über diese reich an Farben neu erstandene Ausschmückung übersieht man die schwierigen und wichtigsten Arbeiten, welche zur Sicherung des Baukörpers vorgenommen wurden, weil sie dem Beschauer nicht in Erscheinung treten, sie sind unter Putz und Farbe, gleichsam unter einem schönen aber vergänglichen Mantel, verdeckt oder sonst der Sicht entzogen. Das gilt sowohl von der Sicherung des Chorkranzes durch eine starke Eisenbetonverankerung unter dem Chordachfuß, als auch von Herstellungen schadhafter Mauerteile im Hauptschiff oder an Außenmauern oder den wichtigen Dacharbeiten.

Auch alle sonstigen in vorstehenden Ausführungen angegebenen Schäden wurden aufs gründlichste behoben, sodass man mit Vertrauen den inneren Ausbau erneuern konnte. Die störenden Aufbauten der Westempore wurden abgebrochen, sodass das erste Jochgewölbe frei wurde und der majestätische Raum des Hauptschiffes wieder voll zur Geltung kommt; die verlorenen [Seite-147] Sitzplätze wurden dadurch wieder gewonnen, dass man die Nordempore nach dem Hauptschiff vorrückte. Diese Empore erhielt an der Sakristeiwand einen neuen Treppenaufgang. Von einer neuen Treppe aus, welche in die Südempore eingebaut ist, erreicht man die Plätze hier und diejenigen der Westempore, überhaupt wurde die Zugänglichkeit der Emporenplätze bequemer gestaltet, und die Entleerung der früher lehr langen Sitzreihen, welche noch eine Unterteilung erhielten, geht nun rasch vor sich. Das Parterregestühl erstand neu als zwei Hauptgruppen im Langhaus zwischen den Rundpfeilern und Nebengruppen mit längs der Schiffsachse gestellten Bänken in den Seitenschiffen. Ein breiter Mittelgang zieht vom Turmportal nach dem Altar, zwei seitliche schmälere Gänge trennen die Gestühle unter den Emporen vom Langhausgestühl; sie enthalten Fußbodenheizung unter gelochten Eisenblechen. Ein Quergang vermittelt den Zugang vom südlichen zum nördlichen Seitenschiff. Die Schlussbänke enthalten längs geführte Wärmequellen, im übrigen sind Radiatore derart zur Aufstellung gekommen, dass eine Störung der ruhigen Gestühlslinien vermieden bleibt. Das Seitenschiffgestühl erhielt ansteigende Podien, die Eingangstüren in beiden Seitenschiffen Windfänge. Die Gestühle der Emporen und ihre Brüstungen wurden gründlich ausgebessert, am alten Bestand wurde nur wenig geändert. Ein vor dem niederen Gewölbe der Westempore vorgelagertes Gestühlsgerüst wurde entfernt und die Brüstung in die Flucht des flachen Gewölbebogens gebracht, auf dessen Zwickeln die Verkündigungsszene aufgemalt ist. Der auf dieser Empore befindliche Ratsstuhl, das alte Chorgestühl, erhielt seinen Platz wieder im Chor. Eine reichgeschnitzte Wange war noch erhalten, sie ist ergänzt und aufgestellt worden. Dieses Gestühl zeigt große Ähnlichkeit mit den Chorgestühlen der Elisabethenkirche zu Marburg und der Kirche zu Wetter.

Die Brüstungen der Chorempore waren seither mit großen Tafelbildern zugehängt, darunter befanden sich Teile von Altarbildern. Die Tafelbilder wurden unter die Empore an den Wänden in geschlossener Reihe angebracht, die ursprünglichen Brüstungsfüllungen wieder freigelegt und mit figürlichen Darstellungen bemalt. Viele dieser Füllungen waren zur Brüstung der südlichen Langhausempore verwendet gewesen. Auch die Seitenschiffsbrüstungen erhielten figürliche Malerei. Ein seither in Darmstadt befindliches Altarbild kam wieder zur Aufstellung an der linken Chorwand.

Den hart in den Triumphbogen vorspringenden Emporenabschluss der südlichen Chorempore schrägte man ab; ein vorhandenes Schwellholz und eine Wandkonsole gaben für die ursprüngliche Ausbildung Anhalt.

Die Orgelbühne änderte man ebenso um, sie erhielt den dreiseitig vortretenden Dirigentenstand wieder, welcher durch das vorhandene Gebälk gekennzeichnet war. Der auf der Brüstung stehende Kruzifixus fand, mit zwei Figuren zu einer Kreuzigungsgruppe vereinigt, auf einem von Kämpfer zu Kämpfer im Triumphbogen gelagerten Tragbalken seinen Platz. Dadurch erhält der Chor einen wirkungsvollen Vordergrund, welcher den Raum noch mächtiger erscheinen lässt. Neben der Orgel wurde ansteigendes Gestühl neu angelegt. Die Choremporen ruhen auf schön geschnitzten, mit Knaggen versehenen Holzstützen, auf denen die mächtigen, profilierten Schwellhölzer der Brüstung lagern. [Seite-148]

Das Orgelwerk wurde neu hergestellt, auf 34 klingende Register erweitert und mit Motorantrieb für die Gebläse versehen. Der reich geschnitzte Prospekt wurde um zwei Pfeifenfelder verbreitert. Die vorhandenen geschnitzten Seitenflügel wurden wieder verwendet, die neue Schnitzerei über den Feldern stammt vom Bildhauer Friese aus Friedberg. Das neue Orgelwerk baute Förster und Nikolaus in Lich, der Prospekt wurde von Maler Velte neu bemalt.

Vor dem Altar wurde durch Abrücken der Gestühle ein größerer Vorplatz geschaffen, zwischen ihm und den Kinderbänken steht der Taufstein.

Es bliebe noch einiges über die Maßwerksfenster zu sagen. Die Verglasungen wurden nach Herstellungen am Eisenwerk ausgebessert, sämtliche Fenster neu gedichtet. Die großen Maßwerke über den Südportalen fehlten ganz, sie waren gewaltsam herausgeschlagen worden; die Gewändeaufstände gaben jedoch Anhaltspunkte für ihre Erneuerung nach Entwürfen, welche man den über den Portalen befindlichen Maßwerksmotiven der Fenster anlehnte, die Ausführung erfolgte nach Art der alten Bauhütten an Ort und Stelle. Auch das Maßwerk des ersten Jochfensters der Südfront fehlte und wurde in ähnlicher Weise erneuert. Ebenso fallen die Turmfenster unter diese Herstellungen, welche der Bildhauer Leonhard aus Höchst übernommen hatte, der Meister, welcher auch die Bildhauereien an der fast gleichzeitig hergestellten Kirche in Schotten geschaffen hatte. Er führte auch die Chorwangenergänzung sowie die Herstellung eines Sakramentshäuschens im Chor verständnisvoll aus.

Das seither unter der Südempore stehende Epitaph wurde neben der Kanzel aufgestellt, einem würdigeren Platz mit besserer Beleuchtung. Neben ihm befindet sich ein neues Fenster in der Sakristeiwand, von welchem aus der Geistliche die Gemeinde zum großen Teil übersehen kann. Sakristei und Archivraum erhielten neue Fußböden.

Die elektrische Beleuchtungsanlage war sehr notdürftig, nur ein Lüster hing im Chor. Nun sind alle Räume mit Kronen und Wandarmen versehen worden, wodurch die Kirche jederzeit für abendliche Gottesdienste oder Konzerte benutzt werden kann. Es handelt sich um schwere Messingleuchter in guten alten Formen, welche von Architekt Wilhelm Maus, Frankfurt, geliefert wurden.

Während der genannten Ausführungen stellten sich noch weitere Notwendigkeiten zu Arbeiten heraus, welche ursprünglich nicht vorgesehen waren und nachträgliche Genehmigung fanden, so die Neubeschieferung einer ganzen Chorseite und verschiedene Arbeiten am Turm. An diesem wurde schließlich noch eine Notleiter auf der östlichen Turmseite angebracht. Auch die Turmdächer wurden gründlich hergestellt. Für die Arbeiten an den sehr schadhaften Turmmauern war ein transportables Gerüst von der Firma Gerster in Mainz gestellt worden. Die Turmfenster erhielten Verglasung, die Zifferblätter der Uhren wurden von Maler L. Martin aus Alsfeld nach Entwürfen Veltes neu gemalt. Einen Steigstrang der Wasserleitung führte man zur Türmerwohnung hinauf, deren Küche und Abortanlage neu eingerichtet wurde. Die Glocken wurden umgehängt, nachdem der Glockenstuhl neu hergestellt war. [Seite-149]

Auf der Nordseite der Kirche wurde mittels einer besonderen Rohranlage für eine rasche Abführung des Tageswassers von den Mauern hinweg Sorge getragen. Gleichzeitig hob man den Boden soweit ab, als es die Quaderung der Außenmauer erlaubte, vermittelte die Terrainunterschiede mit einigen Treppenstufen und führte schließlich eine gänzliche Umgestaltung des Kirchplatzes aus, wodurch die Nordfront der Kirche nun wesentlich besser in Erscheinung tritt.

Während der Bauausführung erlitt die Kirche einen besonders schweren Verlust. Am 11. August 1913 wurde die alte Kanzel nebst Schalldeckel, aus 1618 stammend, welche zur Restaurierung in die Werkstatt des Holzbildhauers Beckert gebracht und dort auseinander genommen war, vom Feuer vernichtet. Glücklicherweise war sie kurz zuvor versichert worden, sodass man wenigstens für ihren Ersatz mit einer bestimmten Summe rechnen konnte. Nach kleinen Maßskizzen, nach den Randungen, welche die Architekturteile am Putz hinterlassen hatten und hauptsächlich unter Zuhilfenahme von Photographien des Denkmälerarchivs wurde eine neue Kanzel angefertigt, welche als naturgetreue Kopie des prachtvollen Kunstwerks des Mathias Fink angesehen werden darf. Für die Wahl der Hölzer und den Charakter der zahlreichen Ornamente und Schnitzereien sowie für die Tönung hatte man die besten Vorbilder an den Holzarchitekturen, dem Portal und einem Wandschrank im Rathaus, welche von demselben Meister 1604 ausgeführt worden waren. Die Ausführung des neuen Werkes erfolgte durch Th. Brück in Gießen bezüglich des möbeltechnischen Aufbaues, die Bildschnitzereien und Holzintarsien stammen von der Hand Paul Frieses aus Friedberg. Bis zu ihrer Fertigstellung wurde eine einfache Notkanzel erstellt.

Zum Schlusse sei noch eine Kostenübersicht sämtlicher Herstellungsarbeiten gegeben. Im Allgemeinen erreichte der ursprüngliche Kredit von rund 70.000 Mark für die veranschlagten Titel aus. Auf Grund von Nachgenehmigungen kamen später hinzu die Kosten für besondere denkmalpflegerische Ausführungen, für die Notleiter am Turm, Herstellungen in der Türmerwohnung, Chordachbeschieferung, für die Turm-Be- und -Entwässerung, für die Entwässerung des südlichen Dachteils, für die allgemeine Entwässerungsanlage, Platzgestaltung und Straßenverlegung am Kirchplatz mit zusammen rund 33.000 Mark. Von der Gesamtsumme von etwa 103.000 Mark, welche in der Hauptsache die Gemeinde Alsfeld trug, gaben der Kirchenbauverein und der Staat namhafte Beträge hinzu, durch eine Lotterie wurden ebenfalls Mittel gewonnen. – Außer den genannten Meistern kamen für die Ausführung der Wiederherstellungsarbeiten nur Alsfelder Meister in Frage, welche mit Stolz auf ihre Leistungen blicken dürfen.

Die Einweihung des neugefestigten und in alter Pracht geschmückten Gotteshauses fand am ersten Advent, den 29. November 1914, statt, die neue Kanzel wurde am 3. Dezember 1916 geweiht.

Erstveröffentlichung:

Friedrich Konrad Kuhlmann, Die Wiederherstellung der Walpurgiskirche zu Alsfeld, in: GAV Alsfeld (Hrsg.): Festschrift zur 700-Jahrfeier der Stadt Alsfeld, Alsfeld 1922, S. 137-149.

[Stand: 12.04.2024]